Alle Fotos: Julian Haas
Der letzte Festivaltag ist angebrochen, und ich versuche mich als investigativer Journalist. Eine glaubwürdige Quelle, die aber anonym bleiben will, hat uns einen Hinweis auf einen regelrechten Frequency-Skandal gegeben: Anscheinend soll es bereits seit Jahren auf dem Caravan-Campingplatz ein Bordell geben. Sogar der Name des Festival-Puffs (Chez Monique) und der Preis für einen Blow Job (25 Euro) wurde wurde uns genannt.
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Ich mache mich also auf den Weg zu den Caravans, gehe von Pavillion zu Pavillion, und frage die Leute, ob sie vom Chez Monique gehört haben. Aber niemand will von einem Campingplatz-Puff wissen. Ganz viele Leute bitten mich aber darum, ihnen bescheid zu sagen, sollte ich es tatsächlich finden. Ein Kerl, der in seinem Camingsessel sitzt, behauptet sogar, dass er in seinem Pavillion das „Gasthaus zur Bärigen Schlampe“ betreibt. Nach kurzer Zeit stellt er sich aber als Bluff heraus.
Keine heiße Spur. Vielleicht ist das Chez Monique auch einfach nur ein Urban Myth, oder so. Leider bleibt mir aber auch gar keine Zeit, um meine Puff-Suche auszuweiten. Ich muss mich schweren Herzens von den Einwohner des Campingplatzes verabschieden. Ich habe in dieser kilometerlangen Zeltstadt wundervolle Dinge gesehen. Meterhohe Biertrichter-Apperaturen. Limbo tanzende Polizisten. Eigentlich wollte ich mich doch gar nicht emotional an die Campingplatzureinwohner binden, aber nun ist es doch geschehen. Ich frage mich leicht besorgt, ob diese liebenswerten Wildgewordenen im Alltag ohne mich zurechtkommen werden, oder überhaupt wieder resozialisierbar sind.
Doch keine Zeit für Tränen, denn die musikjournalistische Plicht ruft. Ein letztes Dosenbier in Körpertemperatur, und dann geht es auch wieder zur Space Stage, dort werden heute ein paar altgediente Indie Rock-Frequency-Lieblinge aufspielen. Der klassische Indie Rock kommt mir ja oft vor, wie ein schönes, aber kränkelndes Viech. Ich denke gerne an die Zeiten zurück, als man beim Frequency beinahe ausschließlich Indie-Bands zu bestaunen gab, und trotzdem alle zufrieden waren. Aber auch als Indie-Liebhaber muss man zugeben, dass das Genre an Schlagkraft echt verloren hat. Ich will dem indie-lastigen Line Up trotzdem eine Chance geben.
Mein Indie-Intermezzo beginnt mit den Subways. Musikalisch überrascht mich am Auftritt wie erwartet nichts. Aber Frontmann Billy ist noch immer eine stagedivende Rampensau, und Charlotte sieht hinter ihrer überdimensioniert wirkenden Bassgitarre immer noch entzückend aus. Außerdem ist erfrischend, wieder einmal Moshpits zu Gitarrenmusik zu erleben, und nicht zum Bassdrop eines DJs. Dass über der Space-Stage kohlrabenschwarze Wolken die Sonne verdunkeln, steht dem düsteren Sound der Editors, die nach den Subways aufspielen, ziemlich ideal. Auch ihr Konzert ist eigentlich ganz gut. Irgendwie habe ich jetzt aber trotzdem auf etwas aufheiternderes Lust. Hey, spielt heute nicht Helge Schneider irgendwo hier am Gelände? Bingo!
Tatsächlich, da wartet eine ganze Halle voll überdrehter, junger Leute auf den echten und einzigen Helge. Und der hat sich passend für en Rock-Festival in seine beste Biker-Ledermontur geworfen. Helge ist gnädig und verschont wahrscheinlich jüngste Publikum, für das er seit langem gespielt hat, mit dem „Strafjazz“, den er früher gerne mal älteren Zusehern aufgebrummt hat. Für die „Kinder“ wie er die euphorischen Zuschauer nennt, kommen die Hits aus der Kanone geschossen. „Hast du eine Mutter, hast du immer Butter“, „Es gibt Reis“, sogar „Katzeklo“, in einer Extendet Version. Helge ist nicht nur das komischste Lebewesen, das diesen Planeten bevölkert, er ist wahrscheinlich auch der beste Musiker, der hier in vier Festivaltagen gespielt hat. Die Band, die er dabei hat, ist im Schnitt etwa drei mal so alt wie der Durchschnittszuschauer, und trotzdem cooler, als das meiste was man hier heute bisher auf einer Bühne gesehen hat.
Jetzt aber wieder zurück großen Bühne, noch eine Indie Rock-Kapelle steht am Plan. Optisch ist bei den Kooks immer noch alles beim alten, sie sehen nach wie vor aus, als hätte man Frodo Beutlin und seine Hobbitfreunde in Röhrenjeans und Stiefletten gesteckt. Auch musikalisch bewegen sie sich sehr nahe an der Show, die sie vor drei Jahren hier gespielt haben. Die paar neuen Songs, die sie mitgebracht haben, klingen live aber ganz schön funky, und das steht den Kooks erstaunlich gut. In mir keimt Hoffnung auf, dass sie es, ähnlich wie die Arctic Monkeys, schaffen, mit einem frischen Sound die Indie-Eiszeit zu überleben. Und dann steht auch auch tatsächlich schon die letzte Band für dieses Jahr auf der Space Stage: Placebo. Die Menschenmenge ist vielleicht halb so groß, wie eine Stunde zuvor bei den Kooks. Mir wird bewusst, dass die altgedienten Placebo-Fans ziemlich sicher nicht mehr hier am Frequency zu finden sind. Ein Großteil der jetzigen Festivalbesucher waren Kleinkinder, als Placebo 1998 mit dem Soundtrack zu „Eiskalte Engel“ weltberühmt wurden, manche der Kids hier waren noch nicht mal geboren.
Ihre Show ist gut, aber Placebo haben als Frequency-Headliner nicht mehr den Stellenwert, den sie noch vor ein Paar Jahren hatten. Das schlägt sich auch in der Atmosphäre nieder. Irgendwie will ich mich nicht mit der etwas miesepetrigen Stimmung vor der Space Stage vom Frequency verabschieden. Deshalb wandere ich zur zweiten Bühne, wo Parov Stelar zum Festival-Abschluss spielt. Hier bei Noisey ist ja mal ein Artikel erschienen, in dem darum gebeten wird, dass die Leute endlich aufhören, mit Saxophonen über billige Electrobeats zu dudeln. Und dieser Meinung bin ich auch, ich finde Electro Swing furchtbar. Wenn es aber gekonnt und mit Live-Band inszeniert ist wie bei Parov Stelar, kann ich wirklich damit leben. Immerhin ist die Stimmung hier wirklich hervorragend, und ich kann meine Festivalerlebnisse mit fröhlichen Gesichtern abschließen.
Liebstes Frequency, du hast mir viele schöne Momente beschehrt. Viel mehr, als ich dir aufgrund deines Line Ups zugetraut hätte. Ich habe gelernt, dass man auch man auch in seinen Zwanzigern mit trichtersaufenden Teenagern Spaß haben kann, und dass Indie Rock unter umständen doch noch halbwegs funktionieren kann. Vielleicht sehen wir uns ja tatsächlich nächstes Jahr wieder, mein alter Freund.
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