Ich tanze in der Panorama Bar. Der DJ hat gerade mit seinem Set angefangen und mir geht es gut. Ich bin schon lange hier. Ein Typ stupst mich an und beugt sich zu meinem linken Ohr.
“Ich baue gerade eine Jazz-Zigarette“, sagt er zu mir.
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“Das freut mich für dich.” Ich drehe mich zurück zum DJ.
“Weißt du überhaupt, was das ist? Eine Jazz-Zigarette ist …”
Eigentlich habe ich ja 18 Euro bezahlt, um zu tanzen. Jetzt werden mir aber Synonyme für Joint erklärt. Was für ein Luxus.
Bisher hat sich für mich noch kein Weg ergeben, den selbstgefälligen Erklärungen eines männlichen Gegenübers zu entgehen. Möglicherweise hatte ich aber bis jetzt die komplett falsche Herangehensweise. Denn statt sich dagegen zu sträuben, liegt der Ausweg vielleicht darin, ihnen noch mehr Möglichkeiten zu geben. Ich will wissen, wie groß der Wunsch ist, sich an weiblichem Unwissen aufzugeilen. So beginnt mein Experiment: Ich lasse mich mansplainen, drei Dates lang.
Doch wo finde ich meine Mansplainer? Klar, ich könnte warten, bis eine Indie-Filmreihe mal wieder La Haine zeigt. Krasser Idiotenmagnet dieser Film. Die Typen da sind die Art von Männern, die sich zu dir nach Hause einladen und dann ein Loch in deine Wand schlagen, weil ihr Hals-Chakra zu ist.
Oder ich schaue einfach auf Tinder nach. Es braucht nur wenige Swipes, bis man zur Erkenntnis gelangt, dass die Dating-App eine gute Adresse ist, wenn es um maßlose Selbstüberschätzung geht.
Da ich mich über die betrunkenen Nachrichten von Eine-Minute-vor-faltig-Mittdreißiger-Typen mehr aufregen musste, als mir lieb war, habe ich die App vor zwei Monaten gelöscht. Mit neuem Account starte ich erneut. Ich lade dieselben Bilder hoch, ändere aber mein Swipe-Verhalten. Professionelle Gamer und Typen mit Bios, die das Berghain-Emoji oder Sätze wie “I’m a capitalist and I love it” beinhalten, sind neuerdings mein Beuteschema. Die Männer, die sich am schnellsten mit mir treffen wollen, bekommen die Chance, mir ihre Meinungen zu präsentieren.
Paul, 25, Illustrator: “Du solltest dir eigentlich auch am Wochenende einen Wecker stellen.”
Wir treffen uns in einem Buchladen, der gleichzeitig auch ein Café ist. Da bin ich sonst nie. Stickige Heizungsluft im Sommer wie im Winter. Wir setzen uns an einen Tisch vor einem Regal voll mit Büchern, von welchen ich allesamt noch nichts gehört haben will.
“Du liest also gerne”, stelle ich fest.
“Ja, eigentlich schon. Leider nicht mehr so oft wie früher. Bist du denn begeisterte Leserin?”
“Nein, nicht wirklich. Was liest du denn gerne?”
“Game of Thrones habe ich vor Kurzem zu Ende gelesen.”
“Der Name sagt mir was …”, ich lächle entschuldigend.
Seine Ungläubigkeit überspielt er schnell: “Vielleicht kennst du die Serie. Die war schon sehr berühmt.”
“Ich glaube nicht. Worum geht es da denn?” Wie der internetweite Aufruhr über die letzte Staffel an mir vorbeigehen konnte, ist mir selbst auch ein Rätsel. Ihm jedoch nicht. Er ergreift die Chance, meine Bildungslücke zu schließen.
Die Serie basiere auf der Geschichte Westeuropas, erklärt er mir, und ihr lägen viel mehr Fakten zugrunde, als man denkt. Man muss nur wissen, worauf man achten muss. Heute weiß ich das natürlich nicht.
Ich lenke das Gespräch auf seine Lieblingsfilme.
“Aber du meinst wohl meine Lieblingsfilme aus dem letzten Jahr? Sonst wäre das zu schwierig”, lacht er. Klar. Ich nicke.
“Auf jeden Fall Ad Astra.” Er schaut mich fragend an und ich schüttle den Kopf. “Ein Space-Film mit Brad Pitt.” Zu fragen, wer denn Brad Pitt sei, traue ich mich nicht.
“Oder den neuen Joker fand ich auch ganz toll.” Ich will widersprechen, sage aber: “Ich kenne mich leider gar nicht aus mit Superhelden.” – “Der Joker ist ja auch kein Superheld, sondern ein Bösewicht.” Ich muss einmal gähnen und erzähle ihm dann, wie müde ich die letzten Tage war, obwohl ich immer so lange geschlafen habe. “Zu viel Schlaf ist genau so schlimm wie zu wenig Schlaf. Du solltest dir eigentlich auch am Wochenende einen Wecker stellen.”
Er fragt mich, ob ich denn Hobbys habe. Eine berechtigte Frage, nachdem ich bisher mein absolutes Desinteresse bezüglich jeglicher Form von Popkultur bekundet habe. Ich erinnere mich an einen Artikel über Sticken im Zusammenhang mit der geistigen Sedierung der Frau. “Sticken”, sage ich. “Und Yoga.” Irgendwann wechselt die Konversation zu Pen-and-Paper-RPGs. “Zum Beispiel Dungeons and Dragons“, sagt er und ich muss wieder meine Stirn runzeln und entschuldigend lächeln. “Ach, das ist eine Art Rollenspiel. Aber das ist super nerdy”, tröstet er mich und ich bin beruhigt, dass ich nicht dumm bin, sondern nur eine Frau.
Als wir uns die Jacken anziehen, fragt er mich, ob ich in der nächsten Woche nochmal Zeit habe. “Bestimmt”, antworte ich. Vor dem Café verabschieden wir uns und dann warte ich kurz, bis er aus meinem Sichtfeld verschwunden ist, und gehe zurück, um mir die Bücher anzuschauen.
Lucas, 32, selbstständig: “Of course I am microdosing right now?!”
Die Bar in Neukölln ist voll und ich muss mich näher zu ihm beugen, um überhaupt zu verstehen, wovon ich noch nichts gehört haben soll. Ein ehemaliger Film-Student. Jetzt ist er Freelancer, der Dinge sagt, wie “I just love Berlins sharing economy” oder “Of course I am microdosing right now?!” Der hat zu Hause bestimmt kein Bettgestell.
Für unser Gespräch scheint mein Unwissen kein Problem zu sein. Die eigene Stimme klingt halt am schönsten und er hat kein Problem damit, mein popkulturelles Wissen aufzubessern. Er fragt mich, warum ich akzentfrei Englisch spreche. Ich sage: “I watch a lot of Keeping up with the Kardashians.” Und meine ausnahmsweise etwas ernst. Er lacht und fragt: “Do you ever watch anything with substance?” – “Not really.” – “I get the appeal reality tv has on you.” Glück gehabt.
“You have to admit, though, that there is a clear difference between high and low brow entertainment. The Kardashians really aren’t Kubrick.” – “Kubrick?”, ich klimpere fragend mit den Wimpern und hoffe, dass er sich nicht an seinem Raspberry Basil Smash verschluckt. Er fängt an Filme aufzuzählen. Nach jedem Titel schüttle ich den Kopf und denke an das 2001: A Space Odyssey-Poster, das in meinem Zimmer hängt. Er fragt, in was für einem Vakuum ich denn existiere, schmunzelt und scheint es nicht im geringsten schlimm zu finden.
Wir schlagen uns durch das Erste-Date-ABC und kommen vom Lieblingsirgendwas zu “What are you looking for on Tinder?”. Doch antworten muss ich darauf nicht, denn er macht es für mich. “You probably want to marry rich one day.” Stimmt. Deshalb treffe ich Freelancer. “However, at this point society offers you guys all the means for a good life. You decide what you are going to do with it.” Unterdrückung ist eine aktive Entscheidung. Endlich weiß ich, dass Sexismus nur ein Figment meiner Fantasie ist.
“You’re a funny girl”, sagt er mir zum Abschied und ich will fragen “Funny Girl? Directed by William Wyler, starring Barbara Streisand?” Das lasse ich dann aber sein.
Julian, 29, Softwareingenieur: “Ich glaube, du weißt nicht, was Kapitalismus ist.”
Ich stehe in Friedrichshain vor einer Bar und ich warte auf mein drittes Tinder-Date. Ich bin 10 Minuten zu spät, was eigentlich genau rechtzeitig ist für ein Tinder-Date. Seine Hose ist zu kurz und er bestellt sich einen Gin-Tonic.
Er erzählt mir, dass er bei einem Konzert Backstage-Pässe hatte und wie er mit 14 mal bei einem Festival backstage war. Ich tue so, als würde ich keine der Künstler kennen, die er aufzählt. Er grinst und glaubt mir kein Wort. Als er mich fragt, was ich überhaupt auf Tinder suche, gebe ich auf. “Na ja, ich schreibe gerade an einem Artikel. Ich lasse mir möglichst viel von meinen Tinder-Dates mansplainen.” Er lacht und scheint sich sehr darüber zu freuen, Teil meiner Recherche zu sein. “Und eigentlich sollte ich dir das nicht sagen, aber ich konnte gerade nicht anders. Es wurde mir doch etwas unangenehm.”
“Und was sagst du den Typen so?”
“Eigentlich nur, dass ich sehr viel nicht weiß. Einem habe ich gesagt, dass Sticken zu meinen Hobbys gehört. Und das nur, weil ich einen Tag davor einen Artikel gelesen habe, in dem stand, dass Sticken zur geistigen Sedierung der Frau führt. Ich dachte mir, das passt zu Mansplaining.”
“Geistige Sedierung der Frau? Wo hast du das denn gelesen? Klingt schon etwas fake.” – “Zeit Magazin.”
“Was sind da denn die Quellen?” Ich bin verwirrt.
“Ich habe mir die nicht aufgeschrieben, aber ich bereite dann für das nächste Mal eine Powerpoint Präsentation vor, ja?”
“Ich glaube halt auch nicht, dass das stimmt. Was war denn das Hauptargument?”
Trotz meiner Warnung hatte er es trotzdem geschafft.
Aber ist es wirklich ein Date, wenn man sich nicht irgendwann bei Themen wie dem Nahostkonflikt wiederfindet und sehr sauer wird? Wahrscheinlich nicht. “Ich persönlich liebe den Kapitalismus”, sagt er. “Ja, ich finde auch geil, wie einige wenige Unmengen an Geld horten können. Gleich mal bei Amazon bestellen, sobald ich zu Hause bin.”
Und später am Kicker sagt er: “Was erzählst du denn? Jeff Bezos ist doch kein Kapitalist. Das funktioniert im Kommunismus auch nicht besser. Ich bin mit wenig Geld aufgewachsen, trotzdem finde ich den Kapitalismus super. Ich glaube, du weißt nicht, was Kapitalismus ist.”
Mit einem Spielstand von 7:3 für mich verlassen wir die Bar und er beharrt weiterhin darauf, wie anti-kapitalistisch Jeff Bezos ist. Ich bestelle mir ein Uber.
“Erzähl mir dann, wie dein Artikel angekommen ist.”
Ich nicke.
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