“Ich habe auch immer mitgeschrien, wenn im Stadion ‘Schwuler FAK’ gerufen wurde. Als ich 14 oder 15 war, war das für mich die übliche Beschimpfung der Austria”, erzählt Rapid-Fan Lukas. Die homophoben Sprechchöre und Banner aus dem Rapid-Sektor bei den jüngsten Spielen überraschen ihn nicht. “Das ist ein typischer Teil der Mackerkultur, die in der Szene tief verankert ist”, sagt er.
“Wir haben einfach immer mitgebrüllt, was der Vorsänger ruft. Es herrscht Gruppenzwang, hinterfragt wird da nichts. Erst als ich mich dann mit 16 politisiert habe, habe ich den homophoben, sexistischen und antisemitischen Bullshit gelassen.”
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Lukas ist seit seiner Kindheit Anhänger des Klubs aus Wien-Hütteldorf, mit 13 wurde er Mitglied der “Greenies”, einem Angebot des Vereins für die jüngsten Fans. Bis zum Abriss des alten Hannappi-Stadions feuerte Lukas den Sportclub Rapid (SCR) dann als Teil der Fanszene auf der Osttribüne an, heute steht er auf der neu errichteten Südtribüne (dem sogenannten “Block West”). Doch über die jüngsten Ereignisse ist er empört.
“Wir haben einfach immer mitgebrüllt, was der Vorsänger ruft.”
Beim großen Wiener Derby zwischen Rapid und dem FK Austria Wien (FAK) wurden Spieler der Austria aus dem Rapid-Sektor mit Gegenständen beworfen, unter ihnen auch Kapitän Raphael Holzhauser. Holzhauser wurde dabei unter anderem von einem Zippo-Feuerzeug getroffen und verletzt. Begleitet wurden die Attacken von laufenden “Schwuler FAK”-Sprechchören. Schließlich wurde auch noch ein großes Banner gegen einen Fanclub des Lokalrivalen hochgehalten, ebenfalls versehen mit den Worten “Schwuler FAK”. “Ich mag Holzhauser nicht”, sagt Lukas, “doch deshalb muss ich ihn noch lange nicht homophob beschimpfen.”
Die öffentliche Empörung über die Entgleisungen aus dem Rapid-Sektor war nach dem Derby groß. Für Caroline kam das sogar eher überraschend. Sie ist ebenfalls seit ihrer Kindheit Fan des SCR, war früher auch Mitarbeiterin des Vereins. “Der ‘Schwuler FAK’-Spruch kommt eigentlich seit vielen Jahren bei fast jedem Spiel.” Sie vermutet, dass die jetzige Aufregung auch damit zu tun hat, dass die homophoben Sprüche diesmal von körperlichen Attacken und einem kurzzeitigen Spielabbruch begleitet waren.
Beim nächsten Spiel gegen die Admira legte die sogenannte “aktive Fanszene” von Rapid noch nach: Zwei weitere homophobe Banner wurden aufgezogen. Gerichtet an Austria-Kapitän Holzhauser und seine Verletzung hieß es: “Dem Woamen platzt a Wimmerl auf und ihr macht’s an Skandal daraus.” Unterzeichnet war es von den Ultras Rapid, der wichtigsten Fangruppe der Hütteldorfer.
Zentral im Sektor hing zusätzlich ein einschlägig verfremdetes Logo der Austria. Neben der Aufschrift “Angsthasen” waren darauf zwei Symbole der schwulen Szene, einerseits zwei übereinanderliegende Männerzeichen, andererseits das Lambda-Logo. Die Reaktionen des Vereins auf die jüngsten Ereignisse waren zumindest diskussionswürdig.
Rapids Sportdirektor Bickel wurde unmittelbar nach dem Spiel am Sonntag auf das Banner angesprochen. Seine Antwort: “Wir haben jetzt endlich mal heute nichts zu diskutieren, was die Fans ansonsten betrifft. Ich glaube, man würde gut daran tun, es einfach mal so zu belassen. Wir sind dankbar, dass nichts Weiteres geschehen ist, dass wir die Unterstützung hatten. Ich glaube, wir müssen nicht wieder eine Diskussion anfangen, das tut uns allen nicht gut.”
“den österreichischen Slang nicht verstanden”
Am Dienstag schließlich veröffentlichte der Kurier ein weiteres Gespräch mit Bickel, in dem der Schweizer erklärte, er habe “den österreichischen Slang nicht verstanden”, und sich mit den Worten “solche Transparente gehen gar nicht” klar distanzierte. Eine durchaus plausible Erklärung. Warum der Verein dafür allerdings über einen Tag gebraucht hat, bleibt offen. Sicher jedenfalls dürfte sein, dass es nach dem Spiel am Sonntag Druck durch wichtige Sponsoren gegeben hat.
Auf der Homepage distanzierte sich Rapid nach dem Admira-Spiel “von der Wortwahl des heutigen Transparents”. Fans diskutieren daraufhin in Fußball-Foren, ob diese Formulierung absichtlich vage gehalten worden war. Eindeutiger wurde dann Rapid-Wirtschaftsvorstand Christoph Peschek im Standard, wo er erklärte, dass “Gewalt, Rassismus, Antisemitismus, Homophobie nicht sein dürfen”.
Doch der Auftritt von Rapid via Twitter lässt Fragen offen. In Bezug auf das Banner beim Spiel gegen die Admira verwies Rapid darauf, dass in diesem Fall der Gastgeber, also die Admira, für das Abnehmen von Transparenten verantwortlich gewesen wäre. Auf meine zweimalige Nachfrage, warum dann das “Schwuler FAK”-Banner beim Heimspiel gegen die Austria nicht abgenommen wurde, erhielt ich allerdings keine Antwort.
“Von Rapid gibt es eigentlich immer nur Lippenbekenntnisse.”
Die unklaren Reaktionen wundern Rapid-Fan Caroline nicht: “Von Rapid gibt es eigentlich immer nur Lippenbekenntnisse.” Für sie fehlt es einfach am Problem-Bewusstsein bei Rapid und anderen Vereinen. Das sieht auch Nicole Selmer so, stellvertretende Chefredakteurin der Fußballzeitschrift Ballesterer:
“Da sind die Vereine, die Liga, die Fans und viele Medien in der Pflicht. Das Bewusstsein über Homophobie im Stadion ist bei allen Beteiligten immer noch sehr gering.” Ihre Forderung: “Wir müssen Homophobie zum Thema machen, wir müssen Dinge benennen und wir müssen erklären, warum Diskriminierungen nicht akzeptabel sind.”
Rapid-Fan Markus spricht das Problem ebenfalls an: “Es geht einfach nicht, dass bei einem Derby im Fernsehen 30 Sekunden lang Schwuler FAK zu hören ist und der Kommentator das einfach übergeht.” Für ihn ist die Homophobie inzwischen “nur noch widerwärtig”, die Verantwortung liege für ihn “beim Verein und den zentralen Akteuren der Kurve”.
Homophobie bei Rapid ist keineswegs ein neues Phänomen. Homophobe Aufkleber wie das gegen die Austria gerichtete “Wien hasst Homos” oder der Kleber “Gay Kinder Austria” finden sich immer wieder im Stadtbild. Der rechtsextreme Rapid-Fanclub “Werwölfe Rapid” postet das dann auf seiner Facebook-Seite.
“Es geht einfach nicht, dass bei einem Derby im Fernsehen 30 Sekunden lang Schwuler FAK zu hören ist.”
Bei Spielen gibt es neben den homophoben Sprechchören auch immer wieder einschlägige Banner. So wurden etwa auch beim Derby gegen die Austria im Oktober 2016 die “Szene”-Fanclubs der Austria als schwule Geschlechtspartner der Vereinsführung dargestellt. Doch gleichzeitig zeigt genau dieses Spiel, dass keineswegs nur Rapid ein Problem mit Homophobie hat.
Denn bei demselben Spiel wurde aus dem Sektor der Austria ein Rapid-Fanclub auf einem Banner als “Transen” beschimpft. Und beim jüngsten Derby zeigten Austria-Fans zum wiederholten Mal einen sogenannten Doppelhalter mit der Aufschrift “Conchita ist Rapidler”, es gibt auch Aufkleber mit dem gleichen Sujet. Die Erklärung dazu liefert ein User im Fußball-Forum Austrian Soccer Board:
Mit diesem Slogan solle gezeigt werden, “dass die menschlich ziemlich wenig wertvolle, weil transsexuelle, Conchita Wurst ganz gut zum ziemlich wenig wertvollen (möglicherweise auch transsexuellen?) Sportklub Rapid passt”. Auch andere homophobe Banner aus der Austria-Ecke sind durchaus üblich.
“Oftmals werden im Fußball speziell Fanfreundschaften ins Visier genommen”, erzählt Nicole Selmer. Recherchen bestätigen Selmer in Bezug auf die Austria. So präsentierten etwa Austria-Fans in der Vergangenheit ein Banner von angeblichen “Schwuchtel-Partys mit den Griechen” und nahmen dabei Bezug auf die Fan-Freundschaft von Rapid mit Panathinaikos Athen. Auch bei der Austria ist das weitgehende Schweigen des Vereins bezeichnend.
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Doch ebenso wie bei Rapid gibt es auch bei der Austria Fans, die das nicht so einfach hinnehmen wollen. Die linke Austria-Fanpage “Ostkurve statt Ustkurve” postet etwa als Reaktion auf Beschimpfungen stolz selbst den Slogan “Schwuler FAK” und Bilder mit der Aufschrift “Lieb doch, wen du willst, solang es nicht Rapid ist”.
Auch Julia vom antifaschistischen Austria-Fanclub Planetviola meint, dass sich dringend etwas ändern müsse: “Ich gehe jetzt seit 13 Jahren in Stadion. Mich ärgert das seit Jahren: die Aufkleber, der Sexismus, die Homophobie.” Sie glaubt, dass die Fanszene bis zu einem gewissen Grad unbelehrbar ist. “Für viele gehört das einfach dazu, im Stadion mal dürfen, was sie wollen. Sie wissen aber ganz genau, dass es diskriminierend ist.”
Hier ist sie sich mit Rapid-Fan Lukas einig: “Das Problem ist, dass es in Österreich kaum eine linke Fankultur gibt”, sagt er. In der Kurve selbst gegen die Diskriminierung vorzugehen, hält er für schwierig. “Wenn ich jetzt bei Rapid ein Banner oder einen Doppelhalter gegen Homophobie hochhalte, würde ich sicher Schläge kassieren.” Für ihn hat das auch mit den teils offen auftretenden Neonazis zu tun, die er im neuen Stadion von Rapid verstärkt wahrnimmt.
In diesem Artikel werden vor allem die Probleme bei den beiden großen Wiener Vereinen beschrieben, da sie aktuell am stärksten präsent sind. Doch das Problem der Homophobie ist keineswegs auf Rapid und Austria beschränkt.
So beschimpften etwa Fans des LASK aus Linz ihre Lokalrivalen von Blau-Weiß beim Derby 2016, indem diesen unterstellt wurde, der Linzer Bürgermeister würde sie penetrieren. 2013 grölten tausende österreichische Fans bei einem Länderspiel gegen Deutschland Slogans gegen den “schwulen” Deutschen Fußballbund.
Doch gleichzeitig gibt es auch immer mehr Fans, die sich der Homophobie und der Diskriminierung entgegenstellen. Anfang 2017 wurde in Wien sogar ein Fan-Turnier gegen Homophobie veranstaltet. Bei den beiden kleineren Wiener Vereinen Sportclub und Vienna finden immer wieder Aktionen gegen Homophobie statt. Die “Fußballfans gegen Homophobie Österreich” engagieren sich mit zahlreichen Aktionen gegen Diskriminierung in den Kurven.
Und auch bei Rapid und Austria haben immer mehr Fans die Nase genauso voll wie Caroline, Markus, Julia und Lukas. Letzterer meint: “Ich wünsche mir, dass diese Typen endlich aus der Kurve verschwinden. Nicht nur bei Rapid, sondern überhaupt.”
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* Einige Namen in diesem Artikel wurden auf Wunsch der Betroffenen geändert. VICE hat mit den AkteurInnen gesprochen und kennt ihre Namen.