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Karrierekiller Heimweh

Im April 2015 hat Rugby-Star Sam Tomkins um eine vorzeitige Auflösung seines noch bis 2016 gültigen Vertrages bei den New Zealand Warriors gebeten. Daraufhin haben sich beide Parteien geeinigt, dass nach dieser Saison Schluss ist. Der Verein folgte der Bitte seines Spielers ohne allzu großen Widerstand. Dabei hat die Trennung keinerlei sportliche Gründe. Tomkins gilt als der beste Try-Scorer Englands, für den die New Zealand Warriors 2013 eine Rekordablösesumme auf den Tisch gelegt haben. Das wahre Problem liegt viele tausend Kilometer entfernt an der Nordwestküste von England. Tomkins hat nämlich Heimweh.

Mehr Menschen als jemals zuvor gehen auf der Suche nach Arbeit oder einem Studienplatz ins Ausland. Oft kann die Anpassung an die neue Umgebung sehr schwerfallen, weswegen manche nach relativ kurzer Zeit wieder in ihre Heimat zurückkehren. Doch als Sportler sieht man sich einer zusätzlichen Herausforderung ausgesetzt. Denn hier findet die Anpassung im Licht der Öffentlichkeit statt. Und die öffentliche Meinung kann bisweilen ziemlich ungemütlich sein.

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„Ich vermisse meine Heimat mehr, als ich mir das jemals hätte vorstellen können”, gab Tomkins kurz nach der Bekanntgabe seiner Vertragsauflösung in einem Interview zu. „Ich hätte niemals gedacht, dass mein Heimweh solche Dimensionen annehmen könnte.”

„Die Warriors sind ein großartiger Verein und ich kann nur Gutes über das Trainerteam sagen. Auch mit meinen Kollegen habe ich immer ein super Verhältnis gehabt. Außerdem ist Neuseeland ein traumhaft schönes Land.”

Doch das alles hat am Ende nicht ausgereicht. Tomkins pflegt schon seit Langem ein inniges Verhältnis zur englischen Stadt Wigan und deren Rugby-Verein, die ebenso Warriors heißen. Schon als Neunjähriger ist er dem Verein beigetreten. Und als vieles darauf hindeutete, dass er eine große Zukunft als Rugbyspieler haben würde, hat seine Familie in Chorley alle Zelte abgebrochen und ist nach Wigan gezogen, um die Karriere ihres Filius’ zu pushen. Eine Entscheidung, die sich spätestens dann auszahlte, als er erst in die erste Mannschaft der Warriors und später dann in die Nationalauswahl berufen wurde.

Doch es scheint, als habe genau dieses Gefühl der Verbundenheit mit Wigan dazu geführt, dass ihm ein Neuanfang am anderen Ende der Welt so schwergefallen ist.

„Als er zu uns kam, war er voller Vorfreude auf die NRL und auf das Leben in einem neuen Land, aber am Ende war für Sam die Herausforderung, viele tausend Kilometer von Zuhause entfernt zu wohnen, einfach zu groß”, erklärte der Geschäftsführer der NZ Warriors auf der offiziellen Vereinsseite.

„Wir haben versucht, ihn zum Bleiben zu bewegen, doch er hat uns klipp und klar gesagt, dass er zurück in seine Heimat möchte. Wir bedauern zwar seine Entscheidung, sahen aber keine andere Möglichkeit, als einer vorzeitigen Vertragsauflösung zuzustimmen.”

Tomkins hat in der Zwischenzeit bestätigt, dass er erneut bei den Wigan Warriors anheuern wird.

Er ist beileibe nicht der erste Profisportler, der mit Heimweh zu kämpfen hat. Auch wenn einige von ihnen ihre Gefühlslage öffentlich gemacht haben, kann man davon ausgehen, dass viele andere im stillen Kämmerlein gelitten haben. Darum hat Tomkins für seinen Mut, als Rugbyspieler zu Heimweh zu stehen, auch eine Menge Anerkennung verdient. Schließlich ist es allemal besser, auf sein Herz zu hören, als nur des Geldes wegen widerwillig fern der Heimat auszuharren. Und wer weiß, vielleicht hilft er mit seinem Geständnis in Zukunft auch anderen Sportlern, die unter Heimweh leiden und nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen.

Navas während seiner Zeit beim FC Sevilla. Ohne sein ausgeprägtes Heimweh wäre er wohl schon früher bei einem europäischen Spitzenklub wie den Citizens gelandet. Foto: Gabrielcorbachobermejo

Der wohl bekannteste Sportler, der unter Heimweh gelitten hat, ist Weltmeister Jesus Navas. Auch wenn man wohl seine Probleme nicht nur auf Heimweh reduzieren kann. Aktuell scheint er das Gröbste überstanden zu haben, doch in der Vergangenheit ging das Heimweh bei Navas so weit, dass er infolgedessen unter Angstzuständen und Krampfanfällen litt und seine Karriere auf der Kippe stand.

Bei Navas hat sich nicht erst Heimweh entwickelt, als er ins Ausland ging. Bis zum Alter von 27 spielte er noch für seinen Heimatverein FC Sevilla. Und müsste sich eigentlich glücklich schätzen, dass er nur einen Steinwurf von Sevilla geboren wurde. So ist Navas dem FC bereits als Jugendlicher beigetreten und spielte schon wenige Jahre später für die erste Mannschaft. Da war noch alles in Butter. Als er dann aber von der spanischen U-21-Mannschaft berufen wurde, begannen seine Probleme. Bei einem Trainingscamp hielt er es nur wenige Tage aus, bis das Heimweh so stark wurde, dass er frühzeitig nach Sevilla zurückkehren musste. Ein anderes Mal hat er sogar noch vor der Abfahrt Richtung Trainingslager den Rückzieher gemacht. Wenig überraschend hatte er auch bei seinem Heimatverein Sevilla mit denselben Symptomen zu kämpfen.

Dies hatte natürlich negative Auswirkungen auf seine Karriere. Bis 2007 half er Sevilla tatkräftig dabei, zweimal den UEFA-Pokal, einmal den europäischen Supercup und einmal die Copa del Rey zu gewinnen. Unter normalen Umständen hätte ein Spieler seines Formats schon längst den Verein verlassen und wäre wohl entweder zu Real Madrid und Barcelona oder nach England gewechselt. Doch aufgrund seines hartnäckigen Heimwehs schien dieser Karrieresprung für Navas eigentlich ausgeschlossen.

Die Angst vor internationalen Auftritten setzte Navas weiterhin extrem zu. Als er zum ersten Mal zur spanischen Nationalmannschaft berufen wurde, bekam er eine solche Panik vor langen Auslandsreisen, dass er noch vor seinem ersten Spiel im Nationaltrikot seinen Rücktritt von der internationalen Bühne verkündete.

Ab 2009 suchte sich Navas dann psychologische Hilfe. Nachdem er schon die EM 2008 verpasst hatte (die Spanien gewann), war er wild entschlossen, an der WM 2010 teilzunehmen. Und so folgte der Rücktritt vom Rücktritt.

„Ich war an einem Punkt angekommen, an dem ich einsah, dass es so nicht weitergehen kann und dass ich mir professionelle Hilfe suchen muss”, so Navas in einem Interview.

2009 bestritt er dann sein erstes Spiel für die spanische Nationalmannschaft, um nur ein Jahr später mit der Furia Roja Weltmeister zu werden und 2012 den EM-Titel zu verteidigen.

Erst 2013 verließ Navas seinen geliebten FC Sevilla und ging für eine Ablösesumme von 17 Mio. Pfund zu Manchester City. Zu diesem Zeitpunkt war er wie gesagt schon 27. Der Karriereschritt war also mehr als überfällig. Mittlerweile ist er mit den Citizens schon englischer Meister geworden. Es sieht also nach einem echten Happyend für Navas aus.

Doch um wirklich sicher zu gehen, dass Jesus den Umzug nach England verkraften würde, wurde noch ein Extrahebel in Bewegung gesetzt. Navas hat einen älteren Bruder, Marco, der lange Jahre in den Niederungen des spanischen Fußballs aktiv war, bis er 2013 ohne Vereine dastand. Also wechselte er einfach zum FC Bury in die vierte englische Liga. Bury liegt übrigens nur wenige Kilometer außerhalb von Manchester. Verstanden? Genau. Damit Jesus nicht voreilig Fahnenflucht begehen würde, wurde der große Bruder ganz in der Nähe geparkt. Geparkt auch deswegen, weil er insgesamt nur zweimal für Bury auflief.

Dass ein Sportler nur wenige hundert Kilometer von Zuhause wegziehen und trotzdem an Heimweh leiden kann, zeigt der Fall der britischen Ruderin Katherine Copeland aus Northumberland. Zusammen mit Sophie Hosking gewann sie bei den Olympischen Spielen in London 2012 die Goldmedaille im Leichtgewichts-Doppelzweier. Doch nur zwei Jahre zuvor stand sie kurz davor, ihre Karriere an den Nagel zu hängen, nachdem sie aus Trainingsgründen in den Süden Englands gezogen und dort an schwerem Heimweh erkrankt war.

Copeland und Hosking versuchen, ihr frisch gewonnenes Olympiagold zu begreifen.

„Ich hatte ein ziemliches bescheidenes Jahr hinter mir und war recht unglücklich. Dann bin ich nach Hause zurückgekehrt, wo all meine Freunde waren und plötzlich hatte ich wieder Lust auf Training”, erinnerte sie sich kurz nach ihrem Olympiacoup. Copeland war nur wenige hundert Kilometer von Zuhause weggezogen, lebte weiterhin im selben Land und konnte jederzeit mit dem Zug nach Northumberland zurückkehren. Trotzdem hat ihr das Heimweh fast die Karriere zerstört.

Sowohl Navas als auch Copeland haben ihre Probleme in den Griff bekommen und in ihrer Sportart große Erfolge feiern können. Auch Tomkins wird nach seiner Rückkehr aus Neuseeland einer der großen Stars der englischen Super League werden. Doch in manchen Fällen kann Heimweh solche Ausmaßen annehmen, dass Sportler infolgedessen ihre Karriere aufgeben müssen. Zephaniah Skinner kann ein Lied davon singen. Der Aborigine, der in dem winzigen Dorf Noonkanbah aufwuchs, galt als großes Talent im Australian Football und wurde 2010 von den Western Bulldogs aus Melbourne unter Vertrag genommen. Obwohl er gute Leistungen zeigte, kehrte er dem Sport nach zwei Jahren den Rücken und ging zurück in seine Heimat zurück.

„Als ich auf dem Trainingsplatz stand oder Spiele hatte, war alles super. Doch sobald ich nach Hause ging, habe ich mich unerträglich einsam gefühlt”, verriet Skinner in einem Interview.

Skinner störte sich sehr daran, dass man in Melbourne „keine Sterne sehen kann” und dass es verhältnismäßig kalt ist. Und natürlich wäre da noch der enorme Kulturschock, von einem Wenige-Hundert-Seelen-Dorf im Nirgendwo in eine Vier-Millionen-Einwohner-Metropole zu ziehen.

Skinner tat sich mit seiner neuen Umgebung sehr schwer und kehrte in sein Heimatdorf zurück (auch wenn in Melbourne zumindest seine artistischen Einlagen weiterhin stimmten).

Leidet ein Sportler unter Heimweh, ist es nicht unwahrscheinlich, dass davon auch seine Leistungen in Mitleidenschaft gezogen werden. Doch Fans sehen hinter einem Sportler mit Heimweh nicht einen Menschen, dem seine Familie und sein Umfeld fehlen. Sie sehen nur einen Athleten, der den Erwartungen nicht gerecht wird. Und reagieren häufig mit Kritik und Spott.

Sam Tomkins hatte den Mut, zu seinem Heimweh zu stehen. Das zeigt uns, dass Profisportler auch nur Menschen sind (dass das sogar auf Messi zutrifft, kannst du hier nachlesen), denen es genauso schwerfallen kann, fernab der Heimat glücklich zu werden.