Die Neue Nordische Küche ist tot
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Kopenhagen

Die Neue Nordische Küche ist tot

Mehr als ein Jahrzehnt nach dem New Nordic Food-Manifest, hat man den Eindruck, Kopenhagen sei bereit, sich einem neuen, globaleren Geschmack zu öffnen. Der Kopenhagener Koch Christian Puglisi ist ganz vorne mit dabei.

Christian Puglisi verdiente sich seine Sporen im elBulli und wurde Souschef im noma. Er eröffnete das Relæ in Nørrebro in Kopenhagen unter den prüfenden Blicken der dortigen Drogendealer, er veröffentlichte ein extrem populäres Kochbuch, bekam einen Michelin-Stern verliehen und aus seinem Speiseraum dröhnt Johnny Cash.

Was kommt als Nächstes? In seinem neuen Restaurant Bæst (Dänisch für Biest) serviert er Pizza, hausgemachten Mozzarella und geräucherten Fleisch. Aber Puglisi—dessen Vater Italiener und Mutter Norwegerin ist—würde es niemals als italienisches Restaurant bezeichnen. In seinen Augen sollte Authentizität nicht an einem geografischen Ort festgemacht werden. Während die Welt immer noch von der nordischen Szene und ihrem Hang zu ungewöhnlichen Strandkräutern und Wurzelgemüse schwärmt, hat man ein Jahrzehnt nach dem New Nordic Food-Manifest den Eindruck, Kopenhagen sei bereit, sich einen neuen globaleren Geschmack anzueignen. Zumindest Puglisi.

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Alle Fotos von Per Anders Jörgensen

MUNCHIES: Hallo Christian. Wieso hast du Pizza auf deine Karte gesetzt, während die Nordische Küche immer noch auf der ganzen Welt Schlagzeilen schreibt?

Christian Puglisi: Als wir Relæ 2010 eröffneten, war es sehr anti-Neue Nordische. Ich bin der Meinung, die Neue Nordische Küche ist schon seit langer Zeit tot, aber die Leute massieren immer weiter ihr Herz und versuchen, sie wiederzubeleben. Ich wollte nicht, dass wir mit der Neuen Nordischen in einen Topf geworfen werden und kämpfte hart darum, nicht durch den geografischen Standort definiert zu werden. Sie wollten uns in eine Schublade stecken, aber die Sache ist viel vielschichtiger. Ich werde nie diese eine Journalistin vergessen, die mich bat, meine Küche in einem Satz zusammenzufassen. Ich sagte zu ihr, sie solle versuchen, ihre Persönlichkeit in einem Satz zusammenzufassen. Genau wie einen Menschen kann man auch ein Restaurant nicht auf einen einzigen Satz reduzieren.

Nachdem Relæ und Manfreds schon einige Jahre liefen, war es für mich an der Zeit, Dinge auszuforschen, die ich dort nicht auf die Karte schreiben kann, aber die ich so gerne mag: Essen, das auf einem Handwerk basiert und genau das gibt es in Italien. Man schneidet einen Käse auf, gibt ein bisschen Öl und Salz darauf und das war's. Wer das möchte, braucht handwerkliches Geschick und das bedeutet für mich nicht, einen Lieferanten in Italien anzurufen und die besten Produkte zu importieren. Es geht darum, die Produkte zu verstehen und sie selbst zu entwickeln.

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Bæst ist kein selbsternanntes italienisches Restaurant. Wir haben noch nie behauptet, es wäre authentisch italienisch. Ich verabscheue diesen Ansatz. Das einzig Authentische an Bæst ist, dass wir genau das machen, was wir wollen. Wir haben Mozzarella, den es so in Italien nicht gibt und unsere Pizza wird nur mit Sauerteig gebacken—was wahrscheinlich eher auf französischen Traditionen beruht. Ist das neapolitanische Pizza? Nein. Ist es ein neapolitanischer Ofen? Ja. Haben wir uns vom neapolitanischen Stil inspirieren lassen? Klar kann man das sagen, aber es hat nichts mit einer zertifizierten neapolitanischen Pizza zu tun und wir akzeptieren keine Dogmen.

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Was ist das größte Verbrechen, das in letzter Zeit gegen die italienische Küche begangen wurde?

Die italienische Küche wird schon seit Jahren missbraucht, aber das haben sich die Italiener im Grunde selbst zuzuschreiben. Man kann Traditionen auf eine sehr konservative Art und Weise aufrecht erhalten und das schränkt ein. Alles sollte sich weiterentwickeln. Genau da liegen für mich die größten Probleme in Italien, weil die Italiener versuchen, die Vergangenheit zu schützen, anstatt sie zu verbessern. Ich sehe es als Fortschritt, dass wir mit qualitativ hochwertiger dänischer Kuhmilch Mozzarella herstellen können. Das ist überhaupt nicht authentisch italienisch, die Milch stammt nicht von einem Büffel, aber für mich ist das das größte Zeichen des Respekts, das man den Leuten erweisen kann, die eine Technik Jahrzehnte lang mit ihren Händen und ihren Gedanken entwickelt haben. Greife es auf, hinterfrage es, entwickle es weiter und mache etwas Einzigartiges daraus. Das ist der Grundgedanke von Bæst.

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Ist die Restaurantszene in Kopenhagen zu engstirnig geworden?

Wenn man keinen Erfolg hat, ist das fatal. Aber Erfolg kann genauso fatal sein. Wenn man weiß, was funktioniert, muss man sich keine Gedanken darüber machen, was als nächstes kommt. Noma zeigte uns die Richtung an, indem es dafür stand: „Ihr könnt uns mal, wie machen die Dinge auf unsere eigene Art. Lass uns aufhören, nur solche Restaurants zu eröffnen, wie es sie in Paris gibt. Was wir vorhaben, ist einzigartig." Was haben die Leute also von noma gelernt? Anscheinend wie manSahne mit Dillöl kombiniert,Vogelmiere zubereitet und wie Fermentation funktioniert. Viel zu oft geht es nur um Trends und Oberflächliches, und die Leute verstehen die grundlegenden Veränderungen nicht, die noma bewirkt hat. Das ist sehr schade, weil der Schlüssel zur Zukunft darin liegt, immer wieder zu versuchen, einzigartige Dinge zu kreieren.

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Was wünschst du dir von der Restaurantszene in Dänemark?

Als Nächstes sollte die Gastronomie in Dänemark Bio-Produkte mehr aufgreifen. Die ganze Welt hat den Blick auf unsere Food-Szene gerichtet und wir haben ein sehr ausgeprägtes Umweltprofil, aber Relæ ist das einzige Michelin-Sternerestaurant mit Bio-Zertifikat. Mehr Köche müssen den Mut haben, diese Weg einzuschlagen und wir müssen beweisen, dass Kopenhagen eine Stadt ist, in der man auf höchstem Niveau essen kann und die besten Bio-Produkte bekommt.

Für uns im Relæ ist der nächste Schritt, unsere Speisekarte zu erweitern. Für eine limitierte Anzahl an Gästen möchten wir jeden Abend ein Menü ohne Einschränkungen anbieten. Wir wollen mehrere Gänge servieren und sie zu einem Marktpreis anbieten, je nach dem, welche Produkte wir bekommen. Ich möchte das Konzept eines erstklassigen Restaurants infrage stellen. Mir gefällt das Zusammenspiel, wenn ein Paar ein viergängiges vegetarisches Menü serviert bekommt, während die Gruppe neben ihnen Trüffel und das volle Programm schlemmt. Dadurch profitieren beide Seiten von einer positiveren Erfahrung. Das Problem dieser ganzen goldenen und samtigen Restaurants liegt darin, dass die meisten Gäste über 50 sind, mal abgesehen von dem ein oder anderen Koch-Azubi, der ein bisschen Geld gespart hat.

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Und die Drogendealer haben ihr Sofa vor den Eingang des Relæ geschoben?

Während der letzten paar Jahre waren sie wie Zugvögel. Im einen Moment denkst du, du bist sie los und am nächsten Tag kommen sie alle wieder zurück. Am Anfang war ich sehr viel aufmerksamer und machte mir Sorgen, was ich sagen oder tun sollte. Unsere Gäste mussten durch Wolken von Grasrauch gehen, um zu unserem Eingang zu gelangen. Ich stand oft an der Hintertür und heulte mir die Augen aus dem Kopf. Ich habe mit der Faust gegen Wände geschlagen, weil ich so frustriert war und mich so hilflos fühlte, weil die Leute uns sabotieren wollten. Aber es hat mir auch viel Antrieb gegeben. Die Einschränkungen und Herausforderungen, denen man sich auf dem Weg stellen muss, prägen den Charakter und die Persönlichkeit.

Hast du immer noch die Zeichnung von diesem Teddybären mit einer riesigen Erektion?

Ja, der Teddy darf bleiben. Er hängt an der Wand neben der Männertoilette. Als wir eröffneten, spielten wir ein bisschen den wütenden, trotzigen Teenager. Ich wollte mich an keine Regeln halten. Ich war bereit, mich jedem zu stellen, der sich mit mir anlegen wollte. Auch den Kritikern. Irgendwann lässt man das aber hinter sich und die immer gleichen Streitereien gehen einem auf die Nerven. Man entwickelt sich weiter und findet heraus, was einem Spaß macht. Einmal sagte unser Sommelier Alessandro zu mir, dass es eine dämliche Idee sei, Papierservietten zu haben. Früher war das für mich Teil von Relæs Standpunkt, weil ich beweisen wollte, dass es ums Essen geht—und nicht um die Servietten. Aber Alessandro hatte recht. Wir müssen kein Statement mehr setzen. Wir müssen uns weiterentwickeln. Nur so wird man erwachsen.

Vielen Dank für das Gespräch.