Meistens stehen sie hinten bei den Toiletten. Man sieht sie selten reden, weder miteinander noch mit anderen Gästen. Sie tanzen nicht, sie feiern nicht und sie lachen nicht. Unabhängig von der Musik die gespielt wird, vom Wochentag und vom Eintrittspreis sind die jungen Schwarzen da. Der Gast kriegt sie nur selten mit, meistens während des Ganges zum Klo. Dann nuscheln sie höflich “How you doin” von der Seite. Nie zu laut, nie zu aufdringlich – sie wissen, dass sie nicht auffällig werden dürfen. Will man nichts kaufen, belästigen sie einen nie wieder. Will man etwas kaufen, wird meistens das Handy gezückt und sie verschwinden für zehn Minuten. Früher war vor allem das Flex bekannt für dieses Phänomen. Laut der Aussage meiner Gesprächspartner wurde das aber mittlerweile von Tschetschenen übernommen. Kein “How you doin” mehr am Donaukanal. Jetzt stehen die Männer aus Afrika woanders in Wien.
Zuerst wollte niemand mit mir reden. “Du benimmst dich wie eine Zivile”, sagt mir später Hustla. So nennt sich der junge Mann selber, und so nenne ich ihn jetzt auch. Entsetzt darüber, dass irgendjemand mich mit der Polizei in Verbindung bringt, frage ich nach dem Grund. “Du interessierst dich für uns” sagt er mir, und mir wird flau im Magen. Ich habe die Männer nur gefragt, ob sie Lust haben, mit mir anonym zu sprechen, ich habe ihnen unsere Seite gezeigt und immer wieder absolute Anonymität versichert. Außerdem habe ich ihnen gesagt, dass mich das Dealen nicht interessiert, ich wollte nicht wissen, woher sie welchen Stoff haben. Ich wollte wissen, was sie sich erhoffen, woher sie kommen und wie sie ticken. Ich wollte sie als Menschen porträtieren. Außer mit Hustla, rede ich noch mit Don und Amel. Don entscheidet sich, lieber nicht mit mir zu sprechen, als ein Freund ihn nach fünf Minuten zur Seite holt. Ich wusste ja nicht, dass ich wie eine Zivile wirke. Amel spricht mit mir, aber nur äußerst wütend. Ich wollte ihre Füße fotografieren, das wirbelt die Männer auf und verursacht Streit untereinander. Ich habe mir zwar die Befugnis der Gruppe geholt, aber Amel ist stark dagegen. ” I don’t know you, I don’t trust you” sagt er immer wieder, während er mein Handy in der Hand hält. ” I have papers, i have papers, i am not one of them, i live in Salzburg. I am allowed to be here” sagt er mir. Als ich ihm erkläre, dass ich für meinen Artikel ein Symbolfoto brauche, Hände oder Füße, wiederholt er noch einmal, dass er Papiere hat. Er geht hier und in Salzburg trainieren, er ist schon öfters im Boxring gestanden. Er hat mit dem hier nichts zu tun. Wenn man Papiere hat, muss man schließlich nicht dealen, sagt er mir.
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Hustla hält sich nicht an unsere vereinbarte Zeit um zu reden. Er versetzt mich insgesamt drei Mal, zweimal ohne mir abzusagen. Also gehe ich am Freitag in den Club. Ich weiß ja, wo ich ihn finde. Er entschuldigt sich sofort, unterbricht sein Gespräch mit einem Gast und erklärt mir, dass er sein Handy wegschmeißen musste. Er schnappt mich und geht mit mir an einen ruhigen Ort. Er spricht sehr gut Englisch, akzentfrei. Er fragt mich als Erstes, wo er anfangen soll. Am Anfang, sage ich. Er lacht und sagt, dass ich so viel Zeit gar nicht habe. Und er schon gar nicht. Erst jetzt, merke ich, dass ich ihm wertvolle Zeit wegnehme.
Hustla wurde in Westafrika geboren. Wo genau, verschweige ich, weil ich ihn nicht in Schwierigkeiten bringen will. Er ist vom Sternzeichen Steinbock, aber er glaubt an so etwas nicht. Er hat seinen Geburtstag nicht gefeiert. Bis zu seinem zwölften Lebensjahr durfte er eine Schule besuchen, danach war ihm das nicht mehr möglich, da er einer der Ältesten in der Familie ist. “Es gab kein Geld und kein Essen in der Schule” sagt er enttäuscht. Er wäre lieber noch länger geblieben, ich glaube ihm das. Am Liebsten hat er Englisch gehabt. Mit 12 hat er angefangen, Musik zu machen. Ich frage ihn, worum es in seiner Musik geht. “Als ich noch sehr jung war, habe ich viel über Korruption und die Regierung gerappt, heute ist jeder Track über Freiheit. Freiheit ist das Wichtigste. Für jeden Menschen, aber die Menschen hier wissen nicht, dass sie frei sind. Denn um zu spüren, dass du nicht frei bist, muss dir die Freiheit zuerst genommen werden. Schließlich werden wir ja frei geboren. Und meine Regierung hat sie mir gleich genommen. Also ging es irgendwie schon immer um Freiheit. Alles andere ist mir egal. Nur die Freiheit nicht.”
Ich spüre, dass die Flucht von Zuhause ein schwieriges Thema ist, aber ich frage trotzdem nach. Ob er sein Zuhause, seine Eltern und seine Geschwister vermisst. “No place like home”, sagt er geknickt. Er kann sich aber kein Ticket nach Hause leisten, ohne Papiere kann er nicht fliegen. Ich frage wie es ist, keinen Kontakt zur Familie zu haben. “Fucking hard”, ist seine Antwort. Wenn er kann, dann spart er für das Ticket, meistens muss er seine Ersparnisse an schlechten Tagen für Essen aufbrauchen. Man sieht, dass er glaubt, seine Familie nie wieder zu sehen. Ich frage ihn, warum er gegangen ist. “Ein anderes Leben. Ich wollte einfach ein anderes Leben.” Zuhause hört man immer wieder, wie junge Männer die Flucht antreten. Wenn sie zu alt sind, wird es gefährlich. Kinder und Frauen sind für eine Flucht auch zu fragil. Mit Mitte 20 flieht er nach Libyen. “Libyen war das Schlimmste, was mir passiert ist. Die größten Rassisten sind dort. Ich bin im Gefängnis gesessen, ohne etwas gemacht zu haben. Man war mir gegenüber grundlos gewalttätig”. Tatsächlich wird immer wieder berichtet, dass in Libyen der Rassismus gegen Schwarzafrikaner gewalttätige Ausmaße erreicht. Als wichtiges Transitland zu Europa ist Libyen bevölkert von Menschen aus den südlichen Ländern Afrikas. Kein Wunder, dass Hustlas Mama und die jungen Geschwister nicht mitkommen konnten.
Er schafft es aus Libyen nach Italien. Dort bleibt er ein paar Monate, er rappt da sogar bei ein paar Veranstaltungen. Auch da begegnet er Rassismus, aber nach Libyen, sagt er, kann kaum was Schlimmeres kommen. Er ist dankbar, endlich in Europa zu sein. Ich frage ihn, wo er da wohnt, wie man das macht. “Bei Freunden von Zuhause.” Mehr sagt er dazu nicht, muss er auch nicht. Nach Italien geht es für ihn nach Deutschland. Er bleibt ein paar Monate in Berlin. Dort gefällt es ihm am allermeisten, sagt er. Die Menschen sind offen, freundlich und er hat dort keine Probleme. Irgendwann will er Berlin wieder mal besuchen. Ich habe das Gefühl, dass er wegen der Polizei aus Deutschland weg musste. Aber auch das sagt er mir nicht. Ich habe versprochen, mit ihm nicht über das Dealen zu reden, aber ich habe das Gefühl, dass sein Migrationsweg stark damit zusammenhängt. Sei es wegen der Polizei, oder wegen dem Kopf der Bande. Er erzählt immer wieder von einem Freund. Ein Freund hat ihn durch Italien gebracht, ein Freund war mit ihm in Berlin, er wohnt zurzeit bei einem Freund. Frage ich nach, weicht er aus.
Seit ein paar Monaten ist er in Wien. Ich frage ihn, ob er Wien mag. Er mag es sehr, er hätte hier gerne einen Job und eine Wohnung. Und eine Freundin. Später auch ein Kind. Obwohl die Leute in Deutschland weniger rassistisch sind, mag er hier die Architektur und wie schön sauber alles ist. Wenn er könnte, würde er hier gerne studieren. Kunst am allerliebsten, aber dann müsste er wohl zum Überleben weiterdealen, sagt er und lacht. Wenn er sich aussuchen könnte, würde er am liebsten ein Produzent sein. Er macht gerne Musik und hat viele Ideen. Kayne West und Dr.Dre sind da seine Vorbilder. Wobei er einen absoluten Lieblingsrapper hat: Nas. Er hat ihn schon immer gehört, er mag seine intelligenten und kritischen Texte, und wenn er seine Musik beschreiben müsste, dann würde er sagen, dass er sich an Nas anlehnt. Systemkritischer Gangsta-Rap, sagt er und lacht. Da wir bei Wunschdenken sind, frage ich ihn, was er sich von Österreichern wünschen würde. “Kein Hass und kein Rassismus uns Schwarzen gegenüber. Das tut am allermeisten weh. Beschimpfe mich, weil ich deale, aber beschimpfe mich nicht, weil ich schwarz bin. Ich kann nichts dafür, dass ich schwarz bin. Das ist Biologie. Die Sonne würde mein ganzes Volk verbrennen, wenn ich so weiß wäre wie du. Du brauchst meine Pigmente nicht, da wo ich herkomme brauche ich sie schon. Das ist der einzige Grund, warum ich schwarz bin und du nicht. Die Menschen in Mexiko zum Beispiel, sind ja auch dünkler. Wegen der Sonne. Es ist so dumm, sich wegen der Biologie zu hassen. Für die kann man ja nichts.”
Meine letzte Frage ist, wie es ihm hier mit der Polizei geht. “If you are black, you have a Problem” sagt er, während er aufsteht und sich kurz umschaut “You know Girl, nobody here wants to deal. We just want to survive”.
Ich habe Hustla versprochen, ihn nächste Woche zu besuchen und ihm den Artikel zu zeigen. Er hofft, dass dieser Artikel dabei hilft, das Bild in der Gesellschaft zu ändern und sie als Menschen und nicht nur als Dealer wahrzunehmen. Ich hoffe das auch.
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