Sex

Warum es uns Frauen so schwer fällt, zu sagen, was wir im Bett wollen

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Gute Dates verlaufen für mich alle nach einem ähnlichen Muster. Irgendwann neigt sich der Boden ein bisschen in dieser Bar. Echt nicht sehr, wahrscheinlich so um 15 Grad. Aber genug, dass er näher in meine Ecke der Couch rutscht. Dann sitzen wir ganz nahe bei einander, zum Glück ist der Boden schief. Vielleicht ist der Boden schief, vielleicht finden wir einander einfach gut.

Irgendwann gehe ich zu den Toiletten, um zu pinkeln, aber auch um mich im Spiegel vor den Kabinen ein bisschen süß zu finden. Wenn niemand sonst auf eine freie Kabine wartet, mache ich im spärlichen Licht ein paar Spiegelselfies, damit ich morgen weiß, an welchem Punkt der Abend angenehm verpixelt geworden ist. Zurück auf der Couch müssen wir einander wieder attraktiv finden und eigentlich können wir das eh schon, wir haben ja schon geübt mit Instagram-Story-Feuer-Reaktionen. Später im Taxi glaube ich, dass der Fahrer auch von unseren Instagramstory-Feuer-Reaktionen weiß. Vielleicht ist die Rückbank auch ein bisschen schief.

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Zu Hause bei ihm sind wir irgendwann nackt. Und dann fragt er: “Worauf stehst du eigentlich?” Eigentlich ist es ja so, dass man sich ein Publikum nackt vorstellen muss, damit sich die Nervosität legt. Und jetzt ist meine Vorstellungskraft gar nicht gefragt und schämen tue ich mich trotzdem. Jetzt, wo mir meine eigene Sexualität so unter die Nase gehalten wird, habe ich den Drang, sie nicht für mich zu beanspruchen. Mit seiner Frage ist er mir reingegrätscht in das Verständnis, das ich von meiner Selbstbestimmtheit hatte. Ich denke daran, wie Freundinnen und ich meine Dating-Erfahrungen breittreten und fühle mich wie eine Schwindlerin.

Manchmal fühle ich mich wohler damit, begehrt zu werden, als selbst jemanden zu begehren. Diese passive Rolle passt nicht in das emanzipierte Bild, das ich von mir selbst habe. Doch vielleicht spiegle ich mit meiner Passivität nur das Vokabular, mit dem wir über Sex reden. Lynne Segal, feministische Autorin und Akademikerin, nennt im Gespräch mit dem Guardian die Sprache und die Kommerzialisierung von Sex phallozentrisch. Im Fokus steht der Mann. Als Beispiel dafür schildert sie folgendes Szenario: “Show a woman having sex on the internet and this is a way of shaming her. Show a man and you’re just making him more of a man.” Weiblich gelesene Personen, deren Sextapes geleakt wurden, werden öffentlich als Schlampen denunziert. Die Hierarchie ist klar. Wer in den jeweiligen Szenarien passiv ist und sich blamiert und wer die aktive Rolle übernimmt und den Geschlechtsverkehr als eine Form der Selbstermächtigung sieht, auch.

Die Assoziation von Penetration mit Macht ist fest in unserem Verständnis von Sexualität verankert. Bei der letzten Met Gala trug Cara Delevingne ein Oberteil mit der Aufschrift “Peg the Patriarchy”. Das bedeutet so viel wie: “Penetriere das Patriarchat.” Was sich auf den ersten Blick subversiv liest, reproduziert eigentlich nur die Auffassung, dass Penetriertwerden mit einem Aufgeben von Macht zusammenhängt. 

Können wir versuchen diesen Fokus zu verschieben? Bini Adamczak hat im Missy Magazine einen Lösungsansatz: “Circlusion ist der Gegenbegriff zu Penetration. Beide Worte bezeichnen etwa denselben materiellen Prozess. Aber aus entgegengesetzter Perspektive. Penetration bedeutet einführen oder reinstecken. Circlusion bedeutet umschließen oder überstülpen.” Während Penetration den Penis als aktive Komponente in den Vordergrund stellt, fokussiert sich der neue Begriff auf die Vagina in der aktiven Rolle. Circlusion als neuer Begriff trennt damit das Wort Penetration von der direkten Assoziation mit Macht und hilft auch dabei den sexuellen Diskurs von seiner heteronormativen Prägung zu lösen.

Die ständige Außenperspektive auf unsere Körper verhindert eine eigene Perspektive auf unsere Körper. Was gesellschaftlich von einem Körper erwartet wird, lässt sich nur schwer davon trennen, was ich von meinem Körper will. “Das sollte ich geil finden.” und “Das finde ich geil” liegen zu nahe beieinander. Viele meiner ersten sexuellen Erfahrungen mit Tinderdates oder Männern von Club-Tanzflächen waren unbefriedigend. Ich war 19 und spielte eine Nebenrolle in einer männlichen Fantasie. Ganz klar war mir das nicht. Laut einer Studie von 2017 erreichen 95 Prozent der heterosexuellen Männer beim Geschlechtsverkehr normalerweise einen Orgasmus. Bei den heterosexuellen Frauen sind es nur 65 Prozent. Im Vergleich: 86 Prozent der befragten lesbischen Frauen gaben an, normalerweise einen Orgasmus zu erreichen. Nach all diesen Dates, bei denen meine Bedürfnisse keine Rolle spielten, bin ich jetzt überrascht, wenn ich danach gefragt werde. “Worauf stehst du?” Ich bin mir selber plötzlich nicht mehr ganz sicher.

Aber wir haben nicht nur unser Verhalten einem patriarchalen Ideal verschrieben, sondern auch unsere Körper. In der Umkleide vor dem Sportunterricht redete eine Freundin über eine andere Mitschülerin. Sie ließ sich darüber aus, dass diese sich nicht rasiert. Man sehe die Haare auf beiden Seiten ihrer Unterhose. Auch in unserer Umkleide schauten wir einander mit dem “male Gaze”, aus männlicher Perspektive, beim Umziehen zu. Wir hatten die Standards, die für uns gelten internalisiert. Auch hier sollen wir unsere nackten Beine rasieren, wir bluten blau in unsere Tampons, unsere Brüste sind umrahmt von prallen Push-up-BHs. Ich hasste es, mich dort umzuziehen. Ich hatte das Gefühl, dass ich nicht die Kontrolle darüber habe, wie mein Körper aussieht. Ich wusste: Ich muss gegen meinen Körper arbeiten, ich muss kaschieren, rasieren, verstecken, die Größe von Oberschenkeln, Brüsten, Schamlippen hinterfragen. Nur in ständigem Konflikt mit mir selbst hatte ich zumindest teilweise das Gefühl dazuzugehören.

Der vierte Mann, mit dem ich Sex hatte in meinem Leben, schreibt mir vor unserem zweiten Treffen: “Bist frisch rasiert? Sorry bin da bisschen pingelig.” Ich bin 19 und schäme mich. Ich spiele eine Nebenrolle in seiner sexuellen Idealvorstellung.

Wäre die Sprache und Darstellung von Sex und Verlangen nicht so sehr von einer männlichen Perspektive geprägt, würden wir vielleicht alle mehr experimentieren mit unserer Sexualität, unserer “Gender Expression”. Vielleicht hätte ich früher gemerkt, dass ich auch gerne Frauen küsse. Wie sieht meine Lust aus, wenn ich sie nicht für ein männliches Gegenüber konzipiere?

Vielleicht ist es doch politischer als ich dachte, irgendeinen Typen mit seinen Fingern ahnungslos rumstochern zu lassen, ohne zu erklären, wie es wirklich geht. Vielleicht freunde ich mich jetzt mit meiner eigenen Lust an. Ich habe keine Lust mehr auf die Nebenrolle.

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