Anders als andere Designer am sogenannten Avantgarde-Ende des Moderegenbogens ist Hussein Chalayan kein übertriebener selbsternannter Exzentriker. Er ist ein angenehmer Typ, mit dem man sich gut unterhalten kann, und bietet jungen Interviewerinnen nicht ständig an, ihnen nackte Statuen von sich zu zeigen oder deutet permanent auf seine Chakras, um zu zeigen, wo er seine Inspiration findet. Seine Kollektionen und Kollaborationen (darunter z. B. das aus Saran bestehende Gefäß, in dem Lady Gaga bei den diesjährigen Grammy Awards über den roten Teppich getragen wurde) sind extrem perfekt ausgeführt und haben ihm universelles Lob eingetragen. Folglich werden die meisten seiner Sachen auch gnadenlos an allen Modedesignschulen der Welt imitiert oder schlichtweg kopiert.
Aber was Hussein wirklich zu etwas Besonderem macht, ist sein permanenter Fokus auf die neusten Mittel und Methoden, mit denen Rohmaterialien zu Kleidern verarbeitet werden können. Seit geraumer Zeit ist er an der vordersten Front der Designer, die bei der Konstruktion ihrer Linien auf die neusten Fortschritte der Technologie zurückgreifen—Kleider, die in der Bewegung erstarrt sind, Tuniken, aus denen Laserstrahlen hervorschießen, Sachen, die von allein schrumpfen oder sich häuten und die Träger wie kosmische Schmetterlinge aussehen lassen, die vorwärts und rückwärts durch die Zeit flattern, und vieles mehr. Und obwohl er einer der momentan beschäftigtsten Designer ist und noch dazu zum Zeitpunkt dieses Interviews gerade bis zum Hals in den Vorbereitungen zur Fashion Week steckt, kommt er mir klarer und entspannter im Kopf vor, als die meisten anderen Leute, die ich kenne. Hier folgt, was er mir darüber erzählt hat, wie man dieses Modeding gebacken bekommt, ohne dabei durchzudrehen, arm zu werden oder abzukratzen.
Vice: Bist du die Art Designer, die sich zurückzieht, um die Dinge allein erst einmal bis ins Detail zu durchdenken, oder entwickelst du Sachen eher durch ausprobieren?
Hussein Chalayan: Ehrlich gesagt, ist es ein bisschen von beidem. Ich habe vielleicht eine Idee, die mir seit einer Weile im Kopf herumgeistert, aber es kann auch sein, dass sich eine Saison einfach aus der vorangegangenen ergibt. Man beschäftigt sich mit Gebieten der Arbeit, die miteinander verbunden sind. Dann entwickelt man natürlich Ideen und in diesem Rahmen können Zufallsprodukte entstehen, die wir für geeignet für unser Haus halten. Es ist ein Rahmen, der Experimente erlaubt.
Also sitzt du tatsächlich oft alleine da und suchst nach einem Kontext und Querverbindungen?
Ich arbeite auch mit Teams. Zunächst habe ich oft eine Idee und mache eine Skizze. Dann arbeite ich mit meinen Schnittentwicklern, dann drapiere ich, dann schaue ich es mir an und dann skizziere ich es wieder neu.
Was das Design betrifft, sagt man deiner Arbeit eine große Integrität nach, aber du musst dennoch nach den Regeln des Kalenders, der Käufer, der Herausgeber und der Banken spielen. Wie kriegst du das alles unter einen Hut?
Ja, die Anforderungen und Zyklen des Markts sind definitiv schwierig. Auf der anderen Seite können diese Restriktionen einem auch helfen, anders über Dinge nachzudenken, und sich weiterzuentwickeln. So kann man aber nicht die ganze Zeit arbeiten, denn man würde daran zerbrechen.
Du arbeitest mit ein paar sehr unkonventionellen Materialien, wie Holz und Ethylen-Vinylazetat-Schaum. Gibt es Dinge, die dir durch den Kopf geistern und die du gerne machen würdest, wo dir aber die technischen Mittel fehlen?
Nun, davon gibt es eine Menge, aber die wirst du sicher zu sehen bekommen, wenn es soweit ist. Ich empfinde alles, was ich bisher gemacht habe, als Experiment. Ich versuche nun, meine Prototypen Realität werden zu lassen.
Ist dein Studio ein Labyrinth aus ausgefallenen und neumodischen Geräten?
Ich interessiere mich im Rahmen meiner Arbeit für Technologie, aber ich habe schon früh beschlossen, dass ich nicht viele Dinge besitzen will. Das betrifft nicht nur Hightech-Sachen. Ich besitze auch nicht viele Kleidungsstücke oder Möbel. Wenn es um mich herum zu voll wird, kann ich nicht denken.
Das scheint unter Designern oft so zu sein. Die Leute denken, dass das Leben von Leuten, die in der Kunst oder im Design arbeiten, total durchgestylt ist.
Es ist wie bei Köchen—wenn man für sich selbst kocht, will man auch nicht die Sachen kochen, die man sonst immer kocht, weil man da zu sehr drinsteckt.
Aber das heißt natürlich nicht, dass dein Interesse an Technologie deshalb geringer wäre. Was ist es, das dich besonders daran fasziniert, Technologie zu integrieren, selbst wenn du dir nicht das Wohnzimmer damit vollstellen würdest?
Der Grund, warum ich mich für Technologie interessiere, ist, weil es das einzige Mittel ist, durch das man neue Dinge in die Welt bringen kann. Alles ist schon mal gemacht worden. Alles. Es erlaubt einem, an Orte vorzudringen, an denen zuvor noch keiner war.
Du bist auch bekannt dafür, ungewöhnliche Laufstegpräsentationen zu machen. Denkst du in den Anfangsstadien des Designprozesses darüber nach, wie die Leute deine Kleider wahrnehmen, oder sind diese zwei Dinge komplett getrennt?
Ich denke, zuerst kommt immer die Kollektion und ich verbringe den Großteil meiner Zeit mit dem Nähen und den Stoffen und Farben und all diesen Sachen. Die Präsentation ist nicht das Erste, worüber ich mir Gedanken mache, aber es stimmt, dass es mir wichtig ist, denn ich mag die Idee, dass es ein kulturelles Erlebnis für die Leute ist.
In deinen Designs deutet sich auch eine Obsession für den menschlichen Körper an. Hast du irgendeine Körpermuse?
Ich denke, ich werde vom Körper als Gesamtidee inspiriert, nicht vom Körper einer bestimmten Person. Ich interessiere mich für die starke Frau. Ich wurde von Frauen großgezogen, also ist mein Ziel wohl, Frauen mehr Macht zu verleihen und ihnen zu helfen, sich in ihren Kleidern wohlzufühlen. Ich finde Frauen sehr viel komplexer als Männer und deswegen sehr viel interessanter. Ich möchte, dass sie eine starke Ausstrahlung haben.
Liest du dir je die Kommentare zu deinen Kollektionen durch?
Nein. Ich habe es ein paar Mal gemacht, und es saugt mich nur auf.
Wie meinst du das?
Man hängt sich an bestimmten Sachen auf, die die Leute sagen, oder an Missinterpretationen von Dingen. Ich habe zu viel zu tun, um mich von so etwas ablenken zu lassen. Ich möchte mich lieber damit beschäftigen, bei meiner Arbeit so gut wie möglich zu sein. Es ist komisch—einerseits sollte man wissen, was die Leute sagen, aber andererseits hält es einen davon ab, mit seinen Sachen weiterzumachen, weil man die ganze Zeit am Computer hängt.
Das ist interessant, denn du scheinst ja wirklich einer der meistbeschäftigten Designer der Welt zu sein. Du bist der Kreativdirektor von Puma, hast deine eigenen Linien und machst alle möglichen Kunstinstallationen und Projekte.
An erster Stelle bin ich Designer, aber ich arbeite auch mit einer Galerie in Istanbul zusammen und habe vor Kurzem in London zwei Projekte mit der Lisson Gallery und den Spring Projects abgeschlossen. Wir hatten auch eine tourende Museumsausstellung, ein paar einmalige Galerieausstellungen und wir verkaufen meine Filme und Installationen an Sammler. Was dann wiederum in mein Modegeschäft einfließt. Und dann gibt es natürlich noch die Kunstsammlungen.
Sind all diese Dinge unabhängig von einander?
Sie sind sehr unterschiedlich, aber auch alle irgendwie miteinander verbunden—sie sind alle Teil meiner Welt. Ich mache vielleicht eine Kollektion und dann einen Film, in der die Kollektion vorkommt und wo ich eine Geschichte darum spinne. Oder ich mache einen Film und mache dann eine Kollektion auf dessen Grundlage. Ich suche mir sehr genau aus, was ich mache, weil ich die Dinge richtig machen will. Ich versuche, sie so zu timen, dass sich meine Pläne nicht überschneiden. Es klingt viel, aber es läuft auf eine sehr geordnete Art ab.
Du musst dich wie eine Maschine fühlen.
Manchmal ja, aber es sind vor allem die Termine und die begrenzten Budgets, die mir das Leben schwer machen. Wenn es keine Beschränkungen gäbe, wäre das der beste Job der Welt.
Wie gehst du damit um?
Ich entscheide mich, die Dinge zu machen und daran zu wachsen. Meine Kunstprojekte inspirieren mich. In einem gewissen Sinn bilden sie den Treibstoff für meine Kollektionen. Ich denke, es gibt in meiner Arbeit eine interessante Dualität, wo sich die Dinge gegenseitig befördern.
Du bist in Zypern und London aufgewachsen. Gibt es da eine Verbindung zu deiner Biografie? Ich meine diese Idee, sozusagen ein duales Leben zu führen?
Nun, ich bin auf Zypern geboren und dann für die ersten fünf Jahre nach London gezogen und dann zum Schulanfang wieder zurück nach Zypern gegangen. Ich denke, es ist dieses ständige Hin und Her in meinem Leben, die Tatsache, dass ich mich ständig wieder an fremde Umgebungen gewöhnen musste—das hat mich sehr offen gemacht, aber auch sehr entwurzelt. Es gibt die türkische Seite meines Wesens, über die ich sehr glücklich bin, weil es eine so reiche Kultur ist. In dieser Kultur steckt eine Weisheit, die vielen westlichen Kulturen fehlt.
Was betrachtest du als deine Heimat?
Ich bin letztendlich ein Londoner, weil ich die meiste Zeit meines Lebens hier verbracht habe. Das heißt nicht, dass ich Engländer wäre—sondern tatsächlich ein Londoner. Es ist so, wie New Yorker zu sein, nicht heißt, dass man Amerikaner ist.
Was zieht dich an London an?
In London gibt es für alles auf der Welt eine Spezialisierung. Du kannst auf jedem vorstellbaren Gebiet Spezialist sein. Und ich interessiere mich mehr für meine Herkunftskultur, weil ich hier lebe und sie aus der Ferne betrachten kann. Ich komme von einer Insel und bin auf einer anderen gelandet. Vermutlich bin ich ein echtes Mischmasch.
Du bist ursprünglich aus der Türkei und gehörst damit zu dem sehr kleinen Pool international anerkannter Designer aus dem Nahen Osten. Ist damit ein besonderer Erwartungsdruck verbunden?
Nein, denn ich bin nicht aus der Türkei. Ich bin aus dem türkischen Teil Zyperns. Aber auch die Türkei ist ja nicht wirklich der Nahe Osten—sie liegt zur Hälfte in Europa und zur Hälfte in Asien. Sie ist eine eigene Kategorie. Ich denke, wir haben mehr mit dem Süden Italiens und Griechenlands gemeinsam, als mit dem Nahen Osten. Wir sind muslimisch, aber so sekulär, dass man kaum etwas davon merkt. Unsere Frauen sind ja nicht verschleiert oder so, weißt du?
Spielt die Religion also überhaupt keine Rolle?
Keiner geht wirklich in die Moschee. Aber sie sind da, was auch toll ist. So sollte es sein.
Welchen Leuten fühlst du dich also am nächsten?
Den Leuten, mit denen ich an Saint Martins war. Ich bin Teil einer größeren Kultur, die in London beheimatet ist. Ich habe den Großteil meines Lebens hier verbracht. Ich bin mit den türkischen Designern in Istanbul befreundet, aber ich bin nicht Teil dieser Szene, weil ich nicht von dort bin. Ich denke, ich habe eine kulturelle Verbindung und ein gewisses Einfühlungsvermögen, aber nicht als Designer.
Du hast deine 2010er Herbstkollektion Alexander McQueen gewidmet, den du als einen engen Kollegen ansiehst. Kannst du ein wenig über die Beziehung sprechen, die ihr hattet?
Nun, McQueen und ich stammen aus exakt derselben Generation. Wir fingen zu einem sehr ähnlichen Zeitpunkt an und machten Mitte der 90er Shows in London, bis wir beide nach Paris gingen. Ich kannte ihn nicht besonders gut, aber gut genug, um immer kurz mit ihm zu plaudern, wenn ich ihn sah. Ich glaube, er wurde in den frühen 2000ern Teil der Gucci-Gruppe und sein Geschäft entwickelte sich in eine andere Richtung als meins. Er musste wegen der Investitionen und dem ganzen Umfeld sehr viel schneller wachsen.
Habt ihr eure Arbeit gegenseitig bewundert?
Ja, ich habe ihn immer nur Gutes über meine Sachen sagen hören. Er hat mir das nie direkt gesagt [
lacht], aber er hat mich immer mit viel Achtung behandelt. Innerhalb unserer Generation waren wir beide sehr unterschiedlich, aber wir haben, meiner Ansicht nach, beide interessante Kollektionen und Shows gemacht, die damals sehr neu waren. Ich finde, wir haben viel zur Londoner Modelandschaft beigetragen.
Wie hast du seinen Tod erlebt?
Ich war zutiefst schockiert davon, was passiert ist. Es ist einfach nur deprimierend. Als es im letzten Herbst/Winter passierte, habe ich eine Ansprache für ihn in meinen Soundtrack integriert. Es ist sehr, sehr traurig und ich bin den Tränen oft sehr nahe gewesen. Es ist ein riesiger Verlust. Vielleicht hätten sich mehr Leute um ihn kümmern sollen, als es ihm nach dem Tod seiner Mutter so schlecht ging. Ich kann es, ehrlich gesagt, immer noch nicht glauben. Ich komme jeden Tag auf dem Weg in mein Studio an seinem vorbei und jedes Mal, wenn ich da vorbeilaufe, fühlt es sich einfach irreal an. Es ist einfach nur tragisch.
Am, ähm, anderen Ende des Spektrums ist Lady Gaga. Du hast sie logischerweise getroffen.
[
lacht] Ja, natürlich. Mehrfach. Sie ist ein wirklich süßes, süßes Mädchen mit einem sehr offenen Geist. Sie ist so offenherzig und warm, man kann sie überhaupt nicht nicht mögen.
Woher kommt das, denkst du?
Sicher hat es etwas mit ihrem italienischen Hintergrund zu tun. Ich denke, die Familienstruktur von Leuten sollte man nicht unterschätzen. Ich weiß, dass Madonna auch italienisch, oder halb-italienisch ist, aber Gaga kommt mir sehr viel wärmer vor.
Deine letzten Kollektionen sind von ziemlich bizarren Dingen inspiriert worden—zum Beispiel, dem japanischen Bunraku-Puppentheater … Was machst du eigentlich so in deiner Freizeit? Drückst du einfach dauernd auf den Zufallsgenerator bei Wikipedia?
Nein, nein … zwischen meinem Arbeitsleben und meinem Privatleben gibt es eigentlich keinen Unterschied. Meine Interessen sind alle miteinander verwoben. Ich gehe ins Kino, ich treffe Freunde, ich gehe Essen, ich gehe auf Konzerte—also ganz normale Sachen. Ich mag aber auch das kulturelle Leben. Ich mag es, die ganze Zeit Sachen zu sehen. Ich liebe es, Zeit mit meiner Familie zu verbringen, wenn sie hier sind, oder wir uns in Paris treffen. Ich denke, meine Interessen und mein Arbeitsleben sind schwer auseinander zu dividieren. Manchmal weiß ich, wenn ich nichts zu tun habe, nicht, was ich mit mir anfangen soll. Mir wird schnell langweilig.
INTERVIEW VON CONNIE WANG