Warum wird Ketamin eigentlich gerade so abgefeiert?

Foto oben: Coaster420 / Wikimedia / Public Domain. Dieser Artikel erschien zuerst bei THUMP UK

Ketamin. Das ist erster Linie ein wirkungsvolles Betäubungsmittel, das häufig Patienten verabreicht wird, die unter chronischen Schmerzen leiden oder das jede Notärztin in ihrem Koffer hat. Öffentlich bekannt ist auch, dass man Ketamin zudem Pferdeberuhigungsmittel einsetzt. Doch Ketamin ist auch eine der beliebtesten Partydrogen und besonders bei Studenten verbreitet. Nur überall rumgesprochen hat sich das noch nicht. Und so werden die meisten Eltern sicherlich argumentieren, dass etwas, das Rennpferde zum Schnarchen bringt, nicht dafür geeignet ist, dass es der eigene Sohn oder die eigene Tochter sich freitagnachts durch die Nase zieht.

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Liebe Eltern, ihr müsst jetzt ganz stark sein:

Euer Matthias und euere Laura haben wahrscheinlich einen Großteil ihres Wochenendes damit verbracht, sich zu fragen, warum ihre Hände auf die Größe von Bowlingkugeln angeschwollen sind und sich anfühlen wie flüssige Lava. Gerade sitzen sie womöglich in der Uni-Bibliothek und schlagen sich mit einem Foucault-Text rum, ohne aber über die erste Seite hinauszukommen. Vergeblich versuchen sie seit zwei Stunden, mehr als nur die ersten Zeilen aufzunehmen. Den Rest der Woche werden sie irgendwie an sich vorbeiziehen lassen, bis sie dann am Wochenende wieder auf der Clubtoilette Special K von ihren iPhones ziehen.


Aus dem VICE-Netzwerk: Wie du auf einem nüchternen Rave richtig feierst:


Jede Droge hat ihr Milieu und Ketamin ist besonders bei Studenten verbreitet.

Schon beim Namen des Mittels denken viele an billige MDF-Tischplatten in versifften WGs, übersät mit durchtränkten Blättchen, aufgedunsenen Filtern und Tabakkrümeln. Während ich das schreibe, sehe ich ihn direkt … den Tisch … ich kann das verschüttete Bier und die muffigen Klamotten riechen – und ich höre, wie Lines geschnieft werden. Mir wird ein bisschen schlecht.

Vielleicht ist der Grund, dass ich ein schrumpeliger alter Mann bin, der sich zielstrebig in Richtung Alterssenilität bewegt, aber die jüngste Popularität von Ketamin bei Studenten gefällt mir gar nicht. Eine neue Studie des britischen Uninetzwerks The Tab hatte zum Ergebnis, dass 59% aller Studenten der Universität Manchester die Droge regelmäßig konsumieren. Eine Droge, die dir entweder das Gefühl gibt, als hättest du gerade zwei Dosen Cider runtergeschüttet, oder die dich in einen psychedelischen Zustand versetzt, bei dem eine vollständige Dissoziation kein allzu fernes Szenario ist.

Ob das jetzt gut oder schlecht ist, sei zunächst erstmal dahingestellt. Aber es bleibt festzuhalten: Drogenkonsum ist ein integraler Bestandteil der sozialen Erfahrungen, die viele Studenten während ihrer Uni-Zeit machen. Es ist also nicht der Konsum selbst, der besorgniserregend ist, es ist das, was sie sich durch die Nase ziehen und wo sie dies machen, das Grund zur Besorgnis ist. Und diese Besorgnis hat ein paar Facetten.

Die Erste ist einfach: Ketamin macht einfach nicht immer Spaß. Dich überkommt davon nicht der Rausch einer Pille, die Entspannung eines Joints oder die wohlige Wärme von ein paar Bieren. Ketamin “funktioniert” einfach nicht im Kontext einer Clubnacht. Es gibt zum Beispiel einen Grund, warum Dubstep tot ist und sich nur noch ungefähr drei Leute irgendwo im fernen Bristol dafür interessieren. Und dieser Grund heißt Ketamin. Die Tatsache, dass Dubstep ungefähr so aufregend und unterhaltsam ist wie alle Folgen Familienduell mit Werner Schulze-Erdel am Stück zu schauen, ist dabei größtenteils irrelevant.

Wer will im Club schon von Typen umgeben sein, die wie Dawn of the Dead-Komparsen mit Arthritis aussehen, umherirren und in Lautsprecher stolpern oder versuchen, aus Blättern und Schotter Zigaretten zu drehen, während sie mit sich selbst reden? Nein danke, dann lieber Kerle mit Bieratem, die sich mit ihren Ellbogen den Weg durch verschwitzte Körper bahnen.

Foto: Gareth Williams / Flickr / CC By 2.0

Außerdem hat es etwas Merkwürdiges, welche Einstellung im Moment gegenüber Ketamin herrscht und wie bisweilen darüber berichtet wird. Obwohl es Konsumenten in wirklich beängstigende Zustände versetzen und in der falschen Dosierung sogar tödlich sein kann, ist Ketamin in der House-Szene fast schon zum popkulturellen Phänomen geworden. Und während das nächste peinliche T-Shirt auf den Mark kommt und jemand am tausendsten K-Meme feilt, haben die schaurig blassen Afterhour-Gremlins den ehemaligen Liebling von Dubstep-Anhängern zu einer Droge gemacht, die vor, während und nach eines Sets von Kink reingepfiffen wird.

Aus mir unverständlichen Gründen hat Ketamin auch eine Art spaßige Konnotation bekommen und ist zu einer unterhaltsamen Ergänzung der Afterhour oder des gemeinsamen Rumhängens geworden. Es gehört genauso zur Ausstattung wie Caps von Palace, Bauchtaschen über der Schulter und Nike Air Max.

Vielleicht gibt es rationale Erklärungen dafür, warum diese außerordentlich abstoßende, unangenehme Droge das Rauschmittel der Wahl für eine Generation geworden ist, die sich langsam mit dem eigenen Älterwerden abfindet: Ketamin hat nicht den arroganten Unterton von Kokain oder das bewusstseinserweiternde Element von LSD. So verstärkt es das Gefühl der immer wieder einsetzenden Resignation – bis du das kleine bisschen zu viel nimmst und auf einmal vergessen hast, wer und wo du bist und was es überhaupt bedeutet, zu existieren.

Was eine gute Sache wäre, wenn dir klar würde, dass du gerade ein weiteres Wochenende vergeudet hast und die Sonne über einem schäbigen Clubgarten oder der WG irgendeiner Bekanntschaft aufgeht. Und alles, was du nachher vorzuweisen hast, sind drei Likes auf Facebook und die prägnante Erinnerung daran, etwas wirklich, wirklich Furchtbares getan zu haben, ohne dich wirklich daran zu erinnern, was es genau war.

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