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James Deans Vater war ein Spieler und Trinker

Nicholas Ray ist eine Legende des Hollywoodkinos. Seine Ex-Frau Susan Ray hat über sein letztes Projekt nun einen Dokumentarfilm gedreht und mit uns gesprochen.

Copyright © 2001 Charlie Levi.

Stellt euch vor, es ist 1971. Ihr tragt eure Cord-Schlaghosen, die euch ein Bulle auf einer Demo gegen den Vietnamkrieg zerrissen hat und einen echten Bart bis zum Knie. Ihr habt euch auf der Filmhochschule in ein Seminar bei einem „bekannten Regisseur“ eingetragen. In der ersten Sitzung steht ein Typ vor euch, der aussieht wie eine Mischung aus Gott und einem alten Piraten. Es ist Nicholas Ray, Regisseur von … denn sie wissen nicht, was sie tun und dem Noir-Klassiker Im Schatten der Nacht. Du weißt genau: Der Typ ist schon mit James Dean durchs Land gezogen, um ihn auf die Rolle des Draufgängers Jim Stark vorzubereiten. In seinem vergilbten Telefonbuch stehen die Adressen von Leuten, die in Beverly Hills am Pool liegen und sich die Füße mit Kaviar massieren lassen: Humphrey Bogart, Robert Mitchum, John Wayne, Ava Gardner. You name it! Ray hat eine Fahne und raucht eine Zigarette nach der anderen. Du kannst es schon riechen: Hollywood! Weil du unbedingt da hinwillst, machst du mit bei seinem Projekt. Er hat die verrückte Idee, zusammen mit dir und deinen Kommilitonen einen Film zu drehen und gleich morgen loszulegen. Learning by doing. Leider geht am Ende das Geld aus und der experimentelle Streifen wird ein Flop. Was bleibt ist eine unvollendete Fassung mit dem Titel We Can't Go Home Again.
Ray stirbt 5 Jahre später an Lungenkrebs—er war Kettenraucher. Seine 40 Jahre jüngere Ex-Frau Susan Ray hat über sein letztes Projekt einen Dokumentarfilm mit dem Titel Don't Expect Too Much gemacht, den sie im Rahmen des American Independent Films Festivals Unknown Pleasures in Berlin vorstellte. Wir sprachen bei einem Tässchen Cappuccino mit ihr über Sucht und das Sterben. Katzenzugen waren auch im Spiel.   VICE: Ich hab was für dich. Hoffentlich magst du Schokolade. Es ist eine deutsche Spezialität: Katzenzungen!
Susan Ray: Oh! Und auf der Verpackung sind sogar Katzen. Ich hab auch zwei: Pearl und Tigger.   Ich muss gestehen, dass ich nur einen Film deines Ex–Ehemannes gesehen habe und zwar Ein einsamer Ort. Ich mag dieses Zitat daraus: „Ich wurde geboren, als du mich küsstest, ich starb, als du mich sitzen ließt, ich lebte ein paar Wochen lang, als du mich liebtest.“
Oh ja, das ist ein schönes Zitat. Du bis ein Romantiker, ich seh das. Was ist dein Lieblingsfilm von Nick?
Ich mag viele seiner Filme—verständlicherweise. Besonders gut gefallen mir Bitter war der Sieg und Party Girl, vielleicht weil es ein Happy End hat. Er hat zwischen 18 und 20 Filme gedreht. Es hätten mehr sein können. Manche machen mehr. Du solltest sie dir ansehen.

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Nick und Susan Du hast Nick 1969 während des Prozesses gegen die Chicago Seven kennengelernt. Nick nahm die Proteste vor dem Gerichtsgebäude auf, um später einen Film darüber zu machen, du hattest gerade angefangen, an der University of Chicago zu studieren. Was hast du von den Anschuldigungen gegen die sieben Angeklagten gehalten?
Das war bescheuert. Die Angeklagten konnten sich nicht mal darauf einigen, wo sie sich zusammen zum Mittagessen treffen sollten. Die Idee einer Verschwörung zum Sturz der Regierung und das Anzetteln von Krawallen—so die Anklage—ist verrückt.    Dachte Nick das auch?
Ja. So dachte die Mehrheit—zumindest ein bestimmter Teil der Bevölkerung. Offensichtlich war die Polizei anderer Meinung und das Gericht auch. Aber die Mehrzahl der Leute fand es tragisch, dass unsere Regierung so repressiv war. Sie wurden wegen Missachtung des Gerichts eingesperrt und dann freigelassen. Nick war im positiven Sinn besessen von den Sorgen der Jugend.  
Ihm lag viel an jungen Leuten und er interessierte sich für ihre Probleme. Er fand sie viel interessanter als alte Leute. Warum?
Warum? Lebhaft. Offen. Aufmüpfig?
Vielleicht, ja. Hoffnungsvoll. Und würde er mit den Occupy Wall Street-Typen rumhängen?
Absolut. Er würde dorthin marschieren und einen Film darüber drehen.

Nick beschrieb die Generation deiner Eltern und die seiner Studenten als „Generation von Verrätern“.  
Er glaubte, dass seine Generation ihren Kindern die Hand reichte und sie dann wieder zurückzog. Ich hab darüber nachgedacht und die gleiche Frage in meiner Dokumentation gestellt: Was genau meinte er damit? Ich denke, er sprach von einem psychologischen Verhältnis. Aber da war noch die Tatsache, dass unsere Väter ihre Söhne in einen absurden Krieg schickten [Vietnam]—um getötet zu werden. Das ist ein gewaltiger Verrat. Du bringst jemanden auf die Welt und dann schickst du ihn weg, damit er grundlos sein Leben gibt. Ich denke, dass vielleicht jede Generation ihre Kinder betrügt. Unsere ist da sicher keine Ausnahme. Warum nicht?
Schau dir doch nur mal die Welt an. Wir waren alle sehr materialistisch und narzisstisch.   Was würdest du unserer Generation raten?
Ändert den Blickpunkt von außen nach innen. Was meinst du?
Im Moment geht es den Leuten in unserer Gesellschaft nur darum, da draußen danach zu suchen, was sie erfüllt. Egal ob Sex, Drogen, Alkohol oder Geld. Wir müssen lernen, uns durch unsere angeborenen Instinkte zu erhalten. Ich denke, wir müssen mehr an unserem spirituellen Leben arbeiten. Ich bin immer angespannt, nervös. Würde Meditation mir helfen?
Ich denke ja. Sich nur auf das Atmen zu konzentrieren, hilft schon. Als ich noch mit Nick zusammen war, fing ich selbst mit Meditation an. Als er im Sterben lag, sagte er zu mir: „Ich wünschte, ich hätte mit dem Zeug angefangen, als ich in deinem Alter war.“ Das war ganz kurz vor seinem Tod. Ich schmeiß jetzt mal ein paar Wörter aus deinem Dokumentarfilm in den Raum. Kannst du mir sagen, wie die mit Nick zusammenhängen?
Familie. Bei jedem Film, den er machte, hat er eine Familie gegründet. Und zwar so, wie er es mit seiner eigenen Familie, mit seinen eigenen Kindern nicht machen konnte. Einerseits wollte er eine Familie und andererseits viel es ihm schwer, auf lange Frist eine Familie zu gründen. Also gefiel ihm die unbeständige Filmfamilie am besten. Und er war traurig, wenn das zu Ende ging.    War er der Vater?
Ja. James Dean.
Er bedeutete ihm viel. Er hielt ihn für einen außergewöhnlichen Schauspieler und glaubte, er könne jede Rolle spielen. Sie hatten vor, weiter zusammenzuarbeiten.

Nick Ray bei den Dreharbeiten zu "… denn sie wissen nicht was sie tun" Zocken.
Er war ein Spieler. Er setzte immer alles ein: entweder beim Kartenspielen oder beim Filmemachen. Er war kein Materialist und hielt nicht an Dingen fest, auch nicht am Geld. Er zockte mit seinem ganzen Geld. Manche würden sagen, er schmiss es zum Fenster raus, aber ich denke, er mochte das Leben am Limit. Es gefiel ihm nicht, gemütlich und sicher zu leben. Wie hat er sein Geld verloren?
Am Kartentisch. Leider floss viel davon auch in Alkohol und Drogen. Viel hat er auch verschenkt. Er war sehr großzügig.

Geld.
Geld, um Filme zu drehen. Filme kosten Geld, also musste er es besorgen. Wie?
Er bettelte bei Freunden und sie gaben ihm nichts. Das ist die traurige Wahrheit. Nicks und mein Gehalt flossen in seinen letzten Film. Viele Leute halfen mit 100 Dollar hier und da aus. Manchmal waren es 1000 Dollar. Das war ein Film, der mit Spucke gemacht wurde. Sucht.
Er war süchtig und das gab er auch frei zu. Aber er war auch der kreativste Mensch, den ich kennengelernt habe. Aus meiner Erfahrung überlappen sich der kreative Trieb und der zerstörerische. Sehr kreative Leute ringen auch immer mit Selbstzerstörung und sehr destruktive Leute sind oft kreativ. So ist es bei uns allen. Hast du versucht, ihn von seiner Sucht wegzubringen?
Es war nicht möglich. Natürlich hab ich's versucht, aber ich wusste, dass man einen Abhängigen nicht von seiner Sucht wegbringen kann. Leugnen.
Die Buddhisten sagen, dass Leugnung die Wurzel unserer Probleme ist. Nick war den Großteil seines Lebens aktiv suchtkrank, was impliziert, dass er ein Leugner war. Er verleugnete die Realität, nämlich dass er sich selbst zu Grunde richtete. Das machen wir alle so. Sterben. Hatte Nick Angst vor dem Tod?
Nein, ich denke nicht. Was das anging, war er sehr mutig. Er war neugierig darauf. Im Film sagt er etwas ganz Bemerkenswertes: „Ich liebe das Leben von ganzem Herzen, aber ich bin auch mit Sterben beschäftigt.“ Das trifft auf uns alle zu, aber wenige von uns wollen es wahrhaben. Nick hat es getan. Dafür hat er meinen tiefsten Respekt. Wir alle sterben, wir sterben, während wir uns unterhalten, mit jeder Sekunde, die vergeht. Um uns frisch zu halten, müssen wir lernen, wie man stirbt. Man muss lernen, Dinge loszulassen, um neu zu leben. Die Leute verlieren diese Fähigkeit, wenn sie älter werden. Im Film sagst du, dass Nick ein Mann mit vielen Widersprüchen war. Wie meinst du das?
Er war einer der liebevollsten Menschen, die ich je kannte. Er war auch sehr zornig und manchmal unheimlich und voller Hass. Er war sehr freundlich, manchmal konnte er gemein sein. Er kannte das ganze weite Feld seiner Gefühle und alle kamen zur Entfaltung. Was Leute von ihm dachten, interessierte ihn wenig. Also ließ er alles raus.
Für welches Magazin ist dieses Interview nochmal? Ich arbeite für VICE.
Oh, das ist VICE! Ich kenne das. Sehr hübsch.

Fotos: The Nicholas Ray Foundation.