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„Euer Geschmack dürfte schon etwas rebellischer sein”—Ein Interview mit Perc

2011 sind alle zu Percs Debütalbum Wicker & Steel ausgerastet. Nachdem er jahrelang ernst dreinblickende Menschen in kalten Lagerhallen mit fiesen Kickdrums bespaßt hatte, wurde Perc plötzlich ins Rampenlicht katapultiert. Der Guardian liebte ihn. The Quietus liebte ihn. Perc war angesagt. Nun ist er zurück mit seinem schwierigen zweiten Album, The Power & The Glory.

Nein, es handelt sich hier nicht um ein faules journalistisches Klischee. The Power & The Glory ist ein schwieriges zweites Album—die Schwierigkeit liegt in dem Fall aber ganz auf deiner Seite. Der Opener heißt „Rotting Sound” und startet mit einem Sample von Faith No Mores Mike Patton, der einem nervösen Journalisten erzählt: „You fall in love with this rotting sound that doesn’t belong there.” („Du verliebst dich in diesen abgründigen Sound, der einfach nicht dorthin gehört.”) Dann geht das fiese Geballer los und der Totentanz startet. Nein, es klingt nicht wirklich wie der Weichspülhouse von Disclosure.

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Das Album ist zehn Tracks lang und einige davon könntest du auch als Ambient bezeichnen—allerdings eher weniger in der Art von Music for Airports sondern mehr in die Richtung Saw VIII: Jigsaw does Berghain. Die Tracks, die nicht gerade ‚Ambient’ sind, sind bohrender, unbarmherziger Techno; die Ausgeburt eines harten Sheffield-Raves, versetzt mit Hardcore-Rhythmen und Drum’n’Bass-Dynamiken. Es gibt Gastvocals von Factory Floors Nik Void und sehr überzeugendes Gebrabbel von einem Typen, der in einer Band mit dem Namen Dethscalator spielt. The Power & The Glory ist ein intensiver und brutaler Ritt, gespickt mit kleinen Juwelen süßlicher Melodien. Zwischen dem ganzen Gepolter und den ruhigen Passagen ergeben sich Momente blanker Euphorie. Perc wird angesagt bleiben, ob er will oder nicht.

Ian McQuaid traf den Produzenten in seinem Studio in Hammersmith, wo er die Remixe für das neue Album mastert. Tessela hat schon einen fertiggestellt, aber Perc will nicht mit den anderen Namen rausrücken, bis wenigstens das neue Album schon etwas verdaut ist.

Hier findest du den exklusiven Stream von „Bleeding Colours” (von The Power & The Glory)

THUMB: Über dein letztes Album—Wicker & Steel—hast du gesagt, dass du dir erst den Namen ausgedacht hattest und sich die Musik dann um dieses Konstrukt herum entwickelte. Hast du diese Herangehensweise bei The Power & The Glory wiederholt?

Perc: Ich hatte das Album eigentlich schon vor Augen, bevor ich überhaupt versucht habe, irgendwas dafür zu Schreiben. Ich wollte etwas Kraftvolles, einen satteren Sound als bei Wicker & Steel. Ich denke, „ausladend” ist das richtige Wort; es erstreckt sich in verschiedenste Richtungen. Den Albumtitel hatte ich schon immer im Hinterkopf und vor allem der letzte Track passt einfach perfekt in das Konzept; er ist jetzt nicht gerade episch oder so, aber vollgepackt mit Emotionen.

Steckt in dem Titel auch eine ironische, kritische Lesart?

Es gibt ein einige politische Referenzen auf dem Album—vor allem der Track „David & George” bezieht sich offensichtlich auf die aktuelle Führungsriege der britischen Konservativen. Es hat auch definitiv eine sarkastische Seite: wenn du dich mit der dunklen Seite von Macht und Einfluss auseinandersetzt, merkst du schnell, dass die Machtausübung von Menschen über andere Menschen nicht immer etwas positives hat und es daran wenig glorreiches gibt. Der Titel enthält auch eine leicht religiöse Note. Neben meiner Frustration über einige Vorkommnisse hier in Großbritannien habe ich auch eine generelle Ablehnung gegenüber den meisten Sachen, die im Namen der organisierten Religionen geschehen.

Kannst du da weiter ins Detail gehen? Gab es ein besonderes Vorkommnis, das dich dazu gebracht hat, etwas zu schreiben?

Ich könnte jetzt nicht sagen: „Oh ja, da ist dies oder jenes passiert und deswegen habe ich diesen Track hier geschrieben.” Es sind eher im Allgemeinen die Dinge, mit denen die Regierung hier gerade durchkommt: die Änderungen am Gesundheits- und Wohlfahrtssystem, Streichung von Kulturförderung. Ich habe zwar selber keine Kinder noch kenne ich jemanden, der von einem langen Krankenhausaufenthalt betroffen ist; ich bin von diesen Dingen nicht selbst betroffen. Aber ich habe den Eindruck, dass da gerade eine kleine Gruppe von Menschen alles auseinandernimmt, was sie kann—immer mit einem Auge auf den Profit schielend, die nach und nach private Unternehmen in ursprünglich öffentliche Felder einschleust. Das geht mir schon sehr nahe und regt mich auf. Und ich finde, die britische Bevölkerung nimmt das alles etwas zu passiv hin—aber ich bin da wohl selber nicht anders. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte mal für etwas auf die Straße gegangen bin.

Also versuchst du etwas zu machen, was die Menschen aus ihrer Komfortzone holt? Die Musik scheint im krassen Gegensatz zu dem zu stehen, was momentan in Sachen Tanzmusik gefeiert wird.

Ich glaube das trifft es. Es hat etwas von einer kurzen, heftigen Erschütterung, mit dem Versuch, eine Reaktion von Menschen zu bekommen. Es ist auch ein Balanceakt, Reaktionen herauszufordern ohne sich dabei selber zu Entfremden—indem man künstlerische Umwege geht, nur um Leuten ans Bein zu pissen. Am Ende ist es immer noch ein Dance-Album. Es gibt immer noch die typischen Club-Tracks, die DJs und das Club-Publikum ansprechen werden. Ich will diese Seite auch gar nicht hinter mir lassen—der Club und die DJs sind das Umfeld, für das ich die Tracks schaffe. Aber Dance-Musik an sich ist momentan etwas zu zahm, vor allem dieser ganze Reißbrett-Deephouse-Kram, der die Charts dominiert. Ich habe das jetzt schon eine gute Weile mitverfolgt und es ist wirklich immer nur die gleiche Chicago-House-Schablone, die immer wieder aufgewärmt wird. Das spricht mich so gar nicht an.

In den 90ern ging es bei Dancemusik immer darum, neu zu sein und sich ständig weiterzuentwickeln. Viele Musik von heute scheint nur zwanghaft damit beschäftigt, die Ästhetik der 90er zu wiederholen, lässt dabei aber das progressive Element völlig außer Acht.

Vieles, was ich heute höre, ist eigentlich ein Rückschritt. Ich persönlich versuche, mich ständig weiterzubewegen. Das soll allerdings als Entwicklung stattfinden. Ich will jetzt nicht mit jeder Platte eine 180-Grad-Wende hinlegen, nur um Andere zu verwirren. Ich denke Leute, die so etwas machen und jedes mal ihren Style ändern, sind wahrscheinlich nur Trittbrettfahrer.

Eine Sache, die mir in letzter Zeit auffiel: Als Jugendlicher habe ich mir immer nur recht noisige Musik ausgesucht, zu der meine Eltern keinen Zugang hatten. Wenn du dir zum Beispiel die alten Rave-Sachen wie The Prodigy oder Drum’n’Bass oder meinetwegen auch diesen krasseren Dubstep-Kram anschaust, der vor einiger Zeit im Umlauf war … Mit all diesen Dingen distanzierte sich die jüngere Generation von ihren Eltern. Und jetzt ist dieses Deephouse-Ding riesig. Du könntest eine Deephouse-Compilation beim Sonntagsbraten mit deinen Eltern anmachen und niemand würde auch nur mit der Wimper zucken.

Ich hätte niemals gedacht, dass es so weit kommen würde. Ich spiele in Clubs oft auf dem Techno-Floor und auf dem anderen Floor legt dann irgendein DJ diesen aktuellen Deephouse-Sound. Das Publikum ist einfach superjung. Gerade so alt, dass sie in den Laden dürfen. Und sie lieben es, jubeln und feiern das richtig ab und ich denk’ mir nur noch: „Also bitte, etwas rebellischer könnte euer Geschmack schon sein!”

Siehst du da eine Verbindung zu der politischen Gleichgültigkeit, über die du vorhin gesprochen hast?

Ja, Gleichgültigkeit ist das Wort, nach dem ich vorhin wohl gesucht habe. Alle sind so passiv. Solange sie mit so wenig Stress wie möglich über die Runden kommen und am Wochenende die Sau rauslassen können, reicht das aus. Viele Menschen sind sehr selbstbezogen, und in gewisser Weise ist das auch nachvollziehbar—aber die einzigen Leute, die zum Beispiel gegen die Schließung von Krankenhäusern protestieren, sind die, die selber direkt davon betroffen sind. Alle anderen lassen sie einfach gewähren. Aber in fünf Jahren, wenn ihnen etwas schlimmes zustößt, werden sie es bereuen, dass sie sich nicht früher dafür eingesetzt haben.

Dir scheint das alles sehr am Herzen zu liegen—aber man kann sich dein Album auch anhören, ohne irgendetwas davon mitzubekommen.

Das sollte auch nicht zu offensichtlich sein. Ich bin ja nicht Billy Bragg und stehe mit meiner Akustikgitarre auf der Bühne und predige durch die Musik. Ich hab es vermieden, zu politisch beim Artwork zu sein. In erster Linie geht es halt doch um die Musik und es muss mich persönlich wiederspiegeln. Wenn ich dann noch eine Art Message übermitteln und jemanden etwas aufmerksamer auf seine Umgebung machen kann, ist das ein Bonus—es ist nicht der primäre Zweck des Albums, aber etwas von dem ich hoffe, dass es trotzdem ankommt.

Ich denke, dass es da schon ähnliche Fälle gab. The Prodigys zweites Album hat dieses Artwork mit dem dreckigen Hippie, der den Bullen den Mittelfinger zeigt, aber Leute nehmen es nicht wirklich als politisches Album wahr.

Es gibt auch diese Diskussion darüber, ob die ganze Nacht durchtanzen und aus dem Alltag zu entfliehen schon eine politische Aktion in sich ist—natürlich greifst du damit nicht den Status Quo an, aber sich selber aus der Realität zu entfernen ist schon eine Art von Statement an sich. Dabei muss man allerdings genau abwägen: Wenn ich Dance-Musik höre, die zu offensichtlich politisch ist und der musikalische Aspekt nicht besonders stark ist, fällt das alles in sich zusammen. Manche Leute bekommen das hin, aber das ist sehr selten. So jemand wie Planningtorock … Manches von ihr finde ich super, anderes nicht so—aber wenigstens hat sie ein Statement und versucht etwas zu sagen. Ihr sei der Erfolg auf jeden Fall gegönnt. Aber wenn es nur wummernder Dubstep ist, zu dem jemand irgendeinen Kram gegen die Regierung schreit, ist das nichts für mich.

Das Gleichgewicht auf diesem Album hat sich zu Gunsten der experimentelleren Stücke verlagert—kann man daraus schließen, dass der Unterschied zwischen deinen Live- und DJ-Sets weiter wächst?

Nein, nicht wirklich. Ich mein’, wenn ein Set von mir als experimentell angekündigt wird, spiele ich natürlich mehr von dem Ambientkram. Aber wenn ich ein Set in einem Club spiele, verändere ich die experimentelleren Tracks auf dem Album so, dass sie besser auf die Tanzfläche passen—das kann auch manchmal einfach nur der Zusatz von einer Kickdrum sein, und die Leute tanzen weiter. Letztendlich hängt das aber auch von dem Rahmen ab, in dem ich auftrete. Ich werde bestimmt nicht auf einem Festival nach einem ballernden Technoset eine Stunde lang fiesen Noise spielen. Obwohl das eigentlich ganz lustig sein könnte … Ich spiele dann lieber auch Techno, damit die Leute weitertanzen und nicht plötzlich abhauen. Dabei baue ich dann auch ein par experimentellere Elemente ein, aber eben sehr unauffällig. Das ist halt eher eine subversive Angelegenheit und du drängst dich den Leuten nicht direkt mit deinen experimentellen Sachen auf.

Diese ganzen Genreklassifikationen scheinen mir heutzutage eh ziemlich fadenscheinig. Es scheint mir schon schwierig, eine klare Grenze zwischen meinen Sachen und dem zu ziehen, was meinetwegen Shackleton macht. Der Hauptgrund, warum ich immer unter Techno eingeordnet werde, ist wahrscheinlich, dass ich die meiste Zeit in den entsprechenden Clubs spiele. Und natürlich sind die Clubtracks auf dem Album—wie „Take Your Body Off”—astreine Technotracks. Aber wenn du dir so jemanden wie Shackleton anschaust … Ich glaube, du könntest seine Ursprünge als Dubstep bezeichnen, aber in was auch immer sich sein Stil in den letzten Jahren verwandelt hat, ist eine ganz andere Geschichte.

Jetzt bist du mit dem Album fertig—was kommt als nächstes?

Das Album wird am 17. Februar veröffentlicht und die Remix-EP sollte dann Ende März rauskommen. Ich bin dann viel unterwegs für die Albumtour, die die ganze Zeit noch erweitert wird. Danach werde ich weiter an meinem laufenden Projekt mit Truss arbeiten. Wir werden eine EP veröffentlichen und auch dazu wird’s ein paar Gigs mit uns beiden geben—inklusive Awakenings, diesem riesigen holländischen Techno-Festival. Mein Terminplan sieht ziemlich abartig aus, aber ich liebe es zu reisen. Ich will mich gar nicht beschweren!

Und du musst dich dann nicht damit rumschlagen, wie beschissen England doch ist …

Ach, alle fragen mich immer, warum ich nicht schon längst nach Berlin gezogen bin. Aber ich liebe London einfach zu sehr … Der Ort, die Kultur, die Menschen—es muss hier schon sehr viel beschissener werden, bevor ich wegziehe.

Ist es vielleicht sogar deine Liebe zu London, die dich bei den einzelnen Themen so auf die Barrikaden bringt?

Ja klar! Wenn dir etwas am Herzen liegt, macht es dir auch etwas aus. Theoretisch werde ich hier ja mein Leben verbringen …
 

Perc, The Power & The Glory, Perc Trax, 17. Februar 2014, Vinyl / CD / MP3 

15. Februar 2014, Berlin, Berghain
28. Mai 2014, Stuttgart, Lehmann Club

 

Folge Ian McQuaid auf Twitter: @IanMcQuaid

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