Ubud ist eine unglaublich üppige Stadt auf Bali, wo die Leute Palmenwedel als Regenschirme verwenden und jeden Kilometer ein anderer hinduistischer Tempel aus der leuchtend grünen Landschaft sprießt. Irgendwo dazwischen findet man dort auch Flaschen von Lanson, Bollinger und Polroger auf Eis. Das ist hauptsächlich dem gebürtigen New Yorker Will Goldfarb, einem gefeierten Konditor, zu verdanken, der den grauen Schotter von Manhattan gegen die grünen Reisterrassen der indonesischen Insel getauscht hat.
Sechs Tage pro Woche steigt Goldfarb auf sein Motorrad und braust die von Palmen gesäumten Straßen hinunter zu seinem Restaurant, dem Room 4 Dessert in Ubud. Obwohl die Stadt besonders unter Touristen und Expats beliebt ist—Julia Roberts stattete ihr in Eat Pray Love einen Besuch ab—, fühlt sie sich weniger kommerziell als die touristischeren Gegenden der Insel an.
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Die Stadt hat etwas Geheimnisvolles und entwickelt sich zu einem aufregenden Teil der boomenden kulinarischen Szene Balis. Als ich Will in seinem ein Jahr alten Restaurant traf, gab er mir eine ganze Liste von Lokalen, die ich Ubud ausprobieren sollte. „Und das sind nur die aus 2015″, sagt er, nachdem er mir Empfehlungen für Fine Dining, Kaffee und aufkommende balinesische Köche gegeben hatte.
Goldfarb ist nicht nach Bali gezogen, um Teil des immer größer werdenden Hypes zu sein. Nachdem er jahrelang sehr erfolgreich in New York gearbeitet hatte, beschloss er, hierher umzuziehen. In den 90ern besuchte er das Le Cordon Bleu in Paris und bekam dann eine Stage im elBulli, einer ehemaligen Institution der Molekularküche mit drei Michelinsternen, wo er über ein Jahr blieb.
Als er nach New York zurückkehrte, arbeitete er für die angesehensten Köche der Branche wie Paul Liebrandt und Morimoto, bevor er 2006 seine eigene Dessertbar in SoHo eröffnete—das originale Room 4 Dessert—und als Bester Konditor der USA für den James Beard Foundation-Award nominiert wurde.
2007 ging die Beziehung zu seinen Geschäftspartner in die Brüche.
„Nach ungefähr zwei Jahren bekam ich sehr viel Aufmerksamkeit und ich glaube, meine Geschäftspartner waren nicht besonders begeistert davon”, sagte Goldfarb über den Anfang des Endes. „Wir hatten eine Abmachung, ich sollte ihnen eine Abfindung bezahlen. Dann wurde aber aus dieser Abmachung ein Streit.”
Die Probleme ließen sich nicht auf des Weg räumen und das Room 4 Dessert New York schloss die Türen. Mit einer Frau und einer jungen Tochter, die er versorgen musste, hatte er nicht den Luxus, darauf warten zu können, bis er seine nächste Idee umsetzen konnte.
„Ich bin ziemlich stur, wenn es um die kreative Seite meiner Arbeit geht. Das heißt aber nicht, dass ich nicht arbeiten muss”, sagt er zu mir.
Er widmete sich weniger prestigereichen Projekte und eröffnete einen nachhaltigen Sandwich-Kiosk in Battery Park City sowie ein Dessert-Studio im ABC Carpet & Home, einem Einrichtungsgeschäft. Aber die Auszeichnungen, wie er sie während seiner Zeit im Room 4 Dessert bekommen hatte, blieben aus.
„Du wärst schockiert, wenn du wüsstest, was ich mir deswegen und wegen des Sandwich-Kiosks anhören musste”, sagte er über die beiden Projekte. „Aber was soll ich auch machen? Ich versuche, mein eigenes Lokal zu eröffnen und in der Zwischenzeit muss ich eben arbeiten.”
Goldfarb und seine Familie beschlossen, der Stadt für eine Weile den Rücken zu kehren. Seine Frau wollte nach Bali, mehr als 15.0000 km von ihrem damaligen Zuhause entfernt. Kurz bevor die Familie bereit war, loszuziehen, wurde bei Goldfarb Krebs diagnostiziert. Was er für eine Fettablagerung im Bein hielt, war ein bösartiger Tumor. Der Umzug nach Bali musste also erstmal nach hinten verschoben werden.
Er unterzog sich einer Operation sowie einer Strahlentherapie und erholte sich wieder. Trotz des medizinischen Rückschlags waren seine Pläne immer noch im Hinterkopf.
„Es braucht schon extrem viel, um mich aus der Bahn zu werfen. Früher habe ich immer gescherzt, dass man mich umbringen müsste, aber das war dann irgendwann nicht mehr witzig, als ich im Krankenhaus lag”, sagte Goldfarb.
Nach einer einjährigen Behandlungsphase, konnte seine Familie endlich ins Paradies umziehen. Als sie aber in Bali ankamen, war der gefeierte Koch kaum in der Lage zu arbeiten. Die Strahlentherapie hatte ihn körperlich extrem mitgenommen.
„Ich war physisch nicht stark genug, einen ganzen Tag bei der Arbeit durchzuhalten. Ich schaffte gerade einmal fünf oder sechs Stunden an einem Tag pro Woche”, sagte er. „Ich arbeitete so viel ich konnte und die restliche Zeit ruhte ich mich aus.”
Während er als Berater und Koch im KU DÉ TA in Seminyak versuchte, wieder in Form zu kommen, verrenkte er sich den Rücken.
„Das war der Zeitpunkt, als ich sagte, ‚Wenn ich schon in einer Küche sterben werde, dann wenigstens in meiner eigenen’”, erzählte er mir.
Goldfarb war fest entschlossen, sein unerledigtes Geschäft wieder aufzunehmen und seine ehemals erfolgreiche Dessertbar wieder aufleben zu lassen. 2014 wurde dieser Traum zur Realität und er eröffnete das Room 4 Dessert in Ubud. Dieses Mal ohne Investoren hatte ein anfängliches Budget von „null”, wie Goldfarb sagt, und er musste seine eigenen Ersparnisse dafür aufwenden. Er und seine Frau begnügten sich mit den Küchengeräten, die die vorherigen Besitzer des Cafés zurückgelassen hatten. Sie brachten Möbel aus ihrem eigenen Zuhause, ließen weitere aus recyceltem Material herstellen und—aus finanziellen Gründen, nicht weil es hip war—arbeiteten sie für die Gestaltung des Cafés mit heimischen Künstlern zusammen. Das Einzige, was sie sich leisteten, waren spezialangefertigte Teller von Gaya Ceramics in Ubud.
Wenn man das Restaurant heute sieht, würde man nie erraten, dass es so provisorisch entstand. Der höhlenartige Raum ist warm und hat eine leicht industrielle Atmosphäre durch die recycelten Metalle aus dem nahegelegenen Denpasar. Ein großes Keramikbecken, das früher als Waschbecken diente, ist bis oben hin mit Eis und Champagnerflaschen gefüllt. Auf den Metallregalen steht eine beeindruckende Auswahl an Spirituosen.
Das ganze Lokal hat etwas sehr Familiäres. In der Küche stellt mir Goldfarb seine Mitarbeiter vor, wie wenn ein stolzer Vater seine Kinder präsentiert. Es liegt ihm am Herzen, ein guter Mentor zu sein und er gibt mir einen glänzenden Überblick, wo manche seiner Protegés gelandet sind. Im Speiseraum deckt er den Tisch, während er vor den Kunden an der Bar den Gastgeber gibt. Goldfarb unterhält sich mit seinen Gästen über Dinge, die weit über Smalltalk hinaus gehen und plötzlich fühlt es sich so an, als wären alle Leute im Restaurant Freunde geworden.
Heute, ein Jahr nach der Eröffnung, werden die Tische in der Dessertbar oft drei Mal pro Abend besetzt. Das Publikum ist eine Mischung aus Einheimischen, Touristen, digitalen Nomaden und Leuten, die Goldfarb als die „Jakarta-Design-Crowd” bezeichnet. Obwohl Goldfarbs Vergangenheit mit seinen Michelin-würidgen Gerichten recht extravagant ist, machen die Namen der Gerichte wie „Pear o’Vegans” und Zutaten wie der bescheidene Churro die zwar immer noch moderne Küche um einiges weniger einschüchternd.
Europäische Elemente werden tropisch angehaucht. Kemangi, Taro und cendol finden sich neben Meringues, Sablées und Financiers. Seine Creme brûlée macht er aus Kakaopaste, einigen Tropfen Mangostin-Bitters und balinesischem Meersalz. „Es ist sehr, sehr einfach, aber sehr, sehr Bali”, sagt er über das beliebteste Gericht auf der Karte.
Das Dessert-Restaurants hat aber weit mehr als nur Karamell und Sorbet zu bieten.
Wie zum Beispiel der „Ghostface Keller 2: Liquid Curds”, eine Kreation, die ganz unter dem Motto Wu Tang Clan steht und aus französischem Reblochon mit Focaccia aus Bintang (einem indonesischem Pils), Tatin von der Schlangenfrucht (salak) und gerösteter Papaya besteht. Dieses Gericht ist Teil des Degustationsmenüs und bietet den Gästen eine Abwechslung von der Süße der anderen Gerichte. Außerdem stehen auch Räucherfleisch und Käseplatten auf der Karte.
Jetzt, da Goldfarb sein unfertiges Geschäft mit dem erneuten Erfolg des Room 4 Dessert endlich beenden könnte, kann er sich voll und ganz auf neue Projekte konzentrieren. Früher bot die Küche das Mitarbeiteressen am Abend für Restaurantgäste im Hinterhof an, aber das wurde als Nebenprojekt zu aufwändig. Während der nächsten paar Monate wird Goldfarb ein neues Restaurant direkt hinter dem Room 4 Dessert eröffnen. Es trägt den Namen L’Hort und wurde von einer ganz bestimmten Zeit in Goldfarbs Jugend inspiriert.
„L’Hort [D’en Minguets] war die Bar in Roses in Spanien, in die ich immer nach der Arbeit im elBulli ging”, sagte er. „Es war die ultimative Afterwork-Bar für Köche.”
Wie das L’Hort in Roses wird Goldfarbs neues Restaurant mit 40 Plätzen spanische Snacks servieren, dazu Getränke wie Sangria, Cava und Cuba Libre aus Rum und hausgemachter Cola.
Während meiner Verkostung im Room 4 Dessert erkundigte sich Goldfarb immer wieder: „Ist der Geschmack in Ordnung?”.
Irgendwann war aus den Lautsprechern eine Coverversion von Frank Sinatras „My Way” zu hören. Dieses Lied könnte Goldfarbs Hymne sein. Dessertbars eröffnen, den Ruhm in New York zurücklassen, nach Bali ziehen—all diese Entscheidungen klingen für einen Außenstehenden vielleicht verrückt. Ob verrückt oder nicht, eins ist sicher: Goldfarb hat sein eigenes Ding durchgezogen.