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Ich kann nicht mit dem Zocken aufhören, selbst wenn es mir keinen Spaß macht

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Es ist schon wieder nach 3 Uhr und ich sitze noch immer vor The Legend of Zelda: Tears of the Kingdom. Seit Stunden. Mal wieder. Es ist genau die Art von Spiel, die ich liebe: groß, offen und voll grenzenloser Möglichkeiten. Aber obwohl ich jetzt schon über 250 Stunden in das Spiel investiert habe – mehr als zehn volle Tage meines Lebens –, bin ich noch nicht damit durch. Schuld daran sind die verdammten Krog-Samen.

Diese Samen sind eine Art Zweitwährung im Spiel. Mit ihnen kann man sein Inventar vergrößern und mehr Waffen und Schilde mit sich rumtragen, was ziemlich praktisch ist. In Hyrule, dem Königreich, in dem fast jedes Zelda-Spiel der vergangenen 37 Jahre spielt, gibt es insgesamt 1.000 Stück davon und sie sind über die ganze Map verteilt. Brauche ich alle, um das Spiel abzuschließen? Nein. Macht es mir Spaß, sie zu suchen? Nein. Kann ich damit aufhören? Nein. Auch nach Stunden nicht.

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Aber ich bin nicht der Einzige, der zwanghaft weiter vor dem Bildschirm hängt, obwohl er schon längst im Bett sein sollte. Gaming ist ein riesiges Geschäft. Allein in Deutschland ist der Jahresumsatz der Branche inzwischen auf rund zehn Milliarden Euro gewachsen. Damit übertrifft sie die Musik- und sogar die Filmindustrie. Das Geschlechterverhältnis unter den Spielenden ist fast ausgeglichen.

Mit der Zahl der Gamerinnen und Gamer steigt allerdings auch die Zahl der Süchtigen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO führt Videospielsucht seit 2018 als eigenständige Verhaltenssucht. Studien der WHO zeigen, dass drei Prozent aller Computerspielerinnen und -spieler die Kriterien einer Suchterkrankung erfüllen.

In der Hoffnung herauszufinden, was mich, einen erwachsenen Mann, dazu bringt, dermaßen verzweifelt 1.000 virtuelle Samen zu suchen, dass ich dafür auf Schlaf verzichte, habe ich mich an Nastasia Griffioen gewandt. Die 30-Jährige hat eine Doktorarbeit über den Einfluss von Computerspielen auf unser Verhalten geschrieben. Außerdem arbeitet sie für das Games for Emotional and Mental Health Lab im niederländischen Eindhoven. Dort kommen Forschende aus der ganzen Welt zusammen, um die Beziehung zwischen Gaming und psychischer Gesundheit bei Kindern und jungen Erwachsenen zu untersuchen.

Griffioen spielt selbst gerne Computerspiele und kennt den Impuls sehr gut, auf jede Vernunft zu pfeifen und aus den sinnlosesten Gründen weiterzuzocken. “Der Drang, wirklich alle Aufgaben in einem Spiel abzuschließen, hat mit dem sogenannten Zeigarnik-Effekt zu tun.”

Bljuma Zeigarnik war eine sowjetische Psychologin aus Litauen. Sie ist berühmt für ihre Forschung zum Einfluss vollendeter und unvollendeter Aufgaben auf unser Denken. Ihre Untersuchungen zeigen, dass wir uns eher an Sachen erinnern, die wir noch erledigen müssen, als an jene, die wir schon abgeschlossen haben. “Spieleentwickler nutzen dieses Phänomen, um einen im Spiel zu halten”, sagt Griffioen. “Die ganzen Aufgaben, die man nicht in einem Rutsch erledigen kann, sind die, die unsere Gedanken dominieren.”

Dieser Zeigarnik-Effekt spielt auch eine große Rolle beim sogenannten Completionism, beziehungsweise Komplettismus. “Dabei geht es nicht einfach darum, das Spiel durchzuspielen, sondern darum, absolut jedes Objekt zu sammeln, jedes Quest abzuschließen und jede noch so entlegene Ecke der Karte zu erkunden”, sagt Griffioen.

Es gibt zahlreiche Webseiten und Foren, in denen Gamerinnen und Gamer ihre Strategien teilen, sich austauschen und zeigen, was sie alles erreicht haben. Und wie Griffioen schon sagte, setzen die Spielemacherinnen und -macher diesen Mechanismus gezielt ein, um Menschen möglichst lange ans Spiel zu fesseln. Es ist ein Belohnungssystem: Ich streune auch deswegen auf der Suche nach Krog-Samen durch Hyrule, weil ich in Foren gelesen habe, dass man eine Belohnung bekommt, wenn man alle 1.000 gesammelt hat. Diese Belohnung, was auch immer sie sein mag, hat mich neugierig gemacht.

Laut Griffioen könnte auch die “Conceptual Consumption”-Theorie dabei helfen, unsere Impulse beim Gaming zu verstehen. Diese vor allem im Marketingbereich wichtige Theorie besagt, dass unsere Grundbedürfnisse wie Nahrung und ein Dach über dem Kopf in unserer modernen und privilegierten Welt schnell gedeckt sind – und wir uns deswegen andere Ventile für unsere psychischen Bedürfnisse gesucht haben: Wir konsumieren Konzepte. “Je seltener eine In-Game-Erfahrung ist, desto besser fühlt sie sich an”, sagt Griffioen. “Du weißt ja, dass nicht viele andere Spieler diese ganzen Samen sammeln. Und wenn du das dann tust, erlebst du etwas, das nur einige wenige Auserwählte erleben.”

Laut Griffioen lassen sich Computerspielerinnen und -spieler in drei Gruppen unterteilen. “Es gibt die Gelegenheitsspieler wie mich selbst. Ich spiele ein Spiel einfach, solange es mir Spaß macht, und suche mir dann etwas anderes”, sagt sie. Dann seien da die Komplettisten wie ich. “Zuletzt gibt es noch die Speedrunner, also Menschen, die versuchen, ein Level oder ein ganzes Spiel so schnell wie möglich durchzuspielen”, sagt Griffioen. “Um das zu schaffen, müssen sie so sehr in das Spiel eintauchen, dass sie jedes Zeitgefühl verlieren. Sie kommen in einen Flow-Zustand.”

Aber nicht nur Speedrunner streben diesen Zustand an, auch ganz normale Spielerinnen und Spieler – und er soll positive Auswirkungen auf die mentale Gesundheit haben. “Die Medien berichten viel über die negativen Auswirkungen des Gamings, aber dieser Flowzustand wirkt sich positiv auf Angststörungen und Depressionen aus”, sagt Griffioen. “Unsere Gehirne denken oft zu viel über uns und die Welt nach. Der Flow-Zustand kann dabei helfen, diese Impulse zu regulieren.”

Ich weiß genau, wovon Griffioen spricht. Wenn ich nicht gerade meinen Bildschirm anschreie, finde ich die Samensuche sehr meditativ, wenn auch ziemlich zeitfressend. Ich frage mich allerdings, ob mein Spielstil vielleicht auch eine dunkle Seite hat. Tendieren Komplettisten vielleicht stärker dazu, eine Videospielsucht zu entwickeln?

“Es gibt sehr viele Menschen, die wie du spielen. Du läufst nicht eher Gefahr, süchtig zu werden, als andere Personen”, sagt Griffioen. “Du solltest dir allerdings den Einfluss bewusst machen, den das Spiel auf dein Leben hat. So definieren wir, ob etwas eine Sucht ist: Wirkt es sich negativ auf andere Aspekte deines Lebens aus?” Und ja, dazu gehört natürlich auch Schlaf.

Griffioen glaubt allerdings, dass selbst meine Tendenz, länger zu spielen, als es mir wirklich Spaß macht, nicht unbedingt ein Zeichen für Suchtverhalten ist. Wenn man merkt, dass Gaming andere Bereiche deines Lebens einschränkt, kann man in der Regel noch etwas daran ändern. “Ich würde mir überlegen, über die Zeit weniger zu spielen. Treff mit dir die Abmachung, weniger regelmäßig zu spielen. Du solltest auch nicht zu hart mit dir sein. Aber wenn du merkst, dass du keinen Spaß mehr hast, solltest du nicht mehr lange weiterspielen. Dann wird auch alles gut.”

Falls du merken solltest, dass du es alleine nicht schaffst, dein Spielverhalten zu ändern, findest du hier ein paar Anlaufstellen.

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