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Anonymous vs. Scientology

Jeden zweiten Samstag im Monat treffen sich die Jungs und Mädchen von Anonymous Berlin, um gemeinsam gegen Scientology zu protestieren. Wir haben sie einen Tag lang begleitet.

Die Anons posieren für ihre Facebook-Seite am Potsdamer Platz.

Es ist halb eins an einem Samstag, als ich am Bahnhof Zoo ankomme. Seit einer halben Stunde versammeln sich bereits die Demonstranten. Um 13 Uhr soll es losgehen. Gemeint sind allerdings nicht die Tausenden Anhänger der Hanfparade, die sich auf der anderen Seite der Hardenbergstraße um die vielen Paradewagen versammeln. Ich bin auf der Suche nach Anonymous. Jeden zweiten Samstag im Monat treffen sich am Bahnhof Zoo etwa 20 Mitglieder von Anonymous Berlin, um gemeinsam gegen Scientology zu protestieren. Guy-Fawkes-Masken sehe ich zu diesem Zeitpunkt allerdings noch keine. Dann fällt mir eine kleine Gruppe junger Leute auf, die abseits des ganzen Trubels auf etwas zu warten scheinen. Ich spreche sie an und habe Glück. „Da kommen schon die Spione", wird bereits in der zweiten Reihe getuschelt. Ich treffe Remo. Er übernimmt heute die Rolle des Ordners und sorgt dafür, dass alles reibungslos und nach Zeitplan abläuft. Er erklärt mir: „Das müssen wir so machen. Das schreibt die Polizei vor. Mit Hierarchien hat das aber nichts zu tun." Die gäbe es bei Anonymous sowieso nicht.

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Masken an und los. Die Demo beginnt am Bahnhof Zoo.

Bald sind auch die restlichen Anons eingetroffen und die Demo kann losgehen. Im Klartext heißt das: Maske auf, Banner raus, Musik an. Ziel des Protestmarsches ist die circa 1,5 Kilometer entfernt gelegene Niederlassung der Scientology-Kirche. Auf dem Weg dorthin unterhalte ich mich mit Magnum. Die Anons sprechen sich alle mit ihren Nicknames an. Einen richtigen Namen werde ich an diesem Tag nicht mehr erfahren. Magnum erzählt mir, dass er schon seit drei Jahren auf den Demos mitläuft. Im Februar dieses Jahres hatte die Gruppe bereits ihr fünfjähriges Bestehen feiern können. Die Berliner Anons haben nichts mit den maskierten Freibeutern aus dem Internet zu tun. Hackerangriffe gegen „die da oben" stehen bei ihnen nicht im Vordergrund. Magnum erklärt mir: „Bei uns geht es vor allem gegen Scientology und Dianetik." Unter dem Begriff Project Chanology versammeln sich seit 2008 weltweit Anons im Kampf gegen die Lehre von L. Ron Hubbard. Auf die Frage, ob sie mit den Demos auch Erfolg hätten, antwortet mir Magnum: „Auf jeden Fall. Wir haben sogar schon Leute zum Ausstieg aus Scientology bewegen können. Manchmal laufen die auch bei uns mit." Ein Aussteiger ist an diesem Samstag leider nicht dabei.

Ziel ist das Scientology-Gebäude in der Otto-Suhr-Allee. Ein Anon erklärt mir: Hier ist fast jedes Mal Tag der offenen Tür."

Gegen 13:30 Uhr treffen wir am Scientology-Haus in der Otto-Suhr-Allee ein. Bei der Ankuft werden die Maskierten lauter. „Sciento-Lügen! Sciento-Lügen!", stimmen alle gemeinsam mit an. Danach versammeln sie sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Ein Stromkasten wird mit dem Banner und einer Fahne kurzer Hand zum Rednerpult dekoriert. Links und Rechts an die Bäume noch zwei Schilder getackert und fertig ist der Infostand. Doch bevor es weiter im Programm geht, wird erst einmal Pause gemacht. Die Snacks bekommen auch die Scientologen auf der anderen Straßenseite angeboten. „Kommt rüber! Wir haben auch Wassermelone und Muffins", tönt es aus dem Verstärker. Im Hintergrund laufen Will.I.Am und Britney Spears. Einige Anons tanzen zur Musik. Ich habe leichte Bedenken um die Ernsthaftigkeit des Protestes. Geht es hier noch um Inhalte oder bloß um den Spaß am Protest? Dann kommen die ersten Passanten vorbei. Ein älterer Herr fährt mit seiner Enkelin auf dem Fahrrad vorbei. Er begrüßt die Protestaktion: „Ich finde das klasse, dass sich die Jugend sozial engagiert." An uns rauschen die Autos hupend im Sekundentakt vorbei. An der Kreuzung haben sich drei Anons versammelt und halten ein Plakat mit der Aufschrift „Hupen gegen Scientology" in die Höhe. Ich merke, der Protest kommt an.

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Die Hupaktion hat Erfolg. Eine Stunde lang wird es lauter vor dem Scientology-Gebäude. 

Inzwischen hat sich auch ein Scientologe blicken lassen. Schwarze Hose, weißes Hemd, dünner Schlips. Nachtschatten, ein Anon mit grüner Guy-Fawkes-Maske, erklärt mir: „Die sind immer so uniformiert. Die wollen damit zeigen, dass sie etwas Besseres sind." Der Scientologe scheint sich wenig um die Anons zu kümmern. Vielmehr interessiert er sich für eine umgestoßene Litfaßsäule neben der Zentrale. Vandalismus? Wieder ruft einer der Anons zu ihm rüber. Ich frage Nachtschatten, was sie damit bezwecken wollen. „Wir wollen zeigen, dass wir nichts Böses vorhaben, dass die Welt da draußen auch schön sein kann. Vielleicht haben wir Glück und wir können jemanden mit unseren Argumenten überzeugen."

Von Magnum erfahre ich, dass auch manche Anons von den Scientologen bereits verfolgt wurden. „Wir haben mal einen Flyer an unserem Stromkasten gefunden, auf dem vier von unseren Leuten mit Namen und Adresse genannt wurden. In einem Fall war sogar ein Bild dabei." Aus solchen Gründen sei es sogar geduldet, sich auf einer Demonstration zu vermummen. Die Polizei wisse, dass Scientology seine Feinde verfolge, erzählt er mir.

Vor dem Zelt der KVPM stellen sich die Anons auf. Die Maskierten fallen auf.

Eigentlich hält einer der Anons vor der Scientology-Zentrale immer eine Rede. „Dafür ist heute keine Zeit. Wir müssen um 15 Uhr am Potsdamer Platz sein", sagt Remo. Dort macht heute eine Wanderausstellung der Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen die Menschenrechte, kurz KVPM, halt. Motto: Psychiatrie—Tod statt Hilfe. Ganz schön polemisch, denke ich mir und frage bei den Anons nach, was es damit auf sich hat. DoubleX ist einer der Älteren, die heute dabei sind. Er macht einen sehr engagierten Eindruck. Er erklärt mir: „Die KVPM wurde in den 1970ern von Scientologen gegründet. Sie lehnt die Lehren der Psychiatrie ab und beschuldigt diese als Pseudowissenschaft. Dass es sich dabei quasi um Scientology handelt, wissen die Wenigsten. Deshalb klären wir da heute auf." Am Potsdamer Platz mache ich mir zunächst ein eigenes Bild von der Ausstellung. Auf großen schwarzen Stellwänden wird mit roten Überschriften vor den Folgen psychiatrischer Behandlung gewarnt. Alles wirkt ein wenig bedrohlich. Auf mehreren Flachbildschirmen laufen diverse Infofilme. Mit ernster Stimme warnt der Erzähler: „Hinter jeder großen Weltkrise ist heute die Handschrift der Psychiatrie zu erkennen." Im Anschluss spreche ich noch mit einem der Veranstalter. Aus dem Scientology-Hintergrund macht er kein Geheimnis. Doch von außen und in der Ausstellung ist davon nichts zu sehen. Ich werde ziemlich schnell abgefertigt und solle zur Antwort auf meine Fragen lieber die Ausstellung genauer betrachten.

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Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns das Ganja klaut!"Anonymous umzingelt von den Feiernden der Hanfparade.

Als ich das Ausstellungszelt wieder verlasse, haben sich die Anons bereits vor dem Zelt aufgestellt. Sie halten Schilder mit „Vorsicht! gefährliche Sekte—Scientology" in der Hand und sprechen mit Passanten. Es ist wesentlich mehr los als noch in der Otto-Suhr-Allee. Nach einigen Minuten wird es wieder laut. Diesmal sind es allerdings nicht die Anons. Die Hanfparade rollt die Potsdamer Straße entlang und mit ihr über 6.000 Menschen, die zu Techno und Goa feiern. Die Feiermeute fordert die Legalisierung von Cannabis. Teenager mit YOLO-Stickern der Linkspartei tanzen die Straße entlang. Die Piratenpartei hat sich Grumpy Cat auf ihre Wagen geklebt und die Grünen sind auch dabei. Alles ist auf Party, Spaß und gute Laune ausgelegt. Argumente sehe ich im Vorbeigehen keine. Mir stellt sich erneut die Frage: Geht es hier noch um Inhalte? DoubleX ist vor dem KVPM-Zelt geblieben. Er spricht mit einer Frau über die Hintergründe der KVPM, als um sie herum der Karneval ausbricht. Meine anfänglichen Bedenken sind zu dieser Zeit verschwunden. Zwar gibt es auch bei Anonymous Mitläufer, die wegen des Spaßes und weniger wegen der Sache dabei sind. Doch ich merke, hier trifft sich jeden Monat eine Gruppe, die tatsächlich aufklären möchte.

Fotos: Steffen Ott

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