Was glaubst du, wie Eiscreme mit Schweinefleisch-Geschmack aussieht? Eine Kugel braune Pampe, vielleicht garniert mit ein paar Speckwürfelchen? Falsch. Die überraschend unauffällig cremefarbene Süßspeise wird – zum Glück ohne Stücke – in einem einfachen Glas serviert. Und sie schmeckt luftig, süß und salzig, geht überraschend gut runter und wird am Ende durch einen Hauch Fettgeschmack abgerundet.
“Manche Leute sagen, dass das Eis wie Vanille schmeckt, aber da ist keine Vanille drin”, sagt Patrice Riauté, einer der beiden Schöpfer des ungewöhnlichen Desserts. Die andere Hälfte des Duos ist seine Frau Catherine. Beide leben in Parcé-sur-Sarthe, einer idyllischen ländlichen Gemeinde mit 2.000 Einwohnern im Westen Frankreichs. Dort züchten sie Hennen und betreiben einen Milchbauernhof, auf dem sie jedes Jahr rund 350.000 Liter Milch produzieren.
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Nachdem die Riautés ihre Schweinefleisch-Eiscreme 2018 zum ersten Mal auf dem örtlichen Markt angeboten hatten, wurden sie schnell von lokalen und internationalen Nachrichtenagenturen kontaktiert. “Das Telefon hat drei Tage lang durchgeklingelt”, sagt Patrice. “Das gab uns einen ordentlichen Boost.” Die beiden traten in einigen TV-Shows auf, aber mit der Zeit wurde ihnen die mediale Aufmerksamkeit zu viel. “Wir fühlten uns irgendwann wie Zirkus-Freaks”, erzählt Catherine. Also entschied das Paar, ihre meistverkaufte Eiscreme-Sorte zumindest für einige Monate aus dem Sortiment zu nehmen.

Ihren eigentlichen Ursprung hat die besondere Eiscreme der Riautés im Jahr 2017. Damals probierten sie das Rezept zum ersten Mal aus, um die Leute neugierig zu machen und um sich von der Konkurrenz abzuheben. Das Originalrezept stammt aber gar nicht von ihnen, sie haben es neben einigen anderen Geschmäckern von einem unbekannten Unternehmen übernommen.
Die Riautés sind eigentlich eine typische Bauernfamilie, aber während der Milchkrise 2009 mussten sie ihr Geschäft ausweiten, weil die fallenden Milchpreise ihre Lebensgrundlage bedrohten. Ihr Sohn Mathieu hörte zufällig mit, als sie darüber diskutierten, ihre Tiere zu verkaufen, und er flehte sie an, das nicht zu tun. So kam es zu der Entscheidung, nicht mehr nur Milch anzubieten, sondern auch weitere Milchprodukte. Dieser Entschluss wurde im April 2015 dann nochmals gefestigt, als die EU die sogenannte “Milchquote” zurücknahm – eine Obergrenze für die Milchmenge, die Milchbauern verkaufen konnten, ohne eine Strafe zahlen zu müssen. So wurde ein kompletter Sektor plötzlich den Schwankungen des freien Markts ausgesetzt und viele Unternehmen gingen daran zugrunde.

Von da an fing die Familie an, Eiscreme zu produzieren, und landete schließlich ihren auf Schweinefleisch basierenden Hit. Was die Sorte aber zu mehr als nur einem Gimmick macht, ist eine spezielle Zutat: sorgfältig zubereitete Schweine-Rillette – auch Schweinepastete genannt – vom örtlichen Metzger Sébastien Freteau.
Obwohl oft von Pastete die Rede ist, ist Rillette eigentlich schonend gegartes, in Fett eingelegtes Fleisch. “Man schneidet das Fett vom Schweinefleisch ab und sautiert es für zwei oder drei Stunden. Dann schmilzt es wie Gruyère-Käse”, erklärt Freteau. “Anschließend kommen die Schweinefleischstücke in das geschmolzene Fett.” Schließlich nimmt der Metzger einen riesigen Rührlöffel und zerteilt das inzwischen zart gewordene Fleisch.

Freteau hat sein Rillette-Rezept für die Eiscreme leicht abgeändert. “Statt 50 Prozent Fett und 50 Prozent Fleisch ist die Mischung hier 70 zu 30. Außerdem ist das Ganze weniger salzig als sonst”, sagt der Metzger. Jede Woche werden ein paar Kilo seiner verfeinerten Rillette in die Süßspeise der Riautés gemischt. “Wenn die Eiscreme die Zunge berührt, schmeckt man sofort die Milch”, sagt Freteaus Frau Karine. “Dann folgt das Schweinefett.”


Hergestellt wird das besondere Eis in einem unauffälligen Gebäude am Ende einer von Kuhweiden gesäumten Straße. Dort verwandelt Catherine Riauté jährlich 2.500 Liter Milch in rund 50 verschiedene Eiscreme- und Sorbet-Sorten. “In Sachen Quantität gehört das Schweinefett-Eis gar nicht zu unseren Bestsellern”, sagt sie. Durch ihren Tonfall wird direkt klar, dass sie keinen Bock mehr darauf hat, dass die Leute so auf diese eine Sorte fixiert sind.
Wer jetzt wissen will, wie genau sich die berühmte Eiscreme zusammensetzt, hat Pech. Da das Rezept an sich immer noch einem großen Konzern gehört, riskieren die Riautés eine Geldstrafe von 150.000 Euro, wenn sie Details verraten. Die grobe Herstellungsweise ist hingegen kein Geheimnis. Als erstes erhitzt Catherine Riauté neun Liter Milch pro 800 Gramm Fett. Dann vermischt sie die heiße Milch in einer industriellen Eiscreme-Maschine mit Eiern und der Rillette. Dabei kühlt die Masse ab und wird zum Endprodukt.

Derzeit verkaufen die Riautés aber kaum Eiscreme. Wie viele andere Bauernhöfe muss ihr Geschäft einen Schlag nach dem anderen wegstecken. Frankreich ist zwar weiterhin die größte landwirtschaftliche Kraft in Europa, aber die Zahl der Bauernhöfe dort ist in den vergangenen 30 Jahren um 50 Prozent zurückgegangen. Der landwirtschaftliche Sektor steckt in allen EU-Mitgliedsstaaten in der Krise, zwischen 2005 und 2016 haben ungefähr ein Viertel aller Bauernhöfe dichtgemacht. Die Landwirtschaft wird von der EU grundsätzlich stark subventioniert, aber Experten gehen davon aus, dass ein Großteil dieser Gelder bei den großen Unternehmen landet und nicht in den Taschen der kleinen Bäuerinnen und Bauern, die sie am dringendsten benötigen.

Manchmal spielt Patrice immer noch mit dem Gedanken, seinen Hof aufzugeben. Derzeit können sich die Riuatés aber noch über Wasser halten, zum Teil auch dank ihrer unüblichen Eiscreme. “Eigentlich muss ich auf den Märkten nur ein Schild aufstellen, auf dem steht, dass ich Schweine-Rillette-Eis verkaufe. Und schon rennen mir die Leute die Bude ein”, sagt Catherine. “Manche Leute kommen wirklich nur für diese Sorte. Sie ist und bleibt einfach ein Renner.”












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