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Rechtsextremismus

Sachsens Justiz findet keine klare Linie gegen Neonazis

Nach den Connewitz-Ausschreitungen erhalten rechte Hools Haftstrafen, ein ehemaliger NPD-Kandidat aber Bewährung – für die gleiche Tat.
Zeitgleich als Rechte 2016 den Leipziger Szenestadtteil Connewitz verwüsteten, fand in der Nähe eine Kundgebung von Legida statt || Collage bestehend aus: Legida : imago | Sebastian Willnow || Gericht: imago | Steinach

Es wirkt mehr wie eine Formalität, als die Staatsanwältin Sandra Daute ihr Abschlussplädoyer am Amtsgericht Leipzig vorträgt. Viel zu gewinnen hat sie nicht. Es geht um zwei Männer, die als Teil eines Rechten Mobs den Szenestadtteil Connewitz verwüstet haben sollen. Dass David D. und Andreas C. an diesem 13. September mit Bewährungsstrafen davonkommen werden, steht bereits vor Beginn der Hauptverhandlung fest. Und ist besonders überraschend, weil die Sache in einer anderen Verhandlung zum gleichen Fall drei Wochen zuvor noch ganz anders aussah.

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Da zeigte Daute, dass sie auch anders kann: Am 23. August stand sie an gleicher Stelle vor anderen Angeklagten. Sie argumentierte detailliert, warum es sich bei den beiden Männern nicht nur um Tatbeteiligte, sondern auch um Täter handeln soll, betonte mehrfach die politische Dimension der zu verhandelnden Tat und forderte spürbare Gefängnisstrafen für die beiden, deren einziges Ziel "eine Schneise der Verwüstung" durch den Connewitz gewesen sein soll. Der Richter verurteilte daraufhin die beiden 26 Jahre alten Männer wegen besonders schwerem Landfriedensbruch zu je einem Jahr und acht Monaten Haft ohne Bewährung.

Es war das erste Urteil in diesem Fall, dem noch viele weitere folgen werden. Denn der "Sturm auf Connewitz", der in beiden Fällen verhandelt wurde, wird die Leipziger Justiz noch monatelang beschäftigen.


Auch bei VICE: Neonazis in Chemnitz


Knapp 250 rechte Hooligans und Neonazis zerstörten am 11. Januar 2016 zahlreiche Geschäfte, zündeten Pyrotechnik und Sprengsätze, demolierten Autos und griffen vereinzelt Menschen an. Volle fünf Minuten dauert es, wenn die Staatsanwältin vor Gericht die Liste der Schäden vorträgt. Der Gesamtschaden wird auf 110.000 Euro beziffert.

Die Polizei setzte an dem Abend 215 der Angreifer in einer Seitenstraße fest. Die größtenteils ortsunkundigen Neonazis waren ausgerechnet in eine kleine Straße geflüchtet, an deren Ende sich eine Polizeistation befindet. Nach über zwei Jahren Vorbereitung, sollen die damals Festgesetzten nun vor Gericht gestellt werden. Der Aufwand ist enorm. In weit über 100 Verhandlungen sollen meist zwei Täter gemeinsam angeklagt werden.

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Bewährungsstrafen dank zweifelhafter Aussagen

Das erste Urteil dieser Reihe wirkte noch überraschend konsequent, doch die ambitionierte Aufarbeitung der Ereignisse scheint bereits jetzt mit den Urteilen für David D. und Andreas C. ins Stocken zu geraten.

In einem Rechtsgespräch vor Beginn der Hauptverhandlung hatten sich Staatsanwaltschaft, Richter und Verteidiger darauf verständigt, dass David D. und Andreas C. mit Bewährungsstrafen und geringen Geldbußen davonkommen, sofern sie eine Tatbeteiligung einräumen und zu dem Geschehen aussagen. Das taten sie, allerdings nicht so, wie sich das Gericht das womöglich erhofft hatte. An keiner Stelle erzählten sie irgendetwas über die Geschehnisse des Abends, das nicht entweder unglaubwürdig schien oder eh schon bekannt war. Beide sagten aus, sie seien jeweils alleine angereist, kannten dort niemanden und wussten auch nicht, was geplant war.

Eine spontane Demo durch den Leipziger Süden in die Innenstadt sollte es ihnen zufolge werden. Als dann auf einmal Steine flogen, Pyrotechnik gezündet wurde und Schaufensterscheiben zu Bruch gingen, seien beide verwirrt und ahnungslos gewesen, was sie hätten tun sollen. Zwar gab David D. offen zu, zum "Selbstschutz" bereits Quarzsandhandschuhe angezogen zu haben, sein Anwalt fand dafür aber eine ungewöhnliche Erklärung: "Er wollte zeigen, dass in Connewitz jeder demonstrieren dürfe und die Straßen nicht nur den Linken gehören."

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Allzu vielen Fragen, was sich an dem Abend wirklich ereignet hat, mussten die beiden Angeklagten nicht beantworten. Weil beide eine Tatbeteiligung einräumten, bestellte das Gericht fast alle Zeugen wieder ab und beendete die Beweisaufnahme bereit nach einer Stunde. Sie hätten allem Anschein nach eine untergeordnete Rolle in dem Geschehen gespielt, führt der Richter zum Schluss aus. In der ersten Connewitz-Verhandlung hatte der gleiche Richter die bloße Anwesenheit in der Gruppe noch völlig anders bewertet.

Damals sagte er den beiden Angeklagten, in ihrem Fall komme besonders erschwerend hinzu, dass sie Teil einer Personengruppe waren, die "eindeutig dem rechten Spektrum zuzuordnen" sei. Und das, obwohl bei diesen beiden keine explizite Verbindung in die rechte Szene bekannt ist.

Im aktuellen Fall herrscht dagegen das Bild der unpolitischen Mitläufer vor. Das ist überraschend, denn beide Angeklagten sind allem Anschein nach tief in der rechtsextremen Szene verwurzelt.

Ehemaliger NPD-Kandidat und rechter Rocker neben Ralf Wohllebens Verteidiger

Ein kurzer Blick auf David D.s Lebenslauf genügt, um zahlreiche Anhaltspunkte dafür zu finden, dass er kein unpolitischer Mitläufer ist. "Wenn sich die JN im gesamten mitteldeutschen Raum als geschlossene weltanschauliche Einheit zur Heranbildung von Führern und Persönlichkeiten nach NS-Leitbild etablieren könnte, wäre das erste Zwischenziel wohl erreicht", zitierte die Mitteldeutsche Zeitung David D. 2011 in einem Artikel über die "Freien Netze" der Rechtsextremen in Ostdeutschland. Zwei Jahre davor kandidierte er in Halle/Saale für die NPD.

Dass sich seine Gesinnung seitdem gewandelt hat, scheint wenig realistisch. Ein Foto vom Juni 2018, das in unmittelbarer Nähe rechten Kampfsportveranstaltung aufgenommen worden sein soll, zeigt David D. in einem T-Shirt der Neonazi-Partei "Der III. Weg".

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Auch sein Nachbar auf der Anklagebank scheint bestens in rechte Netzwerke integriert zu sein. Ein Foto zeigt Andreas C. in einer Weste des "Underdogs MC Saalekreis". Laut Aufnäher hatte er zum Zeitpunkt des Fotos dort den Rang des "Secretary" (Schriftführer). Das mittlerweile aufgelöste Leipziger Chapter des Clubs soll mindestens zwei Konzerte der rechten Hooliganband Kategorie C organisiert haben. Deren Sänger gab zufälligerweise gerade in der Leipziger Innenstadt ein Geburtstagsständchen für den Leipziger Pegida-Ableger Legida, als nur wenige Kilometer entfernt der vermummte Mob durch Connewitz zog.

In den letzten Jahren beobachten der Verfassungsschutz und das Bundeskriminalamt vermehrt, dass sich die Neonaziszene und organisierte Rockergruppen vermengen. Am Abend des 11. Januar hatte die Polizei insgesamt vier Personen festgenommen, die dem "Underdogs MC Saalekreis" zugeordnet werden. Das Motto des Chapters "Ehre heißt Treue" ist eine Abwandlung des Wahlspruchs der SS. Keiner dieser Aspekte fand vor Gericht Erwähnung.

Die sächsische Landtagsabgeordnete Juliane Nagel (Die Linke) nennt das Urteil dementsprechend gegenüber VICE "ernüchternd". "Dass der Richter sich auf einen Deal mit einem einschlägig bekannten Neonazianwalt einlässt, ist ein Skandal", kommentiert sie die vorherige Absprache.

In der Tat gilt Olaf Klemke, der David D. vertritt, als rechter "Szeneanwalt". Im NSU-Prozess sorgte er als Verteidiger von Ralf Wohlleben für Empörung, als er einen Gutachter bestellen wollte, um auszuführen, dass Deutschland vor dem "drohenden Volkstod" stehe. In der Vergangenheit verteidigte er Mitglieder von Blood & Honour und anderen rechtsextremen Gruppierungen.

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Richter: Wenn Zeugen nicht gehört werden müssen, sei das strafmildernd zu werten

Doch nicht nur die fehlende Thematisierung der politischen Hintergründe wirft Fragen auf. Ein weiterer Aspekt der Urteilsbegründung sorgt vor allem bei den Geschädigten für Verwunderung. Laut dem Richter käme es den Angeklagten strafmildernd zugute, dass sie durch ihre Aussagen ermöglicht haben, den Prozess erheblich zu verkürzen. Vor allem für die geschädigten Anwohner und Anwohnerinnen, die als Zeugen geladen waren, sei das eine große Erleichterung. Bisher sind die Zeugen und Zeuginnen für alle angesetzten Termine geladen. Im schlimmsten Fall müssten sie über einhundert Mal vor Gericht aussagen. Mehrere Zeugen hatten sich im Vorfeld öffentlich darüber beschwert, welche riesige Belastung das für sie bedeute.

"Natürlich würde ich in diesem Fall lieber aussagen", sagt Juliane*. Sie sei entsetzt über das Urteil. Warum es für sie eine wesentliche Erleichterung sein soll, wenn ihr 30 Minuten vor dem Termin abgesagt wird, könne sie nicht nachvollziehen. Ihren Dienst als Betreuerin einer Wohngruppe habe sie trotzdem tauschen müssen. Auch Thomas*, der die Ereignisse damals von seinem Wohnzimmerfenster aus verfolgt hat, sagt dass er schon lange vor dem Prozess seine Anwesenheit planen und mit Chefs und Kollegen absprechen habe müssen. Für das milde Urteil habe er wenig Verständnis.

Zwischen den beiden Prozessen lagen die rechten Ausschreitungen in Chemnitz

"Gerade nach den Ereignissen in Chemnitz hätte man doch meinen können, dass die Richter härter durchgreifen", sagt Juliane. Zwischen den beiden Urteilen hatte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) angesichts der rechten Ausschreitungen in Chemnitz angekündigt, der Freistaat werde strikter gegen Extremisten vorgehen. Ein Mann, der in Chemnitz den Hitlergruß gezeigt hatte, wurde bereits in einem Schnellverfahren verurteilt.

In Leipzig liegt ein ähnlicher Fall aus dem Herbst 2017 nun seit Monaten unbearbeitet beim Amtsgericht. Laut einem Sprecher vor allem wegen der Connewitz-Prozesse. Man arbeite nun "alles der Reihe nach" ab.

In diesem Zusammenhang erscheint es natürlich äußerst hilfreich, wenn Verhandlungen durch solche Absprachen nur einen Bruchteil der angesetzten Zeit beanspruchen und man sich in absehbarer Zeit wieder anderen Verfahren widmen kann. Ob bereits ein ungefährer Zeitrahmen für die gesamte Prozessreihe abzusehen sei, beantwortete das Amtsgericht nicht.

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