Während die Weltwirtschaft weiter den Bach runtergeht, der Ifo-Geschäftsklimaindex im September einen neuen Tiefstand erreicht hat, sich die Schere zwischen Arm und Reich laut dem neuen Armutsreport der Bundesregierung immer weiter öffnet, und Demonstrationen, bei denen wütende Bürger von der Staatsmacht zusammengeknüppelt werden, in Europa schon Alltag geworden sind, macht sich die Security-Industrie die Taschen voll.
Die Security Essen ist die weltweit größte Messe für Pfefferspraypistolen, gepanzerte Limousinen, Stacheldraht, Schlagstöcke und alles andere, was den Pöbel auf der Straße davon abhält, mit Fackeln und Mistgabeln über die 1% herzufallen.
Die großen Renner sind zurzeit „Non-Letale“ Waffen, doch wenn man nur lange und hart genug mit einem Kubotan, einem kugelschreiber-großen Schlagstock zur Selbst-verteidigung zuschlägt, sind die Grenzen wohl fließend.
Allein in Deutschland ist der Umsatz der Sicherheitsindustrie zwischen 2009 und 2011 um knapp sieben Prozent auf elf Milliarden Euro gestiegen. Hiervon profitieren zunehmend private Sicherheitsdienste, da der Staat dem in gewissen Teilen der Gesellschaft wachsenden Bedürfnis an Personen- und Objektschutz allein nicht länger nachkommen kann. Staatliche Machtmonopole werden in die Hände von privaten Dienstleistern gelegt. In Gefängnissen, auf Flughäfen, entlang von Grenzen und auf den Straßen werden immer öfter private Sicherheitsfirmen eingesetzt. Eine Studie der Universität Cambridge besagt zudem, dass über 20 Millionen Menschen weltweit in diesem Sektor arbeiten—beinahe doppelt so viele wie Polizisten. Nach Angaben der Europäischen Union hat sich in den vergangenen zehn Jahren der Umsatz des weltweiten Sicherheitsmarktes von rund zehn auf 100 Milliarden Euro glatt verzehnfacht.
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Die Sicherheitsmesse in Essen ist das Schlachtfest einer der Industrien, die am meisten davon profitiert, wenn die Zeiten von Unsicherheit geprägt sind und es einer Menge Leuten richtig scheiße geht. In einigen europäischen Ländern, die von der anhaltenden Krise besonders heftig geschüttelt wurden, wie Italien, hat sich das bereits auf die Kriminalitätsstatistik ausgewirkt. Aber auch Deutschland verzeichnet laut Kriminalstatistik 2011 einen Anstieg bei Eigentumsdelikten wie Wohnungseinbrüchen. Die Aussage von Innenminister Friedrich, dies sei „besorgniserregend“, wird von der Branche, teils hinter vorgehaltener Hand, teils ganz offen bejubelt, da sie vor allem eines ist: gut fürs Geschäft.
Besorgniserregend sind aber auch einige der Produkte, die auf der Messe von 1.086 Ausstellern aus 40 Ländern, darunter die USA, Israel, Ukraine, Russland, Taiwan und vor allem von der VR China vorgestellt werden, sowie auch die Menschen, die sich dort auf Shopping-Tour begeben. Ich habe den vagen Verdacht, mich hier in einen Albtraum zu begeben. Eigentlich hatte ich scharfe Sicherheitskontrollen erwartet, Nacktscanner an den Eingängen, hässliche Menschen, die versuchen, mich am Einlass abzutasten oder Ähnliches. Aber nichts dergleichen. Ein paar gelangweilte Messeangestellte, die beinahe schlaftrunken kurz auf meinen Ausweis schielen und mich durchwinken, sind die einzige, kaum herausfordernde Grenze zwischen dem Chaos der Welt und dem vermeintlich sichersten Ort der Welt. Die Szenerie, die ich betrete, hat viel Ähnlichkeit mit einer Waffenmesse, nur mit dem kleinen Unterschied, dass alle hier feilgebotenen Produkte die bestehenden Machtverhältnisse auf viel perfidere Art als mit tödlicher Gewalt festigen. Statt auf Raketen und Maschinengewehre starre ich deshalb in Vitrinen, in denen sich Elektroschocker und Schlagstöcke auftürmen—„Non-Letale Waffen“, wie sie im Branchenjargon genannt werden. Sicherheitskameras zeichnen neuerdings in HD auf, und scannen Gesichter automatisch und exakter als jemals zuvor, Drohnen, die eigentlich ebenfalls für das Militär entwickelt wurden, sind nun auf dem Privatmarkt erhältlich, ebenso wie Pfeffergaspistolen, die ihre Ladung per Patronen meterweit und zielgenau schießen können. All diese Entwicklungen werden von der Branche als zukunftsweisend und bahnbrechend gefeiert. Doch bei mir klopft die Paranoia an, wenn ich mich vor martialisch ausgestatteten Schaufensterpuppen mit Schlagstöcken in Polizeischutzausrüstung wiederfinde, deren arabische Beschriftungen ihre Zielgruppe offensichtlich machen. Man macht kein Geheimnis daraus, welche Länder hier zurzeit auf Shoppingtour sind.
Georg Orwells Visionen und Prophezeiungen haben sich auf der Security Essen endlich erfüllt. Die totale Überwachung ist hier bereits Realität.
Kamera-überwachung und blanker Voyeurismus gehen in der Realität wie auch auf der Messe Hand in Hand.
Herren mittleren Alters, die mit ihren biederen grauen Anzügen und viel zu grellen Krawatten aussehen wie die Prototypen von Versicherungsmaklern, tauschen rege mit zwielichtigen Typen Visitenkarten aus, die wohl aufgrund der grellen Messebeleuchtung ihre Sonnenbrillen auch in den Hallen nicht abnehmen wollen.
Es gibt wohl keinen Zentimeter auf der Messe, der nicht von irgendeiner Kamera abgefilmt wird. Allein die chinesischen Stände bieten Abertausende, für den ungeübten Betrachter kaum zu unterscheidende Kamerasysteme an, die alles, ununterbrochen und gnadenlos, mit Infrarot, Nachtsicht oder in HD überwachen. Ich sehe mich parallel auf unzähligen Monitoren, die mich in Echtzeit in verschiedensten Wellenlängen des Lichts abbilden und deren Technik, wie mir ein Händler für Nachtsichtgeräte stolz erklärt, „aus dem Militärbereich stammt“. Die Preisspanne ist hier nach oben offen. Den Preis eines Mittelklassewagens muss man aber mindestens auf den Tisch legen, um eines seiner Geräte, die aussehen wie Ferngläser auf Testosteron, zu erwerben. Doch dafür bekommt man dann auch einiges geboten: „Bis zu drei Kilometer kann man damit Wärmebilder aufzeichnen. Außerdem kann man nebenbei Fotos schießen und diese ins Internet laden!“ Offenbar scheint man sich in China mit totaler Überwachung auszukennen. Ich bin in Orwells Albtraum gelandet.
Wer genügend Geld in der Tasche hat, der kann sich auf der Security Essen wunderbar von der Welt da draußen abschotten. Für denjenigen, der schon alles und vor allem viel zu viel hat, und der die meiste Zeit damit verbringt, die Edelstahlfurniere seines Panic Rooms zu streicheln, gibt es ein paar Neuigkeiten im Angebot. Wer will seine eigenen vier Wände nicht in eine private Folterkammer verwandeln? Mit dem Smoke Screen von einer Firma namens Concept aus Großbritannien ist das möglich. Im Grunde lässt sich nun jede Wohnung, jedes Haus und jede Lagerhalle mit einem dieser Geräte bestücken, die unerwünschte Besucher mit einem Rauchgenerator auf Glycerinbasis, einem harten Stroboskop und einer infernalisch lauten Sirene, die Übelkeit und absolute Desorientierung auslösen, in die Flucht schlagen.
Obwohl mir mehrmals versichert wurde, wie ungefährlich das Gerät sei, hege ich meine Zweifel, die sich bestätigen, als ich mich selbst innerhalb der Kammer befinde. Innerhalb weniger Sekunden kann ich nicht mal mehr meine Hand vor Augen sehen und presse meine Hände gegen meine Ohren, um sie vor der infernalisch lauten Sirene zu schützen. Der Rauch ist so dicht, dass es mir so vorkommt, als würde ich Flüssigkeit atmen und die Stroboskopblitze, die durch das Glycerin-Aerosol in der Luft reflektiert werden, nehmen mir jedes Gefühl für oben und unten. Hustend und mit rottränenden Augen wanke ich aus dieser Kammer. Ich bin mir sicher, wer in dieser Techno-Party aus der Hölle zu Boden geht, hat keine Chance mehr, den Ausgang zu finden und wird sich zwangsläufig einen psychischen Schaden fürs Leben einfangen.
Die Branche bedient einen weltweit wachsenden Markt und angesichts der derzeitig angespannten Situation rund um den Globus scheint sich auch 2012 zu einem exzellenten Geschäftsjahr zu entwickeln.
Natürlich ist das Tolle und Schöne an dieser Messe, dass man all diese Produkte vollkommen frei erwerben kann. Es gibt keine Auflagen oder Ähnliches. Man legt das Geld auf den Tisch und bekommt die Ware rübergeschoben. So auch den „Jet Force Protector“. Eine Knarre, die eigentlich für Behörden entwickelt wurde, aber nun ihren Weg auf den privaten Markt gefunden hat und für jedermann frei zu erwerben ist. „In Deutschland ist dieses Gerät nur als Tierabwehrmittel zugelassen, im Notfall kann man es aber auch gegen Menschen einsetzen“, erzählt mir der fleischige Tierabwehrspray-Verkäufer, während ich eine Pistole in der Hand wiege, die jemandem Pfefferspray mit 650 Km/h zielgerichtet ins Gesicht feuern kann. „Unter einem Sicherheitsabstand von einem Meter sollte man nicht ins Gesicht zielen, sondern nur auf den Körper“, rät er mir, während ich Zielübungen auf die vorbeiflanierenden Messebesucher abhalte. Niemanden scheint sich daran zu stören, dass ich eine Waffe auf sie richte. Ich muss daran denken, dass 2004 eine Studentin in Boston nach dem Einsatz eines verwandten Produkts durch einen Schuss ins Auge starb, und selbst die amerikanische, Tazer-verrückte Polizei den Einsatz solcher Geräte in einigen Bundesstaaten verboten hat. „Dass jemand gestorben ist, ist mir nicht bekannt“, beruhigt mich der Verkäufer, während ich daran denke, dass das SEK in Sachsen seit 2010 die Erlaubnis hat, diese Waffen auf Demonstrationen einzusetzen und andere Bundesländer wohl bald folgen werden. „Der Markt für nicht tödliche Waffen, die den Gegner nur ausschalten, ist definitiv am wachsen. Etwa im zweistelligen Prozentbereich. Besonders Privatleute sind sehr interessiert, aber auch die Behörden kaufen vermehrt ein“, wird enthusiastisch mit der Waffe in der Hand gejubelt.
Ein paar Stände weiter werden die neuesten und natürlich bahnbrechenden Entwicklungen aus dem Sektor Stacheldraht präsentiert. Es ist wohl nicht weiter verwunderlich, dass auch bei einem Produkt, das wie kein anderes Unterdrückung und Unfreiheit repräsentiert und das sogar im Logo von Amnesty International auftaucht, die Weiterentwicklung voranschreitet. Voll im Trend liegen zurzeit elektrisch geladene Drähte, die einem nicht nur, wie klassischer Stacheldraht, die Hände zerschneiden, sondern dabei auch noch Stromschläge in den Körper jagen.
Die Schere zwischen arm und reich geht beständig auseinander, und es gibt immer mehr Situationen, in denen Staaten mit dem Rücken zur Wand stehen, in denen der Frust innerhalb der Bevölkerung wächst und Demonstrationen und mitunter gewalttätige Proteste beinahe schon an der Tagesordnung sind. Angesichts dessen sind die Produkte, die auf der Security Essen vorgestellt werden, eine Manifestation der derzeitigen Zustände. Genau diese Produkte, die einerseits so enorme Gewinne erwirtschaften, zementieren die Kluft innerhalb der Gesellschaft endgültig. Ein Geschäftsmann aus Griechenland bringt es auf den Punkt: „Die Leute sind wütend. Die Steuern steigen, alle haben weniger Geld und die Kriminalität steigt ebenfalls jeden Tag. Alles wird zum Ziel: Häuser, Läden, Tankstellen. Überall wird zugeschlagen, da kein Geld mehr da ist. Für uns läuft das Geschäft jedoch gut, da jeder versucht, sich zu schützen. Das ist das Gute daran.“
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Fotos von Grey Hutton