Von freier Energie zu Adolf Hitler—kein Quantensprung
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Von freier Energie zu Adolf Hitler—kein Quantensprung

„Freie Energie“ ist die optimistischste Utopie des Internets. Doch manche der Wunderapparate sind nicht nur wirkungslos, sondern haben auch leichtgläubige Anleger schon um hunderttausende Euro gebracht.

Markus B. fühlt sich betrogen: Die Firma, die Anleger mit dem Versprechen ködert, eine energiesparende Wundermaschine zu bauen, die sich den Gesetzen der Physik widersetze und zugleich eine Rendite von bis zu 800.000 Euro abwerfe, hat sein Geld „verbraten". Seit Jahren kündige das Unternehmen an, der Öffentlichkeit eine revolutionäre Apparatur vorzustellen, die von freien Energien betrieben wird, doch immer wieder würde der Termin verschoben. Sein Geld sei entweder „vernichtet" oder in dunkle Kanäle umgeschichtet, glaubt B.—und steht damit nach eigenen Angaben nicht alleine: 3.000 Anleger seien betroffen, mehrere Millionen Euro habe die Firma für das Projekt bereits eingesammelt, obwohl sich die großzügigen Spender nicht einmal die Fabrikhalle, in der die Anlage stehen soll, ansehen durften.

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„Meine Forderungen bestehen weiterhin", so B. auf einer Online-Beschwerdestelle, auf der er abwechselnd mit Kündigung, Staatsanwalt und der „höchsten Autorität, Gott" droht. Die Geschäftsführerin antwortet ihm zwei Wochen später, es gebe mehr technische Probleme „als am Anfang sichtbar waren". Das Risiko hätte er kennen müssen, wenn er den Verkaufsprospekt genau gelesen hätte. Die geheime Maschine brauche eben etwas mehr Zeit.

Dubiose Firmen und Pseudowissenschaftler, die vorgeben, durch revolutionäre Methoden bisher ungenutzte Quellen freier Energie anzapfen zu können, gibt es zuhauf. Obwohl vollkommen unklar ist, was unter freier Energie im Einzelfall verstanden wird und wie sie eingefangen werden kann, fallen immer wieder auch Anleger auf die Verheißungen alternativer Energieexperten herein.

Der eine wünscht sich einen Atomkrieg biblischen Ausmaßes, der andere ermuntert mit einer Weisheit des Führers.

Eine dieser Energieformen ist die Nullpunktsenergie oder Grundzustandsenergie, die quantenmechanische Systeme am absoluten Temperaturnullpunkt besitzen. Freie-Energie-Verfechter sehen in der Nullpunktenergie eine unerschöpfliche Energiequelle, die sich auch in der Natur beobachten lässt, beispielsweise in Wirbelstürmen oder Wasserstrudeln. „Das äußere Feld des Wirbels bringt eine starke Reinigung und im Zentrum ist absolute Harmonie, Ordnung und Ruhe", glaubt etwa der Bastler André Siegel, der auf Basis dieser Erkenntnis einen Online-Shop gründete und ansonsten in sozialen Medien emsig seine Theorien erklärt.

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Seine Produkte—hauptsächlich Spiralen—imitieren die geometrische Struktur eines Wirbels und seien alleine aus diesem Grund mit einem unendlichen Energiereservoir aufgeladen, das permanent auf die Umgebung abstrahlt: Wasserspiralen für eine gesündere Ernährung, eine Torus-Spule zur Meditation, eine Treibstoffspirale, die den Spritverbrauch senkt.

Auch eine spezielle „Nahrungsmittel-Spirale" (Kostenpunkt 555 Euro) führt Siegel in seinem bunten Online-Laden, durch die sich Lebensmittel „komplett durchreichen" lassen oder die man wahlweise einfach über den häuslichen Obstkorb baumeln lässt. Denn, entgegen der herrschenden Lehrmeinung, verkrafte unser Körper Essen und Trinken nur „schlecht", erklärt die Produktbeschreibung—etwa vergleichbar mit dem Missgeschick, einen Benzinmotor mit Diesel zu befüllen. Das seltsame Drahtgewinde helfe dabei, den Körper beim Stoffwechsel zu entlasten, quasi als Ausgleich für Falschbetankung des Magens.

Ein weiteres Highlight seiner kuriosen Produktpalette: die Spirale für Haus- und Wohnraumharmonisierung, die man für schlappe 987 Euro sein Eigen nennen darf—eine Art Rundum-Sorglos-Paket für besseren Schlaf und erhöhte Konzentration. Dazu muss der Kunde nur Skizzen sämtlicher Wohnräume, seines Hauses und des gesamten Grundstücks an das Wirbel-Team senden. Mögliche Giftstoffe in Teppichböden, Wasseradern oder kosmische Strahlungen wie das „Hartmann-Gitter" oder das „Curry-Netz" können so per Ferndiagnose von Siegel und seinem Team exakt bestimmt werden. „Harmonisierung aus der Ferne" heißt das vielversprechende Prinzip.

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„Ich hab' da was auf meinem Kopf."

Auch zur Steigerung der zerebralen Leistungsfähigkeit lässt sich die wundersame Wirbel-Technologie einsetzen, glaubt Siegel. In einer YouTube-„Talkshow" setzt sich der absolut neutrale Moderator einen speziell angefertigten Bauhelm auf die Birne, um den leistungsstärkende Spiralen und Kristalle drapiert sind. „Ja, ich bin's wirklich noch", beruhigt er den möglicherweise verstörten Zuschauer. Der Effekt sei unmittelbar zu spüren, bezeugt der Talkmaster. Ganz warm werde ihm plötzlich aufgrund der ganzen Energie, die auf sein möglicherweise energetisch etwas unterversorgtes Hirn strahlt. „Ich spüre es körperlich richtig", halluziniert er und: „Ich könnt' jetzt grad mein Hemd ausziehen."

Norbert Aust, promovierter Ingenieur an der TU Darmstadt, kann den zumindest nicht humorlosen Versuchen, durch heimische Bastelarbeit die moderne Physik auf den Kopf zu stellen, wenig abgewinnen. Auf der Skepkon-Konferenz in Hamburg, die sich alljährlich der Entlarvung aktueller pseudowissenschaftlicher Theorien widmet, diskutierte er Anfang Mai die gröbsten Denkfehler der freien Energiefreunde.

Eine technisch nutzbare Nullpunktsenergie, wie es die freie Energie-Szene behauptet, widerspräche sämtlichen Erkenntnissen der modernen Physik, da weder zwei verschieden hohe Energieniveaus bestünden, noch physikalische Arbeit verrichtet werde, sagt Aust. Im Falle der Spiralen sei es—mal abgesehen von der nicht-messbaren Wirkung— außerdem sinnlos, einen physikalischen Energiebegriff überhaupt anzuwenden, so der Ingenieur gegenüber Motherboard. Gemeint sei hier vielmehr „etwas Diffuses, das sich irgendwie 'überträgt'". Für Aust, der seine Doktorarbeit über thermische Maschinen schrieb, sind die physikalischen Begrifflichkeiten eher dekoratives Beiwerk, die dem wackeligen Theoriegebäude „scheinbare Seriosität" verleihen sollen.

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Doch um Beweise oder um die Einhaltung naturwissenschaftlicher Grundsätze geht es den Jägern freier Energieressourcen nicht. Im Gegenteil: Für sie sind die moderne Physik und die Energieträger, die sie beschreibt, ohnehin verdächtig: Sie sind Teil eines korrumpierten Systems, das schon seit Jahrhunderten freie Energieformen unterdrücke und den Mächtigen dient. Heute sind es vor allem gierige Energiekonzerne samt ihrer politischen Handlanger, die den Menschen den Zugang zu sauberer und kostenloser Energie verwehren. Es mit der Establishment-Physik nicht ganz so ernst zu nehmen, gilt in der Szene daher schon beinahe als Tugend, nicht als ein Anlass, Zweifel zu hegen.

Zu behaupten, dass die Magnetmaschinen in der Wissenschaft umstritten sind, wäre wohl ein Euphemismus.

Eine weitere revolutionäre Technologie, von der man munkelt, sie werde von Großkapital und Ölindustrie verhindert, ist der „Magnetmotor": eine Art Permanentmagnet, der allein aufgrund seiner magnetischen Eigenschaft Energie erzeuge. Es gab in der Geschichte eine Reihe von Versuchen, solche physikalisch unmögliche Maschinen zu bauen, etwa vom deutschen Kfz-Mechaniker George Soukup, der jedoch—szeneuntypisch—Jahre später seinen Irrtum eingestand, oder die Feldkraftmaschine, deren Erfinder 2015 vor der Wirtschaftsstrafkammer in Frankfurt landete, weil er seine Anleger um eine halbe Millionen Euro geprellt haben soll.

Zu behaupten, dass die Magnetmaschinen in der Wissenschaft umstritten sind, wäre wohl ein Euphemismus. Tatsächlich ist es so, dass sich niemand die Mühe macht, die Magnet-Theorien überhaupt zu widerlegen. Denn am Energieerhaltungssatz—wonach Energie weder erzeugt noch vernichtet werden kann, sondern nur umgewandelt—kommen auch die Magnet-Esoteriker nicht herum. Keine ihrer Maschinen, von denen die meisten nur als Skizzen oder youtube-Videos existieren, haben sich bis dato im Praxistest bewährt—falls sie ihn überhaupt antraten.

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Technisch zu argumentieren ist ohnehin verpönt, über freie Energie wird hauptsächlich „meta" diskutiert, das heißt, im Grunde spricht man über etwas anderes: dunkle Eliten, unterdrücktes Wissen, ein hoffentlich baldiges Erwachen der „Schlafschafe" und manchmal auch über den Typen mit der schwarzen Zahnbürste unter der Nase. Etwa wenn in einer Youtube-Diskussion zum Magnetmotor ein User zunächst die unvollkommene Menschennatur bedauert, die das Potential freier Energie verkennt, um im Anschluss davon zu träumen—„so steht es schon in der Bibel"—, dass die Welt im Atombombenrauch aufgeht. Der Nutzer, der das Video eingestellt hat, widerspricht dem Pessimisten heftig und empfiehlt stattdessen etwas Reflexion, denn wie „auch Adolf Hitler einmal zu sagen pflegte: Ist es nicht herrlich in einer Zeit zu leben, die uns grosse Aufgaben stellt?"

Atom, Bibel, Hitler, Magnetmotor—die freie Energieszene scheint keine wirre Verschwörungsthese auszulassen. Alles wird wahllos zu einem Wahnbrei zusammengewürfelt, jeder noch so ins Blaue erdachte Irrsinn wird ernsthaft diskutiert, solange er die szenekompatiblen Buzzwörter (Lobby, Zensur, Eliten usw.) enthält. Es gibt keine Grenzen des Diskurses (die Vernunft schon gar nicht), die Meta-Kritik an amorphen und dunklen Machenschaften ersetzt das Argument. Der eine wünscht sich einen Atomkrieg biblischen Ausmaßes, der andere ermuntert mit einer Weisheit des Führers. Wollte Hitler letztlich auch nur unterdrückte Energien befreien, quasi die deutsche Volksenergie entfesseln?

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Auch auf Facebook, wie könnte es anders sein, ist die freie Energieverschwörung ein beliebtes Thema. Tausende Likes und über 10.000 Shares für Magnetmotor-Clips von Seiten wie "Mind Control", hanebüchene „technische" Erörterungen über die Wirksamkeit dieser großartigen, aber eben leider zurückgehaltenen Entdeckung.

Als „Beweis" gilt ein Video über den Erfinder Friedrich Lüling, der in den 60er Jahren einen angeblich funktionierenden Magnetmotor auf der UFA-Wochenschau präsentiert haben soll. Dass das Video keinerlei technische Details über das magische Gerät enthält und die Funktionsweise nur oberflächlich beschreibt, tut der regen Diskussion keinen Abbruch.

Im Fall der LESA GmbH lässt sich studieren, wie Anleger über Jahre mit dem Versprechen hingehalten werden, wann so eine Apparatur über den Entwicklungsstand eines pixeligen youtube-Videos hinausgeht.

Mit der Entwicklung eines hocheffizienten Heizkraftwerkes verspricht das Berliner Unternehmen nicht weniger als die Überwindung physikalischer Gesetze. Kernstück des mit Holz befeuerten Wärmkraftwerks ist ein „Mischdampf-Motor", der einen Mischdampf aus Wasser und Benzol erhitzt und ohne Wärmeverluste in Strom verwandelt. Der Wirkungsgrad soll mit 60 Prozent den herkömmlichen Wirkungsgrad um das 1,5 bis 2-fache übersteigen. Damit habe das Unternehmen „den Nachweis erbracht, dass die Theorie auch in der Praxis funktioniert", wirbt der Entwickler Bernhard Schaeffer auf seiner Homepage.

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Allerdings existiert die Maschine bisher nur auf dem Papier. Ein Prototyp der Wundermaschine sollte ursprünglich bereits 2008/2009 bereitstehen und ab diesem Jahr in Serie produziert werden. Doch bisher weder wurde eine funktionierende Maschine präsentiert noch gibt die Firma Auskunft darüber, wie der aktuelle Stand der Dinge ist. Den Zeitpunkt ließe sich derzeit „noch nicht genau bestimmen", lässt das Unternehmen seine Anleger auf der Website wissen. Auch eine Besichtigung der drei angeblich existierenden Anlagen sei im Moment nicht möglich. „Aber haben Sie noch etwas Geduld", heißt es dazu weiter.

Die Einnahmen der Firma können sich derweil sehen lassen. Alleine 592.000 Euro waren es im Jahr 2014 aus stillen Einlagen. Im Jahr 2009 waren es noch knapp 2,8 Millionen Euro.

Ein anderer meint: „Wer so doof ist, darf auch gemolken werden."

Die rückläufigen Einkünftige aus den stillen Beteiligungen könnten daran liegen, dass das Vertrauen der Anleger in die Firma sinkt. Beschwerden und Kündigungen häufen sich, in Foren treffen sich verärgerte Teilhaber über die Hinhaltetaktik des Unternehmens und nicht eingelöste Renditeversprechen. Über eine im September 2015 stattfindende Gesellschafter-Versammlung der LESA schreibt der Nutzer addi, er müsse sich „beherrschen", um die dort anwesende Klientel, die ihrem „Propheten Schaeffer" noch immer hinterherlaufe, „nicht zu stark zu beleidigen." Ein anderer meint: „Wer so doof ist, darf auch gemolken werden."

Die Liste der geprellten Anleger ist lang und trotz Gerüchte, dass der Firma bereits seit 2013 eine Insolvenz ins Haus steht, kann die LESA scheinbar noch weiterhin von Einlagen ihrer Freie-Energie-Jünger zehren.

Der Kunde Markus B., der erst nach Monaten Kampf von der LESA Gmbh eine Kündigungsbestätigung erhielt, fragt sich heute, in welche dunklen Kanäle das ganze Geld wohl geflossen ist. Interessanterweise hofft er trotzdem, dass sein Beitrag dabei geholfen hat, den Wirkungsgrad der Wundermaschine zu erhöhen, die noch nie jemand zu Gesicht bekommen hat. Obwohl er, wie er selbst sagt, „2.000 Euro im LESA-Ofen verfeuert hat."