“Die sind sich gegenseitig an die Gurgel gegangen” – Ein Interview mit einem Festival-Shuttlefahrer

Dieser Artikel wird präsentiert von SEAT Sounds. Er ist Teil des VICE Guides für Festivals , alle Texte findet ihr hier.

“Es besteht kein wirklicher Rückzugsort, insofern bist du unfreiwillig in deren Privatsituationen involviert”, erzählt mir Robert* über seinen Job als Shuttle-Fahrer für Musik-Acts. Wir sitzen in der Künstler-Lounge des Berliner Olympiastadions. Neben uns wird am selben Tisch ein US-Sänger interviewt, Rapper wie Rin oder Nura von SXTN ziehen mit ihrer Entourage vorbei.

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Hier drinnen ist es angenehm kühl, es riecht nach gutem Essen, gesprochen wird in Zimmerlautstärke, draußen strömen Zehntausende Festival-Besucher über das Lollapalooza-Gelände und müssen für ihre fröhlichen Gespräche die omnipräsenten Bässe der Bühnen übertönen. Davon bekommen wir aber nichts mit, denn klar, auch das hier ist ein Rückzugsort.

Roberts Aufgabe ist es, die Musikerinnen und Musiker von den Flughäfen und Hotels mit einem Van abzuholen, sie zum Festival zu fahren und dann wieder zurückzubringen. Ob vor oder nach dem Konzert, er ist bei ihnen, wenn sie ihre Privatsphäre genießen und sicher vor dem Lärm der Massen sind. Ein Job, der danach schreit, mal genauer nachzufragen: Was hast du schon alles erlebt?

Entspannt und vergnügt verrät Robert, dass die Fahrten zwar ohne nennenswerte Zwischenfälle und im Falle eines berühmten DJs sogar recht distanziert ablaufen können, aber auch schon mal mit einer streitenden Band und einem Mick Jagger, der dich bittet, jetzt mal ein Rennen zu starten. Bitte, was?

Noisey: Wie läuft ein Tag als Fahrer ab?
Robert: Das fängt oftmals morgens um 6 bis 8 Uhr an und endet spät abends. Zur Eröffnung eines Festivals fährst du zum Flughafen, holst eine Band ab, fährst sie zum Hotel, dann vom Hotel zur Venue und alles wieder zurück. So geht das den ganzen Tag.

Bist du bei manchen Acts ein bisschen Fan und gespannt, wie die so drauf sind?
Absolut, das lässt auch nicht nach. Da musst du ja nicht mal Fan sein, sondern eine Faszination für das Phänomen des Künstlers haben. Einfach diesen Einblick zu bekommen, wie die eigentlich ticken. Ich meine damit nicht diesen Mythos des großen Stars, der aber ein ganz einfacher Mensch ist. Ich will einfach sehen, was die so zu erzählen haben. Oder dass ich bestenfalls befreundete Bands fahre. Oder dass das Leute sind, mit denen ich auch sonst abhängen würde. Das ist die Idealvorstellung.

Robert* der Shuttle-Busfahrer, der lieber anonym bleiben möchte

Und du bist da immer in einem Van unterwegs?
In der Regel, ja. Je nachdem, was die jeweiligen Künstler auf dem Rider zu stehen haben, gibt es aber oftmals auch luxuriösere, limousinenmäßige Shuttles. Das sind schon Sonderwünsche. Beispielsweise Calvin Harris: In dieser Liga gibt es extra Rider, die Auskunft darüber geben, was das für ein Gefährt zu sein hat und wie sich der Fahrer zu verhalten hat. Da stand, dass ich ihn nicht anlabern soll, seine Tasche nicht eigenständig reinstellen oder sie überhaupt in die Hand nehmen dürfe. Fenster sollten maximal halb gekippt sein, keine Musik und so weiter. Ich kann aber total verstehen, dass nicht jeder Bock hat, mit irgendeinem Fahrer zu labern oder Mucke zu hören.

Klar, auch beim Taxifahren habe ich manchmal keine Lust auf Gespräche mit dem Fahrer.
Manchmal hast du keinen Bock, manchmal aber schon, und es ist total amüsant. Da braucht es aber Taktgefühl – dass man als Fahrer erkennt, wann und wie weit der Künstler gesprächig ist. Das kriegt man mit der Zeit aber raus.

Passiert es oft, dass du Künstler vom Hotel oder Flughafen abholst und die komplett fertig sind?
Das gibt es, ist aber ein Klischee, das zwar immer wieder mal bestätigt wird, aber eher selten vorkommt. Das unterscheidet sich von Festival zu Festival oder von Genre zu Genre. Die meisten professionellen DJs sind unterwegs total diszipliniert.


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Bei breit aufgestellten Pop-Indie-Festivals geht es gesitteter zu, ganz im Gegensatz zu reinen Genre-Sachen. Ich hatte mal eine schwedische Band, die nach eigener Angabe “Suicide Black Metal” gemacht haben. Der Sänger hatte auf seinem Rücken einen Reichsadler tätowiert, da war die Marschrichtung schon klar. Er ist wohl bekannt dafür, dass er sich auf der Bühne ritzt, und hatte auch den ganzen Arm voller Narben. Vom Festival bekam er die Ansage, dass es kein Blut auf der Bühne geben dürfe. Er hat es trotzdem hinbekommen, sich beim Headbangen den Rücken zu verreißen.

Die haben die Show zu Ende gespielt und die Band wollte ins Hotel, aber der Sänger wollte erstmal zu den Sanitätern. Die restliche Band musste dann eine Stunde im Van warten und war voll aggro. Als es dann endlich losging, gab es das große Drama im Wagen, wo sie sich gegenseitig an die Gurgel gegangen sind. Plötzlich schob der Sänger einen Depri-Film, bezeichnete seine Band als “Fucking Jews” und randalierte ein bisschen im Van rum.

Was hast du gemacht?
Ich bin zum Hotel gefahren, habe die da rausgeschmissen und wollte nie mehr was von denen sehen.

Bands hängen wochenlang aufeinander rum, da kommt es doch sicher zu Spannungen, die man als Fahrer mitbekommt?
Letztendlich ist es teilweise deren Alltag. Es besteht kein wirklicher Rückzugsort, insofern bist du unfreiwillig in deren Privatsituationen involviert. Du bekommst jedes Gespräch mit, jegliche “Dramen”, die sich da abspielen, und Spannungen, die sich entladen. Ich habe mich schon bei manchen Bands gefragt, ob es die nach der Tour noch geben wird. So sehr Touren den Alltag darstellen, so sehr sind sie auch Ausnahmezustand. Wenn du das Aufeinanderhocken nicht aushältst, wirst du eben gekillt.

Sind die Künstler vor den Auftritten aufgeregt und angespannt oder noch im Business-Modus und hängen am Handy?
Das ist schon ein Phänomen der letzten Jahre: Viele checken eher Facebook oder Instagram und produzieren Bilder der Bilder wegen. Sie werden abgelenkt. Aber grundsätzlich machen sich Aufregung und Anspannung unterschiedlich bemerkbar. Die einen werden ruhig und gehen in sich, die anderen sind eher auf aggro gebürstet. Einige sind mit dem Kopf woanders und starren apathisch auf ihr Handy.

Man hat ja durch das mediale und öffentliche Auftreten von Acts ein ganz verrücktes Bild, sehr schillernd und glamourös oder total krass. Oftmals werden diese Bilder ja nur (re-)produziert, um ein gewisses Image zu verkaufen oder aufrechtzuerhalten. Meistens mehr durch die Entourage als die Künstler an sich. Bei den Acts handelt es sich manchmal um ganz bürgerliche, konforme, spießige Menschen, die auch bei der Kreissparkasse arbeiten könnten.

Wird denn nach der Show der Auftritt im Van ausgewertet?
Schon, aber das ist, glaube ich, eher eine deutsche Art. Dieses typische Nadel im Heuhaufen finden. Amis sind enthusiastisch, freuen sich über die geile Show und wollen abhängen, um eine gute Zeit zu haben. Deutsche Acts sind mehr perfektionistisch: “OK, da habe ich mich verspielt, das hat nicht geklappt und da war das Licht scheiße.”

Erzähl mir zum Schluss noch deine Lieblingsanekdote.
Ich habe eine von einem Kollegen. Der hat mal für die Rolling Stones gearbeitet. Er war für Mick Jagger persönlich verantwortlich und hat ihn in einem Sportwagen chauffiert. Die Band saß in einem Van. Dann schlug Mick Jagger ein Ampelrennen vor, von hier bis zur nächsten Ampel. Er wollte, dass mein Kollege den Bus richtig abzieht. Der Kollege meinte aber, dass das koste, wenn er mit so hoher Geschwindigkeit geblitzt wird. Da wollte Mick Jagger genau wissen, wie viel das sei. So 200 Euro. Dann hat er ihm nur einen 500-Euro-Schein aufs Armaturenbrett geknallt und meinte: “Pedal to the metal und gewinne!” Er hat gewonnen. Und wurde nicht geblitzt, weil er genau wusste, wo der Blitzer war, und kurz davor in die Eisen ging.

Da muss dir als Mick Jagger aber auch hart langweilig sein.
Wahrscheinlich. Wenn du deine zigste Abschiedstournee spielst und eigentlich keine Show mehr spielen musst, weil eh genug Geld da ist, dann machst du halt sowas, haha!

* Name auf Wunsch des Fahrers geändert, um seine Anonymität zu wahren.

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