Wiener Anrainer sind das Letzte

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Wir bei Noisey haben viel zum Sudern. Wirklich viel. Jedenfalls genug, um einmal die Woche einen Text zu verfassen, der darüber handelt, was uns nicht alles stört. Das liegt zum kleinen Teil an unseren österreichischen Charakteren, aber zu einem großen Teil auch an Dingen und Gegebenheiten, die wirklich sudernswert sind. Diese Woche fangen wir an und unser erstes Thema sind Anrainer.

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Die Bettelalm, eine Discothek in der Innenstadt, hat vor ein paar Wochen ein hartes Urteil bekommen: Dank einem Anrainer ist um 24:00 Uhr Sperrstunde. Was das für eine Disco bedeutet, ist uns allen klar—die Bettelalm, sofern es bei dem Urteil bleibt, wird zusperren müssen. Das ist irgendwie sehr schade, da der Besitzer Mario Obermaier knapp zwei Millionen Euro in das Lokal investiert hat, damit er den österreichischen Auflagen genügen und das Lokal betreiben kann. Doch nicht nur, dass Obermaier eventuell Insolvenz beantragen muss—weil er ein Tanzlokal in der Innenstadt eröffnet hat—zusammen mit der Bettelalm würden 30 Arbeitsplätze gehen.

Wie viele Arbeitsplätze gehen mussten, als das Market auf der Wienzeile gehen musste—weil ein Anrainer sich im Schlaf gestört gefühlt hat—weiß ich leider nicht, aber es werden auch genug gewesen sein. Auch das Morrison und etliche andere Discos, Clubs und Bars mussten dem seelenruhigen Schlaf weichen. Das celeste oder das Flex können ein Lied von lieblichen Anrainern singen. Aber ja nicht zu laut singen. Leise und flüsternd singen. Auch der Trummelhof, der sogar weiter draußen ist, hat Anfang des Jahres Tschüss gesagt. Warum? Weil sich ein Anrainer gestört gefühlt hat.

Und so steh ich hier—Slowakin, Marke überaus integrierter Migrant, in der totenstillen Innenstadt und denk schmerzlich an Berlin, Bratislava und Barcelona. Wenn es sonst in den Städten leise ist und sie ihren eigenen Krieg führen—die Innenstadt, oder zumindest die inneren Bezirke sind laut. Verdammt laut. Als meine Eltern mit mir nach Wiener Neudorf gezogen sind, haben sie Ruhe und Stille gesucht. Als ich in die Hauptstadt gezogen bin, habe ich die junge, pulsierende Kraft Wiens gesucht.

Warum Gerichte grundsätzlich übermotivierten Anrainern Recht geben, anstatt eine Watsche und die Frage: “Und sie waren niemals jung?” zu entgegnen, verstehe ich nicht. Warum der klagewütige Anrainer niemals ein psychologisches Gutachten vorzeigen muss, auch nicht. Immerhin ist er das reiche Pendant zu der Gemeindebau-Oma, die aus dem Fenster schaut und auf Falschparker wartet. Und beide Arten von Anrainer brauchen psychologische Hilfe.

Vielleicht steht auch die Politik und das Gericht hinter ihm—weil man zusammen saufen war. Also, leise saufen war. Alle Parteien sprechen sich im ersten Bezirk gegen eine ganzjährige Schani-Garten-Öffnung aus. Die Lebensqualität könnte sinken. Im ersten Bezirk. Zum auf der Zunge zergehen lassen: Die Lebensqualität könnte in unserer Innenstadt sinken. Die armen Menschen mit ihrer Wohnung dort.

Die FPÖ im Speziellen hat Angst, dass Zigarettenrauch in die Wohnungen aufsteigen könnte. Ich würde das an dieser Stelle gerne humorvoll aufziehen, aber es ist leider viel zu traurig. Weil es ernst gemeint ist. Und auch ernst besprochen wird. Da sitzt niemand bei den Besprechungen und lacht laut auf. Warum glauben Anrainer, sie kaufen die Straße, nein, sogar den ganzen Bezirk mit, wenn sie sich eine Wohnung kaufen? Oder anmieten? Warum ist ihnen ihre Ruhe wichtiger als das Wohl der Stadt? Warum ziehen sie nicht—wie meine Eltern einst—einfach nach Wien Umgebung, wenn ihnen die Ruhe so wichtig ist? Warum zerstören sie Existenzen und das junge Leben der Hauptstadt? Warum können sie sich nicht denken, dass eine Stadt eben laut zu sein hat? Mit Studenten besiedelt ist? Waren sie denn niemals jung?

Rudi hat schon über die Pläne des Tourismusverbandes geschrieben—wir, die Jungen und die Lauten stehen nicht auf der To-Do-Liste. Reiche Russen und Asiaten schon eher—ein Pensionisten-Land soll halt andere (betuchte) Pensionisten anziehen. Dabei will ich gar nicht, dass Wien Berlin wird. Wien soll Wien bleiben. Nur soll es die Jungen nicht ersticken, nicht mundtot machen. Wien soll uns nicht wie die strenge Tante den Spritzer mahnend wegnehmen und ein eindringliches “Psst!” machen.

Die Politik scheißt auf unsere Wünsche—immerhin sind wir ja nicht die größte Wählergruppe—die Pensionisten sind es. Deshalb ist in Wien auch alles eine “Wohngegend”. Aber wo bleibt die “Feiergegend?” Warum werden keine Räume für uns geschaffen? In der Stadt? Warum müssen die jungen nach Spittelau und weiter raus weichen? Um dann zu hoffen, dass weiter draußen nicht ein böser Anrainer sein Unwesen treibt? Wer sich nachts Stille in der Stadt erwartet, geht mit einer egozentrischen Arroganz ins Feld, die einzigartig ist. Und das wurde auch erforscht. Die Arbeiterkammer hat herausgefunden, dass tatsächlich die einzelnen Bezirke denken, sie gehören sich und nicht zum gesamten Stadtbild. Ihre Macht fördert soziale Ungleichheiten, verhindert die soziale Durchmischung im Bezirk und haltet die Stadtentwicklung auf. Und: Natürlich. Je reicher der Bezirk, desto mächtiger ist er. Alle Punkte an die Innenstadt. Kein Punkt an uns. Minus drei Punkte an Mario Obermaier.

Ich verstehe schon—24/7 HalliGalli-Party brauche nicht mal ich als Anrainer. Nachtruhe ist Nachtruhe und ein Lokal sollte immer schauen, dass sie trotz laufendem und alkoholgeschwängerten Betrieb gewahrt bleibt. Das wollte der Besitzer der Bettelalm auch. Nur hatte der Herr Anrainer keine Lust auf Komprisse und Maßnahmen, die ihm Schlaf garantieren und der Bettelalm längeren Betrieb als bis 24:00 Uhr gegönnt hätte. Und so jemand bekommt Recht vor Gericht.

Der Anrainer bei der Bettelalm—der übrigens auch Krieg gegen andere Lokale, wie auch Restaurants führt—hat Recht bekommen. Ich werde die Bettelalm nicht vermissen. Ich vermisse nur die Fairness und lachende Menschen, die nachts durch die Straße wanken—von einer Disco in die andere. Mir ist Wien wichtig. Ich bin der Hauptstadt gegenüber nicht verbittert, ich habe es noch nicht aufgegeben. Aber langsam spüre ich so etwas wie Verzweiflung.

Zwölf ist kein gerechtes Urteil. 30 Menschen ohne Job ist kein gerechtes Urteil. 04:00 Uhr ließe ich mir noch einreden. Aber zwölf? Man könnte auch in die edlen Außenbezirke ziehen. Wenn man Ruhe, Luxus und die Stadt will. Oder man könnte teure Kriege führen. Gegen Gastronomen, die allen jungen Menschen eine Party garantieren wollen. Die Arbeitsplätze schaffen. Die zur Vielfalt der Stadt Wien beitragen.

Fredi sudert überaus gerne : @schla_wienerin

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