Ein Bauarbeiter mit Bier in der Hand
Der Bauarbeiter ist nicht Philipp Frey und wahrscheinlich auch kein echter Bauarbeiter, sondern ein Model, das sich für derlei Symbolfotos nicht zu schade ist | Gemälde: Eisenwalzwerk (Moderne Cyklopen) von Adolph von Menzel | Bauarbeiter: IMAGO / blickwinkel
Menschen

Dieser Forscher zerlegt alle Argumente gegen die Viertagewoche

Und Unternehmen, die uns mit leeren Versprechen verarschen wollen.

In Österreich ist vor Kurzem ein Experiment vorzeitig beendet worden. Lidl hatte einigen Angestellten angeboten, nur noch vier Tage pro Woche zu arbeiten. Allerdings bei gleicher Wochenarbeitszeit. Statt jeden Tag acht also jeden Tag zehn Stunden. Kaum jemand hatte Lust darauf.

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Trotzdem zeigt das Experiment, dass Unternehmen verstehen, wie sich die Bedürfnisse ihrer aktuellen und künftigen Belegschaft verändern. Die Rufe nach einer Viertagewoche, einer gesünderen Work-Life-Balance, der Vereinbarkeit von Beruf und Familie werden lauter. 42 Prozent der Deutschen wünschen sie sich, die IG Metall fordert sie.

In einigen europäischen Staaten, aber auch in Neuseeland, Japan und Südafrika, gab es bereits Feldversuche mit zahlreichen Unternehmen, die schauen wollten, ob und wie sich das umsetzen ließe. Philipp Frey hat sich die Ergebnisse dieser Untersuchungen genau angeschaut. Am Karlsruher Institut für Technologie erforscht er die Zukunft der Arbeit.

VICE: Lidl hat im März sein Experiment abgebrochen, bei dem es einigen Arbeitnehmern eine Viertagewoche angeboten hatte. Was bedeutet das?
Philipp Frey:
Das war keine Arbeitszeitverkürzung im Sinne der Wochenarbeitszeit. Das war eine komprimierte Arbeitswoche, in der die Angestellten in weniger Tagen die selben Arbeitsstunden leisten konnten. Es wundert mich nicht, dass sich das keiner extremen Beliebtheit erfreut hat.

Ein Tag weniger Arbeit klingt schon geil.
Regelmäßige Zehn-Stunden-Tage sind einfach sehr, sehr schlauchend. Und es gibt auch gute Forschung, die zeigt, dass die Produktivität schon nach sieben Arbeitsstunden sinkt. Noch schlimmer, auch die Rate an Unfällen steigt, Leute verletzen sich öfter oder machen Fehler. 

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Was wäre also besser?
Der Königsweg wäre die Viertagewoche mit signifikant reduzierter Arbeitszeit auf 32 Stunden. Aber es gibt auch Unternehmen, die eine Viertagewoche mit jeweils neun Arbeitsstunden eingeführt haben und auch dort hat die Zufriedenheit der Mitarbeitenden zugenommen. 

Unternehmen sagen nun, dass die Produktivität sinkt, wenn die Leute einen Tag auf der faulen Haut liegen.
Eine Studie in Großbritannien hat gezeigt, dass die Produktivität sogar gestiegen ist. Leute wurden außerdem weniger krank, identifizierten sich mehr mit ihren Arbeitgeber:innen, die Kündigungen haben sich teilweise mehr als halbiert und attraktiver für Bewerber:innen wurden die Unternehmen auch.

Und wie soll sich da die Produktivität steigern lassen?
Produktivität wird in der Regel gemessen als Wertschöpfung pro Arbeitsstunde. Und die ist gestiegen, weil Leute einfach motivierter auf der Arbeit waren. Weil sie denken, cool, das ist ein guter Arbeitgeber. Dann sind sie auch erholter. 

Produktivität aus Dankbarkeit sozusagen.
Wichtiger ist eigentlich, dass es eine Reihe von Innovationen in der Arbeitsorganisation gab, die fast alle Unternehmen eingeführt haben. Die allermeisten Unternehmen haben zum Beispiel die Anzahl von Meetings grob halbiert und diese verkürzt. Hinzu kam die sogenannte Focus-Time, also Arbeitszeiten, wo man ohne Unterbrechungen arbeiten kann. E-Mails und Anrufe wurden nicht durchgestellt und klopfen sollte man bei den Kolleg:innen auch nicht. Und das Interessante ist, dass die Leute nicht nur produktiver geworden sind, sondern sich dabei auch weniger gestresst gefühlt haben. Kein Multitasking mehr, einfach drei Stunden im Flow Kram wegschaffen. Manche Unternehmen haben auch den Deal mit der Belegschaft gemacht, dass sie Arbeitszeit verkürzen und dafür neue Technologien etablieren. Dafür war die Belegschaft dann auch deutlich offener.

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Eine einzige Erfolgsgeschichte also? Warum machen das dann nicht jetzt schon alle Unternehmen?
Nach den Ergebnissen in Großbritannien, kann man sich das tatsächlich fragen. Die Unternehmen haben mit dem Modell von 100 Prozent Bezahlung bei 80 Prozent Arbeitszeit und 100 Prozent Leistung ja im Schnitt tatsächlich eine leichte Umsatzsteigerung erreicht. Aber das bedeutet auch einen kulturellen Wandel, der den Unternehmen natürlich auch etwas abverlangt. 

Was denn?
Business as usual funktioniert dann nicht mehr. Die Unternehmen in Großbritannien haben sich vorher monatelang Gedanken gemacht: Wie können wir unsere Arbeit besser organisieren, damit wir den Umsatz halten, obwohl wir die Arbeitszeit verkürzt haben. Viele Leute im Management schrecken davor zurück, alles zur Disposition stellen zu müssen und sich grundsätzlich zu überlegen, wie klug es ist, wie sie Arbeit bisher organisiert haben.

In der Pflege zum Beispiel würde das auch gar nicht funktionieren.
Jein. Da bräuchte es einen Personalausgleich, das war bei den anderen Unternehmen nicht vorgesehen. Aber klar, in der Pflege geht es darum, dass genug Pfleger:innen da sind, damit Leute nicht in ihren eigenen Exkrementen liegen müssen. Aber gerade der Sektor leidet ja darunter, dass die Arbeitsbedingungen so schlecht sind. Deswegen wollen so viele Leute, selbst ausgebildete Pflegekräfte, lieber bei Aldi hinter der Kasse sitzen. Durch eine Viertagewoche mit gleichzeitigem Personalausgleich könnte sich das Problem lösen lassen.

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Arbeitest du selbst vier Tage?
Ich habe einen 75-Prozent-Vertrag, also eine 30-Stunden-Woche. In manchen Wochen klappt das gut und in anderen weniger.

Das ist nicht das Gleiche. Die durchschnittliche Arbeitszeit in Deutschland liegt schon jetzt bei 30 Stunden. Wenn Leute also mit Teilzeit zufrieden sind, warum sollten Unternehmen Viertagewochen einführen wollen?
Weil das System ungerecht ist. Die Leute verzichten dabei auf einen Teil ihres Gehalts. Vor allem Frauen, die privaten Sorgeverpflichtungen nachkommen müssen. Ihnen droht deswegen die Altersarmut. Sie werden also dafür bestraft, Kinder großgezogen zu haben. Unternehmen würden direkt viel attraktiver, wenn es bei ihnen möglich wäre, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren und gleichzeitig von seinem Gehalt zu leben.

Nun habe ich mich kürzlich mit jemandem unterhalten, der es nicht einsieht, dass der Staat ihm vorschreibt, wie viel er arbeiten darf.
Wir reden hier doch überhaupt nicht über staatliche Initiativen. In Deutschland haben wir ein System, wo das Sache der Tarifpartner ist. Also wir reden darüber, dass Gewerkschaften mit Arbeitgebern irgendwas aushandeln oder vielleicht einzelne Unternehmensspitzen mit gutem Beispiel vorangehen. 

Alles freiwillig.
In Großbritannien gab es übrigens auch ganz vereinzelt Leute, die gesagt haben, dass sie gerne eine Fünftagewoche arbeiten, acht Stunden am Tag. Ihre Betriebe haben ihnen angeboten, einfach weiterzuarbeiten wie bisher. Nach wenigen Wochen haben auch diese Leute dann etwas gefunden, womit sie ihre neu gewonnene Freizeit verbringen konnten.

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Wenn der Staat nicht einschreiten soll, wie kann ich mein Unternehmen davon überzeugen, ein solches Experiment mitzugehen?
Durch gute Beispiele. Es gibt ja genug Medienberichterstattung darüber, die zeigt, dass man den Umsatz halten oder steigern kann und als Arbeitgeber trotzdem deutlich attraktiver werden kann. Das ist alles abgesichert durch Studien. 

Was, wenn meine Geschäftsführung keine Studien lesen will, die ich ihr vorlege, um weniger arbeiten zu müssen?
Na ja, wenn Beschäftigte Arbeitszeitverkürzung wollen, dann ist der erste und sinnvollste Schritt in Deutschland, in eine Gewerkschaft einzutreten. In der breiten Fläche müssen die das durchkämpfen. 

Also ist dein Plädoyer: "Tretet in Gewerkschaften ein!"
Na ja, als Wissenschaftler kann ich nur sagen, es scheint einen positiven Zusammenhang zwischen einem hohen Organisationsgrad und besseren Arbeitsbedingungen zu geben.

Dann frage ich dich als Wissenschaftler: Werden wir in Deutschland die Viertagewoche kriegen?
Seit die IG Metall das im Stahlsektor gefordert hat, bin ich zumindest optimistischer. Und international gibt es auch einen Trend zur Arbeitszeitverkürzung.

Und in Deutschland?
… sind die Arbeitszeiten bis 1990 immer weiter gefallen. Seitdem stagnieren sie. Wenn wir also jetzt die Viertagewoche bekämen, wäre das nur eine Rückkehr zu dem Fortschrittsversprechen von damals. Deswegen fände ich es nicht verwunderlich und hoffe, der Trend setzt sich durch.

Dann bleibt wohl nur eine Frage: Warum eigentlich die Viertagewoche und nicht drei oder zwei?
Ja, vielleicht wäre man dann noch produktiver. Aber ab einem gewissen Punkt fehlt dann doch Arbeitszeit, so dass man auch mit gesteigerter Produktivität weniger leistet als mit mehr Stunden. Tatsächlich ist das aber auch noch unterforscht. Man kann auch die Frage stellen, ob wirtschaftliches Wachstum in Zeiten der Klimakrise der wichtigste Faktor sein sollte. Aber jetzt wäre erstmal die Viertagewoche der nächste große Schritt.

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