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Rechtspopulismus

So erreichst du, dass dein rechter Kollege gefeuert wird

Verdi hat da einen nützlichen Ratgeber herausgegeben – und sich einen Shitstorm eingefangen.

Das Blöde an den Menschen ist ja, dass man einfach nie weiß, was sie denken, wenn sie es einem nicht gerade erzählen.

Die politische Einstellung zum Beispiel – es läuft ja nunmal nicht jeder mit einem Button seiner Lieblingspartei auf dem Hemd herum. Wie soll man da also sicher wissen, ob die nette Mittvierzigerin aus dem Controlling nicht heimlich die AfD wählt? Und Carsten, der mich gerade angepflaumt hat, weil ich seine Kaffeetasse benutzt habe: Ist er vielleicht ein Reichsbürger? Wer kann mir garantieren, dass der kurzhaarige Typ an der Stanzmaschine nicht am Wochenende Neonazi-Demos anführt?

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Gott sei Dank gibt es Verdi. Die emsigen Funktionäre der zweitgrößten deutschen Gewerkschaft haben sich genau dieses Problems angenommen und jetzt eine "Handlungshilfe für den Umgang mit Rechtspopulisten in Betrieb und Verwaltung" herausgegeben. Das zweiseitige Pamphlet ist randvoll mit nützlichen Tipps, wie man Rechte am Arbeitsplatz nicht nur identifiziert, sondern dann auch effektiv unschädlich macht – indem man sie zum Beispiel feuern lässt.

"Rechtspopulismus erkennt man selten an äußeren, optischen Zeichen", heißt es dort zwar. Aber dann listet die Broschüre alles auf, "worauf zu achten sich lohnt": rassistische Sprüche, Agitation für die AfD, das Tragen von einschlägigen Klamotten-Marken wie Thor Steinar. Aber auch nach subtileren Zeichen soll man Ausschau halten: zum Beispiel, was für Kommentare der Kollege auf Facebook so von sich gibt. Oder auch, mit wem er da überhaupt befreundet ist.

Wenn sich das für dich ein bisschen creepy und nach Bespitzelung anhört, dann bist du nicht der einzige. Vor allem rechte Blogs und Zeitungen sind empört: "Verdi fordert Mitglieder zum Spitzeln auf", titelt die Junge Freiheit, das Ganze sei ein "Aufruf zum Ausspähen und Denunzieren", schimpft auch der rechte Blog Tichys Einblick. Aber auch aus dem bürgerlichen Lager kommt Kritik: "Hallo, könnt ihr mal kurz erklären was es damit auf sich hat?" fragt der Bild-Reporter Peter Rossberg die Gewerkschaft auf Twitter. "Bzw. zu welchem Zweck es solche Bögen gibt?"

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Noch komischer als die Tipps zur Erkennung von Rechten sind aber die Handlungsempfehlungen, die Verdi dem motivierten Anschwärzer an die Hand gibt. Man soll nämlich unbedingt darauf achten, "dass Rechtspopulisten nicht als Opfer oder Märtyrer wahrgenommen werden!" Außerdem empfiehlt das Blatt, erstmal abzuchecken: "Hat die Person eine eigene 'Hausmacht'? Und wenn ja, kann man es sich erlauben sich mit der anzulegen?"

Wenn man dann sichergestellt hat, dass der Betroffene nicht allzu viele Freunde im Betrieb hat ("Soziales Umfeld: wie ist die Person, sind die Personen verwurzelt – nur verschrobene Einzelgänger/innen?"), dann kann man getrost zum nächsten Schritt übergehen: Man kann die Person zum Beispiel ansprechen. Man kann sie aber "in betrieblicher/außerbetrieblicher Öffentlichkeit" outen. Oder man geht gleich zum Chef: "Viele Arbeitgeber wollen keine betrieblichen Konflikte wg. rechtspopulistischen Engagement und sind bereit zu helfen", heißt es dazu in der Broschüre. Was das bedeutet, kann man sich ausmalen.

Natürlich sollte man dagegenhalten, wenn Rechtspopulisten versuchen, die Stimmung im Betrieb zu vergiften, oder anfangen, Hetze zu verbreiten. Aber die Empfehlungen von Verdi lesen sich mehr wie eine Anleitung, wie man hintenrum eine firmenumspannende Intrige gegen einzelne Kollegen orchestriert. Vielleicht hat Verdi das mittlerweile selbst gemerkt. Offiziell hat die Gewerkschaft auf die Kritik noch nicht reagiert, den Ratgeber hat sie aber trotzdem offline genommen (archiviert ist er aber noch zu sehen).

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Trotzdem kam es, wie es kommen musste: Der Bogen hat einen wahren Hurrikan von dämlichen Nazi-Vergleichen ausgelöst. Vorgeprescht ist (natürlich) die AfD Berlin. Die hat gleich eine Grafik gebastelt, in der Rechtspopulisten – was sonst? – die neuen Juden sind.

Auf Twitter wird Verdi jetzt entweder "Stasi-Spitzeln" vorgeworfen, oder sie seien gleich "wie die Nazis früher". Beatrix von Storch von der AfD nannte Verdi "eine offizielle Verbrecherorganisation", "eine Gefahr für unsere Demokratie" und "Verfassungsfeinde" – und das alles in einem Tweet.

Darauf reagierte dann wieder eine linke Facebook-Seite, denn Gewerkschaften als Verbrecher zu bezeichnen, das gab es ja "schon mal". Wann denn? "Ach ja, 1933…". Damit war der Kreis der Nazivergleiche auch schon aufs Schönste geschlossen: Innerhalb weniger Stunden hatten sich alle Seiten so zügig des Nazismus bezichtigt, dass wir jetzt eigentlich alle ein bisschen früher ins Wochenende gehen können.

Verdi empfahl in einer Broschüre übrigens auch, auf die "Außenwirkung" der Maßnahmen zu achten: Man solle nach Möglichkeit vermeiden, "dass ein betriebliches Vorgehen gegen Rechtspopulisten nach außen transportiert wird und so gegen BR, PR oder ver.di-Aktive gewendet werden kann". Hat in diesem Fall nicht so toll geklappt.

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