​Wir sollten uns von Terroranschlägen nicht einschüchtern lassen

 Foto mit freundlicher Genehmigung von Marteen Schenk.

Es ist schon wieder passiert—nach Charlie Hebdo und den Anschlägen in Paris ist heute Brüssel Opfer des dritten islamistischen Terrorakts der vergangenen 14 Monate in Europa geworden. Verzweifelt möchte man schreien: „Die Menschen am Flughafen haben doch nichts gemacht! Sie waren nur da. Warum mussten sie sterben? Scheiße, das ist echt nicht fair.”

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Terrorismus ist schwer begreifbar. Er hält sich an keine Regeln, die der menschliche Verstand oder das Gewissen gebieten. Wenn man will, ist er der Asoziale unter den Mitteln zur politischen Willensdurchsetzung. Oder wie es der Wiener Historiker Thomas Riegler in seinem Werk „Terrorismus – Akteure, Strukturen, Entwicklungslinien” (2009) eleganter formuliert:

„Es geht darum, ‚Macht’ und ‚Autorität’ als impotent, verletzbar und gedemütigt bloß zu stellen, und das solange, bis diese Ordnung von der Masse in Frage gestellt wird.”

Macht stellt man etwa dann in Frage, wenn man ungehindert den Flughafen der Quasi-Hauptstadt Europas zerbombt. Die Schreckensbilder, die dann durch die Massenmedien geistern, verbreiten ganz klar Angst. „Es kann jeden und überall treffen, wenn ihr nicht tut, was wir wollen” ist die Botschaft der Terroristen. Terrorismus sei vor allem ein kommunikativer Akt, schreibt Riegler, es ist „Propaganda der Tat.”

Was soll man aber gegen Terrorismus tun? Die Terroristen einfach machen lassen, klein bei geben? Dagegen würden sich wohl alle Politiker von Bruno Kreisky über Helmut Schmidt bis heute verwehren: Ein Staat darf sich nicht erpressen lassen. Aber können wir den „Terror ausrotten”, wie wir es die nächsten Tagen sicherlich noch ein paar Mal von einigen Hardlinern zu hören bekommen werden, die damit ihre Agenda für mehr Überwachung und/oder gegen Flüchtlinge pushen wollen? Wohl kaum.

Dieser Meinung ist auch ein Mitarbeiter des österreichischen Verfassungsschutzes, der nach den Anschlägen in Paris zur Presse sagte:

„Wir können ganz spezielle Ziele sehr gut schützen, wir können gefährdete Objekte und Personen schützen. Aber wenn sich die Täter wahllos Opfer aussuchen und selbst bereit sind zu sterben, dann ist man weitgehend machtlos.”

Soll heißen: Den ORF und Strache kann man schützen, wenn man weiß, dass sie Angriffsziele sind; aber irgendwelche Leute auf dem Bregenzer Bahnhof, von denen man noch nicht mal weiß, dass sie ein potenzielles Ziel sein könnten, eher nicht. „Das ist der Albtraum aller Geheimdienste”, sagt der Verfassungsschutz-Mitarbeiter.

„Wir brauchen eine Kultur der Unsicherheit”, fordert dazu passend der Kriminalsoziologe Nils Zuawski in der Wiener Zeitung. Anstelle von automatisierter Panik und Angst bräuchten wir ein gelasseneres Miteinander, das Risiken in Kauf nimmt und nicht reflexartig technisch aufrüstet.

Der aktuelle Informationsstand rund um den Terror in Brüssel ist noch recht dürftig, man weiß wenig bis nichts über die Täter oder den Tathergang. Laut Der Standard bekennt sich mittlerweile die Terrormiliz IS zu den Anschlägen; alles Weitere ist nach wie vor offen.

Beispiele von Politikern, die mit der kurzen Meldung politisches Kleingeld wechseln wollen, gibt es trotzdem bereits jetzt genügend. Vera Lengsfeld, eine ehemalige deutsche CDU-Bundestagsabgeordnete, macht etwa Angela Merkel für den Anschlag verantwortlich; ÖVP-Wien-Chef Gernot Blümel twitterte seinen Wahlkampf-Spruch „Freiheit sichern, Grenzen setzen” und Heinz-Christian Strache schrieb bereits am Vormittag folgende Zeilen auf Facebook: „Hier rächen sich die Fehler der EU-Politik wieder einmal dramatisch! Die unverantwortliche Massenzuwanderung aus der arabischen Welt und von radikalen Islamisten unter dem Deckmantel des Asyl, Förderung von Gegen- und Parallelgesellschaften und offene EU-Grenzen müssen ein für alle Mal beendet werden.”

Wer Anschläge für die eigene politische Agenda verwendet, ist nicht nur den Opfern gegenüber pietätlos, sondern fördert auch das Ziel der Terroristen: nämlich durch Polarisierung die Gesellschaft spalten, um herrschende Machtstrukturen in Frage zu stellen. Solange nicht klar ist, was genau passiert ist und ob und wie man es verhindern kann, sind politische Forderungen kontraproduktiv.

Natürlich ist es zutiefst menschlich, wenn man nach einem Anschlag Angst und Hass empfindet. Es ist nur leider das, was die Terroristen wollen. Das lässt sich auch an den Anschlagzielen erkennen: Einer galt einer provokanten Satirezeitung, einer dem Pariser Party-Viertel und der letzte wohl den europäischen Institutionen. Wir sollen die Werte, die diese Orte repräsentieren, aufgeben. Wie wäre es, wenn wir ihnen diesen Gefallen nicht tun?

So wie Antoine Leiris, der bei den Anschlägen in Paris seine Frau verloren und den Terroristen einen Brief geschrieben hat:

„Nein, ich werde euch nicht das Geschenk machen, euch zu hassen. Auch wenn ihr euch sehr darum bemüht habt; auf den Hass mit Wut zu antworten würde bedeuten, derselben Ignoranz nachzugeben, die euch zu dem gemacht hat, was ihr seid. Ihr wollt, dass ich Angst habe, dass ich meine Mitbürger mit misstrauischem Blick betrachte, dass ich meine Freiheit der Sicherheit opfere. Verloren. Der Spieler ist noch im Spiel.”

Ähnlich reagierten tausende Franzosen nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo. Noch am gleichen Tag versammelten sie sich mit Kugelschreibern und Plakaten am Platz der Republik für eine imposante Antwort auf den Terror: We are „not afraid.”

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