Serien sind inzwischen die neuen Bildungs-Accessoires unserer Generation. Jeder schaut Game of Thrones, Borgen oder House of Cards und die Diskussion darüber ist für uns ein bisschen so, wie Proust oder Goethe gelesen zu haben: Man tut es in erster Linie, um es zu tun und seinen Intellekt vorzuführen.
Und so gern ich bei dem ganzen Spiel mitmache und egal, wie sehr ich „gute” Serien liebe—manchmal, wenn ich von der Arbeit heimkomme oder restfett vom Vorabend bin und mein Hirn aus anderen Gründen einfach nur Matsch ist, will ich mich nicht auch noch beim Serienschauen (und Diskussionsstoff sammeln) anstrengen müssen. Dann brauche ich eine Serie, bei der ich auch entspannte 10 Minuten verschlafen kann und mich immer noch auskenne. Außerdem will ich, dass dabei meine tiefsten Triebe nach seichter Unterhaltung, Gossip, Intrigen und Sex befriedigt werden. Ich will Drama und Glück in einer ausgewogenen Mischung und mich gut fühlen, wenn ich den Laptop zuklappe.
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Kurz, ich will Guilty Pleasures—und ich will mich nicht dafür schämen. Andere schauen X-Factor: Das Unfassbare oder Wrestling, ich schaue eben die nachfolgenden Serien. Und weil ich weiß, dass ihr das auch tut (oder gerne tun würdet, wenn ihr bessere Argumente dafür und weniger Angst davor hättet), sind hier ein paar Gründe, warum es OK ist, diesen Scheiß zu seinen absoluten Lieblings-Schrott-TV-Serien zu zählen.
Jane the Virgin: die Telenovela in der Telenovela
Die 23-jährige Studentin Jane Villanueva ist noch Jungfrau, wird versehentlich von ihrer Frauenärztin künstlich befruchtet—mit dem Sperma eines Typen, mit dem sie vor vier Jahren mal geknutscht hat—und die Probleme beginnen. Ihr Freund findet das weniger geil; der Vater des Kindes hingegen umso geiler, weil er mittlerweile durch seinen Krebs unfruchtbar wurde. Janes Familie und besonders ihre Oma sind sehr religiös und können es kaum glauben, dass ihre keusche Jane nun schwanger ist ohne jemals Sex gehabt zu haben. Jane wird berühmt und als die neue Jungfrau Maria bezeichnet, da Nonnen herumerzählen, dass Jane eine unbefleckte Empfängnis durch Gott erlebte.
Noch Fragen zum Inhalt? Allein der Plot ist zum Niederknien—und die Umsetzung sogar noch besser. Janes Vater ist der Superstar einer Latino-Telenovela namens The Passions of Santos—es gibt also auch noch eine Serie in der Serie. Das Thema Latino-Telenovelas ist in der Serie generell sehr präsent, denn Jane und ihre Familie machen sich immer wieder über The Passions of Santos lustig und gleichzeitig kommen auch Telenovela-Elemente in Jane the Virgin vor: wie ein Blütenregen in einer Kussszene oder stark übertrieben gestikulierte Dialoge.
In den Recaps am Anfang jeder Folge und dem „Was bisher passierte” macht sich die Serie oft über sich selbst lustig. Der Typ, der die Recaps erzählt, kommentiert die Show mit viel Selbstironie und Sätzen wie: „Kaum zu glauben, oder?” oder: „Schon verrückt, diese Handlung” oder: „Das könnte jetzt fast eine Telenovela sein” und auch durch Text-Inserts werden immer wieder Wortspiele und Gags eingeblendet. Und wenn man glaubt, es kann nicht mehr besser werden, dann taucht Britney Spears in der Serie auf.
Es ist also total postmodern und schlau und meta (für diejenigen, die das als Rechtfertigung vor sich selbst brauchen). Nachdem man diese Serie gesuchtelt hat, kann man sich einerseits umso besser über Telenoveals lustig machen, weiß aber auch genau, dass diese einfach funktionieren. Wie Jane the Virgin selbst, eben.
The Carrie Diaries: Das „Sex and the City”-Gulasch
Für all jene, die auch beinahe einen Nervenzusammenbruch erlitten haben, als sie bemerkten, dass sie sich gerade die letzte Folge Sex and the City—für immer—angesehen haben und Carrie und Big jetzt gemeinsam in NYC leben und alle (bis auf den Franzosen) einfach nur unspektakulär und sendungslos glücklich sein werden, hat Warner Horizon Television ein Prequel zu SATC entwickelt.
Das ist zwar irgendwie fragwürdig, lässt uns aber zumindest die furchtbaren Filme vergessen und beschäftigt sich mit den Jugendjahren von Carrie Bradshaw, die aus irgendeinem Grund vor ihrer Karriere als Kolumnistin ausgesehen hat wie jedes 08/15-Mädchen, nur mit Locken. Hier sieht man, wie Carrie in die Highschool geht, wie sie aufwächst und sich zum ersten Mal in einen Typ und noch wichtiger in die Stadt NYC verliebt.
The Carrie Diaries ist eine Teenie-Serie, die wirklich seicht angelegt ist, aber wahre Sex and the City-Fans trotzdem irgendwie glücklich macht—zumindest geht es mir so. Sicher, das ist alles nicht originell, sondern einfach nur Aufgewärmtes. Aber nicht auf die Zwei-Tage-alter-Spinat-Art, sondern eher so wie Gulasch. Und das reicht, um ein gebrochenes Serien-Herz zu erwärmen.
The Secret Diary of a Call Girl: der Schundroman zum Schauen
The Secret Diary of a Call Girl ist vermutlich die größte Trash-Serie in dieser Aufzählung. Ich selbst habe sie damals auf Netflix nur angeklickt, weil ich einfach wissen wollte, wie das Leben einer Edelprostituierten wohl ist. Und allein, dass die Serie auf diese Art von Neugier ausgelegt ist, sagt einem alles, was man über die Macher, das Drehbuch, die Umsetzung und überhaupt alles an dieser Serie wissen muss.
Gefunden habe ich dann trotzdem ein Juwel, das trotz Low-Budget-Umsetzung und unfertig wirkenden Drehbüchern total süchtig macht und auf seine eigene, weirde, edelnuttige Art besonders ist. In meinem Freundeskreis wurde The Secret Diary of a Call Girl herumgereicht wie die neueste Droge, jeder wollte sie plötzlich und jeder suchtelte sie.
Die Edelhure Hannah—alias Belle de Jour (ja, wie aus dem Luis-Buñuel-Film)—erzählt aus ihrem Leben, in dem es zu 90 Prozent um Sexspiele, die Vorbereitung auf Sex, Unterwäsche, Sexpartys, Sexpartner und das Aufräumen nach dem Sex geht; und auch darum, wie man vor seiner Familie und seinem Freund verheimlicht, dass man als Prostituierte arbeitet. Hannah wird von Billie Piper, dem ehemaligen Doctor Who-Star, gespielt, was es alleine schon großartig macht.
Die Folgen sind total unterschiedlich aufgebaut: Manchmal spricht Hannah direkt mit der Kamera und es erinnert stark an die ersten Staffeln von Sex and the City, in denen Carrie auch noch direkt mit uns Zusehern kommuniziert. In anderen Episoden verfolgt die Kamera Hannah fast ohne Cuts in Long Takes durch die Stadt. So entsteht der Eindruck, dass die Serie selbstnoch herumexperimentiert, um herauszufinden, wie sie sein will.
Alles in allem beantwortet The Secret Diary of a Call Girl 20 Minuten pro Folge die Frage, wie es sich lebt, wenn man für Sex bezahlt wird, ohne dass man sich mit der realen, manchmal düsteren und selten wirklich glamourösen Seite von Prostitution befassen muss. Es ist das moderne Gegenstück zu Schundromanen, nur in bunt und noch viel billiger und ohne, dass man dafür extra zu einem Bahnhofskiosk muss. Win-win!
Chasing Life: das Zuckerbrot mit der Krebs-Story
Chasing Life ist eine Adaption der Fernsehserie Terminales aus dem mexikanischen Fernsehen. Im Zentrum steht die 24-jährige Journalistin April Carver, die herausfindet, dass sie Leukämie hat. Es folgt die übliche Story: April verliebt sich in der Selbsthilfegruppe in Leo, der ebenfalls an Krebs erkrankt ist.
Und jetzt kommt es (Vorsicht, Spoiler!): Sie heiratet Leo und kurz darauf liegt er tot neben ihr im Bett. Die ganze Zeit über fiebert man als Zuseher mit, ob sie endlich zusammen sein können und dann kratzt er einfach ab. April bemerkt davon zuerst mal nichts und spricht weiter mit ihrem toten Mann, was für einen eigentlich ganz sympathisch bizarren Einstieg sorgt.
Von hier an wird die bisher tragische Serie irgendwie tragikomisch und Chasing Life zur prototypischen Feel-Good-Serie, die einen zuerst traurig und dann umso glücklicher macht und bei der man jede Folge erneut Gefühlsachterbahn fährt.
Pretty Little Liars: die Serie, die bei den Gilmore Girls im TV laufen würde
Pretty Little Liars—oder wie echte Fans es nennen: PLL—ist die Königin. Nicht nur der Guilty-Pleasure-Vergnügen, sondern überhaupt, und zwar, weil es auch noch Mystery ist. Es gibt wohl keine andere Serie, abgesehen von Game of Thrones, um die sich so viele Fan-Videos und Verschwörungstheorien ranken.
Dabei geht es um fünf Freundinnen, die derb gemobbt, gestalkt und bedroht werden—und zwar von einem anonymen Täter, der einfach nur als „A.” bekannt ist (get it?). Die Identität von A. beschäftigt uns sechs Staffeln lang und danach beginnt der ganze Spuk von vorne.
Rund um die Darstellerinnen hat sich ein richtiger Personenkult entwickelt, der soweit geht, dass den Verkleidungen aus den Halloween-Folgen fast schon eigene Fan-Fiction gewidmet wird. Und das, obwohl (oder gerade weil) ihre Aufmachung oft extrem unglaubwürdig ist. Ich meine, diese Mädchen tragen High-Heels in der Schule und sind als 16-Jährige zirka so authentisch wie die Protagonisten in Dawson’s Creek.
Manchmal fragt man sich auch, wie die Charaktere überhaupt noch vor die Tür gehen können, wo fast täglich jemand in ihrem Umfeld ermordet wird. Es gibt vermutlich keine Serie mit so vielen Begräbnissen wie PLL. Und jedes Mal sitzen sie wieder aufgestylt in ihren viel zu kurzen schwarzen Kleidern und hohen Schuhen in der Kirche.
Egal wie irrational oder überinszeniert PLL manchmal auch sein mag, jede Folge ist sauspannend, hat mindestens einen Cliffhanger und wirkt so hyperstylisch, dass man das Gefühl hat, man selbst ist eine Figur aus Gilmore Girls, die gerade in der Welt von Lorelei und Rory fernschaut. Und ja, das ist ein Pluspunkt.
Mistresses: Das Leben wird auch mit 30 nicht langweilig
Im Gegensatz zu den anderen Serien in diesem Artikel geht es in Mistresses um keine Teenies oder Mittzwanziger, sondern um Frauen in ihren—Achtung—30ern. (Ich weiß, das muss für viele ein Schock sein; ich weiß auch erst seit Mistresses, dass TV-Frauen nicht mit 29 zu existieren aufhören.)
Die vier Freundinnen Savi, April, Joss und Karen stehen finanziell gut da, haben tolle Jobs, sind auf der Karriereleiter nach oben geklettert, kämpfen privat aber immer noch mit den selben Problemen wie früher: Liebe, Betrug, Rivalitäten und Geheimnisse. Nur dass es mittlerweile um Stalker, Dreier-Beziehungen, tot geglaubte Ehemänner (die wieder auftauchen), Versicherungsbetrug, Schwangerschaften, die eigene Schwester (die sich den Ehemann nach der Scheidung krallt) oder Liebhaber (die eigentlich fürs FBI arbeiten) geht.
Eine der Hauptrollen spielt Alyssa Milano—ja, Phoebe von Charmed—, aber im Lauf der Serie verlagert sich der Fokus langsam auf ihre Schwester Joss, die sich in ihren Ex-Schwager verliebt (oh-em-gee). Zum Liebesdrama gesellen sich später auch noch Mord und Stalking, was bisher nicht ganz meiner Vorstellung einer beruhigten Lebensmitte-Periode war. Aber Mistresses stellt das Leben ab 30 nicht nur genauso kompliziert dar, wie das Leben davor; die Serie sagt auch, dass das Leben nach 30 nicht unspannender wird. Und wenn das in diesem Gossip Girl-esken Universum keine lebensbejahende Botschaft ist, weiß ich auch.
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