“An der Sprechanlage klang er eigentlich sympathisch”, erzählt die 22-jährige Mareike D.*. “Da habe ich mir noch keine Sorgen gemacht.” Kurz danach begann ein Albtraum für sie, der sich über mehrere Stunden hinziehen sollte.
Auf den ersten Blick wirkt das Verbrechen, das zur Zeit vor dem Berliner Landgericht verhandelt wird, fast spaßig stümperhaft: Ein Mann mietet unter seinem richtigen Namen für eine Nacht eine Wohnung an, in die er eine Studentin unter der Vorgabe lockt, sie solle dort auf zwei kleine Kinder aufpassen. Als er dann versucht, sie zu vergewaltigen, stellt sich heraus, dass die Frau Kampfsport-Erfahrung hat – sie überwältigt ihn und ruft die Polizei. Die Medien nehmen das Ganze dann auch eher locker: Den “Strolch”, der sie in die “Sex-Falle” gelockt hat, “brachte sie zur Strecke”, schreibt zum Beispiel der Berliner Kurier.
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Der Berliner Kurier war allerdings auch nur beim ersten Prozesstag dabei. Die Details, die in den folgenden Verhandlungstagen ans Licht kommen, zeichnen ein viel düsteres Bild: ein sozial isolierter, tief gestörter junger Mann, der seine über Jahre aufgestauten Rachefantasien an einer Unschuldigen ausleben will. Und eine junge Frau, die verzweifelt über Stunden um ihr Leben kämpft.
“Manchmal rede ich auch wirres Zeug”
Damon P. ist heute 22 Jahre alt, hat schwarze, schulterlange Haare, meistens sitzt er vornübergebeugt in der Anklagebox. Wie er auf die Idee gekommen ist, eine Wohnung anzumieten, um dort eine Babysitterin zu überfallen, kann er mittlerweile nicht mehr genau erklären: Seine Begründung, er habe die junge Frau ursprünglich nur ausrauben wollen, um 180 Euro Schulden bei den Berliner Verkehrsbetrieben zu begleichen, ergibt so gut wie gar keinen Sinn. Die Wohnung im Prenzlauer Berg, die er für die eine Nacht anmietete, muss mindestens 50 Euro gekostet haben, und wahrscheinlich laufen die wenigsten Babysitterinnen mit massenweise Bargeld in der Tasche rum. “Das ist generell so, dass ich komische Ideen habe”, sagt P. vor Gericht und grinst dabei. “Manchmal rede ich auch wirres Zeug.”
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Was er danach noch so erzählt, bestätigt zumindest das mit den komischen Ideen: Einmal, sagt er, sei er in der Pension, in der er damals wohnte, über einen sturzbetrunkenen Mitbewohner auf dem Boden gestolpert. Da sei ihm die Idee gekommen, den Körper und Boden mit roter Farbe vollzuschmieren, ein Foto zu machen und das dann über Foren wie gofeminin und gutefrage zu verbreiten, zusammen mit dem Text “Auftrag erfüllt” auf Chinesisch – “so um den Leuten einen Schrecken einzujagen”. Ein andermal sagt er, er interessiere sich sehr für Pistolen. Und dass er als Schulabbrecher schon länger davon träume, mal “einen Gymnasiasten oder Studenten zu traumatisieren”, weil er “diese Menschengruppe” nicht leiden könne. Nach diesem Kriterium (sie sollte “nicht nach Hauptschülerin aussehen”) suchte er auch die Frau auf dem Babysitter-Portal aus. So kam es, dass er am 21. Juli letzten Jahres, als er mit einem Seil und einer täuschend echt aussehenden Airsoft-Pistole im Rucksack in die Wohnung eincheckte und auf die Studentin wartete.
“So geh ich wenigstens nicht für nichts in den Knast”
Mareike D. kam wie verabredet gegen 21 Uhr, um auf die angeblich acht und elf Jahre alten Töchter von “Ron” aufzupassen, unter dessen Namen Damon P. die Annonce auf der Babysitter-Plattform angelegt hatte. P. erklärte ihr, die Kinder seien gerade noch in der Dusche, die er vorsorglich aufgedreht hatte. Über das, was als Nächstes geschah, sind sich der mutmaßliche Täter und das Opfer in ihren Aussagen weitgehend einig.
Nach ein bisschen Smalltalk, der vor allem von Mareike D. ausgeht, küsst P. sie unvermittelt auf den Mund. “Ich dachte in dem Moment noch: Wieso macht der das, die Kinder kommen doch gleich”, sagt die Studentin vor Gericht. Da schubst P. sie aber schon aufs Bett, rennt zu seinem Rucksack und zieht die Pistole heraus. “Ich habe ihr sofort gesagt, dass ich ihr ins Bein schieße, wenn sie sich wehrt”, erklärt er später freimütig. Dann durchsucht er flüchtig ihren Rucksack nach Wertsachen, findet aber keine. Erst jetzt, behauptet Damon P. vor Gericht, fasst er den Entschluss, sich an der jungen Frau “zu vergehen”. Seine Begründung: “Für mich war klar, dass die mich jetzt ja sowieso anzeigt”, sagte der 22-Jährige. “So geh ich wenigstens nicht für nichts in den Knast.”
P. befiehlt Mareike, sich auf das Sofabett zu legen und sich ein Seil um ein Handgelenk zu binden. Dann fängt er an, sie zu küssen, befiehlt ihr, das T-Shirt auszuziehen und zieht ihr selbst BH und Hose aus. Die Studentin gibt sich kooperativ, überlegt aber fieberhaft, wie sie entkommen kann. “Ich hatte Todesangst. Ich dachte, er erschießt mich danach sowieso”, sagt sie später.
Der Kampf
Und dann ergreift sie die Gelegenheit: Als er sich noch einmal ihrem Mund nähert, legt Mareike D. ihm die Arme um den Hals – und zieht das Seil zu einer Schlinge um seinen Hals. Ein Kampf beginnt: Mareike D., die früher Kickboxen gemacht hat, zieht zu, so fest sie kann. Damon P. schlägt wild nach ihr, beißt sie, zieht sie an den Haaren und versucht, sie zu treten. Mareike D., von den vielen Schlägen ins Gesicht blutend, lässt nicht locker, bis Damon P. schreit, dass er nicht sterben will. “Ich habe gesagt, ich will ihn auch nicht töten, er soll nur meine Haare loslassen”, erzählt die Studentin. Sie lässt ihm mehr Luft, und sofort schlägt Damon wieder zu – also zieht sie wieder fester zu. Der Kampf geht weiter: Mehrere Male verliert P. beinahe das Bewusstsein, Mareike D. gibt ihm mehr Luft, und er versucht wieder, sich freizukämpfen. Aber seine Kraft lässt nach. “Irgendwann dachte ich, ich verrecke jetzt”, erinnert sich Damon P. Laut Mareike fängt der Mann genau dann plötzlich zu lachen an und sagt, dass er unbesiegbar sei – aber auch, dass es sich “eh schon gelohnt” habe, wenn er jetzt sterben müsse. Dann verliert er das Bewusstsein.
Als sie sich sicher ist, dass er nicht wieder aufwacht, nimmt Mareike die Pistole und ihr Handy an sich und schließt sich im Bad ein, weil die Wohnungstür abgeschlossen ist. Von hier ruft sie die Polizei, die kurz darauf die Tür eintritt. Nach Aussage eines Polizisten findet er Damon P. auf dem Boden. Dort versucht er, sich selbst mit dem Strick weiter zu erwürgen. Der Beamte schneidet das Seil durch und richtet P. auf. Der sei “wie in Trance” gewesen und habe immer wieder gesagt, er sei ein unbesiegbarer Dämon und “schon oft gestorben”, erinnert sich der Polizist. “Außerdem behauptete er, er habe die Vermieterin der Wohnung ‘zerstückelt’ und ihre Leiche aus dem Land geschafft.”
Als sie Mareike aus dem Badezimmer befreiten, habe sie “am ganzen Körper gezittert”, sagt ein anderer Polizist. Und auch wenn sie vor Gericht gefasst und ruhig wirkt – sie sagt, dass der Angriff nicht spurlos an ihr vorbeigegangen sei. Zuerst die zahlreichen Verletzungen, vor allem im Gesicht, die ihr noch tagelang Schmerzen bereitet haben. Noch schlimmer seien die psychologischen Folgen: Monatelang leidet sie unter Albträumen, bricht auch Wochen später noch manchmal unkontrolliert in Tränen aus, und vor allem ist sie misstrauisch gegenüber Fremden. “Ich habe lange überall nach Fluchtwegen und möglichen Waffen Ausschau gehalten”, erzählt sie. Wochen später bekommt sie plötzlich einen Anruf: Es ist Damon P., der sie irgendwie aus der Untersuchungshaft anrufen konnte. Später schickt er ihr auch noch eine WhatsApp-Nachricht, in der er ihr wünscht, dass “wir beide den Prozess gut überstehen, vor allem du!”. Mareike D. zeigt ihn auch dafür an.
Auf die Frage, ob er seine Tat bereue, sagt Damon P., dass er da “schwanke”. Auf der einen Seite tue sie ihm schon leid, sagt er. “Auf der anderen finde ich es manchmal gut, dass ich eine Gymnasiastin traumatisiert habe, denn sexuelle Erniedrigung ist ja die schlimmste.” Dann fügt er noch hinzu: “Ich finde es scheiße, dass ich so ein Mensch bin, aber ich bin halt so, wie ich bin. Leider.”
Angeklagt ist Damon P. wegen versuchten schweren Raubs, sexuellen Übergriffs, Körperverletzung und dem Vortäuschen einer Straftat. Am Montag soll ein psychiatrischer Gutachter eine Empfehlung darüber abgeben, ob P. straffähig ist – oder ob für ihn eine unbefristete Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt in Frage kommt.
*Name von der Redaktion geändert.
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