Der Mann auf dem Bild ist nicht einer der befragten Dealern und hat nichts mit dem Artikel zu tun. Header: Alex Holyojake I unsplash I CC by 2.0
Ecstasy-Pillen in Europa sind so stark dosiert wie noch nie – oder sie enthalten nicht das, was du in ihnen vermutest. Während Drug Checking in Österreich zwar legal, aber nur punktuell möglich ist und alte Safer Use-Regeln angesichts der neuen Highs auf dem Prüfstand stehen, stellt sich die Frage, wie diejenigen auf die Situation reagieren, die das Zeug überhaupt erst verfügbar machen: die Drogendealer.
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Nachdem wir gleich mehrfach von Händlern gehört haben, dass sie sich mehr und mehr selbst in der Verantwortung sehen, ihre Kundschaft über Safer Use und Drogenkonzentrationen aufzuklären, haben wir uns mit zwei Dealern zusammengesetzt, die sich selbst als “pflichtbewusst” und “kundenfreundlich” bezeichnen. Bei ihnen gibt es sogar eine Urlaubsvertretung – und mehr als nur Pulver und Pillen.*
Uns haben sie erzählt, wie die neuen Drogen schon jetzt das Geschäft verändern, wie sie mit problematischen Konsumenten umgehen und warum sie selbst als Dealer eine Legalisierung befürworten. Anonym bleiben wollten sie natürlich trotzdem. Das Foto oben ist auch deshalb gestellt und zeigt nicht unsere beiden Interviewpartner.
Hi, es gibt ja in letzter Zeit immer höher konzentrierte Ecstasy-Pillen. Wie ist das für euch und euer Geschäft?
In erster Linie sind die steigenden Konzentrationen super für uns, weil die Kunden “Woohoo!” schreien und sich über besonders gute Ware freuen.
Gibt es auch Kunden, die das eher schlecht finden?
Manche sagen: “Na, dann lieber das Schwache.” Also sehen wir zu, dass wir immer verschiedene Sachen im Angebot haben.
Warnt ihr die Kunden, wenn ihr etwas verkauft, das ziemlich stark ist?
Wir sind extrem pflichtbewusst, informieren uns gut über unsere Ware. Sonst können wir ja keine guten Infos weitergeben. Zwar sind die Infos manchmal auch daneben, aber wenn die Zulieferer seriös sind, dann haben die das auf dem Schirm. Und wir waren auch schon selbst dabei, als unser Zeug getestet wurde, damals, auf der Fusion.
Außerdem geben wir den Kunden auch Tipps, was hemmend wirken kann; also für den Fall, dass sie die Dosierung versauen. Aus eigener langjähriger Erfahrung kennen wir da die entsprechenden Tricks. Wir achten immer darauf, niemandem zu schaden, wollen nicht einfach Sucht schüren.
Wie sieht das konkret aus?
Ein Kunde kam zum Beispiel mit so gut wie gar keiner Drogenerfahrung zu uns. Er hat sich dann erstmal ausführlich beraten lassen und dann nach und nach einzelne Sachen ausprobiert. Hinterher kam er jedes Mal mit einem Erfahrungsbericht wieder.
“Es gibt Leute, denen du sagen willst: “Geh mal schlafen!” Da ist die Drogensucht nur die Spitze des Eisbergs.”
Viele Konsumenten nehmen Drogen, wenn sie feiern gehen. Manche sind dann tagelang unterwegs. Wie verhält sich das mit euren Kunden?
Es gibt zwei Extreme. Es gibt Leute, die haben sich da mehr unter Kontrolle, und das sind auch meistens von vornherein die sympathischeren. Und dann gibt es Leute, die sind das komplette Gegenteil. Das sind jene, denen du sagen willst: “Geh mal schlafen!” Da ist die Drogensucht nur die Spitze des Eisbergs. Die haben Probleme zu klären, die wahrscheinlich bis in die Kindheit zurückgreifen.
In so einem Fall empfehlen wir: “Hör mal auf, deine ganzen Probleme mit diesen Drogen zu verdrängen und arbeite mal was auf.” Drogen machen dich kurze Zeit frei, aber am nächsten Morgen fühlst du dich doch wieder scheiße. Sich stattdessen zu kümmern ist zwar immer unangenehm, aber danach kriegst du ein Gefühl, das dich derart leicht macht … wie verliebt sein.
Gibt es auch eine Grenze, ab der ihr keine Drogen an Konsumenten mehr verkauft? Wenn Ja, wo liegt diese?
Wenn wir merken, dass ein Kunde immer öfter zu uns kommt oder plötzlich eine neue Droge verlangt – typischerweise ist das dann Koks –, dann sprechen wir ihn darauf an und fragen, warum. Je nach Antwort entscheiden wir dann, ob wir ihm noch etwas geben oder nicht. Wir spielen sozusagen gleichzeitig ein bisschen Psychologe und führen dann ausführliche Gespräche mit der Person. Eventuell müssen wir sie dann halt wegschicken.
Habt ihr ein konkretes Beispiel?
Es gab mal einen Ex-Junkie, der zunächst völlig OK war. Aber dann wollte er Koks. Wir waren zuerst unsicher und haben ihn gefragt, ob er darauf klarkommt. Er hat uns dann lange Zeit angelogen, aber irgendwann haben wir herausgefunden, dass er seine Freunde abzog. Er hatte ihr Geld ausgegeben und jetzt saßen die Freunde in Kambodscha fest. Dann kam er eines Tages mit Heroin an und wir haben versucht, ihn davon abzuhalten.
“Wir wollen Geld verdienen. Aber nicht um jeden Preis.”
Wie lief das ab?
Er wollte seine Drogen einpacken und hat seine Dose nicht zeigen wollen, denn da war ja das Heroin schon drin. Wir wussten allerdings aus einem früheren Gespräch, dass er ein Ex-Junkie ist. Einer von uns hat sofort gefragt: “Was hast du denn da?” Er: “Das wollt ihr gar nicht wissen.” Dann war es noch klarer, dementsprechend haben wir dann ohne überhaupt zu sagen, um welche Droge es geht, gesagt: “Tu’s einfach nicht, schmeiß es einfach weg. Wir können das auch jetzt für dich wegschmeißen.” Wir wollten ihn nicht überwältigen und es ihm selbst abnehmen. Dann hätte er sich bloß noch mehr verschuldet und Neues geholt.
Wir hatten danach noch zwei mal telefonisch Kontakt und danach einmal auf der Straße gesehen, ihn aber nicht angesprochen. Obwohl er uns noch ein bisschen Geld schuldet. Aber solche Menschen lügen einfach sofort so hardcore, und das will sich keiner von uns antun. Wenn er eine Story erfinden muss, das ist für ihn noch viel blöder als für uns.
Wie hat sich das für euch angefühlt?
Das ist einfach ein richtig abgefucktes Gefühl, jemanden in seine Abgründe zu schicken. Aber die Geschichte hatte für uns auch einen Lerneffekt: Jetzt werden wir nie wieder jemandem mit so einer Abhängigkeit was verkaufen. Höchstens noch Weed.
Wir hassen es, wenn andere Dealer verantwortungslos sind und sich benehmen, als würden sie einen normalen Laden betreiben. Es geht hier schon um Profit, aber im menschlichen Rahmen. Wir wollen Geld verdienen, aber nicht um jeden Preis.
Gab es noch andere solcher Problemfälle?
Aufgrund dieser Erfahrung hat einer von uns auch einen super ehrlichen Typen weggeschickt. Er sagte uns direkt, dass er schizophren und gerade aus dem Krankenhaus raus war, und gut auf die Medikamente eingestellt sei. Auch sein Umfeld wusste angeblich von seiner Krankheit, sollte aber nicht wissen, dass er jetzt Drogen nimmt. Er kam sich nämlich immer so vor, als würden alle für ihn entscheiden wollen, zu seiner Sicherheit. Seine Kumpels hatten schon anderen Dealern aufs Maul gehauen, weil sie ihm was verkauft haben.
Wir sind damals umgezogen und haben uns entschieden, dass wir ihm nicht mehr sagen, wo wir wohnen. Das war auch eine echt beschissene Unterhaltung, weil erzähl dem mal, dass er da grad nicht von uns bevormundet wird. Wir haben ihm dann die Geschichte mit dem Junkie erzählt, damit er das versteht.
“Es ist ein super schlimmer Moment, jemandem zu sagen, dass er etwas bei uns nichts mehr kaufen darf, aber wir wollen auch verantwortungsvoll handeln und ehrlich sein.”
Wie hat er reagiert?
Man konnte schon merken, dass es ihn wütend macht, aber wir haben ihm gesagt, dass es für uns ein Unding ist. Dass wir nicht das Gefühl haben wollen, wieder dafür verantwortlich zu sein, dass jemand in seine Probleme zurückrutscht.
Außerdem ist so jemand natürlich auch gefährlich fürs Geschäft. Das lernt man aus Erfahrung. Wenn einem jemand zu abgedreht ist, sagt man dem Kumpel, der ihn mitgebracht hat, dass er seinem Freund das Zeug in Zukunft wieder mitbringen soll, oder schickt den Typen direkt weg.
Glaubt ihr, dass ihr ein bisschen zu ihm durchgedrungen seid?
Auf jeden Fall. Einer von uns hat ihn auch ein paar mal umarmt, um ihm praktisch auch körperlich noch mal zu erkennen gegeben, dass wir dankbar für seine Ehrlichkeit waren. Es ist ein super schlimmer Moment, jemandem zu sagen, dass er etwas bei uns nichts mehr kaufen darf, aber wir wollen auch verantwortungsvoll handeln und ehrlich sein.
Wir hassen es einfach, wenn Menschen fies zu anderen Menschen sind. Man muss kein fieser Typ mit Messer und Schlagring sein, um Drogen zu verkaufen. [Einer der Dealer setzt kurz Macho-Körpersprache und Aggro-Blick auf, alle lachen] Wir sind einfach nette Typen, und wenn du den Scheiß verkaufst, dann bist du halt ein netter Typ, der den Scheiß verkauft. Wenn du erst einmal über dieses erste “Boa, ich mach was Illegales” hinweg bist, dann merkst du, es ist einfach nur ein Geschäft, das du aufbaust. Leute kommen zu dir, die was wollen, und das gibst du ihnen dann.
Ihr habt vorhin Koks schon einmal als problematische Droge erwähnt.
Damit musst du grundsätzlich aufpassen, weil diese Droge einen sehr verändert. Es ist keine Droge, die dich umhauen soll, nicht wie MDMA. Sie schüttet nicht einfach Glücksgefühle aus, sondern hat diese komplexe Wirkung aus Genervtsein und Redseligkeit, so dass du am nächsten Tag denkst: “Was warst du denn für’n Hurensohn, Oida.” Du strengst dich viel zu sehr an, denkst zu viel nach, und am Ende sitzt du da und bist viel zu wenig.
Wir erklären auch oft, woran man gutes und schlechtes Koks erkennt. Das, was wir hier kriegen, ist zwar ohnehin weit von “wirklich gut” entfernt, aber es gibt trotzdem Unterschiede. Die Leute denken immer, es muss taub machen, dabei kommt das von dem Streckmittel Lidocain. Was taub macht, ist schlecht.
“Auf Koks strengst dich viel zu sehr an, denkst zu viel nach, und am Ende sitzt du da und bist viel zu wenig.”
Ohnehin gilt Kokain als “blutigste” Droge der Welt, das Geschäft mit dem Stoff kostet jährlich vielen Menschen das Leben.
Als die erste Spannung mit dem Einstieg ins Geschäft ein bisschen abgeflaut war, kam die nächste Frage auf: Können wir das verantworten? Pro Gramm Koks sterben soundsoviele Menschen. Wir hadern mit dieser Sache total, können das überhaupt nicht verantworten oder unterstützen. Aber gleichzeitig ist Südamerika die einzige Quelle und man will ja gern die Bedürfnisse seiner Kunden erfüllen. Aber nur weil wir das holen, sind wir nicht dafür, dass Menschen für Koks sterben. Wir machen das ja nicht selbst. Damit müssen diese Leute aufhören.
Eine Legalisierung ist aus unserer Sicht die einzige Sache, die das beenden kann. Das wäre natürlich schlecht für unsereins, weil wir kein Geld mehr verdienen würden—außer wir finden einen Weg,besser und billiger zu sein. Aber für dieses Problem – und auch für die Suchtbehandlung – … dafür würden wir das in Kauf nehmen. Keiner von uns dealt ja, um hier der Big Baba zu werden. Eher würden wir sagen: “Oh fuck, dann muss ich mir jetzt ‘n Job suchen.”
Ihr betreibt euer “Geschäft” nicht alleine. Welche Vorteile hat es, zusammen zu dealen? Ist es eine bewusste Entscheidung?
Nehmen wir an, einer kauft ein Gramm Gras für sechs Euro. Jemand anders aus unserer Gruppe kauft es dann von ihm für 7. Wir trennen die Kunden. Jeder hat seinen Kundenstamm. Wir schanzen die uns auch gegenseitig zu. Wer weniger will, kommt zur einen, und wer mehr will, kommt zum anderen. Der hat auch die besseren Angebote, deswegen macht das dann Sinn. So hat man einen stetigen Profitgenerator. [lachen] Es geht einfach nur darum, ein bisschen Geld zu generieren, verstehst du?
Weil die Kunden der einen gar nichts von den günstigeren Kursen des anderen wissen?
Genau.
“Eine Legalisierung ist aus unserer Sicht die einzige Sache, die das Töten beenden kann. Das wäre natürlich schlecht für unsereins, aber wir würden das in Kauf nehmen.”
Gab es einen Wandel im Umgang mit den Kunden bzw. wie sah das früher aus? Habt ihr euch schon immer so gut informiert, oder habt ihr aus einem bestimmten Grund angefangen, das besonders ernstzunehmen?
Eigentlich nehmen wir das schon immer ernst. Schon beim Essen geht das los. Wir lieben gutes Essen und alles, was richtig nice ist. Bei Weed oder Hasch, wenn wir diese Qualität sehen, fühlen und riechen, dann macht es uns einfach glücklich – obwohl wir das Zeug selbst gar nicht nehmen.Wir finden es geil, richtig gute Sachen anzubieten. Das geht sogar bis hin zu den Tütchen. Wir holen immer die stärkeren Tütchen, die fühlen sich besser an und stinken nicht so.
An der Qualität wird immer gearbeitet. In letzter Zeit sagen uns die Leute auch vermehrt, dass sie uns echt mögen, weil unsere Qualität immer bombastisch ist und weil wir auch nett sind und nicht einen auf “Ey, was los hier!” machen. Es sei noch nie so entspannt und gut gewesen wie jetzt.
Ihr habt sogar eine Urlaubsvertretung.
Das finden auch alle super. Es läuft alles sehr kundenfreundlich ab. [lachen] Anfangs hatten wir überhaupt keine Uhrzeiten. Den ganzen Tag und auch mitten in der Nacht. Morgens sind wir um 7 vom Handy wach geworden: Da will jemand was. OK, dann steht man eben auf und legt sich danach wieder hin. Irgendwann war uns aber klar, dass das aufhören muss; hier musste Struktur rein.
Am Anfang hustlest du noch übertrieben durch die Gegend, um Kunden zu kriegen. Und du musst aussortieren, wenn du keine total vercrackten Typen dabei haben willst. Ein Kunde von uns ist Keta-Junkie, aber sonst haben wir niemanden mit richtigen Suchtproblemen.
Wer sind denn eure Kunden? Gibt es den Durchschnittskunden?
Es sind ganz normale, Spaß habende Menschen. Also, die feiernde Kundschaft, das sind Leute, die ihrem Spaß noch die Krone aufsetzen wollen. Aber an Minderjährige verkaufen wir nicht. Wenn jemand jung aussieht, fragen wir nach dem Alter, und wenn sie 17 oder jünger sind, müssen sie gehen.
Zu uns kommen alle Bevölkerungsschichten. Von dumm bis schlau. Sogar schlau-sexy. [lachen] Da ist alles dabei. Auch halbnackte Frauen, die ins Berghain wollen. Und verschiedene Nationalitäten, von Iren über Griechen bis sonst was.
Sind die meisten berufstätig?
Viele. Wir haben zum Beispiel auch einen Designer, und einen CEO von einem Magazin. Bei dem wartet das Taxi schon immer vor der Tür.
*Unbedarfter Drogenkonsum kann schwere körperliche und psychische Schäden verursachen. Noisey will dich nicht zum Konsum animieren, wohl aber dazu, dass du dich, solltest du Drogen nehmen, möglichst gut darüber informierst. Hier findest du aktuelle und generelle Informationen von checkit!
Dieser Artikel ist vorab auf THUMP erschienen.
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