Tattoos von euren Lieblings-Songtexten sind der Untergang der Zivilisation

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Oh, der Herbst ist da. Beziehungsweise die seichten Herbstdepressionen. Da hilft nur die alte James Blunt-Platte, die ihr weggepackt habt, als dieser Typ aus Südamerika zwei Wochen bei euch gewohnt hat. Couchsurfing und so, auch mal was wagen. Man will ja nicht blöd dastehen später. Aber jetzt ist wieder Herzschmerz-Stimmung, irgendwas fehlt gerade. Klar, der Sommer, die OpenAir-Partys, die Ex-Freundin beziehungsweise der Ex-Freund und das Bier vom Würstelstand mit den Boys und Girls. Und all diese Klischees werden jetzt zusammengerührt und in irgendeinen Song hineininterpretiert, selbst wenn es ein Song von James Blunt oder Prinz Pi ist. Endlich jemand, der euch versteht. Und dann vielleicht noch ein bisschen auf dem Sofa sitzen und über tiefgründige Dinge nachdenken. Das Leben und so. Oder einfach mal wütend sein. Ein bisschen Bushido pumpen und „Jeder meiner Freunde fickt jeden deiner Freunde“ durch die WG brüllen und über die Metaebene und die eigentliche Bedeutung dieses Satzes nachdenken. Ist alles in Ordnung, macht ruhig, tut ja keinem weh. Meinen Segen habt ihr definitiv.

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Und dann diese ganzen Ausnahmezustände. Gefühlschaos, obwohl ihr schon längst kein Clerasil mehr benutzt. Irgendwie schon alt genug, um sich tätowieren zu lassen, aber trotzdem das Gefühl, dass der einzige Unterschied zwischen eurer Pubertät und jetzt ist, dass ihr eure Arzttermine selber organisieren müsst. Habt ihr vielleicht ein Sarakasmus-Level erreicht, bei dem ihr nicht mehr mal selber wisst, ob ihr das gerade ernst meint oder nicht? Ist die Facebook-Timeline mal wieder voll mit „Scheiß Regen“-Posts? Habt ihr just eine Doku über Court & Kurtney…äh..Kurt & Courtney gesehen und realisiert, dass ihr noch nicht abgefuckt und trashy genug seid?

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Kleiner Tipp: Die Lösung für eure Probleme sind keine deepen Textzeilen irgendwelcher Musiker. Und deshalb ist es auch überhaupt nicht nötig, ihnen auf Facebook oder Twitter Nachrichten zu schreiben, in denen ihr ihnen erzählt, wie sehr sie euer Leben verändert oder euch über eine schwere Phase hinweg geholfen haben. Natürlich gibt es den ein oder anderen Indie-Bassisten, der die einsamen Abende in Hotels mit Wasserhahn im Zimmer gern mit ein paar Fan-Mails kompensiert, aber alles in allem, lasst euch gesagt sein: Eure Gefühle zu irgendwelchen Songs oder Lines interessieren keine Sau. Außer eure Mutter und euren einfühlsamen Friendzone-Nachbarn vielleicht. Und weil das so ist, kommen wir jetzt zum eigentlichen Punkt:

Es nicht ratsam, sich irgendwelche Casper-Lines zu tätowieren, nur weil man sich gerade so XOXO fühlt! Es ist (theoretisch) auch keine gute Idee, sich ein Band-Logo stechen zu lassen, weil man dieses oder jenes Album in diesem Moment extrem feiert und sich freut, dass endlich mal jemand das sagt, was ihr eh schon immer gedacht habt (Der Nirvana-Smiley bildet hier eine Ausnahme). Wenn ihr es nicht selber formulieren könnt, dann behauptet nicht, ihr wolltet das auch schon immer so sagen. Beschäftigt euch lieber etwas mit griechischer Mythologie, wenn ihr „deepen stuff“ wollt. Da gibt es zum Beispiel Kairos, den Gott des günstigen Zeitpunkts. Der könnte euch erklären, dass es keinen geeigneten Zeitpunkt gibt, um sich „Trailerpark 4 Life“ auf die Hand oder „Bushido“ auf den Hals tätowieren zu lassen. Ganz einfach weil es den Künstler über einen geteilten Instagram-Post hinaus nicht interessiert und ihr in fünf Jahren, wenn ihr gerade auf dem Retro-Dipset-Trip seid oder euch mit Weltmusik beschäftigt, den Kopf in eine gefüllte Bowle-Schale stecken werdet, wenn euch jemand bei einem Sommerfest danach fragt, warum auf eurem Unterarm „Rebell ohne Grund“ steht. Und vielleicht erkennt ihr dann auch, dass sich Prinz Pi textlich auf dem Niveau deiner Gedichte schreibenden und Paulo Coelho lesenden Klassenkameradin aus der Realschule bewegt, die heute ein mittelmäßig laufendes Cupcake-Geschäft in Berlin-Pankow leitet.

Es gibt durchaus sinnlose Alternativen. Ich habe letztens eine Frau getroffen, die sich das Logo eines Berliner Clubs tätowieren ließ, um dort immer umsonst hinein zu kommen und sich die Schlange zu sparen. Der Club hat längst geschlossen und die betreffende Person geht lieber zu Mahnwachen und Anti-TTIP-Demos als ins Berghain oder ins Kater Holzig (Ja, ich weiß, das eine schließt das andere nicht aus). Und dennoch ist ihr Tattoo zehnmal cooler als eure mega aufbauenden Textzeilen von Sierra Kidd, Revolverheld, Kontra K oder Muse. Das Tattoo erinnert sie nämlich wenigstens daran, dass sie 10 Jahre mit dem Venga-Bus gefahren ist und sich an keine der Stationen erinnern kann.

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Eure Tattoos erinnern euch lediglich daran, dass ihr mal in eine Wolldecke gehüllt bei Kamillentee in der Küche saßt und dachtet, es wäre eine super Idee, diesem einen Impuls zu folgen, der euch sagt: Ja Mann, ich fühle das genau so wie der Künstler und deshalb lass ich mir jetzt diesen Allerweltspruch unter die Haut hacken und schick dem Interpreten ein Foto davon. Bad idea, believe me. Und jetzt lasst mich in Ruhe, ich will in meinen Brudiletten Haftbefehl hören und mich wie ein euch überlegener Gangster fühlen.

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