Entspannt euch, Disclosure wird House-Musik nicht ruinieren

Foto: Katrin Ingwersen.

Disclosure befinden sich mitten in einem Krieg. Auf der einen Seite sind die Legionen von Langweilern, die über sie bloggen, als ob sie die Nikita Khrushchevs des Untergrund-House wären, und auf der anderen Seite stehen eine Horde schreiender Fans, die ihren Song „Latch“ als Klingelton runterladen. Dann, mittendrin, sind die beiden jungen Brüder, die verwirrt gucken und sich fragen: „Können wir bitte einfach alle chillen und etwas Musik hören?“

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Natürlich waren sie Headliner bei Coachella, aber sie haben auch im Berghain aufgelegt, waren die jüngsten Künstler, die jemals auf einer Leisure System Nacht gespielt haben und schafften es in die Top 20 der UK. Sie repräsentieren vielleicht nicht den Drogen- und Warehouseparty-Stil, den die House-Musik vorgibt, aber sie sind auch nicht David Guetta. Also was gibt es eigentlich an den Lawrence Brüdern zu kritisieren? Dass sie akustische Instrumente spielen und kein MDMA nehmen? Wenn sie eine größere Tasche voller Vinyls hätten und weniger gesund aussehen würden, müssten sie sich vielleicht nicht die ganze Zeit mit diesen Herablassungen beschäftigen. So oder so, wir haben uns mit ihnen auf dem Melt! Festival getroffen, mit der Absicht, nicht gemein zu ihnen zu sein und ihnen die Chance zu geben, auf all die Kritik zu antworten.

YNTHT: Danke für die Fotos, Jungs. Ich bin mir sicher, ihr habt euer Standardgesicht für Pressefotos perfekt drauf.
Guy:
Ja, ich mache ein total fröhliches Gesicht.
Howard: (lacht)
Guy: Nein, wir machen das nicht für die Fotos, wir mögen es einfach, Musik zu machen.

Richtig. Ihr habt mittlerweile viel in Deutschland gespielt, oder?
Wir haben letztes Jahr schon auf dem Melt! gespielt und in Berlin, Mannheim, Hamburg…
Howard: Antwerpen.
Guy: Antwerpen ist nicht Deutschland, Idiot.
Howard: Wir haben vor kurzem in Köln gespielt. Ist das Deutschland?

Ja. Also, was denkt ihr, wer feiert härter: London oder Berlin?
Guy:
Berlin. Sie feiern viel härter.
Howard: Berghain geht meistens bis zehn Uhr am nächsten Abend.
Guy: Wir haben dort aufgelegt. Es hat Spaß gemacht.

Zieht ihr denn die Londoner Musikszene Berlin vor?
Ja, so würde ich das sagen. Wir lieben beide Szenen, aber London ist mehr unser Ding. Wir sind mit dem Londoner Garage-Sound großgeworden. Berlin ist mehr Techno.

Jeder sagt „Dance-Musik beherrscht die Charts.“ Habt ihr Angst, dass ihr in ein paar Jahren mit Swedish House Mafia tourt oder eine Kollaboration mit Nicki Minaj macht?
Wir müssen uns nicht komplett verkaufen. Wenn wir nicht mit Nicki Minaj arbeiten wollen, wird uns keiner dazu zwingen. Ich denke, es ist gut, dass die gute Dance-Musik andere Scheiße vom Markt verdrängt—obwohl, Avicii ist zur Zeit auf Platz 1 in Großbritannien, mit der meistverkauften Single des Jahres, also vielleicht gibt es doch keine Hoffnung mehr.

Viele Leute habe eure Entscheidung, live Instrumente zu spielen, kritisiert. Woher kam diese Entscheidung­­—vermutlich macht ihr das nicht nur, um zu zeigen, dass ihr Gitarre spielen könnt?
Howard:
Wir sind mit Bands und Instrumente spielen groß geworden und erst viel später die elektronische Musik entdeckt. Wir wussten nichts über das Auflegen und wir konnten es auch nicht. Wenn wir also gebucht wurden, dachten wir, sie wollen, dass wir Instrumente spielen. Was wir nicht realisiert haben, war, dass sie einen DJ wollten, also mussten wir lernen, wie man auflegt.

Ich denke, dass viele der Dance-Musik-Fürsprecher sagen, dass die Live-Instrumente einfach nur eine Spielerei sind, um von dem Talent an den Plattenspielen abzulenken.
Guy:
Nee, ich glaube, das ist Schwachsinn. Ja, das ist totale Scheiße. Wie kannst du sagen, dass jemand, der Schlagzeug spielt, von jemandem ablenkt, der mit Vinyl auflegt? Das hat nichts miteinander zu tun. Ich gucke mir gern Djs an, vor allem die, die nur mit Vinyl auflegen. Ich gehe gern raus und gucke mir Künstler wie Motor City Drum Ensemble und Kerry Chandler an und all diese House-Legenden und es ist abgefahren. Aber ich gucke mir auch gern James Blake, Mount Kimbie und SBTRKT an. Persönlich und als Musiker spielen wir Instrumente, weil wir es wollen. Ich spiele Schlagzeug, seitdem ich drei bin.
Howard: Ich weiß aber, was du meinst. Es kann schon eine Spielerei sein, wenn Djs auflegen und dazu Instrumente spielen, es ist dieses „Du spielst was, was nicht im Track ist.“-Argument.
Guy: Ich habe das noch nie so gesehen.
Howard: Ich habe das schon mehrmals beobachtet und es ist so, als würden sich einige einfach gern als Live-Acts betiteln, vielleicht weil sie dann mehr Geld bekommen oder so.
Guy: Ich denke das Hauptproblem der momentanen Situation sind nicht die Live-Instrumente. Wenn ich jemanden auf der Bühne sehe, der ein Instrument spielte, denke ich „Großartig, du machst etwas.“ Das Hauptproblem sind Menschen, die sagen, sie würden live spielen und nur einen Laptop und Ableton benutzen.
Howard: Wir haben sehr viel Zeit und Energie in unsere Live-Sets mit all den Instrumenten investiert und ich denke, dass das viele Leute einfach nur als Produktion ansehen—weißt du, nur Lichter und Visuals. Aber für uns ist das keine Live-Musik, wenn nur die Visuals live sind, aber wir haben beides.

Nerven euch die konstanten, anmaßenden Debatten über Musikstile?
Guy:
Es stört uns nicht wirklich.
Howard: Es ist uns eigentlich ziemlich egal.
Guy: Ja, die Menschen können es nennen, wie sie wollen. Viel Musik, die zur Zeit in den Charts ist—uns miteinbezogen—wird als Deephouse bezeichnet. Ich habe noch keinen einzigen Deephouse-Track in den Charts gehört. Es gibt eine Kompilation auf der auch drei unserer Songs sind und sie heißt „Deep House 2013“ oder so. Darauf ist „Latch“. Wenn „Latch“ ein Deephouse-Track ist, dann weiß ich wirklich nicht, was los ist.
Howard: Es ist doch eigentlich egal. Ich würde sagen, unser Album hat einen Teil, der sehr durch den Garage-Sound inspiriert wurde und einen Teil, dessen Inspiration wir aus Pop-Songs haben. Wenn jemand das alles als Deephouse bezeichnet, denke ich mir: Was willst du?
Guy: Wir versuchen nicht nur House oder nur Garage oder „Bring die gute alte Zeit zurück“ zu machen. Für uns war House nie weg. An vielen Plätzen war es auch nie weg—vor allem in Berlin. House war immer cool. Ich weiß nicht, warum jeder von dem „House-Revival“ spricht.
Howard: Wir haben es gerade mal vor vier Jahren entdeckt.
Guy: Ja, wir versuchen also offensichtlich nicht „irgendwas zurückzubringen“, wir lernen immer noch. Das ist das erste Mal für uns.
Howard: Es ist komisch, dass es so viele Menschen gibt, die vom „Deephouse-Revival“ sprechen und sie meinen tatsächlich, dass wir denken: „Ich werde die alten Zeiten zurückbringen, so wie sie früher waren…als ich ein Jahr alt war.“
Guy: Ja, lass uns die guten, alten Zeiten zurückbringen, damals als wir noch Windeln trugen.

Steht das „Deephouse Revival“ in Verbindung mit dem MDMA Revival? Wärt ihr genauso berühmt sein, wenn Ecstasy nicht existieren würde?
Ja, das ist interessant. Wir haben viele Produzenten getroffen, denen es nichts ausmacht zuzugeben, dass sie durch Drogen zum Auflegen gekommen sind. Sie gingen raus, um Drogen zu nehmen, die Musikrichtung spielte nur eine Nebenrolle, aber hauptsächlich ging es darum, Sex zu haben. Wir haben niemals wirklich Drogen genommen. Wir machen das nur wegen der Musik, Howard war nicht mal alt genug, um in Clubs zu gehen.
Howard: Für die USA bin ich immer noch zu jung.
Guy: Ich glaube, für viele Menschen geht das Hand in Hand, ich nehme an, viele nutzen es als eine Art Befreiung: eine Flucht vor dem Alltag. Bei uns geht es nur um die Musik.

Habt ihr jemals vor einem Publikum gespielt und gedacht „Wow, ich hasse dieses Publikum?“
Howard:
Manchmal ist es so, dass du denkt „Ich hasse diesen Typ da vorne im Publikum.“
Guy: Gestern, als wir gespielt haben, war ein Mädchen in der ersten Reihe, das total verrückt wurde, aber anstatt „Disclosure“ zu schreien, sagte sie nur „Guy. Guy. Guy. Guy. Guy. Guy.” Immer und immer wieder. Und ich schrie nur „Halt deine Fresse! Oh Gott, du bist so nervig!“ Also gelegentlich gibt es auch mal Spinner.
Howard: Ich denke nicht, dass wir jemals von einem ganzen Publikum genervt waren.
Guy: Vor kurzem gab es Moshpits in unseren Shows, während wir „Latch“ spielten. Und ich dachte: „Was macht ihr da?“
Howard: Total unangemessen.
Guy: Das ist der glücklichste, lebendigste, sommerlichste Song, den du jemals gehört hast. Das ist doch kein Korn-Konzert.

Wen wollt ihr euch auf dem Melt! anschauen?
Wir werden uns Rudimental anschauen. Wir sind gut befreundet und es macht Spaß, ihnen zuzuschauen. Und sie spielen mit Sinead Harnett, die auch in einem unserer Tracks singt.

Was ist das beste Festival, auf dem ihr jemals gespielt habt?
Howard:
Glastonbury war wirklich gut. Ich war so geehrt, überhaupt dort spielen zu dürfen, vor allem da ich aus England komme. Coachella war auch großartig. Aber ich liebe das Melt! Die Atmosphäre, die Location und die Organisation sind so gut aufeinander abgestimmt.
Guy: Ja, wir waren gerade dort unten am Strand und die deutschen Mädchen…nicht schlecht.

Also wiedersprecht ihr Wiley mit seiner Meinung über Glasto?
Oh ja, er bettelte quasi darum, nicht aufzutreten, oder?

Er wollte nicht auf einem verregneten britischem Festival auftreten, wenn er stattdessen an „Kandi Beach“ sein konnte.
Howard:
Aber er ist aus Croydon!

Das stimmt, danke Jungs!

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