Wenn US-Präsident Donald J. Trump Darth Vader wäre, wäre Steve Bannon der Imperator. Der selbsternannte Leninist und frühere Chef der rechten Nachrichtenseite Breitbart ist nicht nur Chefstratege im Weißen Haus und der wichtigste Berater von Trump, sondern auch Mitglied im Nationalen Sicherheitsrat. Er gilt als Architekt des umstrittenen Einwanderungsdekrets, ist fasziniert vom Krieg und hat mehrfach öffentlich gesagt, dass er Staat und Establishment zum Einsturz bringen will. Aber Trump ist nicht Darth Vader, Steve Bannon ist nicht der Imperator und das hier ist kein Weltraummärchen. Das hier ist echt und sehr ernst. Unser Autor hat Steve Bannon 2014 getroffen und am eigenen Leib erfahren, was ihn so gefährlich macht.
Im September 2014 war ich zu einer Feier in Steve Bannons Haus eingeladen. Für den Rolling Stone sollte ich mich unter die Mitarbeiter von Breitbart.com mischen, um Einblicke in die Welt des rechten Gonzo-Journalismus zu bekommen. Von Steve Bannon hatte ich bis dahin noch nie gehört.
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Auf der Einladung – zu Cocktails und einem festlichen Abendessen – war der Ort als “Breitbart Embassy” angegeben. Die “Breitbart Botschaft” ist ein typisch amerikanisches Stadthaus aus roten Ziegeln in Capitol Hill und befindet sich nur wenige Blöcke östlich vom Supreme Court entfernt. Das Gebäude erfüllt gleich drei Zwecke: Es ist das Hauptstadtbüro von Breitbart, das Zuhause von Bannon und anderen Führungspersonen sowie prunkvoller Veranstaltungsort für einen sozialen Zirkel, der sich aus Vertretern rechter Randbereiche des konservativen Washingtons zusammensetzt.
Zumindest damals gehörten sie zum Randbereich – waren Außenseiter und eine Minderheit. Bannon, den heute nicht wenige als tatsächlichen Präsidenten der Vereinigten Staaten sehen, war damals Chef von Breitbart.com. Mit einem dicken Lächeln schritt er durch die verschiedene Gästegrüppchen. Als man ihn mir schließlich vorstellte, fragte ich ihn, warum sie das Haus Die Botschaft nennen. “Washington D.C. ist wie Saigon ’68”, antwortete er. “Du weißt nicht, wer deine Freunde und wer deine Feinde sind.” Als Freund – in diesem Augenblick zumindest – versprach er mir, sich Zeit für ein Gespräch unter vier Augen zu nehmen. Dann ging er weiter und widmete sich wieder seinen Gastgeberpflichten.
Ich kannte nicht gerade viele Menschen bei der Veranstaltung – abgesehen von der rechten Radiomoderatorin Laura Ingraham und Jeff Sessions, damals Senator des Bundesstaates Alabama. Ich stellte Sessions, dem mit Abstand ältesten Gast bei der Feier, ein paar Fragen zu seiner Verbindung zu Breitbart – vor allem auch, um vor meinen Gastgebern eine gute Figur zu machen. Er überraschte mich mit seiner Aussage, dass er Breitbart anrechne, eine Reform des Einwanderungsgesetzes im Kongress vergiftet zu haben, gegen die er selbst auf die Barrikaden gegangen war. “Sie könnten sich vielleicht nicht vorstellen, dass sie den Gesetzesvorschlag töten können”, sagte Sessions. “Aber das haben sie.” Er erzählte mir weiter, dass er die Seite fast täglich lesen und seine Wählerschaft regelmäßig in öffentlichen Fragerunden aus Breitbart-Artikeln zitieren würde. “Meiner Meinung nach veröffentlicht Breitbart topaktuelle und unabhängige Informationen, zugeschnitten auf den hart arbeitenden Durchschnittsamerikaner. Sie sind ehrlich und diese Dinge müssen gesagt werden.”
Der Ehrengast des Abends war ein damals als obskur geltender rechtskonservativer Brite namens Nigel Farage. Ein Breitbart-Mitarbeiter erklärte mir mit leuchtenden Augen, dass Farage der Vorsitzende der U.K. Independence Party (UKIP) sei und Bestrebungen Großbritanniens zu einem Austritt aus der Europäischen Union anführe. Ich machte mir nur ein paar flüchtige Notizen zu Farages Rede – genug, um einen groben Eindruck zu bekommen, dachte ich. Darunter war auch eine Passage, in der er den damaligen Premierminister David Cameron “willensschwach und feige” nannte. Das alles erschien mir so irrelevant, dass ich die Aufnahmen später löschte.
Offensichtlich hatte ich die Zeichen alle nicht gesehen. Und das nicht nur, weil Jeff Sessions heute Justizminister, der Brexit harte Realität und Bannon der heimliche Präsident der Vereinigten Staaten ist. Meine Redakteure und ich hatten das alles nicht kommen sehen – nicht im Entferntesten. Wir hätten aber erkennen müssen, dass ihre Unterstützer noch nicht das letzte Wort gesprochen hatten. Ein Artikel über das bevorzugte Sprachrohr einer Bewegung wird nie so spannend sein wie die Bewegung selbst. Ein paar Monate und ein paar Entwürfe später war mein Artikel immer weiter zusammengeschrumpft und schließlich verkümmert. In meinen Augen eine Schande, vor allem weil ich Steve Bannon als so aufrichtigen Menschen wahrgenommen hatte.
Bannon hielt sein Versprechen von der Feier und zwei Wochen später trafen wir uns in New York zum Abendessen im Odeon, einem geschäftigen Bistro in Lower Manhatten. Schon bei seiner Ankunft sprühte er über vor Intensität. Er trug zwei Stifte in seiner Hemdtasche und rührte im Laufe der nächsten 90 Minuten kaum sein Essen an – noch nicht einmal seinen Mantel zog er aus. Er war viel zu beschäftigt damit, mir die Welt zu zeigen, wie er und Breitbart sie sahen – die Welt, für die alle anderen blind waren.
Er hatte eine Menge Neuigkeiten für mich auf seiner Agenda, nur wenige davon mit seriösen Fakten untermauert. Bannon erzählte, dass zehn Countys im Rio Grande Valley an der texanisch-mexikanischen Grenze unter Kontrolle der Drogenkartelle stehen würden. Nur die akribische Arbeit von Breibart Texas habe das aufgedeckt: “Das wird dich umhauen. Wir machen dich auf Scheiß in Laredo und diesen anderen Orten aufmerksam. Du wirst buchstäblich denken: ‘Das kann nicht Amerika sein.’” Die amerikanische Einwanderungspolitik sei absichtlich darauf ausgelegt, den Arbeitsmarkt zu unterlaufen: “Wenn du den Bereich, wie Jeff Sessions sagt, mit 50 Millionen Arbeitern überschwemmst …” Dann gab es noch eine Theorie darüber, dass sich Ebola durch Präsident Obamas Nachlässigkeit in Westafrika ausbreiten würde: “Übrigens, der ist nie [über den Virus] unterrichtet worden.” Ach, und ISIS plant ein Attentat auf den Papst.
Obama hatte die politische Führung von Sierra Leone und Liberia einen Monat zuvor zum Ausbruch kontaktiert und Breitbart hatte sogar darüber berichtet. Der Vatikan tat die Attentatsgerüchte als leere Drohung ab.
“Es gibt eine Mitte-Rechts-Bewegung auf der ganzen Welt, die gegen das Establishment ist – gegen die Davos-Partei”, sagte er. Die “Davos-Partei” ist sein Kampfbegriff für die globalistische Elite beider US-Parteien. Er sprach so schnell, dass er sich immer wieder selbst unterbrach: “Und übrigens, viele dieser Leute haben ein dickes Fell. Nicht wahr? Die sind gerissen”, sagte er und meint damit konkret Frankreichs Front Nationale und Großbritanniens UKIP. “Wir wollen ganz vorne mit dabei sein”, sagte er. “Wenn du dir ISIS anschaust, wenn du dir die Pflichtfächer in der Schule anschaust, wenn du dir die Einwanderungspolitik anschaust … wenn du dir das alles anschaust … und du kannst ruhig mit anderen Menschen über die ganzen Storys sprechen, bei denen wir vorne mit dabei waren. Wir sagen bei uns: ‘Bevor es News ist, ist es Breitbart.’”
Ich wusste, dass Breitbarts Berichterstattung rassistisch gefärbt und hetzerisch ist, aber 2014 hatten altbackene rassistische Ideologien noch nicht ihr Comeback als Alt-Right gefeiert (und Bannon Breitbart noch nicht zum Sprachrohr der Bewegung erklärt). Ich fragte ihn nicht nach seinen Ansichten zu Ethnie und Religion oder dem Standpunkt der Seite zu diesen Themen – eine Nachlässigkeit, die mir heute immer umso eklatanter erscheint, wenn man bedenkt, was über Bannons Filmprojekte und die rassistischen und islamophoben Artikel (genau so wie die transphoben, homophoben und frauenfeindlichen Artikel) berichtet wurde, die Breitbart verbreitet hat. Er hingegen war sich der Assoziation eindeutig bewusst:
“Menschen sehen uns als nativistische und rassistische Seite für Neo-Konföderalisten”, sagte er plötzlich aus dem Blauen heraus, nur um anschließend ziemlich halbherzig und vage zu versuchen, diese Ansicht zu entkräften. Die Leserschaft sei im Grunde nur neugierig auf die verschiedenen Realitäten der Welt. “Die Ebola-Artikel sind seit erstem Tag unfassbar beliebt”, sagte er. Zur Zeit unseres Gesprächs befand sich der Ausbruch von 2014 gerade auf seinem Höhepunkt und Breitbart hatte die Angst der Amerikaner vor Ebola-Patienten, die ungeschützt über die Grenze ins Land geraten könnten, für seine Zwecke instrumentalisiert. Aus der Berichterstattung über eine Krankheitsepidemie war so eine Geschichte über Einwanderung geworden. “Die Leute waren einfach interessiert”, so Bannon.
Zu diesen Interessierten – und schließlich auf diese Lesart Fixierten – gehörte auch Donald J. Trump, der damals noch neun Monate vor der Bekanntgabe seiner Präsidentschaftskandidatur entfernt war. “Ein einziger Ebola-Träger infiziert mindestens zwei andere”, schreibt er in einem seiner vielen Tweets. aus jener Zeit. “STOPPT DIE FLÜGE! KEINE VISA AUS EBOLA-LÄNDERN!” Präsident Obama ignorierte seinen Rat. Lediglich vier Fälle wurden je auf U.S.-amerikanischem Boden registriert.
Das Management von Trumps Prioritätenliste ist heute ganz formal Bannons Aufgabe. Und es sieht so aus, als habe er damit nicht nur die Gelegenheit, aus Trumps Wahlversprechen Kapital zu schlagen, sondern auch seine eigenen Anliegen mit einzubringen. Während unseres Abendessens erwähnte er an drei verschiedenen Stellen den Mord – einmal sagte er “Genozid” – an Christen in mehrheitlich muslimischen Ländern. Das umstrittene Dekret zur Einwanderung und Aufnahme von Flüchtlingen erfüllte zwar ein Wahlversprechen, das Trump schon gemacht hatte, bevor Bannon Teil seines Teams geworden war. Allerdings enthielt es auch eine Anordnung, die weitestgehend so verstanden wird, dass sie einen gesonderten Flüchtlingsstatus für Christen aus dem Nahem Osten einräumt.
Der Kellner räumte schließlich Bannons Suppe ab und er bestellte einen doppelten Espresso. Sein Geschäftspartner Andrew Breitbart habe vor seinem Tod geschworen, die Nachrichtenseite über die rechtspopulistische Empörung hinaus zu aktiven Taten zu führen, sagte er. “Der Tag wird kommen, an dem wir mit diesem Apparat umdrehen und im Angriff spielen werden”, zitierte er seinen verstorbenen Freund. “Und das ist es, was Breitbart Texas ist. Das ist die Einwanderungs-Story. Das ist die Ebola-Story. Da ist der christliche Genozid im Nahen Osten. Das ist UKIP in England.”
“Die Welt bricht gerade zusammen”, fuhr er fort. “Damit meine ich, die Welt steht in Flammen. Und plötzlich wird es den Leuten dämmern, dass das nicht nur ein Problem für die Menschen im Nahen Osten ist, sondern auch ein Problem für dich in Kansas City.”
Bannon habe ich nur ein weiteres Mal getroffen, als ich ein paar Tage später nach Washington zurückkehrte, um einige seiner Mitarbeiter zu interviewen. Er öffnete die Tür der Botschaft in Cargo Shorts und winkte mich rein. Er plauderte fröhlich über irgendwelche tollen neuen Leute, die er für Breitbart an Land gezogen hatte. Schließlich kam einer seiner Untergebenen, um mich einzusammeln. Das war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe.
In der kurzen Zeit, die ich mit ihm verbracht habe, habe ich nie eine persönliche Feindseligkeit oder Boshaftigkeit bei ihm wahrgenommen. Er war stets freundlich und schien geradezu gutmütig. Man merkte aber eindeutig, dass ihn das Gefühl von einer Welt im Missstand und eines Erwachens beherrschte. Das hatte ihn in einen Randbereich getrieben, wo er manchmal – oder auch oft – Fantasien und Fakten miteinander verwechselte. Nichtsdestotrotz nahm ich ihn als aufrichtig und authentisch wahr. Wenn ich mir die Tonaufnahmen des Interviews heute anhöre, bin ich überrascht und erschrocken darüber, wie oft ich mich selbst lachen höre und seinen Argumenten zustimme. Dass er das Establishment ausweiden wollte, nahm ich eher als spitzbübische Antihaltung und nicht als durch und durch bösartig wahr. Eindeutig hatte ich damals nicht verstanden, was er versucht hat, mir zu sagen.