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Diese vier Technologien sollen den globalen Hunger besiegen

795 Millionen Menschen haben weltweit schon heute nicht genug zu essen. Gleichzeitig wurden nie so viele Nahrungsmittel hergestellt wie heute. Ein großer Teil der Grundnahrungsmittel geht dabei jedoch bereits während der Ernte verloren, oft aufgrund mangelnder Lager- oder Transportmöglichkeiten. Während in Industrieländern durchschnittlich 40 Prozent der Lebensmittel nicht gegessen, sondern weggeworfen werden, sind in Ländern, in denen viele Menschen von der Landwirtschaft leben, die Böden oft durch Hitzewellen, Überschwemmungen oder Erosion so stark in Mitleidenschaft gezogen, dass die Agrarproduktion oft nicht genug abwirft, um die lokale Bevölkerung zu versorgen. Schwankungen von Lebensmittelpreisen auf dem globalen Markt tun ihr übriges und verhindern, dass Kleinbauern langfristig den Export von Weizen, Reis oder Mais planen können.

Bis 2050 wird sich das Problem der Unterernährung noch verstärken. Mit immer weniger fruchtbarem Land müssen in der Zukunft neun Milliarden Menschen ernährt werden. Wissenschaftler arbeiten mit Hochdruck daran, Technologien zu entwickeln, um die drohenden Hungersnöte der Zukunft zu verhindern. Dabei schrecken Sie angesichts der dramatischen und lebensgefährlichen Folgen von Unterernährung auch nicht vor gentechnischen Verfahren zurück, die unter Umweltschützern umstrittenen sind. Wir stellen vier ihrer Ansätze vor—und erläutern die wissenschaftlichen Probleme und Herausforderungen.

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1. Mit Gentechnik die Pflanzen hacken

Das bekannteste Beispiel für eine gehackte Pflanze ist der „goldene Reis”. Jener Reis, dem die Time im Jahr 2000 eine Titelgeschichte widmete, wartet mit modifizierten Körnern auf, die Gene von Narzissen und Viren enthalten und so Beta-Karotin produzieren, welches der menschliche Körper in Vitamin A umwandeln kann. Das klingt gut, sterben doch jährlich etwa eine Million Kinder an einem Mangel an genau diesem Vitamin. Doch goldener Reis funktioniert nur in der Theorie: Er deckt nur einen kleinen Teil des Vitamin A-Tagesbedarfs ab und braucht äußerst fruchtbaren Boden und viele Pestizide, um wachsen zu können.

Normaler und goldener Reis (rechts) im Vergleich. Bild: International Rice Research Institute (IRRI). Lizenz: CC BY 2.0.

Wissenschaftler arbeiten längst an besseren Möglichkeiten, um insbesondere Grundnahrungsmittel wie Weizen, Mais, Reis oder Soja genetisch so zu verändern, dass sie mehr Ertrag bei weniger Aufwand liefern. In den USA sind erste veränderte Mais- und Kartoffelsorten sowie gentechnisch modifizierte Papayas und Baumwolle bereits auf dem Markt. Auch etwa die Hälfte der global gehandelten Sojabohnen entsteht heute schon aus gentechnisch veränderten Samen: Ihnen ist ein Gen eingesetzt, das die Bohnen resistent gegen Pestizide macht.

Langfristige Folgen eines menschlichen Eingriffs sind noch nicht erforscht

Um dem Hunger entgegenzuwirken, müssen die gentechnisch veränderten Pflanzen jedoch nicht nur in hochtechnisierten Gewächshäusern, sondern vor allem dort angebaut werden können, wo sie am dringendsten gebraucht werden, zum Beispiel in Süd- und Ostafrika. Dort werden beinahe 70 Prozent des Mais ohne Düngemittel hochgezogen—auf wenig fruchtbarem Boden, der besonders geschützt werden muss.

Ein Projekt des mexikanischen International Maize and Wheat Improvement Centers hat eine Maissorte entwickelt, die auch in wenig stickstoffhaltigen Böden etwa 25 Prozent mehr Erträge liefern soll. Zudem sollen neue Gene den Mais hitzefest und resistent gegen Schädlinge machen. Erste Tests in Tansania, Malawi, Mosambik, Südafrika, Uganda und Simbabwe zeigen, dass der Mais gut anwächst. Ob er den natürlichen Gegebenheiten vor Ort standhält und stagnierende Märkte ankurbeln kann, ist allerdings noch unklar.

Dieser Mais kommt auch mit wenig Stickstoff aus. Bild: Brenda Wawa/CIMMYT.

Ob Zuckerrohr, Weizen, Reis, Papayas oder Soja: Die Gentechnik kann Pflanzen pimpen, doch die langfristige Folgen eines menschlichen Eingriffs sind noch immer nicht ausreichend erforscht. Ein weiteres Problem könnten auch die Kosten sein: Goldener Reis hat seinen Preis. Eine breite Öffentlichkeit steht der Gentechnik momentan sehr kritisch gegenüber. Für den Reis-Versuch aus dem Jahr 2000 war das Marketingbudget sogar größer als die Summe, die für die Entwicklung der gentechnisch veränderten Pflanze ausgegeben wurde.

2. Besserer Boden für ertragreiche Ernten

Über ein Drittel des kultivierbaren Landes wird weltweit für den Anbau von Tierfutter verwendet. Immer mehr Felder produzieren zudem Ernten, die zu Biogas weiterverarbeitet werden. Und 70 Prozent des Frischwassers der Welt geht für den Nahrungsmittelanbau drauf. Das erzeugt Boden- und Ressourcenknappheit, die Wissenschaftler umgehen wollen: Mit der präzisen Düngung von Feldern und Mikroben-Cocktails, die ausgelaugte Böden auf Dauer wieder fit machen sollen.

Bodensensoren, auseinandergebaut. Bild: Iowa State University (mit freundlicher Genehmigung).

Traktoren, die mit GPS ausgestattet sind, könnten theoretisch schon heute Samen und Pflanzen millimetergenau mit Dünger und Wasser versorgen. Bald sollen sie auch die Menge eines Zusatzes steuern können: Stuart Birrell, Lehrbeauftragter für Landwirtschaft und Biosystemingenieurswesen an der Iowa State University, sowie Ratnesh Kumer, Professor für Elektro- und Computertechnik, haben dafür ein Netzwerk von unterirdischen Bodensensoren entwickelt. Diese sollen die Feuchtigkeit, Temperatur und Nährstoffe eines Anbaugebiets messen und die Daten an einen Computer senden. Die Wassermenge und die Temperatur zeigen, wie gut Stickstoff durch die Erde transportiert wird—und Landwirte können mit ihrem Gefährt im besten Fall weniger Dünger auf das Feld spritzen, als sie ohne genaue Informationen verwenden würden.

Gerade dort, wo Böden wenig fruchtbar sind, herrscht jedoch häufig auch eine Unterversorgung an Dünger, und Landwirte müssen häufig einen hohen Preis für die dringend nötige Bodenbehandlung zahlen.

C.A. Reddy, Professor für Mikrobiologie und Molekulargenetik von der Michigan State University, konzentriert sich deshalb auf natürlich in der Erde vorkommende Mikroben—er hat einen Cocktail entwickelt, in dem die 300 für den Nahrungsmittelanbau nützlichsten Mikroben zusammengestellt sind. Diese sollen den Bedarf an Phosphor und Stickstoff decken und Pflanzen vor Schädlingen schützen. In ersten Experimenten erzielten Reddys Testfelder eine erhöhte Tomatenernte von etwa 90 Prozent. Unfruchtbaren Boden dauerhaft wieder fruchtbar machen? Reddy behauptet, sein Mikrobenmix müsse nicht wie andere Dünger jedes Jahr neu aufgetragen werden, sondern bleibe in der Erde erhalten und würde diesen dauerhaft verbessern.

Billig sind diese Methoden nicht. Vier bis sechs der Bodensensoren von Birrell und Kumer sollen etwa 20 bis 30 US-Dollar kosten. Die Wissenschaftler glauben zwar, dass sie Dünger in einem Wert von etwa 150 US-Dollar einsparen können. Für Kleinbauern ist all das aber trotzdem bisher unbezahlbar.

3. Super-Gewächshäuser für karge Regionen

Die Wüste wird zum Anbaugebiet: Mit neuen Gewächshäusern könnten Landwirte vielleicht bald besonders wertvolles Gemüse wie Tomaten und Salat sogar in der Wüste anbauen.

Eine Anmutung des Wüsten-Gewächshauses. Bild: Seawater Greenhouse Ltd (mit freundlicher Genehmigung).

Die Idee stammt nicht von einem Wissenschaftler, sondern vom Lichtdesigner Charlie Paton. Drei seiner „Seawater Greenhouses”, die Meerwasser in Frischwasser umwandeln und damit Pflanzen versorgen, werden schon heute auf Teneriffa, Abu Dhabi und Oman getestet. Dafür läuft Wasser aus dem Meer zunächst wabenförmige Strukturen an der Gewächshauswand herunter und verdunstet. Damit kühlt und befeuchtet es das Innere des Hauses. Der Dunst wird dann durch einen Verdampfer in Frischwasser für die Pflanzen verwandelt, das in einem unterirdischen Tank gespeichert wird. Wo Frischwasser knapp ist, könnte ein solches Gewächshaus in Zukunft den Mangel mindern.

Wo der Platz für große Anlagen wie das Wüsten-Gewächshaus nicht reicht, müssen andere Anbauarten her. In Turkmenistan zum Beispiel stehen den Landwirten nur wenige Hektar Land zur Verfügung, die für die Lebensmittelproduktion nicht ausreichen. Die Organisation USAid hat dort deshalb etwa dreieinhalb Meter hohe Gewächshäuser gebaut, in denen auch größere Pflanzen Platz finden. Auch für die Produktion in der Nähe von Städten ist das vertikale Gärtnern weiterentwickelt worden: In Japan und im US-amerikanischen Bundesstaat Wyoming stehen bereits Gewächshäuser, die rund drei Stockwerke hoch sind. Die Pflanzen nähren sich dort von anorganischen Nährsalzen, die in Wasser gelöst an ihre Wurzeln gelangen. Auch die NASA forscht an dieser Methode, die Hydrokultur genannt wird: Eventuell soll so Gemüse im All angebaut werden.

Der Pflanzenphysiologe Ray Wheeler untersucht Zwiebeln aus einer Hydrokultur. Bild: NASA/KSC.

Unfruchtbares Land fruchtbar machen, statt Gewächshäuser für Tomaten und Gurken große Glasgebäude: Diese Lösungen versprechen zwar keine Revolution der Landwirtschaft—zu klein ist bislang der Ernteertrag. Doch beide Lösungen gehen flexibel mit dem fehlendem Platz um und könnten zumindest die Abhängigkeiten der Bauern von Boden und Weltmarktpreisen reduzieren.

4. Roboter als Erntehelfer

Erntehelfer sind einige der am schlechtesten bezahlten Arbeitskräfte der Welt. In einigen Ländern steigen zudem gerade die Voraussetzungen für Arbeitsaufenthalte, was Saisonarbeiter davon abhält, für die Erntezeit das Land zu wechseln. Das US-amerikanische Landwirtschaftsministerium hat deshalb dem Robotikforscher Sanjiv Singh von der Carnegie Mellon University sechs Millionen US-Dollar zugesprochen.

Der Forscher soll ein automatisches Bewirtschaftungssystem entwickeln, das die Qualität des Obstes verbessern und US-amerikanische Obstbauern vor der Pleite bewahren soll. Die Roboter sollen Schädlinge suchen, Feuchtigkeit und Temperatur messen und die Daten an einen zentralen Computer senden, den ein Landwirt einsehen kann.

Die Hubautos steuern automatisch durch die Apfel-Felder. Bild: Carnegie Mellon University (mit freundlicher Genehmigung).

Aber richtig ernten? Dass das tatsächlich Maschinen übernehmen, ist noch keine Realität: Die Firma „Vision Robotics” entwickelte vor einigen Jahren den ersten Prototypen einer Maschine, die mithilfe von Kameras auch kleinteilige Früchte wie Weintrauben sehen und diese dann vorsichtig pflücken können sollte. Das Problem: Die Maschinen kosten etwa zehn Mal mehr pro Stunde, als menschlichen Arbeitern bezahlt wird. Ob Roboter die Unterernährung beenden können, ist deshalb fraglich. Sie werden jedoch wahrscheinlich bald den Menschen auf dem Feld unterstützen: Indem sie ihn in Baumhöhe heben, Kisten schleppen oder mit Sensoren Daten sammeln.

Neben den vorgestellten Methoden gibt es viele andere Verfahren, die versprechen, Hunger zu reduzieren. Dazu gehört, dass wir vielleicht bald proteinreiche Insekten essen (obwohl der Nutzen umstritten ist) und einen Weg finden, weniger Lebensmittel zu verschwenden.

Neben politischen Absichtserklärungen spielt die Wissenschaft weiterhin eine der größten Rollen in der Entwicklung nachhaltiger und neuer Methoden, Boden, Ernten, Technik und Menschen für viele weitere glückliche Jahre auf diesem Planeten zusammenzubringen.