Sevdaliza macht auf altmodische Weise neumodische Popmusik

„Es ist eine Achterbahnfahrt, so viel Input,“ ist das erste, was Sevdaliza sagt, als sie sich mir gegenüber in ein Sitzkassen fallen lässt. Schon auf den ersten Blick ist die Holländerin, die gerade die gesamte Musikpresse verrückt macht, über die gerade alle alles wissen wollen, eine beeindruckende Person: Nicht ganz 1,90 m groß, aufmerksamer Blick, Haifisch Nikez an den Füßen, ganz viel nicht fassbare Ausstrahlung.

Wir befinden uns in einem kleinen Tonstudio von knapp acht Quadratmeter. In so einem Raum hat sich Sevdaliza die letzten Nächte um die Ohren geschlagen und vermutlich die eine oder andere Dose Energy-Brause leergemacht—immerhin ist sie bei der Red Bull Music Academy zu Gast. Um uns herum befinden sich noch ungefähr fünf weitere dieser Studios und ich male mir vor meinem geistigen Auge aus, wie hier um vier Uhr morgens ein Dutzend junger Musiker fisselig durch die Gänge tigert und in Pro Tools ständig neue Spuren anlegt. Sevdaliza sei in diesem hübschen Labor der Musik-Möglichkeiten der Star, raunt man sich auf den Gängen der Academy zu. Zum Glück sagt Sevdaliza in diesem Moment: „Wenn ich Musik mache, fühle ich mich einfach zuhause und beruhigt und hier ist es besonders gut.“

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Noisey: Warum hast du vor ein paar Jahren angefangen, Musik zu machen?
Sevdaliza:
Ich hatte da dieses dumme Gefühl in mir: eine kleine Stimme, die mir, obwohl ich das Musikmachen technisch nicht beherrschte, sagte, dass ich das kann. Weißt du?

Du wusstest: Du kannst das, bevor du es wissen konntest?
Genau. Natürlich stehe ich immer noch ganz am Anfang. Ich muss hart und diszipliniert an mir arbeiten und regelmäßig aus meiner Komfortzone ausbrechen, nur so kann ich als Musikerin weiter wachsen.

Du hast also keinen Lehrer gehabt, der dir als Kind das Singen beibrachte?
Nein, ich hatte keinen Lehrer und auch kein bestimmtes Vorbild. Da war einfach diese Kraft in mir, die mich dazu trieb, Musik zu machen. Es war einfach das, was ich tun musste. Ich will einfach Musik machen und mich kreativ ausdrücken.

Wohin bewegte sich dein Leben gerade, als du anfingst Musik zu machen? Warst du an einem Punkt, an dem ein Reset nötig war?
Ich habe damals studiert, das war eine Zeit, die mir aus irgendeinem Grund große Angst gemacht hat, und ich bin nun mal eine sehr impulsive Person und manchmal sehr „over the top“.

Im Moment wirkst du um ehrlich zu sein überhaupt nicht „over the top“, sondern sehr ruhig.
Das stimmt, ich bin gerade sehr entspannt. Als ich entschieden hatte, dass das hier meine Karriere werden sollte, aber noch nicht voran kam, da war das allerdings noch anders. Ich wollte unbedingt allen beweisen, dass ich was kann. Erst als ich damit aufhörte, wurde ich entspannt und konnte tatsächlich das machen, was mich heute ausmacht. Ich wüsste auch nicht, was ich sonst mit meinem Leben anfangen sollte.

Genau. Vermutlich ist es gar nicht möglich, so viel Zeit mit einer kreativen Tätigkeit zu verbringen, wenn man sich nicht innerlich ständig die ganz großen Fragen stellt, oder was meinst du?
Ich denke auch. Ich schreibe natürlich Song-Texte, um nach Antworten auf die Fragen zu suchen, die ich mir selbst stelle.

Heißt das dann, dass bei dir die Texte an erster Stelle kommen, also vor der Musik?
Nein, das nicht. Da muss es eine Balance geben, Text und Musik sind gleich wichtig. Schau, die Leerstelle zwischen zwei Noten ist ja das, was einen Akkord ausmacht und vielleicht ist es gerade das, was das Gefühl ausmacht, das der Song transportieren soll. Wenn ich Zuhause sitze und mir die Skizzen anhöre, die ich am Tage zuvor im Studio gemacht habe, dann müssen sich Text und Musik im Zusammenspiel richtig anhören. Nur dann weckt der Song in mir auch das richtige Gefühl. Manchmal nehme ich zwanzig, dreißig verschiedene Versionen eines Songs auf, weil schon eine falsch gesetzte Snare dieses Gefühl beschädigen oder verändern kann.

Du bist also eher eine traditionelle Perfektionistin als eine post-moderne Internetkünstlerin, die ihre Kunst „unverfälscht“ ins Netz stellt, direkt nachdem du sie aufgenommen hast?
Ja, da bin ich eher altmodisch. Ich lasse meine Songs reifen. Aber: Wenn etwas gut ist, dann weiß ich das sofort, selbst wenn der Song noch nicht fertig klingt. Ich muss einen Song sofort fühlen, damit er wirklich gut ist—selbst wenn er noch Fehler hat. Ich mache meine Stücke in der Regel an einem Tag: Struktur, Vocals, sogar den ersten Mix. Aber danach ist die Arbeit ja noch nicht getan, da dann eben die Detailarbeit folgt. Die Song-Ideen, die ich nicht sofort aufnehme, weil sie sich zwar interessant aber nicht ganz richtig anfühlen, sterben häufig früher oder später.

Zur Zeit läuft es ja offenbar recht gut: immer mehr Leute hören dir zu und du giltst vielen selbsternannten Experten als Geheimtip. Ändert dieser Umstand etwas daran, wie du deine Musik machst?
Hm, ich könnte natürlich nein sagen, aber das wäre eine Lüge. Unterbewusst macht das natürlich etwas mit einem, auch wenn es nichts an der Musik ändert, die ich machen möchte. Es ist eher so, dass ich mich mittlerweile frage, wie ich langfristig damit umgehe, dass die Öffentlichkeit sich fast von jedem Künstler wünscht, er würde sich nicht weiterentwickeln, wohingegen man als Musiker natürlicherweise genau das möchte. Ich glaube, ich bin schon jetzt an dem Punkt, an dem ich mich verändere und eine andere Künstlerin werde.

Deine zweite EP Children Of Silk ist gerade erst vor ein paar Wochen erschienen. Weißt du bereits, in welche Richtung es nun für dich geht?
Nein, weil ich keine Richtung wähle, sondern einfach mache und dann am Ende schaue, wohin mich mein Weg nun geführt hat. Irgendjemand sagte letztens zu mir, er fände, mein Gesang würde ihn rhythmisch an Jazz erinnern—etwas, was ich selbst noch nie so gesehen habe. Aber dann habe ich mir meine Songs unter diesem Gesichtspunkt noch mal angehört habe, gemerkt, dass er recht hat. Das hat sicherlich damit zu tun, dass ich keinen Musik-theoretischen Background habe, aber von daher arbeite ich wirklich komplett intuitiv, gleichzeitig entwickelt sich aber mein Geschmack immer weiter und deshalb verändert sich auch meine Musik, doch das geschieht komplett unterbewusst.

Du hast mal in einem Interview erwähnt, dass du großer David Lynch-Fan bist. Über Lynch könnte man sagen, dass er versucht, seine Zuschauer mit seinen Filmen abzuholen, in dem er unterbewusst schwelende Ängste an die Oberfläche holt. Willst du mit deiner Musik etwas Ähnliches erreichen?
Es freut mich, dass du das sagst. Wenn das tatsächlich der Eindruck ist, den du von meiner Musik hast, dann gefällt mir das sehr, obwohl ich nicht versuche, meine Hörer dazu zu bringen, dass sie etwas Bestimmtes denken.

Wir sind in unserem Alltag von sehr viel Lärm umgeben. Damit meine ich nicht unbedingt Straßenlärm, sondern eher das Internet, das uns unter anderem auch jeden Tag neue Musik anbietet. Für einen Musiker muss diese Ablenkung noch gefährlicher sein als für andere. Da stellt sich die Frage: Wie kann man dennoch eigene Gedanken und Ideen haben, obwohl man die ganze Zeit mit den kreativen Ideen anderer bombardiert wird?
Wenn ich anfange zu singen, dann möchte ich nicht in meiner Emotion gestört werden. Du kannst zwar mit mir reden, aber wenn du in dem Moment auf einer anderen Wellenlänge bist als ich, dann fühle ich das und dann bringt mich das raus. Aber zum Beispiel jetzt gerade haben wir beim Reden diese sehr ruhige Energie und ich fühle mich sehr still, obwohl wir gerade reden und um uns herum all diese Geräusche sind. Das bedeutet für mich, dass das, was ich dir hier sage, auf jeden Fall aus mir kommt und nicht beeinflusst ist durch das Draußen.

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