Ich komme gleich ohne lange Umschweife zur Sache: Für meinen Geschmack wurde Raf Camora viel zu lange ignoriert. Als ich 2011 in der Szene Wien stand – bei einem Konzert, bei dem maximal 150 Hansln waren – habe ich es schon nicht fassen können, dass dieser Rabenmeister der Sprache und der Beats nicht eine Stadthalle füllt. Als ich dann anfing, bei Medien zu arbeiten, war er, Raf 3.0, schon Inneneinrichtung in Berlin und meine Schreibinteressen bei Moneyboy. Aber ich fühle mich deshalb echt schlecht. Und ich finde, alle österreichischen Quasi-Journalisten, Journalisten, Blogger und andere Medienschaffende sollten sich auch schlecht fühlen.
Er war nämlich schon lange vor seinem Dancehall-Swag R.A. der Lehra und ein ziemlicher Musikgott. Unauffällig hat er sich im Rap-Game auch nicht bewegt: Das Artkore-Projekt mit Nazar, Raf 3.0, seine schwarze und weiße EP. Seine Reggae-Tracks wie “Worte”, seine depressiven Songs wie “Herr Doktor”, seine Abfeier-Tracks wie “T.R.I.P.” oder auch seine Sommerhits wie “Jeden Tag” mit Silla. Er hatte bereits sehr viele Karriereschritte hinter sich, bevor er mit dem Dancehall so richtig aufgedreht hat.
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Aber der Großteil Österreichs (mit Ausnahme von Szenemagazinen) hatte ihn lange ignoriert und das, obwohl er auch 2010, davor und danach auf eigentlich jeder Platte die Worte “Wien” oder “5Haus” gedroppt hat. Meistens beides. Wie das passieren konnte, hat die Wiener Zeitung (spät aber doch) im Februar diesen Jahres erklären wollen.
Jetzt rechnet er ab. In erster Linie in seinem neuen Album Anthrazit und in zweiter in seinem FM4 Tribe Vibes-Interview. Übrigens: Das Album ist seit 25. August draußen und chartet auf der Eins in Deutschland und Österreich. Das Lied “Vienna” ist überhaupt ganz Wien gewidmet und hat unteranderem diese herzerreißende Zeile:
Bringe Westwien Gold und Platin
Fick’ ORF, dann komplett seine Mutter;
Zehn Jahre schon mein’n Erfolg ignoriert
Ja, natürlich verletzt es mich, Bruda
Aber er hatte noch mehr Real Talk am Start. Hier die besten Aussagen aus seinem Interview, das man noch bis zum 7. September 2017 hier nachhören kann. Damit wir diesen Merkzettel alle niemals vergessen, hier für immer verewigt.
1. “Ich bin ganz, ganz stolzer Wiener aus dem 15. Bezirk”
Das ist eine seiner ersten Aussagen im Interview. Ab 1992 hat er in Wien gewohnt. Ganz genau genommen, ist er halber Italiener und halber Österreicher, aber Wien fühle er sich zugehörig, sagt er dazu. Vor zehn Jahren hat er dann seinen seinen Lebensmittelpunkt wegen den Karrieremöglichkeiten nach Berlin verlegt und dort lebt er bis heute. Aufgewachsen ist er in Fünfhaus, einer Gegend, die laut Raf statistisch gesehen 80 Prozent und gefühlte 99 Prozent Ausländeranteil habe. Die Balkanmusik in der Gegend habe ihn mehr geprägt als beispielsweise italienische Musik.
2.”So eine Parallelkultur, wie ich sie in Wien erlebt hab, erlebe ich in Deutschland niemals”
In Deutschland würden sich (fremde) Kulturen gegenseitig etwas mehr als in Österreich respektieren und akzeptieren – hier wisse niemand aus den Innenbezirken, wie es in den Außenbezirken zugeht. Der Balkan-Einfluss auf Österreich würde unter den Teppich gekehrt werden, meint Raf. Und auch ich hatte den Eindruck: Auf der Ottakringerstraße sieht man nachts eben hauptsächlich Serben und Kroaten. Er wolle genau dieses Wien in seinem Album repräsentieren.
3. “Ich bin zehn Jahre in Berlin und vermisse diese Stadt mehr, als ich sie je vermisst habe”
Falls es im Artikel noch nicht rausgekommen ist: Raf Camora lebt und schafft hauptsächlich in Berlin. So wie andere gute österreichischen Künstler. Die-Hard Fans wissen, dass er aber gerne auch mal nach Spanien zum Produzieren und Aufnehmen fährt.
4. “Alle meine Freunde, die nach Wien kommen, sagen: ‘Krass, das ist wie in Kroatien hier”
Das Wien, das Raf so liebt, ist das Außenbezirk-Wien. Der Märzstraßen-Lifestyle, wie er anmerkt: Dazu gehört für ihn draußen in einem Café zu sitzen, schöne Chayas zu schauen, schnelle Autos zu fahren, auf der Tankstelle mit Freunden zu saufen und sich familiär in seiner Gegend zu begrüßen. Zwar gehe er auch gern in den Heurigen oder in den ersten Bezirk auf einen Braunen, aber die Freunde, denen er sein Wien zeigt, würden das unterrepräsentierte Ostblock und Balkan-Wien lieben. Übrigens: Die ORTAKs, allen voran Svaba Ortak, halten mit ihrem Rap auch Balkan und Ostblock-Menschen wie mir den Rücken frei.
Wir sind dem Phänomen Yung Hurn nachgegangen:
5. “Das ist so, wie wenn du unglaublich in ein Mädchen verliebt bist und die ignoriert dich jahrelang.”
Das Mädchen ist für ihn Wien und er ist verliebt. In seinem Beispiel führt er aus: “Man hält sich fit, isst keine Kohlenhydrate, schaut gut aus, kleidet sich gut und sie würdigt dich trotzdem keines Blickes.”
6. “Ich war sogar beim Echo als ein internationaler Künstler für Österreich nominiert – jeder hat ‘n Fick drauf gegeben”
Die österreichische Berichterstattung hat in etwa so stattgefunden: Die Heute, hat zwei österreichische Nominierten gefunden, nämlich Gabalier und Stürmer. Dass Raf Camora Österreicher ist, ist ihnen entgangen. Naja, er ist ja auch erst seit 1992 Wiener. Wir schimpfen da mit uns selbst auch mit.
7. “Auch hier beim Frequency: Wir treten hier auf einer kleinen Bühne vor Jennifer Rostock auf. Wir haben 13 Mal Gold und Platin … Nicht einmal Bilderbuch ist so erfolgreich wie wir.”
Wobei er sofort Props an Bilderbuch und Wanda gegeben hat: Er feiere die Musik. Trotzdem wäre es Zahl gegen Zahl. Und die Zahlen belegen tatsächlich: Raf Camora ist erfolgreicher als Bilderbuch oder Wanda. Aber die letzteren beiden sind halt für das “Großer Brauner”-Heurigen Österreich und er rappt für die Cevape-Liebhaber. Die Folge: Bilderbuch hat beim Frequency den Headliner-Slot auf der Hauptbühne bespielt, während Raf Camora und Bonez MC um 17:30 auf der kleineren Green-Bühne aufgetreten sind. Nach ihnen dann Acts wie Jennifer Rostock und Wanda.
8. “Es ist für mich eine Riesenbeleidigung, dass kein Hahn danach kräht und der ORF ‘n Scheiß drauf gibt”
Der ORF hat sich meiner Meinung nach ein bissl gebessert, nicht nur wegen dem Tribe Vibes-Interview sondern auch wegen diesem Artikel hier. Außerdem ist der ORF nicht der Exklusivberichterstatter Österreichs. Somit sollten sich auch Medien, die nicht von der gerne gezahlten und allseits beliebten GIS-Gebühr erhalten werden, an der Nase nehmen.
9. “Der Coolheitsfaktor von Wien ist laut einer Nike-Umfrage dank Raf Camora und Yung Hurn gestiegen”
Diese Umfrage habe ich nicht gefunden und auch sonst halte ich Nike-Umfragen statementmäßig für minder relevant, aber die Aussage werden sicher ein paar Berliner-Kids bestätigen. Und ein paar Zürcher-Jugendliche. Auch wenn diese Umfrage fiktiv wäre, wäre wahrscheinlich trotzdem etwas dran.
10. “Supportet doch wenigstens die Künstler, die im Ausland erfolgreich sind”
Ja, werden wir. Es ist nur auch nicht so einfach: Die Wahlausländer sind kaum da, ihre Gagen steigen im Ausland und auch sonst werden sie Teil eines Größeren. Vielleicht hatte ich ihn deshalb nicht am Schirm, weil er für mich nicht mehr ein in Österreich agierender Künstler war. Er war weg und sein Game gehörte den Deutschen. Und somit den deutschen Medien. Aber wir werden uns alle bessern. Versprochen.
Fredi hat Twitter:@Schla_wienerin
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