Der Aufwand ist gewaltig: Im Labor von Alfred Leitenstorfer, Professor für Ultrakurzzeitphysik in Konstanz, werden verschiedene Laser auf ganz spezielle Kristalle gefeuert. Jahrelang hat man angestrengt an den Methoden gefeilt, mit denen dieses Laserlicht nun präzise vermessen wird. Was will man dabei untersuchen? Nichts. Die pure Leere. Das, was man in der Physik als „Quanten-Vakuum” bezeichnet. Das klingt zunächst eigentlich nicht besonders spannend. Wozu also das Ganze?
„Wie sich herausstellt, ist das leere Vakuum physikalisch gesehen viel aufregender als man glauben könnte”, sagt Alfred Leitenstorfer. Wenn man in einem bestimmten Bereich jedes einzelne Teilchen entfernt und jede Strahlung von außen perfekt abschirmt, dann bleibt nicht etwa ein unveränderliches, langweiliges Nichts übrig, sondern man hat es dort immer noch mit einer Vielfalt physikalischer Effekte zu tun.
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Die Leere ist ein wildes Quantenblubbern
Die Quantenphysik sagt nämlich, dass sogar im absoluten Vakuum noch ein merkwürdiges Grundrauschen elektrischer und magnetischer Felder übrigbleibt. Sogar Teilchen können dort spontan entstehen und wieder verschwinden.
Und genau dieses erstaunliche elektromagnetische Grundrauschen im Vakuum versucht Alfred Leitenstorfer mit seinem Team nachzuweisen. Der Weg dorthin war nicht einfach. Schon 2015 veröffentlichte er im Fachjournal „Science” erste Ergebnisse seiner Untersuchungen: Das Quantenrauschen des Vakuums könne die Eigenschaften eines Kristalls verändern, behauptete Leitenstorfer – und diese Veränderung ließe sich mit Laserpulsen messen. Die Arbeit sorgte für Aufsehen, doch noch waren nicht alle Kritiker restlos überzeugt. Konnte es vielleicht sein, dass Leitenstorfers Team gar nicht die gesuchten elektromagnetischen Fluktuationen des Vakuums gefunden hatte, sondern bloß irgendeine andere, weniger spektakuläre elektromagnetische Strahlung?
Doch nun, nach weiteren zwei Jahren harter Forschungsarbeit, konnten die Forscher nachlegen: Anfang 2017 veröffentlichten sie weitere Ergebnisse, mit denen mögliche Alternativ-Erklärungen ausgeschlossen werden konnten. Damit besteht praktisch kein Zweifel mehr: Das seltsame Quantenrauschen, das man in Konstanz gemessen hatte, ist tatsächlich eine Vakuumfluktuation, ein elektromagnetisches Flackern des bloßen Nichts. Den Forschern gelang es sogar, diese Vakuumfluktuationen zu manipulieren – sie lassen sich strecken und zerren. „Es gibt Zeiten mit weniger Rauschen als im gewöhnlichen Vakuum, aber auch Zeiten mit mehr Rauschen – und zwar genau so, wie die Gesetze der Quantenphysik es verlangen”, erklärt Leitenstorfer.
Vakuum heißt minimale Energie
Aber warum spricht man überhaupt von einem „Vakuum”, wenn offenbar doch noch irgendetwas da ist? Für Physiker ist die Sache ziemlich klar: Das Vakuum ist definitionsgemäß einfach der Zustand mit der geringstmöglichen Energie. Doch wie dieser Zustand aussieht, ist quantenphysikalisch nicht so einfach zu beschreiben.
In unserem Alltag, in dem die Quantenphysik keine Rolle spielt, fällt es uns meistens ziemlich leicht, den Zustand geringster Energie zu finden: Wenn wir aus einer Bananenkiste alle Bananen herausnehmen, dann enthält sie weniger Masse (und damit weniger Energie) als vorher. Wenn ich eine Erdbeere in eine Schüssel rollen lasse, dann bewegt sie sich unweigerlich dem tiefstgelegenen Punkt der Schüssel zu, kullert ein bisschen herum und bleibt schließlich ganz unten liegen. Das ist der Zustand minimaler Energie – sozusagen der „Erdbeeren-Vakuumzustand” in der Schüssel.
In der Quantenphysik hingegen ist das ein bisschen komplizierter. Bei Quantenteilchen hat man es zwangsläufig immer mit einer gewissen Unschärfe zu tun: So ist es etwa grundsätzlich unmöglich, gleichzeitig den Aufenthaltsort und die Geschwindigkeit eines Teilchens exakt zu kennen – das ist die berühmte „Heisenbergsche Unschärferelation”. Das liegt nicht daran, dass die Physiker nicht genau genug messen können, sondern die Natur selbst kann Ort und Geschwindigkeit nicht gleichzeitig beliebig exakt festlegen.
Das bedeutet aber auch, dass sich Schwierigkeiten bei der Suche nach dem Zustand niedrigster Energie ergeben: Die Erdbeere in der Salatschüssel befindet sich an einem eindeutig definierten Punkt (nämlich ganz unten) mit einer eindeutig definierten Geschwindigkeit (nämlich null). Für ein Quantenteilchen ist das unmöglich, denn sonst wären Ort und Geschwindigkeit exakt bestimmt. Es kann also nicht so einen einfachen, klassischen Zustand geringster Energie annehmen wie die Erdbeere. Es wird immer noch ein bisschen schwingen, sich ein bisschen bewegen, sich nicht exakt an einem bestimmten Ort befinden.
Genau dasselbe gilt für elektromagnetische Felder: Klassisch betrachtet würde man meinen, sie befinden sich genau dann im Zustand minimaler Energie, wenn sie exakt null sind. Doch die Quantenphysik erlaubt das nicht. Die Gesetze der Quanten-Unschärfe verlangen, dass das elektromagnetische Feld in einem völlig leeren Volumen nicht exakt null sein kann.
Der Casimir-Effekt und die Kletterkünste der Geckos
Mathematisch zeigen kann man das schon lange. Doch das Quantenrauschen des Vakuums direkt zu messen, ist eine extrem schwierige Aufgabe. Bisher musste man sich mit indirekten Hinweisen zufrieden geben: So können die Vakuumfluktuationen etwa die Energie von Atomen ein kleines bisschen verändern – man bezeichnet das als „Lamb-Verschiebung”, dieser Effekt konnte bereits 1947 gemessen werden.
Auch der sogenannte „Casimir-Effekt” hat mit den Vakuumfluktuationen zu tun: Wenn man im vollständig leeren Vakuum zwei elektrisch leitende Platten parallel zueinander platziert, dann entsteht plötzlich eine anziehende Kraft zwischen ihnen, sie bewegen sich aufeinander zu. Das hat nichts mit Gravitation zu tun – Schuld ist der Druck der elektromagnetischen Felder.
Sowohl zwischen den beiden Platten als auch außerhalb der Platten entstehen ununterbrochen Vakuumfluktuationen im leeren Raum. Doch die Gleichungen der Elektrodynamik erlauben zwischen den beiden Platten nur ganz bestimmte elektromagnetische Felder, außerhalb der Platten sind viel mehr verschiedene Felder möglich. Das Vakuum rauscht in gewissem Sinn also außerhalb der Platten stärker als zwischen den beiden Platten – und dadurch werden die beiden Platten zusammengedrückt.
Diesen Effekt kann man messen, sogar die Natur macht sich das zunutze: Die bemerkenswerte Fähigkeit von Geckos, an Wänden und Zimmerdecken entlangzulaufen, ohne den Halt zu verlieren, dürfte ebenfalls etwas mit solchen Vakuum-Phänomenen zu tun haben.
„All das sind allerdings stationäre Effekte, bei denen nur die mittlere Wirkung der Fluktuationen gemessen werden kann”, sagt Leitenstofer. „Wir dagegen messen erstmals direkt die Quantenfluktuationen in der Zeit.”
Ganz wesentlich dafür sind spezielle Kristalle: Sie können Lichtstrahlen ein kleines bisschen abbremsen – und zwar abhängig davon, welchem elektromagnetische Feld man sie aussetzt. Während die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum eine unveränderliche Naturkonstante ist, lässt sich die Lichtgeschwindigkeit in solchen Kristallen durch elektromagnetische Felder in einem gewissen Rahmen anpassen. Und zu dieser Veränderung der Lichtgeschwindigkeit im Kristall trägt auch durch das Feld der Vakuumfluktuationen bei. Der ganze Kristall wird somit zum Detektor für das Quantenrauschen des leeren Raumes. Mit Laserpulsen wird die Antwort des Kristalls auf die Vakuumfluktuationen hochpräzise gemessen.
Mit dem Nachweis des Quantenrauschens im Vakuum ist das endgültige wissenschaftliche Ziel dieses Forschungsgebietes aber noch lange nicht erreicht. Jetzt, wo eine neue, extrem empfindliche Messtechnik zur Verfügung steht, kann man überlegen, sie für viele andere Präzisionsmessungen einzusetzen, meint Alfred Leitenstorfer: „Ich erhoffe mir, dass wir mit solchen Messungen ganz neue Aussagen bekommen werden, etwa zu den Eigenschaften der Hochtemperatur-Supraleiter, die ja nach wie vor nicht verstanden sind.”
Ein Vakuum-Kraftwerk wird es nie geben
Eines allerdings wird trotz all dieser exotischen Effekte niemals möglich sein: Das Quanten-Vakuum zu nutzen, um daraus Energie zu gewinnen. In Science-Fiction-Filmen und in Esoterik-Kreisen gelten die Vakuumfluktuationen immer wieder als mögliche unerschöpfliche Energiequelle. Doch davon hält Leitenstorfer gar nichts. Schließlich ist das Vakuum definitionsgemäß der Zustand mit der geringstmöglichen Energie – und dort, wo schon das absolute Minimum erreicht ist, kann man nichts mehr wegnehmen. Daran kann auch das mysteriöse Quantenrauschen nichts ändern.