Noch länger als der Tod lebte gefühlt nur die Wartezeit auf Caspers neues Album. Doch vier Jahre nach Hinterland ist es endlich so weit: Lang lebe der Tod ist seit heute endlich da und wir können herausfinden, ob sich die Wartezeit gelohnt hat. Kurz gesagt: Ja, hat sie. Und wie. Ich würde sogar sagen, dass Casper sogar XOXO noch einmal übertroffen hat. Lang lebe der Tod klingt rough, hat Kanten und ist direkter als alle Vorgänger. Doch nur weil es dieses Mal mehr auf die Fresse gibt, heißt das nicht, dass Caspers Gespür für Texte verschwunden ist. Im Gegenteil: Die neue Direktheit in Kombination mit den Casper-typischen Referenzen sorgt für einen Kontrast, der die Messlatte für die Zukunft noch einmal ein ganzes Stück höher legt. Doch bevor ich hier weiter mit Sätzen um mich schmeiße, lasse ich Casper lieber selber reden, um zu zeigen, was ich meine.
“Lang lebe der Tod” feat. Blixa Bargeld, Dagobert & Sizarr
Als Lang lebe der Tod damals angekündigt wurde, geschah das mit einem großen Knall. Das Video war düster, gewalttätig und setzte damit die Stimmung für das, was uns hier erwarten würde. Und die Hook zeigt, was Casper auszeichnet: Sie ist eine einzige Referenz.
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“Bist du auch so verliebt?
Meine Lust will, dass es uns ewig gibt.
Und so singt sie ein Lied und noch ein Lied auf dass es uns ewig gibt.”
Diese Zeilen stammen ursprünglich vom Schlagersänger Dagobert und seiner Schnulze “Hast du auch so viel Spaß“. Doch durch den neuen Sound und die restlichen Lyrics wird das Original in “Lang lebe der Tod” geradezu pervertiert. Die Hook wird düster, geradezu eine Drohung ohne jede Spur von Heiterkeit. Das Ganze erinnert stark daran, was Marilyn Manson 2001 aus Soft Cells “Tainted Love” gemacht hat. Wenn dann am Ende des Songs auch noch die Stimme von Einstürzende Neubauten-Kopf Blixa Bargeld zu hören ist, wird vollends klar, dass dieses Album keine leichte Kost sein wird.
Noisey-Video: “HipHop In The Holy Land”
“Alles ist erleuchtet”
Nach dem selbst für Casper-Verhältnisse düsteren Opener kommt gleich die nächste Überraschung. Der rappt ja auf einen “richtigen” Beat. Sind wir hier auf Hin zur Sonne oder was?!
“Deine Uzi wiegt ‘ne Tonne, Seelen 21 Gramm.
Wieder Purge in Panem – macht Alarmanlagen an.”
14 Wörter reichen anscheinend völlig, um auf The Purge, Hunger Games und den amerikanischen Arzt Duncan MacDougall, der 1901 behauptete eine Seele wiege 21 Gramm, anzuspielen. Das ist schonmal eine stabile Ansage.
“Champagnerflaschen, bester Jahrgang verdammt.
Partys a la ’84, alle Kameras an!”
Und wenn Casper dann noch auf George Orwells Dystopie-Roman 1984 anspielt merkt man, dass hier jemand nicht nur seine Hausaufgaben gemacht hat, sondern auch die Zeichen der Zeit erkennt. Denn des Erstarken der rechten Szene und ihre Akzeptanz durch die selbsternannte Mitte der Gesellschaft sind ein Thema, das auf Lang lebe der Tod immer wieder aufgegriffen wird – was beim übergreifenden Album-Konzept von Angst und Tod durchaus passend ist.
“Keine Angst” feat. Drangsal
Der einzige Track, bei dem Casper auf diesem Album ein bisschen die Show gestohlen wird. Drangsals Robert-Smith-Imitation ist einfach viel zu schön und wenn er singt, klingt es wie bei einem The Cure-Konzert.
“Keine Angst, denn alles was hier war ist Morgen vielleicht schon egal
Außer Gefahr
Keine Angst, denn das was du jetzt bist ist nicht was du für immer sein wirst”
“Sirenen”
“Guten morgen, wir sind am Arsch
Lage SNAFU, ganz normal
Passierschein 38a
Dort im Land, das Verrückte macht
Sie reden von ‘Ihrem Land’ und ‘Sichtgrenzen’ am klebenden Bierglas die Chipsreste
Keine Sorge, was Morgen wird
Für den Untergang sorgen wir, nicht ihr”
OK, jetzt hat sich hier jemand warmgerappt. Erst mit dem von US-Soldaten genutzten Kürzel für “Situation Normal All Fucked Up” auf die Armeevergangenheit des Vaters anspielen, um direkt auf das Haus, das Verrückte macht, aus Asterix erobert Rom zu springen. “Sirenen” ist ein sehr würdiger Nachfolger von “Der Druck steigt” und “Blut sehen” auf XOXO, aber darüber hatten wir auch an dieser Stelle schon gesprochen.
“Lass sie gehen” feat. Ahzumjot & Portugal. The Man
Müsste ich Lang lebe der Tod auf einen Track reduzieren, wäre es dieser hier. Zusammen mit Ahzumjot und Portugal. The Man kommt Casper hier zum Kern des Albums. Und das genau in der Mitte. Das mag albern klingen, aber ich freue mich jedes Mal, wenn ein Album wirkt, als sei es ein durchdachtes Gesamtkonzept, statt einfach nur eine Aneinanderreihung Playlist-tauglicher Singles. Der Sound wäre die perfekte Brücke vom alten zum neuen Casper, weil er am ehesten nach XOXO und Hinterland klingt, aber die Lyrics sind das perfekte Beispiel für seine neue Direktheit. Doch da es um es das Verbrennen ebendieser geht, ist “Brücke” vermutlich nicht die optimale Beschreibung.
“Bin eingeladen doch geh’
Zu der Preisgala da nicht hin
Will die Scheißnazis gar nicht sehen”
Viele werden sich noch an den Echo 2012 erinnern, bei dem reihenweise Musiker ihre Teilnahme absagten, weil irgendjemand auf die Idee kam, die Proto-Kartoffeln von Frei.Wild für einen der Preise zu nominieren. Auf der Bühne sagten Kraftklub und Casper in einer neuen “Songs für Liam”-Version schon, was sie davon halten. Aber da man beim Echo in den folgenden Jahren nichts lernen wollte und weiterhin die stolzen Deu… äh Südtiroler dabeihaben wollte, zieht Casper seine Konsequenzen und findet sehr deutliche Worte dafür, warum er keine Lust mehr auf den ganzen Zirkus hat. Doch mit Schüssen in Richtung Echo gibt sich “Lass sie gehen” nicht zufrieden.
“Homophobe Rapper labern nur Müll
Als ob die Deppen jemand anbaggern würd’
Wie sie verblendet, plus alt und verwirrt
In Sendungen ständig die Fassung verlier’n
Will mit euch nix zu tun haben, hab Freunde genug
Läuft so ganz gut, such keine neuen Leute mehr
Der Kreis ist von heute an zu”
“So ist HipHop halt” scheint als Ausrede nicht mehr zu ziehen und es ist schön zu sehen, dass nicht nur die Zeckenrap-Szene mal klarmacht, dass es 2017 und langsam mal gut mit der homophoben Scheiße ist. Schön zu sehen ist auch, dass Casper am Ende noch einmal seine “Auf und davon”-B-Seite “Kreis” aufgreift und ins Extrem zieht. So wird aus “Mein Kreis bleibt klein” “Der Kreis ist von heute an zu”.
“Morgellon”
Bevor wir über den Song an sich sprechen, ist hier ein extrem fettes Shout-Out an BLVTH angebracht. Dieser Beat ist einfach mal das Brett des Jahres und wer hier nicht wenigstens sitztanzt, hat keine Gefühle. Wie der Name “Morgellon“, der Lieblingskrankheit aller Alühüte, schon vermuten lässt, schießt Casper hier auf alle Verschwörungstheoretiker.
“Da kommen Gifte vom Himmel und im Wasser, das du trinkst
Die sammeln Infos geschickt in Personalausweisen drin
Langeweile die ganze Zeit, mein Arbeitsplatz ist hin
Schuld an allem, is’ klar, ganz einfach die Politik”
In knapp vier Minuten kommt wirklich jede relevante Verschwörungstheorie vor. Die Kondensstreifen am Himmel sind in Wahrheit Chemtrails! Unseren Personalausweis müssen wir immer mitführen, damit die Regierung uns überwachen kann!! DIE VERDAMMTE POLITIKELITE!!!
“In meiner kleinen Blase mach’ ich es mir kuschelig
Jeder weiß, dass 9/11 Unsinn ist
Dunkele Mächte sind dahinter, wahrscheinlich sogar der Zuckerberg”
Die beiden allerwichtigsten “alternativen Fakten” dürfen natürlich nicht fehlen. Der Anschlag aufs World Trade Center war nur eine große Inszenierung und vermutlich steckt da, wie überall, eine geheime jüdische Elite dahinter!
Auf “Morgellon” ist einfach jeder Schuss ein Treffer und das auf dem Beat des Jahres. Schön zu sehen, dass Casper auch ohne Indie-Instrumental im Hintergrund richtig abliefern kann.
“Wo die wilden Maden graben”
Als die Trackliste von Lang lebe der Tod veröffentlicht wurde, war ich auf keinen Track gespannter als auf “Wo die wilden Maden graben”. Da kommt einfach mal ein Rapper und benennt seinen Song nach dem Roman des Sängers meiner ersten richtigen Lieblingsband – Muff Potter. (Den Roman gibt es übrigens als Hörbuch auf Spotify. Er ist sehr gut.) Und dann geht der Song los und es ist einfach Punkrock? Spätestens damit hat sich Lang lebe der Tod einen Platz in meinem Herzen erobert. Und Casper schmeißt hier wieder mit Referenzen um sich, als wären es Süßigkeiten an Karneval.
“Das ist alle gegen alle
Jeder mit jedem”
Ähnlich wie Zugezogen Maskulin, die gleich ihr ganzes Album Alle gegen Alle nennen, dürfte das hier eine respektvolle Verbeugung vor Slime sein.
“Das ist Neverland Baby, keiner wird alt
Jeder sendet, kein Empfang”
Die für mich schönste Referenz des ganzen Albums. Denn sie spielt erstens auf Kettcars “Das ist Graceland Baby, keiner wird erwachsen” an, aber noch viel wichtiger: Als Casper auf “Im Ascheregen” von “1/3 Heizöl, 2/3 Benzin” sprach, war das seinerseits schon eine Referenz auf Kettcars “48 Stunden”, die sich das wiederum aus Slimes “Bullenschweine” gezockt hatten. So wird dieser eine Satz eine Referenz-Inception, die tiefer geht als jeder Christopher Nolan-Film.
“Das ist Springbreak Baby, jeder gefickt
mit mehr Gesichtern als Jaquen H’ghar”
Ach ja, Game of Thrones schaut Casper also auch noch.
“Deborah”
Hier möchte ich eigentlich nicht viel kommentieren, da es die Wirkung des Songs mindern könnte. Wer wissen will, wie sich Depressionen anfühlen: Ganz genau so.
“Mein Telefon platzt aber nehme nicht ab.
Briefe kommen weiß zu blau zu gelb
Erst Strom, dann Heizung ausgestellt.
Kein Fieps, kein Ton, bleib regungslos
wenn der Hausverwalter mal schellt.”
“Meine Kündigung”
Ähnlich geht es mir bei “Meine Kündigung”. Nur dass hier zu den Depressionen noch der öffentliche Druck und Ruhm mit im Spiel ist.
“Bin und war kein Held, den ihr braucht
Will untergehen in Wellen von Applaus
Überwältigend laut oh ja
Und wenn’s soweit ist dann hält mich nichts auf
Macht mir kein Denkmal, stellt mich nicht aus
Will einfach endlich hier raus oh ja”
Nur die Batman-Referenz möchte ich noch einmal betonen. Denn der ist bekanntlich der Held, den Gotham braucht, auch wenn es ihn nicht will.
“Flackern, Flimmern.”
Und mit einer Mischung aus “Kontrolle/Schlaf” und Metal-Riffs(!!!) findet Caspers viertes Studioalbum einen sehr krönenden Abschluss und bezieht sich dabei auf Lucky Number Slevin, einen Film, den jeder gesehen haben sollte.
“Solang die Stimme noch hält
Und ich dem Herzinfarkt entkomme bleibt es Kansas City Shuffle
Schauen alle rechts
zieh’n wir links vorbei, für alle Zeit.”
Mit Lang lebe der Tod hat Casper selbst das wichtige XOXO noch einmal übertroffen. Und vielleicht erreicht er durch den neuen Stil sogar Leute, die bisher nicht viel mit dem “Emorapper” anfangen konnten.
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Wenn ihr jetzt genauso gehyped seid wie wir, könnt ihr Casper ab Oktober 2017 hier live sehen:
31.10.2017 – Münster (Halle Münsterland)
02.11.2017 – Luxembourg (Den Atelier)
03.11.2017 – Zürich (Samsung Hall)
04.11.2017 – Stuttgart (Schleyerhalle)
08.11.2017 – Hamburg (Sporthalle Hamburg)
10.11.2017 – Dortmund (Westfalenhalle)
14.11.2017 – Wien (Stadthalle)
17.11.2017 – München (Zenith)
18.11.2017 – Frankfurt (Festhalle)
21.11.2017 – Leipzig (Arena)
22.11.2017 – Bremen (ÖVB Arena)
24.11.2017 – Berlin (Max-Schmeling-Halle)
25.11.2017 – Hannover (Swiss Life Hall)
09.03.2018 – Würzburg (S. Oliver Arena)
10.03.2018 – Erfurt (Messehalle)