Ich war 4 Tage im Gefängnis, weil ich betrunken ein Fahrrad geschoben habe

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Ich war vier Tage im Gefängnis, weil ich betrunken mein Fahrrad geschoben habe. Genauer gesagt, weil die Polizei es seltsam fand, dass ich, nachdem ich ein paar Meter gefahren war, abgestiegen bin und die Richtung geändert habe. Beim Blastest lag ich knapp über dem Grenzwert von 0,4mg/l Atemluftalkohol und musste sofort mit zur Polizeistation, um den Test nochmal an einem geeichten Gerät zu wiederholen. Es waren genau 0,40mg/l. Der Beamte erklärte mir, da könne man nichts machen und es würde 800 Euro kosten. Je nach Einkommenssituation vielleicht auch etwas weniger.

Einen Monat später musste ich bei der Polizei erscheinen, wo mein Einkommen ermittelt und die zu bezahlende Strafe auf 500 Euro plus 50 Euro Verwaltungsgebühr festgesetzt wurde. Ich bekam noch keinen Erlagschein sondern sollte das nächste Schreiben abwarten. Wer ihn nicht bezahlen kann, hat die Möglichkeit, ein Jahr um Aufschub anzusuchen oder die Strafe abzusitzen. Vier Tage wären das in meinem Fall. Sechs Wochen später kam ein nicht eingeschriebener Brief, eine Mahnung mit der Aufforderung, den ausständigen Betrag plus Mahngebühr unverzüglich zu bezahlen, was mir momentan nicht möglich war.

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Ich ging am nächsten Werktag zur Polizei, um das zu klären und erhielt zwischen Wartezeiten die widersprüchlichsten Auskünfte. Erst hieß es, Aufschub oder Absitzen der Strafe sei nicht mehr möglich, dann, dass ich zwar dafür ins Gefängnis gehen könne, aber der Betrag trotzdem noch bis zu 30 Jahre später eingetrieben würde. Die nicht existierende Erstaufforderung zur Bezahlung war natürlich ein bürokratisches Unding. Da ich mich vorher über die rechtliche Situation informiert hatte, wurde mir bald klar, dass die Beamten selbst keinen Plan hatten, und ich sagte ihnen, dass ich den Betrag nicht bezahlen kann und deshalb die vier Tage absitzen werde und nichts weiter von mir verlangt oder eingetrieben werden kann. Das akzeptierten sie. Eine Terminabsprache war kurioserweise nicht möglich, ich sollte einfach ab und zu vorbeikommen und fragen, ob gerade was frei ist. Wie wir seit Orange is the New Black wissen, ist eben auch eine Gefängnisstrafe nur der ganz normale bürokratische Bullshit.

Am nächsten Vormittag fragte ich nach einem Zimmer für vier Nächte und durfte meine Haft auch gleich in der Justizanstalt am Paulustor antreten. Dorthin kommen hauptsächlich Schubhäftlinge, Untersuchungshäftlinge und Leute, die Verwaltungsstrafen absitzen. Auf dem Begleitschein gab die freundliche Beamtin als Antrittszeit 11:15 Uhr statt 11:45 Uhr an, vielleicht um mir eine halbe Stunde zu ersparen. Mit diesem Schein musste ich mich bei einer blauen Tür melden, bei der ich natürlich sofort gefragt wurde, wo ich mich denn die letzte halbe Stunde aufgehalten hätte. Ich sagte, ich hätte mich im Gebäude verirrt. Der Polizist sah mich streng an, äußerte sich aber nicht weiter dazu.

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Zuerst musste ich meinen Ausweis abgeben und meine Daten wurden aufgenommen. Dann wurde mein Rucksack ausgeräumt und ich musste Handy, Bankomatkarte und Schlüssel abgeben. Mein Bargeld wurde gezählt, es waren 2,28 Euro. Kleidung, Kosmetikartikel und Bücher durfte ich nach sorgfältiger Überprüfung wieder in den Rucksack packen. Dann kam ich erstmal in eine Zelle, die nur eine Pritsche und ein dreckiges Klo beinhaltete. In die Stahltür war ACAB geritzt. Es kam nochmal jemand, um mich mein Handy, das er für ein iPhone hielt, ausschalten zu lassen und ein weiterer, um mich nach meiner Staatsbürgerschaft zu fragen, die er meinem deutschen Personalausweis offenbar nicht entnehmen konnte.

Nach einer Viertelstunde holten sie mich wieder ab. Ich musste mich komplett ausziehen und jedes Kleidungsstück wurde abgetastet. Dann wurden mir noch diverse Fragen zu meiner Gesundheit und psychischen Verfassung gestellt und ich musste die Kenntnisnahme mehrerer Informationsblätter ungelesen unterschreiben. „Einfach unterschreiben, sie haben dann ja genug Zeit zum Lesen”, meinte der Beamte. Jeder Häftling kommt zuerst in eine geschlossene Station und kann, tadelloses Verhalten vorausgesetzt, nach ungefähr einer Woche in eine offene Station verlegt werden, in der die Zellen zeitweise verlassen werden dürfen und Zugang zu einem Aufenthaltsraum besteht. Da ich nur vier Tage bleibe, könne ich voraussichtlich schon nach zwei Tagen in die offene Station, erläuterte der Beamte.

Er händigte mir Bettwäsche und zwei winzige Handtücher aus. Damit und mit meinem Rucksack wurde ich jetzt in den 2. Stock, die geschlossene Station, geschickt. Mein Rasierer und Deo (Glasflasche) kamen in ein Schließfach, auf das ich unter Aufsicht jederzeit Zugriff haben sollte. Dann wurde ich in meine Zelle geführt, ein schäbiges Loch mit einem eisernen Stockbett, einem grauen Wandregal, einer durch eine niedrige Metallwand abgetrennten Toilette mit Waschbecken und Metallspiegel und einem an der Wand montierten Gestell mit einem kleinen Tisch und zwei Sitzflächen.

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In den Tisch waren diverse Kunstwerke geritzt, darunter ein Backgammonbrett, eine Aufforderung, die Piraten zu wählen, sowie allerlei Namen und Sätze in verschiedenen Sprachen. Ein Hakenkreuz hatte einen halbherzigen Entfernungsversuch hinter sich. Einen Hitler-Schriftzug konnte ich mehr oder weniger glaubwürdig in “Hubert Auer” (Grazer Bäckerei) umwandeln.

Die Fenster waren undurchsichtig und vergittert. Nun hatte ich wirklich ein bisschen Zeit, um die Informationsblätter zu lesen, die insbesondere die Wichtigkeit des Händewaschens betonten und ansonsten Aufschluss über Rechte und Pflichten der Häftlinge gaben. Zu den Pflichten zählt unter anderem „einmal wöchentlich eine warme Dusche zu nehmen und erforderlichenfalls Desinfektionsmaßnahmen zu dulden.” Wer einen Hungerstreik durchführt oder androht kommt außerdem nicht in die offene Station.

Bald öffnete sich die Zellentür und ein gesetzter Mann mit einem grauen Mantel und fettigem Kopfhaar gab mir einen roten Plastikbecher. Er war Hausarbeiter, und hatte sich seit seinem Haftantritt scheinbar ein bisschen profiliert, sodass er inzwischen verschiedene Aufgaben übernehmen durfte. Vier Tage sind eh gleich vorbei, meinte er.

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Kurz darauf ging die Tür wieder auf und ein traurig dreinblickender, stoppeliger Teddybär reichte mir einen zerkratzten blauen Plastikteller mit einem abgründig aussehenden Reis-Kotze-Gemisch. Es schmeckte zum Glück etwas besser als es aussah, machte aber nicht satt. Zu meiner Freude erschien der Teddybär nochmal, diesmal mit einem höflichen Skinhead, und ich bekam eine Riesenportion Käsespätzle und grünen Salat, beides durchaus genießbar. Eingesperrt verzehrte ich das Mahl, während draußen ein Gewitter aufzog. Ich hatte gerade begonnen ein Buch zu lesen, als wieder Schlüsselrasseln ertönte. Diesmal wieder der mit dem fettigen Kopf. Er zeigte mir, wie man halbe Riesenportionen Käsespätzle ordnungsgemäß im Klo entsorgt, ohne es zu verstopfen und wo man die leeren Teller zur Abholung platziert, nämlich im Regal neben der Tür.

Die nächsten Stunden über saß ich einfach nur in diesem elenden Raum. Von draußen hörte ich Polizistengelächter, Fernsehgeräusche, Diskussionen über die Müllrunde und die Beschwerden eines Häftlings am Telefon. Die Zeit bis zum Abendessen war eine Ewigkeit. Dass ich keine Uhr hatte, machte es nicht besser. Irgendwann wurde ich noch gefragt, ob ich etwas einkaufen will (Dienstag ist Einkaufstag), aber ich lehnte mit meinen 2,28 Euro dankend ab. Schließlich kam das Abendessen. Es bestand aus vier Scheiben labbrigem Brot, einer Aufschnittwurst und einer Essiggurke. Nach dem Schichtwechsel besuchte mich ein lächerlich gut gelaunter älterer Polizist und fragte mich mit zehn schnellen Fragen, wo ich herkomme und wo das denn genau liegt. Der graubemantelte Teddybär stand missmutig daneben.

Um acht dürfte ich fernsehen, bis dahin wurde wieder zugesperrt. Als es schließlich soweit war und er mich zum Aufenthaltsraum führte, stand der Fettkopf gerade am Gang. Er hatte anscheinend mitbekommen, dass ich Deutscher bin und rief mir nach „Was wüst’n überhaupt in Österreich? Wirst eh nur eingsperrt!” Im Aufenthaltsraum war niemand außer mir und dem Fernseher. Ich hasse fernsehen. Trotzdem war es eine willkommene Ablenkung. Gelegentlich schaute der gut gelaunte Polizist rein. Es schien ihn zu wundern, was ich mir ansah (Nachrichten und einen Spielfilm über das Attentat von Sarajevo).

Die erste Nacht war den Erwartungen entsprechend ungemütlich. Das Bett war gerade lang genug, draußen ein Licht, das die Zelle erhellte und das Fenster ging nicht richtig zu, so dass ständig ein kalter Wind herein wehte. Das war wohl der einzige Sinn von diesem fucking Fenster, durch das man nicht einmal nach draußen sehen konnte. Ich schlief nicht besonders ruhig, war aber wegen der frühen Schlafenszeit erstaunlich ausgeschlafen, als am frühen Morgen jemand einen unglaublichen Lärm vor meiner Tür veranstaltete, diese aufsperrte, seinen Kopf kurz hereinsteckte und wieder verschwand. Weckdienst, 6:00 Uhr laut Hausordnung.

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Ein paar Minuten später schaute nochmal ein Polizistenkopf herein, der immerhin „Morgen” sagte, bevor er die Tür wieder zuhaute. Ich stand auf, streckte mich, zog erstmal meine Sachen vom Vortag an und drückte dann den Sprechanlagenknopf neben der Tür. „Ja, bitte?” meldete sich eine Frauenstimme. „Ich würde gerne duschen”, sagte ich. Plötzlich sehr genervt antwortete sie mir, der Beamte würde schon noch kommen und legte auf. Als mir etwas später der Teddybär einen Besen brachte, fragte ich ihn, wie das hier so läuft mit duschen.

„Duschen ist Samstag”, antwortete er.

Nach weiterer Nachfrage erfuhr ich, dass Dienstag und Samstag die Duschtage sind. Es war Mittwoch. Am Samstag würde ich rauskommen. Er sagte, er fragt, ob es Ausnahmen gibt. Der höfliche Skinhead bot mir noch Utensilien zum nass Wischen an, ich sah aber keine Notwendigkeit dafür, unter anderem, da ich während seines Besuchs gerade urinierte. Als ich gerade dabei war, mich am Waschbecken zu waschen, stürmte der „Morgen”-Kopf herein. Dieser Kopf war viel zu klein für den ihn tragenden Körper und überaus schrumplig und hässlich. „Bei uns wird am Samstag geduscht, da gibt es keine Ausnahmen”, schoss es hervor. „Bis Samstag sind sie eh noch da, dann können sie duschen.”

„Danke, aber am Samstag werde ich zuhause duschen.”

„Gerade wenn sie nach Hause kommen sollten sie vorher duschen!”

„Nein danke, meine Dusche zuhause ist sicher schöner.”

Wut stieg in seinen verquollenen Augen empor, er schnappte nach Luft, rannte hinaus und sperrte die Zellentür zu. Als ich mit dem Waschen fertig war drückte ich nochmal den Sprechanlagenknopf. Ich wollte mein Deo aus dem Schließfach, auf das ich jederzeit zugreifen kann. Statt der genervten Dame meldete sich jetzt der Schrumpelkopf: „Wenn Sie glauben, dass ich jetzt jeden Tag renne und Ihnen Ihr Deoflascherl hole, dann haben sie sich getäuscht!” Also kein Deo.

„Aber man hat mir gesagt, ich kann jederzeit auf die Sachen zugreifen.”

„Ich weiß nicht woher sie diese Information haben, aber das stimmt nicht.”

Klar, mein Deo und Rasierer wurden auf der Station in ein Schließfach gesperrt, damit sie bei meiner Entlassung wieder mit dem Rest der abgegebenen Sachen vereint und mir zurückgegeben werden können. Ich erdreistete mich noch zu fragen, ob ich denn in die offene Station könnte. „In die Offene darf man frühestens nach zehn Tagen [widerspricht Infoblatt, Anm.], so lange sind Sie nicht mal hier, das können Sie gleich vergessen!” Wieder der „Aber man hat mir gesagt”-Satz, wieder die „Ich weiß nicht woher sie diese Information haben”-Antwort. Jetzt begann die Geschichte mich wirklich anzukotzen. Dass es nicht angenehm würde war mir klar. Ich hatte mich selbst für das Absitzen der Strafe entschieden. Musste mich dafür entscheiden, da ich den Betrag nicht bezahlen konnte. Aber vier Tage Isolationshaft ohne Dusche und ohne Deo wegen Fahrradschieben an der Promillegrenze? Wirklich, Österreich?

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Der Teddybär brachte mir das Frühstück: Vier Scheiben Brot, die in Rekordzeit den Übergang von zu weich bis komplett vertrocknet schafften, ein Butterwürfel und ein Honigdöschen. Dazu „Tee”. Ich fragte, ob es auch Kaffee gibt. Der daneben stehende Skinhead meinte mit wissendem Blick, das sei eh so ein Gemisch. Der Geschmack war unbeschreiblich. Wenn man Schwarztee, Löskaffee und die gleiche Menge an Zucker in eine Tasse gibt, diese einige Tage stehen lässt und dann in der Mikrowelle aufwärmt, könnte man vielleicht ein ähnliches Ergebnis erzielen. Beim Essen wurde mir klar, dass es unter diesen Haftbedingungen, insbesondere da ich sowieso nicht in die offene Station käme, meine heilige Pflicht war, einen Hungerstreik durchzuführen. Ab der nächsten Mahlzeit würde ich alles ablehnen.

Eine Stunde nach dem Frühstück musste ich zur ärztlichen Untersuchung. Diese wird bei jedem Häftling innerhalb der ersten 24 Stunden durchgeführt. Beim Verlassen meiner Zelle stieß ich mir den Kopf an. „Autsch”, kommentierte der Schrumpelkopf. Die Untersuchung bestand im Wesentlichen aus Blutdruckmessen und der Frage, ob ich gesund sei, erst durch einen Herrn, dann durch eine Dame im Beisein einer Medizinstudentin, der sie auch meine eingangs ausgefüllten Gesundheitsformulare zeigte. Bei der Rückkehr in meine Zelle schien der Schrumpelkopf gerade weniger schlecht gelaunt zu sein und ich fragte ihn nochmal wegen der offenen Station. Ein deutliches Nein.

Ich saß eine Weile am Tisch, ärgerte mich über die ganze Scheiße und las in meinem Buch, bis zu meinem Erstaunen der Schrumpelkopf die Zelle wieder aufschloss und mir eröffnete, er habe mit dem Chef gesprochen, man könne eine Ausnahme machen, weil ich so höflich sei.

Ab jetzt sprach er mich mit Du an. Ich durfte noch vor 11:00 Uhr, das heißt während der Waschraum mit den Duschen noch geöffnet ist, in die offene Station. Er scherzte noch darüber, wie gemein es wäre, wenn er mich erst nach 11:00 Uhr runter ließe und riet mir, mich nicht mehr an Türen zu stoßen, da er am Nachmittag Sanitäter sei und ich ihn bestimmt nicht mehr sehen wolle. Ich stimmte zu und ging hinunter in den ersten Stock, wo mir meine neue Zelle zugewiesen wurde. Sie sah genauso aus wie die alte, beinhaltete aber zusätzlich eine Klobürste, ein Stück Seife und ein zweites Kissen ohne Bezug. Die Tür wurde offen gelassen.

Während ich mein Bett überzog, erschien ein kugelförmiger, weißhaariger Mann mit Schnurrbart im Türrahmen, lachte und rief „ein Neuer!” Er trug ein weißes T-Shirt und überaus knappe Boxershorts. Wie lange ich bleibe, wollte er wissen und dann erzählte er mir, dass er eigentlich schon raus dürfte, aber aus irgendwelchen Gründen noch eine Nacht bleibt, bevor er sich mit den Worten „Scheiß Verwaltungsstrafe” wieder entfernte. Laut Infoblatt sollte es im Aufenthaltsraum „Spiele und diverse Sportgeräte (z.B. Tischtennis etc.)” geben.

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Als ich den Gang hinunter ging, sah ich in den offenen Zellen Häftlinge, allesamt ältere Herren, die in ihren Betten lagen, rauchten und fernsahen. Jeder außer mir hatte einen Fernseher. Im Aufenthaltsraum stand eine Tischtennisplatte, die nie jemand benutzte. Wozu auch, wenn man den ganzen Tag fernsehen kann? Das andere der „diversen Sportgeräte” war eine viel zu niedrig hängende Klimmzugstange. Ansonsten gab es ein Kartenspiel, eine Tokio Hotel Biografie und allerlei zerfetzte Bücher vergangener Epochen. Im Waschraum duschte ich in einer der vier offenen Kabinen. Über einem der Waschbecken hing sogar ein richtiger Spiegel. Ein Beamter verschaffte mir ganz ohne Murren Zugang zu meinem Deospray.

Wegen der verbesserten Bedingungen lehnte ich das Mittagessen also doch nicht ab (es wäre allerdings nicht schade drum gewesen). Die weiteren Mahlzeiten waren mal mehr, mal weniger genießbar. Das Hausarbeiterteam bestand hier aus einem muskulösen Glatzkopf mit Brille, einem jungen Mann mit Ziegenbart und einem Latino mit hochgebundenen Locken, alle eher wortkarg, aber freundlich. Abends durfte ich wieder im Aufenthaltsraum fernsehen. Ein Raucher gesellte sich eine Weile dazu und lachte manchmal unerwartet. Am dritten Tag um 6:00 Uhr morgens wurde der kugelige Mann entlassen. Ich wurde aus meiner Zelle geholt, um das Erbe an seinem Fernseher anzutreten. Was mich daran am meisten freute, war, dass er die Uhrzeit anzeigte, wenn auch um eine Stunde falsch. Jeweils am Nachmittag, nachts und vor den Mahlzeiten wurden die Zellen zugesperrt.

An zwei Tagen, an denen draußen schönes Wetter war, wurde nachmittags zum freiwilligen Spaziergang gerufen. Außer mir interessierte das niemanden in der Station. Ich wurde dann ins Erdgeschoß geschickt, von wo aus der Hof zu betreten war. Ein karger Teerplatz, zirka 10 mal 15 Meter, umringt von Wänden mit teils vergitterten Fenstern und einem hohen Tor, über dem ein paar Blätter eines Baums in der Ferne sichtbar waren. Beim ersten Mal waren außer mir noch drei Männer zwischen 30 und 40 dort, die im Kreis gingen und einander auf Arabisch anschrien, bis sie sich irgendwann auf eine von drei Bänken setzten und lachten. Ein älterer Herr saß auf einer anderen Bank. Er schien sie zu verstehen. Ich ging auch im Kreis, eine Stunde lang, bis der Ruf „Spaziergang Ende” ertönte.

Bei meinem zweiten Spaziergang war der ältere Herr wieder anwesend, sowie ein etwas jüngerer Typ, der allerlei über verschiedene Gefängnisse zu berichten wusste und meinte, hier sei es eh noch am angenehmsten. Ansonsten hatte ich kaum Kontakt zu anderen Häftlingen, da so gut wie nie jemand den Platz vor seinem Fernseher verließ. Am Donnerstag bekam ich Besuch. Dazu wurde ich in einen Raum im Erdgeschoß geschickt, in dem, durch eine große Glasscheibe getrennt, mehrere Stühle einander gegenüber standen. Durch ein Telefon konnte ich mit den zwei Personen auf der anderen Seite sprechen. Ansonsten verliefen die Tage in der offenen Station jeweils ziemlich gleich und ohne besondere Vorkommnisse.

Zusammenfassend habe ich wahrscheinlich noch nie am Stück so viel Schund im Fernsehen angesehen. Ich habe mich vorwiegend gelangweilt, Bücher gelesen und auf den Tag meiner Entlassung gewartet. Am Samstag war es dann soweit. Ich bekam meine Sachen zurück und sah den Schrumpelkopf wieder. Er sprach mich weiterhin mit Du an, sperrte mir das Tor auf und verabschiedete sich mit „Auf Nimmerwiedersehen”.

Ich verließ die Anstalt mit einer seltsamen Ungewissheit darüber, welchen Nutzen meine Inhaftierung der Gesellschaft gebracht hat. Die Resozialisierung fiel mir nicht schwer. Eine Läuterung blieb jedoch trotz all der Zeit, die ich hatte, um über meine Tat nachzusinnen, aus.