Ein Gespräch mit einem Rapper, der in sieben Jahren sterben wird

“Es ist ziemlich schwer, etwas darauf zu geben, ob jemand deine Kunst mag oder nicht, wenn du weißt, dass du in sieben Jahren sowieso nicht mehr hier bist.”

Grant Gronewald, ein end-zwanzigjähriger, liebenswerter Rapper, sitzt in seinem riesigen Haus in Melbourne und zählt die wenigen Fucks, die er darauf gibt, was andere von seiner Musik halten. Es sind null. “Niemand wird sich in 100 Jahren daran erinnern, wer du warst. Deine Kunst wird wahrscheinlich nicht länger halten als du selbst.“

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So brutal und unromantisch das klingen mag, so wahr ist es für den Großteil aller Künstler. Nur die Wenigsten werden mit ihrer Arbeit tatsächlich unsterblich und in einen Legendenstatus gehoben. Paradoxerweise hilft dabei häufig der frühe Tod eines Künstlers, der schon in jungen Jahren seine Genialität auf Papier, Platte oder Soundcloud bringen konnte. Oft heißt es, die Besten sterben jung. Während das für manche gar eine romantische Idealisierung des Künstlerlebens ist, ist das für Grant die knallharte Realität. Seine aktuelle Lebenserwartung liegt bei 35 Jahren.

Grant—besser bekannt als HTMLflowers—leidet unter Mukoviszidose, einer angeborenen Nervenkrankheit, die Betroffenen einen erheblichen Teil ihrer Lebenszeit und -energie raubt. Die Krankheit bestimmt Grants Leben, seit er denken kann, und hat die Person, die er heute ist, stärker geformt, als er die Mukoviszidose jemals beeinflussen könnte. Nicht zuletzt wegen dieser fehlenden Kontrolle über seinen Körper beziehungsweise sein Leben steckt Grant all seine Energie in seine Projekte. Sie geben ihm das Gefühl von Kontrolle zurück. In ihnen, allen voran seinem HipHop-Projekt HTMLflowers, spricht der zierliche Rapper eine so eigene Sprache, dass er den Zuschauer unter Garantie in einen Kopfnicker-Rausch versetzt—ob durch einen erleuchtenden Aha-Moment oder “nur“ wegen der dopen Beats.

Beats und Produktion kann HTMLflowers. “Ich bin eben fucking gut“, weiß er selbst zu genau und strotzt vor Selbstsicherheit. Seit er 2009 angefangen hat, mit seinem besten Freund Oscar Key Sung HipHop zu machen (inzwischen mit der Kollaboration Lossless), ist seine Musik einen weiten Weg gegangen. Heute mischt er das Sad-Rap-Game vom anderen Ende der Welt auf. Dass Grant vorher unter diversen Pseudonymen und Genres seinem Leben Ausdruck verliehen hat, ist ihm heute beinahe unangenehm. Paradoxerweise predigt er oft darüber, wie wenig er dieses peinlich Berührtsein in Bezug auf die Vergangenheit bei anderen Leuten verstehen kann. Im Endeffekt ist doch alles egal. Weder die “depressive Folkmusik über die chronische Krankheit“, noch die fröhlich abstrakte, die Krankheit ignorierende LSD-Musik sind im Internet noch zu finden. Dafür führen sein Tumblr, Twitter, Instagram und Soundcloud ein protziges Eigenleben.

Seine Tracks, allen voran “Stormbloom“ und “Clear History“, können mit pointierten Beats, manchmal schmerzhaft ehrlichen Texten, sowie Emotionen von enormer Wut bis zu mitreißenden Alltagsgefühlsduseleien problemlos für sich alleine stehen und dem (nicht ganz ohne Grund) unbeachtetem, australischen Rap-Game etwas mehr Relevanz verleihen. Doch zusammen mit Gronewalds zerstreuter Tumblr-Ästhetik, seiner kompromisslosen Ehrlichkeit und den sozialkritischen Comiczeichnungen entsteht eine ganz eigene Welt, die dich sofort in den Bann zieht: die Welt von HTMLflowers. In sie taucht er selbst ein, wenn er depressiv ist, wenn er mal wieder seinen Tatendrang stillen muss oder die Kontrolle übernehmen will. In sie lädt er aber auch alle ein, die die Welt eines chronisch Kranken verstehen wollen, die sich einsam fühlen oder einfach nur die IDGAF-Attitüde auf einem ganz neuem Level erleben wollen, sodass selbst Kanye nochmal über seine Yeezus-Mentalität zweifeln und sich fragen würde, “How much do I not give a fuck?“

In dieser Welt tut Grant, was immer er will. Steht er auf der Bühne, entlädt er seine Energie gern unter enormen Alkoholeinfluss, rappt dennoch tadellos und schreit immer und immer wieder “I do what I waaaaant“ oder wirft Jelly Beans ins Publikum. Diese Welt ist seine Welt, in der er nicht von einer Lebenserwartung verfolgt wird oder tagtäglich stundenlang schmerzhafte Behandlungen und schweißtreibende Sportübungen absolvieren muss, nur um überleben zu können. Dennoch gibt sich Grant stets Mühe, seine Lebenssituation den unwissenden Leuten “ohne Behinderung“, wie er sagt, zu erklären. In unserem Gespräch bringt er diese Dringlichkeit und fehlende Freiheit immer und immer wieder so treffend auf den Punkt, als er hätte er sein Leben lang über nichts anderes geredet.

“Ich muss jeden Tag meine Behandlungen durchführen oder ich sterbe noch früher. Ich muss jeden Tag Sport machen oder ich sterbe früher. Du kannst entscheiden, heute nicht ins Fitnessstudio zu gehen. Ich kann das nicht. Für mich ist es eine Leben-oder-Tod-Situation.“

Grant stellt seine Verletzlichkeit so offenherzig in den Vordergrund seiner Person, dass sie einen geradezu anspringt—verbal wie ästhetisch. Steht der zierliche Rapper vor dir, ist er nicht größer als ein kleiner Bruder, strahlt aber die Aura eines großen Bruders aus, den du besser als Freund und nicht als Feind haben willst. “Most children that I meet are taller than me / I spend my money like an idiot / I buy a gold chain but I can’t pay rent“, rappt Grant auf einem aktuellen Lossless-Track. Diese offensichtliche Verwundbarkeit und sein Spiel mit ihr verleiht ihm neben einem RiffRaff’schen Selbstbewusstsein auch eine übersinnliche Stärke und Unverfrorenheit, die verwirren und faszinieren kann, allen voran aber beeindruckt.

Während HTMLflowers seine Musik in erster Linie dazu nutzt, um sich besser zu fühlen und seine Gefühlswelt auszudrücken, ist ihm ein gewisses Maß an Gesellschaftskritik mindestens genauso wichtig. Wie das Leben eines chronisch Kranken tatsächlich aussieht, wird in unserer Gesellschaft nur selten adressiert. Stattdessen leben diese häufig in Isolation—ob das im wahrsten Sinne des Wortes ein Leben im Krankenhaus ist oder bloße soziale Isolation. Auch Grant fühlt sich auf einem gesellschaftlichen und sozialen Level komplett entrechtet: “Ich bin behindert, weil wir in einer Gesellschaft leben, in der es keinen Platz für mich gibt. Die Welt ist nicht dafür gemacht, sich um mich zu kümmern.“ Dabei meint Grant nicht etwa seine liebende Familie und Freunde oder ein paar Ärzte, die in seinem Leben sind. Er spricht von einem elementarerem Problem. “Im Grunde scheißt die Gesellschaft auf Kranke und sie wird sich auch keine Mühe geben, solange es keinen fundamentalen sozialen Wandel gibt.“

Grant hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, diese Missstände anzuprangern. Dazu zeichnet er Comics. Mit seiner “No Visitors“-Reihe hat er begonnen, eine abstrakte, aber explizite Sammlung von Krankenhaus-Geschichten zu veröffentlichen, die intim und kompromisslos zeigen, wie es ist, eine Krankheit in dieser Gesellschaft zu haben. In sie lässt HTMLflowers all seine Frustration mit dem Gesundheitssystem fließen, die ihm tagtäglich begegnet. Auf die Frage, ob das Zeichnen ein Ventil für etwaige Frustration ist, begegnet mir Grant bejahend. Er würde sonst vor Wut platzen. Schnell findet er sich in einem Rant über die Konditionen der Medikamentenrecherche, die Geldmacherei der Pharmaindustrie und all den unnötigen Hindernissen, die kranke Menschen gegenüberstehen, wieder, und entschuldigt sich sogleich. Er habe einen zu starken Kaffee getrunken. So wütend ihn all das machen kann, so sehr weiß er, dass der einzige Weg zu helfen ist, die eigenen Fähigkeiten für diesen Zweck richtig einzusetzen. In seinem Fall ist das Comicbücher zu gestalten, Musik zu machen und die Welt wissen zu lassen, was in ihr eigentlich abgeht.


Vollständiger Comic: VICE

“Comics zu zeichnen, fühlt sich für mich an wie eine Pflicht, wie etwas, das ich tun sollte.“ Im Gegensatz dazu ist die Musik, in der HTMLflowers auch viel über Drogennehmen, Spaßhaben, schlechte Beziehungen und schöne Momente im Leben spricht, mehr Spaß als Pflicht und hilft ihm oft aufkommende Depressionen zu überwinden. Sein scheinbar unerschöpflicher kreativer Erguss und Tatendrang ist sogar eine Art Therapie. All diese Dinge zu tun, die er liebt, hilft dem rastlosen Künstler nicht nur einen Sinn zu haben, es lenkt ihn auch von schlechten Gedanken ab, die ihn hin und wieder sogar in Selbstmordfantasien führen. Grant geht sogar soweit, dass er sagt, er sei ein Workaholic, um überleben zu können.

Dieser Antrieb wirkt in beide Richtungen. “Ich wache jeden Tag mit diesem Gefühl auf. Es ist das durchgehende Gefühl, dass du etwas tun musst, bevor du stirbst.“ Gleichzeitig erlaubt er es sich viel mehr als andere, sich in seine Kunst hineinzusteigern. Es ist dieser Jetzt-oder-Nie-Moment, immer und überall, kombiniert mit Grants enormen Talent, das er in seinen künstlerischen Output kanalisiert, um seine Fans in ein Gänsehaut-Bad zu dippen. Da ist es auch wenig verwunderlich, dass sein Track “Strombloom“ ohne Mastering, Label oder Promo fast eine Millionen Plays auf Spotify erreicht hat.

Nicht nur die DIY-Attitüde und die Internet-Präsenz lassen einige Parallelen zwischen HTMLflowers und der jungen Rap-Generation ziehen. Auch die Art in unserer fast schon post-therapeutischen Gesellschaft über Gefühle zu sprechen, zu reflektieren und sich nicht dafür zu schämen, ist markant. Dennoch sieht sich HTMLflowers nicht als Teil dieser Bewegung, er sieht sich eher als Teil eines Gesellschaftswandels, in dem es das Normalste der Welt ist, in Therapie zu gehen. “Wenn du in das Amerika der 80er Jahre schaust, gab es noch ein riesiges Tabu um diese Themen.“

Gronewald ist in den Staaten geboren und in der Nähe von Chicago aufgewachsen. In jungen Jahren ist seine Familie nach Australien gezogen, wo er seit einiger Zeit in der jungen, kreativen Metropole Melbourne lebt. Obwohl sein Freundeskreis hier in erster Linie aus Künstlern und Musikern besteht, fehlt ihm oft der HipHop-Bezug. “Irgendwer sagte mal, dass der australische HipHop immer 15 Jahre hinterher hinkt. Das ist leider wahr.“

Grant bezeichnet sich selbst als HipHop-Head und je mehr wir in die Tiefe gehen, desto deutlicher wird sein fundiertes Wissen. “Meine Mutter hat mich zum HipHop gebracht“ sagt er stolz und balanciert mühelos zwischen Cool- und Nerdness. Während er aufgewachsen ist, hat ihm seine Mutter von Salt’n’Pepper über TLC bis zu Cool Keith und Public Enemy alles vorgespielt und den musikalischen Geschmack ihres Sohns schon früh geprägt. Grant liebt sein Oldschool-Zeug und er liebt sein Newschool-Zeug. Ob er über seine musikalische Früherziehung philosophiert, seine Lieblingszeile von Bladee von den Sad Boys zitiert (“She gave me a love note, but I woke up with a cutthroat“) oder immer wieder mitten im Gespräch anfängt, seine Antworten zu rappen—es ist mehr als deutlich, dass er sich dieser Welt zugehörig fühlt. “Eine Sache, die ich immer an HipHop geliebt habe: Je mehr du du selbst bist, desto mehr wirst du respektiert. Es ist eine Stärke, du selbst zu sein und das ist sehr beflügelnd.“

Die besonders im Rap-Game so beliebte Authentizität motiviert Grant gerade auch, der Welt seine Geschichte abseits von Geld, Gangs, und G’s zu erzählen. Natürlich würde der Junge, der kein Blatt vor den Mund nimmt, niemals vorgeben, jemand anderes zu sein, nur um reinzupassen. Es scheint, als hätte Grant gar jeglichen Anspruch verloren, irgendwo reinzupassen, was er nur zu seinem Vorteil nutzt. Grant spielt mit Authentizität, Fucks und #realrap ein komplett neues Game. Eines, das er selbst so wenig ernst nehmen kann wie das Leben selbst und das einen zwischen Lachen, Weinen und dem Zweifel, ob du nun lachen oder weinen darfst, hin- und her wirft.

“My twitter game strong but my dick game average“

Grant sieht das jedoch alles etwas anders. Er sei niemand, der neue Themen anspricht. “HipHop ist unglaublich divers“, begegnet er und lässt seine Gesprächspartner gerne mit seinem detaillierten Wissen und Monologen über Emo-Rap der 80er Jahre wie einen unwissenden Vollidioten dastehen. “Niemand kann sagen, dass Kool Keith nicht über seine Gefühle geredet hat, oder Biggie. Biggie war der erste Rapper in den 90ern, der gerappt hat, dass er sich umbringen will. Das war schon lange hier.“

Ähnlich wie Biggie macht Grant seine Depression zum Thema. Er spricht offen über manchmal aufkommende Selbstmordgedanken. Allerdings gibt es für ihn noch einen anderen Kontext, in dem er über einen selbstbestimmten Tod nachdenkt. Der Rapper hat definitive Pläne, sein Leben zum richtigen Zeitpunkt zu beenden: “Ich will meinen Tod kontrollieren“. Nicht zuletzt seine ständigen Aufenthalte im Krankenhaus haben ihn davon überzeugt, seine letzten Jahren ebendort nicht zu verbringen, nur um zu versuchen, die Krankheit doch noch auf letzter Strecke zu besiegen. Würde es ihm Befriedigung geben, an einem Herzinfarkt zu sterben und der Mukoviszidose den Mittelfinger zu zeigen? “Falls ich eines Tages auf der Straße von einer Tram überfahren werde, wäre das auch cool. Das wäre ein guter Twist in der Geschichte.“

Euthanasie ist nicht legal in Australien, genauso wenig wie in Deutschland. Dennoch habe er “definitive Pläne“ und natürlich auch eine Meinung zu diesem, nur einem weiteren Fehler im System. “Es ist seltsam, dass es nicht legal ist. Es verletzt die Autonomie von Menschen, nicht fähig zu sein, über den eigenen Tod zu entscheiden. Diese Entscheidung geht wirklich niemand sonst etwas an. Es ist dein verdammtes Leben.“ Wer weiß, sagt er, vielleicht ist Euthansie legal, wenn der Zeitpunkt für ihn gekommen ist. Und falls nicht, gibt Grant—selbstverständlich—keinen Fick darauf.

Man kann wohl problemlos die These aufstellen, dass die meisten Gleichaltrigen sich weniger mit Euthanasie beschäftigen, und dafür mehr mit Altersvorsorge oder der Suche nach der Person, mit der sie alt werden wollen. Für Grant erscheinen solche Probleme, die andere Leute in seinem Alter in eine Lebenskrise stürzen, hingegen banal. Langfristigkeit sei etwas, das keinen Platz in seinem Kopf hat. Auch Monogamie spiele keine Rolle in seinem Leben. “Beziehungen funktionieren nicht besonders gut für mich, weil ich nicht wirklich den Sinn darin erkennen kann.“ So überzeugt er davon ist, dass diese Einstellung von dem Bewusstsein beeinflusst ist, dass er jung sterben wird und so viel Erfahrung wie möglich haben möchte, so sehr ist er auch von der Dummheit von Monogamie überzeugt (“Nichts im Leben funktioniert so“).

Was ihn aber wirklich aufregt, sind andere Sachen: “Wenn Leute mit Magenschmerzen aufwachen und sofort denken, dass sie Krebs haben“ oder “Leute, die anstatt Dinge zu tun, schlafen oder Netflix schauen. Das ist einfach mindblowing für mich.“ Diese Leute brauchen schlichtweg einen Arschtritt, meint er. Grant braucht den nicht. Seine Mukoviszidose ist sein harter und konstanter Arschtritt, der immer und immer wieder zutritt. “Ich fühle mich nie, als wäre ich mit etwas fertig oder als ob ich mich jetzt ausruhen kann.“

Nach meiner langen und intensiven Fragerei gesteht mir der so offenherzige Mensch schließlich: “Manchmal denke ich: Fick auf jede einzelne gesunde Person auf der Welt. Ich erzähle euch gar nichts.“ Verständlich. Manchmal tut er auch genau das. Er erzählt gar nichts. Oder er erzählt von seinen offenen Beziehungen, seinen verrückten Freunden und seiner Goldkette. Seine Krankheit als Teil seiner Person zu ignorieren oder nicht zu thematisieren, kommt ihm aber trotz diesen Momenten des Überdrusses nicht einmal annähernd in den Sinn. “Meistens möchte ich meine Geschichte teilen. Ich möchte, dass andere es besser verstehen. Vielleicht wird die Welt besser, wenn wir das öfter tun würden? Ich weiß es nicht. Vielleicht muss die Welt nicht besser werden. Vielleicht ist alles egal. Vielleicht sollte ich mich morgen umbringen. Ich habe all diese Gedanken dazu. Meistens gebe ich allerdings keinen Fuck.“

Er lacht. Und fügt rappend hinzu: “35 ist bereits meine vierte Lebenserwartung … Die Welt kann mich nicht anfassen / Ich bin einfach zu nasty.“

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