Hollywood, die bizarrste Stadt der Welt

„So leben wir unser Leben. Die Medien schöpfen aus dem Leben, imitieren das Leben, bringen das Leben durcheinander und reflektieren das Leben”, erzählte mir der amerikanische ​Fotograf David Strick, der seine Augen hinter einer riesigen Sonnenbrille versteckt hatte, während wir uns an einen Tisch in einer Bar im östlichen Teil von Los Angeles setzten.

„Weißt du, dass ich an der Beethoven Street zur Schule gegangen bin? Da an der Ecke. Ich habe mein ganzes Leben in Ost-Los Angeles verbracht. Wie langweilig!”

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All die Jahre, die er in der Welthauptstadt des Entertainment verbracht hat, hat Strick sich dem Ergründen der Künstlichkeit gewidmet. „Hollywood produziert eine Kultur, die reflektiert wird. Sie beeinflusst Los Angeles viel stärker als der Broadway New York beeinflusst—und sie beeinflusst die Welt auf die gleiche Weise. Am Anfang der 70er beauftragten mich Zeitschriften damit, die Dreharbeiten und andere Ereignisse in Hollywood zu fotografieren. Mir wurde schnell klar, dass das Phänomen Hollywood über seine einfache Umgebung, den Stadtteil Hollywood, hinauswuchs.”

Um es anders auszudrücken: Für David besteht Hollywood aus Details. Man begegnet dort den Menschen, die über die zahlreichen Events berichten, den VIP-Fotografen, den Menschen, die sich von Tablett zu Tablett bewegen, und den PR- und Marketing-Leuten. „Ich habe mich immer im Hintergrund gehalten und Hollywood aus dieser Perspektive beobachtet. Auf diese Weise habe ich begriffen, dass ich mich über einen längeren Zeitraum mit diesem Thema beschäftigen muss.”

30 Jahre lang hat David Strick nun aus allen Perspektiven über diese überwältigende, florierende Maschinerie, die Hollywood nunmal ist, berichtet. Er hat in den Straßen vor den Studios angefangen, wo für Strick schon zahlreiche Details die Widersprüche der Filmindustrie illustrieren. „1975 hat die New York Times mich damit beauftragt, mir den Stadtteil Hollywood näher anzusehen. Der war nämlich heruntergekommen. Sogar die großen Stellwände fielen auseinander. Das war eine wunderbare Metapher für den Verfall einer Stadt.”

Dieser Anblick hat Strick davon überzeugt, dass er den Mythos Hollywood nur dann verstehen würde, wenn er sich auch die Peripherie anschaut. Er machte mit einer Reportage über männliche und weibliche Prostitution in der Stadt weiter und ebenfalls mit einer Serie über öffentliches Vorsprechen von Schauspielern.

„Ich habe das zusammen mit einem befreundeten Schriftsteller über einen Zeitraum von sechs Monaten gemacht. Wir haben in unserer Freizeit daran gearbeitet. Wir sind zu den größten Vorsprechen in Hollywood gegangen, wo hunderte von Menschen vorsprachen, manchmal als Groucho Marx verkleidet. Während dieser Proben kann man die Schauspieler in dem Moment beobachten, in dem alle ihre Hoffnungen und Träume durch ein einfaches ja, nein oder vielleicht zerschlagen werden können. Es ist faszinierend.”

1988 hat er seinen ersten Bildband veröffentlicht, er trägt den Titel Our Hollywood. Doch für Strick war es in Wirklichkeit nur der Anfang seiner minutiösen Beobachtungen der Winkel und Gassen der Hauptstadt des Entertainment und, dass zu einer Zeit, in der jene noch unangefochten dominierte. „Nachdem ich den Bildband fertiggestellt hatte, war mir klar, dass ich bis jetzt nur an der Oberfläche gekratzt hatte. Das ist das Gegenteil vom Schälen einer Zwiebel. Tatsächlich muss man die Zwiebel wieder zusammensetzen, diese dicke Zwiebel, die aus mehreren Schichten besteht, die alle miteinander verbunden sind.” Obwohl die Veröffentlichung seines Buches ihm neue Türen im Verlagswesen öffnete, ist Strick seiner Leidenschaft für investigative Fotografie und das Format Zeitschrift treu geblieben.

„Nach der Veröffentlichung des Buches bin ich mit der Idee, eine monatliche Serie zu machen auf die Zeitschrift Première zugegangen. Auf diesem Wege würde ich einen Sonderzugang zu den Drehplätzen und dem Inneren der Studios bekommen. Unsere Zusammenarbeit begann 1995 und ich machte mir schnell einen Namen als der Typ, der einmal im Monat ein lustiges und irgendwie interessantes Foto veröffentlicht. Die Rubrik hieß „David Strick’s Hollywood” und bestand aus einem Foto mit einer kurzen Beschreibung. Eine ganze Seite war dafür vorgesehen.” Die Zusammenarbeit hat elf Jahre gedauert, doch auch danach hat Strick Fotos von Hollywood für Printmedien und Internetmedien geschossen, vornehmlich für die Los Angeles Times und den Hollywood Reporter.

„Die ganzen Jahre lang hatte ich immer das Glück, Herausgeber zu finden, um mein Projekt fortführen zu können. Das war notwendig, um weiterhin Zugang zu den Drehorten zu haben und meiner Besessenheit von Hollywood weiterhin frönen zu können, wie riskant sie auch sein mag.”

Außerdem hat Strick seinen Interessenbereich mit der Zeit auch ausgeweitet. In den 1990er Jahren hat er sich auf eine Reportage über die Porno-Industrie in den Vereinigten Staaten eingelassen. „Die amerikanischen Zeitschriften, bei denen ich die Geschichte eingereicht habe, haben sie nie veröffentlicht. Ich bin überzeugt, dass die Redakteure sie gern veröffentlicht hätten, nur durften sie eben nicht. Anordnung von ganz oben. Wer würde ihnen da Vorwürfe machen?”

Die obenstehenden Fotos sind das Ergebnis von mehr als 30 Jahren Recherche in und über Hollywood, seinen Mythos und seine Wirklichkeit. Als wir uns verabschieden, wirft Strick ein Auge auf die Straße vor uns. Wir sehen ein Spektakel, das für die Weltmetropolen im Allgemeinen und für Los Angeles im Besonderen banal geworden ist: eine Mischung aus Autos, unterdrückten Schreien und Fußgängern, die bei Rot über die Straße gehen. Er seufzt. „Ich glaube, was ich an Los Angeles liebe, ist die Tatsache, dass die Stadt erfüllt ist von der schönsten Form von Ironie, der Ironie des Zufalls.”