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Popkultur

Warum es falsch ist, sich über Rechtschreibfehler lustig zu machen

Auch Rechtspopulisten profitieren davon, wenn du im Internet den Klugscheisser gibst.

Wieder einmal muss ich einen Text mit Worten zum Internet beginnen. Wir alle kennen die Vorteile der magischen drei Ws: Wir müssen nicht mehr in eine Bibliothek rennen oder uns mit viel zu grossen Zeitungen quälen, um informiert zu sein. Wir brauchen kein Videothek-Abo mehr, um unsere Fetisch-Pornosammlung zu vervollständigen. Und wir sind mit allen anderen sieben Milliarden Menschen über 3.5 Ecken verbunden und können mit den meisten dieser Menschen Kontakt aufnehmen.

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Doch wie so ziemlich alles auf dieser Welt—bis auf Ayran, das beste Getränk des Universums—haben auch diese technischen Errungenschaften in der Praxis ihre Kehrseiten: Der Überfluss an Informationen verführt immer mehr Menschen dazu, sich krude Meinungen zusammenzuschustern. Manche haben all ihre Freunde nur noch auf PornHub. Und die Möglichkeit zur Kontaktaufnahme bietet eben auch die Möglichkeit, alle anderen Menschen zu trollen, stalken oder sie zu verunglimpfen. Dass in allen Ecken des Internets mit Meinung um sich geworfen wird, verstärkt den Drang zu Letzterem.

Was in der Praxis passiert, sehen wir etwa auf Facebook, wo sich wohl am meisten Menschen anonym begegnen. Dort werden Argumente ausgetauscht, es wird—etwas zu oft viel zu emotional—diskutiert. In gefühlt jeder Diskussion auf Facebook gibt es mindestens einen Menschen, der andere argumentativ auf die Matte knallen will, indem er ihnen ihre Rechtschreibfehler unter die Nase reibt. Das ist allerdings selbst ein Zeichen von Beschränktheit.

Schulbildung macht dich nicht zu einem besseren Menschen

Als ich noch zur Schule ging, war für alle—ausser die Gymnasiasten—klar, dass die Gymnasiasten die grössten Loser sind. Das Klischee vom besserwisserischen Streber hielt sich hartnäckig. Natürlich ist dieses Klischee—wie alle anderen Klischees auch—viel zu verallgemeinernd aber—wie eben auch bei allen anderen Klischees—ist doch etwas Wahrheit dabei.

Bildung ist heute wohl das wichtigste Mittel, um einen besseren Job, dadurch einen höheren Lohn und dadurch wiederum ein höheres Ansehen zu bekommen. Egal, was du davon hältst, ist das momentan die Realität. Zu dieser Bildung gehört auch, dass man die Regeln der deutschen Sprache lernt.

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Deine Schulbildung ist aber zu einem grossen Teil davon abhängig, in welchem Umfeld du aufgewachsen bist. Haben sich schon deine Eltern durch Unis gequält, wirst du höchstwahrscheinlich dasselbe tun. Mussten deine Eltern möglichst rasch arbeiten gehen, um Geld zu verdienen, wirst auch du höchstwahrscheinlich nicht der nächste Nobelpreisträger. So bitter das auch scheinen mag, in der Realität ist es mindestens so schwierig wie selten, von einer Generation zur Nächsten gesellschaftlich aufzusteigen.

Jemandem vorzuhalten, dass er kein korrektes Schriftdeutsch schreibt, ist also wie jemandem vorzuwerfen, dass er wenig Geld hat—überheblich und elitär.

Foto von Mr.TinDC | Flickr | CC BY-ND 2.0

Grammar-Nazis helfen den Rechtspopulisten

Dieser Punkt klingt im ersten Moment etwas weit hergeholt—dennoch ist etwas dran. Wenn du die Rechtschreibung anderer heranholst, um ihre Argumente abzuwerten, greifst du sie nicht inhaltlich an, sondern sagst ihnen: Du sollst erst deine Meinung sagen, wenn du gebildet genug bist, um korrektes Deutsch zu schreiben. Mittlerweile gibt es Facebook-Seiten, die trotz guter Absichten, rechte Hetz-Kommentare sammeln und sich auch über die Rechtschreibung der Kommentierenden lustig machen. Beides ist sehr überheblich.

Wenn du oder diese Facebook-Seiten das tun, bedient ihr genau jene Schiene der Argumentation, die von Rechtspopulisten genutzt wird, um die unteren Ränder der Gesellschaft für ich zu gewinnen. Ein wesentlicher Bestandteil ziemlich aller rechtspopulistischen Bewegungen und Parteien ist es, sich als die Partei des kleinen Mannes zu inszenieren, die der Elite endlich mal sagt, wo es lang geht. Auch die SVP macht das so, wenn sie gegen die Classe Politique und Geisteswissenschaftler wettert. Machst du dich von oben herab über die da unten lustig, verfestigst du dieses Denken.

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Parteien wie der SVP kommt das sehr entgegen. Nicht umsonst gaben vor den Nationalratswahlen im letzten Herbst 56 Prozent der Unterschicht die SVP als ihre liebste Partei an.

Das Internet ist kein Diktat

Die gesprochene Sprache hat sich lange Zeit von der geschriebenen Sprache unterschieden. Wenn dir deine Eltern eine Whatsapp—oder einen Brieftauben-Brief—schreiben, werden sie mehr Wert auf Rechtschreibung legen als deine „gömmer langstrass alte?"-Freunde.

Mittlerweile kommunizieren wir viel öfter über geschriebene Sprache, als dies unsere Eltern tun. Wir nutzen Whatsapp und den Facebook-Chat, um mit anderen auszumachen, wann und wo wir uns für den Ausgang treffen—oder auch einfach nur, um uns witzige Memes zu zeigen. Was früher oftmals über das Telefon oder persönliche Gespräche geschah, passiert nun über Text-Nachrichten. Das wirkt sich natürlich auch darauf aus, wie wir die Sprache nutzen. Wir orientieren uns beim Schreiben nicht mehr so stark am Duden, wie die Generation unserer Eltern, weil das geschriebene Wort in unserem Alltag eine andere Bedeutung und Funktion hat.

Dass sich die geschriebene Sprache weiter entwickelt ist übrigens nichts Neues. Der Duden nimmt regelmässig neue Worte auf—weshalb wir wissen, dass wir gelikt mit „t" schreiben—und schmeisst ältere Worte raus. Und seit 1924 gibt es eine Sprachbewegung, die fordert, dass fast alle Worte ganz offiziell klein geschrieben werden.

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Stehst du also das nächste Mal kurz davor, die seid-seit-Webseite als Kommentar zu posten, denk noch einmal darüber nach, was du damit bewirken könntest und lass es sein.

Sebastian schreibt auf Twitter trotzdem ohne Rechtschreibfehler: @seleroyale

VICE Schweiz ist sein Duden: @ViceSwitzerland


Titelbild von Taro Taylor | Flickr | CC BY 2.0