Drogen

Wie pflanzliches Meth aus Afghanistan die Welt erobert

Nach Opium und Haschisch jetzt auch Meth: Afghanistan wird immer mehr zum Narco-Staat.
Ein schwarzer Mann raucht Crystal Meth in einer Glaspfeife, die in Südafrika konsumierte Droge stammt inzwischen größtenteils aus Afghanistan, wo sie aus Ephedrakraut hergestellt wird.
Ein Mann raucht Methamphetamin in Hanover Park, einer von Gangs kontrollierten Vorstadt von Kapstadt, Südafrika | Foto: Rodger Bosch via AFP/Getty Images

Eine Gruppe Männer sitzt in einem Wohnzimmer im Township Khayelitsha in Kapstadt, Südafrika. Wir unterhalten uns über WhatsApp in einem Videoanruf, als einer von ihnen ein kleines Tütchen voll mit weißem, kristallinem Pulver vor den Bildschirm hält.

"Wir rauchen hier seit Jahren Tik, aber das hier ist das neue Zeug", sagt Maninja, der in Wahrheit anders heißt. Er schüttelt das Tütchen und fährt fort: "Der Preis ist derselbe, aber das High ist anders. Das andere macht dich mehr hyperaktiv, das hier hingegen macht deinen Körper taub."

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Tik ist südafrikanischer Slang für Crystal Meth. Seit den 1990ern ist die Droge, auch Meth oder Methamphetamin genannt, in Südafrika weit verbreitet. Im vergangenen Jahrzehnt dominierte hochpotentes Meth, das mit Unterstützung von mexikanischen Narcos in Nigeria produziert wird, den lokalen Markt. Aber jetzt gibt es Konkurrenz aus 14.000 Kilometern Entfernung: Afghanistan.

Was den globalen Drogenmarkt angeht, ist Afghanistan vor allem bekannt für seine Mohnfelder. Sie sind der Ursprung für bis zu 90 Prozent des weltweiten Heroins. Seit einigen Jahren wird dort allerdings auch Meth auf teils pflanzlicher Basis hergestellt, das an allen Ecken und Enden der Welt auftaucht: in Süd- und Ostafrika, im Iran, Irak, in der Türkei und im Nahen Osten, in Pakistan, Indien, Sri Lanka, Indonesien und Australien.

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Für internationale Verbrechenssyndikate und korrupte Beamte bedeutet das afghanische Meth-Geschäft einen Geldsegen. Im allgemeinen Chaos des NATO-Abzugs dürfte das von Kriegen und Konflikten gebeutelte Land ein Narco-Staat wie kein anderer werden.

Eine Hand voll mit großen Meth-Kristallen

Semi-synthetisches Meth aus Afghanistan | Foto: David Mansfield

Ephedra, auch Meerträubel genannt, galt lange als wertloser Gebirgsstrauch, bis man entdeckte, dass man damit den komplizierten und teuren Herstellungsprozess von Methamphetamin mit Pseudo-Ephedrin umgehen kann, das dafür aus Medikamenten extrahiert werden muss. Der Wechsel im Herstellungsprozess zum Ephedra-Kraut kam etwa 2017 und erlaubte es afghanischen Drogenproduzenten, die Quantität und Qualität ihrer Ware zu erhöhen. Wegen dieser Eigenschaften ist Ephedra-Kraut in Deutschland übrigens rezeptpflichtig.

"Afghanen mussten die ganzen Medikamente importieren und in abgelegene Gegenden transportieren. Die Kosten waren teilweise so hoch, dass sie Verluste machten", sagt David Mansfield, der seit 30 Jahren die afghanische Drogenökonomie vor Ort beobachtet. "Die Verwendung von Ephedra-Kraut hat ihre Produktionskosten mehr als halbiert. Als Konsequenz ist daraus ein Gewerbe entstanden. Ein Bauer in einem Wüstengebiet baut Mohn an und kauft als Nebenverdienst Ephedra-Kraut, welches er zu Ephedrin verarbeitet und auf dem Basar verkauft – oder direkt an die Labore."

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Mansfields Team zählte 448 Ephedrin-Labore in nur zwei afghanischen Distrikten: Bakwa und Khash Rod. "Laut unserer Interviewpartner beträgt der potenzielle Produktionsumfang um die 1.000 Tonnen pro Jahr. Was Meth angeht, hat das Land das Potenzial, auf dem weltweiten Markt mitzumischen. Es wird zu einem Zehntel der Kosten, die in Südostasien entstehen, hergestellt, aber zum gleichen Preis verkauft."

Pixelige Satellitenbilder von einem Gebäudekomplex

Ephedra-Labore in der Provinz Nimrus | Foto: David Mansfield

Weil Ephedra-Kraut ein wilder Gebirgsstrauch ist und keine Chemikalie, die importiert werden muss, hat das aufkeimende Meth-Geschäft es afghanischen Drogenproduzenten ermöglicht, schlechte Mohnernten und die Pandemie zu überstehen. "Die Ephedrin-Industrie ist eine Art Rettungsring für sie gewesen", sagt Mansfield.

Das Meth wird über etablierte Heroinschmuggelrouten aus Afghanistan gebracht. "Es scheint einige Überlappungen mit dem traditionellen Heroinsyndikaten und dem jüngeren Zustrom von afghanischem Meth zu geben. Sie scheinen ihr Warenportfolio zu erweitern", sagt Jason Eligh, Autor eines Berichts, der im März dieses Jahres erschien und sich unter anderem mit der Verbreitung afghanischen Meths vom indischen Ozean bis nach Ost- und Südafrika befasst. "Das lässt sich an den Zwischenhändlern beobachten, die in dem neuen Meth-Handel involviert sind. Und noch direkter sieht man es an der Frequenz von Meth- und Heroinlieferungen, die in denselben Schiffen und Fahrzeugen bewegt werden." 

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Die Hauptroute aus Afghanistan heraus liegt im Westen und führt durch den Iran. Zwischen 2019 und 2020 verdoppelte sich die Menge des sichergestellten Meths im Iran, wofür die Behörden eine Crystal-Flut aus Afghanistan verantwortlich machten. Auch in der Türkei wurden größere Mengen Meth abgefangen. 

Eine andere Route führt in den Süden an den pakistanischen Teil der Makran-Küste, wo die Ware auf Schiffe verladen und über den indischen Ozean an die ostafrikanische Küste nach Kenia, Tansania und Mozambique gebracht wird. Von dort geht es auf dem Landweg zum größten Drogenmarkt der Region: Südafrika.


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"Meth ist hier billig", sagt Shaun Shelly, der 2014 in Kapstadt, Durban und Pretoria Südafrikas erstes Projekt zur Harm Reduction gegründet hat. "Wenn du Stammkunde bist und fünf Gramm auf einmal kaufst, dann kostet es etwa 150 Rand pro Gramm, umgerechnet 8,75 Euro. Der Maximalpreis liegt bei etwa 300 Rand pro Gramm, also 17,50 Euro."

Obwohl es nicht ihr eigenes Produkt ist, verkaufen nigerianische Drogenbosse in Südafrika auch afghanisches Meth. "Dieses neue Zeug auf Ephedra-Basis, das habe ich jetzt seit vergangenem Jahr. Ich habe es von dem Nigerianer", sagt Maninja. "Er hat neue Kunden gesucht, also hat er mir aufgetragen, ein bisschen was zu verschenken."

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Pakistan ist zwar noch in erster Linie Transitland für afghanisches Meth, aber auch dort wird die Droge zunehmend konsumiert – aufgrund der hohen Verfügbarkeit ist es mit rund drei Euro pro Gramm dort besonders billig.

Im April erschoss die indonesische Polizei einen Verdächtigen und verhaftete 17 weitere bei einem Einsatz, der zur Sicherstellung von 2,5 Tonnen afghanisches Methamphetamin führte. Mehrere Verdächtige waren laut indonesischen Behörden bereits für andere Vergehen zum Tode verurteilt und hatten das Geschäft aus ihren Zellen heraus orchestriert.

Auch in Australien ist afghanisches Meth aufgetaucht. Die Droge, die dort Ice genannt wird, ist in Australien und dem benachbarten Neuseeland schon lange verbreitet. Normalerweise kommt sie aus China und Südostasien – in jüngerer Zeit auch aus den Niederlanden. Im australischen Inland wird sie von Bikergangs vertrieben. Vergangenes Jahr entdeckte der australische Zoll allerdings eine große Lieferung mit flüssigem Meth in Mineralwasserflaschen. Eine forensische Untersuchung ergab, dass das Meth mithilfe von natürlichem Ephedrin hergestellt wurde: Es stammte also wahrscheinlich aus Afghanistan. 

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Aufgrund des gigantischen Preissprungs im Vergleich zu Asien und Ozeanien ist Australien ein verlockendes Ziel für Schmuggler. Häufig wird in Afghanistan produziertes Meth über den Iran auf den Kontinent gebracht. Dafür überreden Kriminelle unbescholtene Mitglieder der australisch-iranischen Community unter falschen Vorgaben, sich Flaschen mit "Händedesinfektionsmittel" oder "Shampoo" schicken zu lassen, die dann von Komplizen abgeholt werden.

Das Meth-Geschäft hat Afghanistans bereits gigantische Drogenwirtschaft noch einmal wachsen lassen. Es schafft Arbeit für die Menschen, die Ephedra-Kraut ernten, für Transporteure, Händler, Müller, Laboranten und Schmuggler sowie für korrupte Beamte und die Taliban, die einen Teil der Profite einfordern. Während die Profitspanne für ein Kilo Meth in Afghanistan noch relativ gering ist, verdienen diejenigen, die das Meth ins Ausland schaffen können, richtig viel Geld.

Eine einfache motorbetriebene Mühle in wüstenähnlicher Umgebung

In Bakwa wird eine Testladung Ephedra-Kraut gemahlen, 2020 | Foto: David Mansfield

Sobald es den Iran oder Pakistan erreicht, beginnt der Wert des Meths zu steigen. "Die Kosten für den Schmuggel über die Grenzen sind groß, aber wer entsprechende Mengen bewegen kann, kann auch große Profite machen – insbesondere die, die Kolonnen mit mehreren Autos nach Bahrāmcha an der pakistanischen Grenze betreiben", sagt Experte Mansfield.

Der jüngste Weltdrogenbericht der Vereinten Nationen suggeriert, dass die weltweit größten Hersteller von Methamphetamin die mexikanischen Kartelle sind, gefolgt von chinesischen, iranischen und afghanischen Produzenten. Aber Eligh und Mansfield gehen davon aus, dass Afghanistan bald zur Spitze aufrücken könnte – dank der geringen Herstellungskosten, einem massenhaften Vorkommen an wildem Ephedra-Kraut und des fast vollständigen Fehlens jeglicher Strafverfolgungsbehörden.

"Die Realität ist: Überall, wo du Transportströme von afghanischem Heroin findest, solltest du auch nach afghanischem Meth gucken", sagt Eligh. "Der große internationale Fluss afghanischen Meths wird nicht erst in der Zukunft kommen. Unsere Nachforschungen zeigen, dass er bereits da ist."

Nomaphelo Mpambani und Machteld Busz haben zu der Recherche beigetragen.

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