Ein fester aber inoffizieller Bestandteil des Arbeitsvertrages bei Noisey beinhaltet, dass du ein Teilzeit-Alkoholiker bist. Das wird zwar nirgends abgedruckt, aber ich vermute, es steht irgendwo mit unsichtbarer Tinte auf dem Vertrag. Jedenfalls scheint das ein Einstellungskriterium zu sein, welches sehr ernst genommen wird. Für mich kein Problem, da ich seit dem Abschluss meiner Matur den Trash-Lifestyle in ganzen Zügen geniesse. Wer mich kennt, weiss, dass ich nüchtern eine ungesunde Mischung aus Sarkasmus und Zynismus besitze. Dies ändert sich normalerweise mit steigendem Alkoholpegel, charmant kann ich dann ziemlich gut. Aber insgeheim wünsche ich mir, dass ich auch betrunken so ein Kotzbrocken wie nüchtern wäre. So hätte ich mir die eine oder andere betrunkene Knutscherei sparen können. Zurück zum Thema: Als ich im Frühling vor einem Jahr mit zwei Freunden Snowboarden war und pflichtbewusst wie wir sind, ohne etwas gegessen zu haben feiern gingen, könnte es passiert sein, dass wir beim Après-Ski innerhalb von zwei Stunden elf Pitcher Bier getrunken haben und ich mit einem meiner besten Freunde rumgeknutscht habe.
Dies war für mich das Zeichen, einen Schlussstrich zu ziehen. An diesem Abend entschied ich mich, ein Jahr nichts mehr zu trinken. Ausserdem musste ich in dieser Zeit viel lernen, darum bot sich sowieso keine Zeit, mich mit einem Kater zu bemitleiden. Da ich noch nie wirklich den Drang zum Trinken hatte, fiel es mir eigentlich ziemlich einfach, ein Jahr auf Alkohol zu verzichten. Bis auf eine Ausnahme: der Ausgang. Darum möchte ich jetzt meine Erfahrungen mit dir teilen – du noch viel lernen musst, junger Padawan. Macht es euch gemütlich, das könnte länger gehen.
Videos by VICE
Dir fällt erst auf, dass Alkohol so in unserer Gesellschaft verankert ist, wenn du deinen ersten Drink ablehnst und deinen Freunden im Minutentakt erklären musst, dass du im Moment nichts trinkst. Vor allem, wenn es für deine Freunde fast so unwahrscheinlich ist, dass du nüchtern bleibst, wie dass Erich Hess in der Reitschule feiern geht. Mir sind, glaube ich, selten so viele Drinks angeboten worden, wie in diesem Jahr Abstinenz. Die Nüchternheit und Klarheit scheint die Leute so ungemütlich zu bedrängen, dass sie dich unbedingt angeheitert sehen wollen. Ob das jetzt daran liegt, dass sie dich einfach betrunken lieber mögen oder damit sie sich besser fühlen, weiss ich auch nicht.
Jedenfalls will dich praktisch jeder zu einem Drink überreden. Das geht so weit, dass Sätze fallen wie: “Komm schon, nur einen Schluck für mich.” Da braucht es manchmal schon einen starken Willen, aber meine Eltern haben mich nicht ohne Grund streng erzogen, bevor sie mich raus in die weite Welt geschubst haben. Ausserdem habe ich jahrelanges Willenstraining hinter mir, weil ich mich immer wieder mit meinem Vater streiten musste, wer die letzte Schokolade gegessen hat oder wer am Morgen zuerst ins grosse Bad darf.
Weiter geht’s mit den Temperaturen: Wenn du hacke bist, sind dir die Aussentemperaturen und das Klima im Club ziemlich scheissegal. Doch wenn du nüchtern bist, frierst du dir entweder draussen den Arsch ab oder schwitzt dich im Club zu Tode. Deine Freunde kümmert das in dem Moment natürlich wenig, da sie sich selber eh nicht mehr ganz spüren. Daher kannst du dich auf endlose Zigarettenpausen, Anstehen in Eiseskälte und durchgeschwitzte Shirts im Club freuen.
Hier der Beweis, dass du als Noisey Redaktor Alkoholiker sein musst.
Das einzig Gute an dieser Sache ist, dass deine Freunde meistens die Kälte nicht mehr wirklich spüren und dir mindestens einen Pulli angeboten wird. Wie als mir einmal im Dezember in einem Club ein Idiot ein ganzes Bier über den Rücken geleert hat. Um das Schlamassel zu vergessen, ging ich mit Freunden nach draussen, um eine Zigarette zu rauchen und den gebunkerten Gin zu leeren – natürlich ohne mich. Die kurze Zigarettenpause verwandelte sich in gefühlte 20 Stunden und mit meinem nassen Rücken fror ich nur minim. So bekam ich das Hemd von einem Freund, der die Zeit draussen nur in einem Shirt verbrachte. Wenn du dann wieder in den Club gehst, hast du einen kleinen Temperaturschock. Und ja, ich weiss, drinnen ist es warm und alle haben heiss, aber behalt verdammt nochmal dein Shirt an. Niemand möchte mit deinem verschwitzten nackten Oberkörper in Kontakt kommen.
Auch die Musik an deiner Lieblingsparty, zu welcher du nächtelang durchgetanzt und die du mitgesungen hast, findest du nüchtern auf einmal langweilig. Dieses Problem musste ich leider auch erkennen: Egal wie gut der DJ oder die Crowd ist, ohne Alkohol intus ist es meist einfach nur halb so gut. Mir ist das vor allem aufgefallen, als ich Lieder, die ich früher geliebt habe, auf einmal nur mässig gut fand oder gar nicht mehr ausstehen konnte. Und plötzlich sehen deine normalerweise Beyoncé-ähnlichen Tanzmoves wie roboterhaftes Herumgestampfe aus. Wahrscheinlich hat mir normalerweise auch nur der Vodka leise ins Ohr geflüstert, dass ich tanzen kann, aber ich habe dann auch einfach keinen Fick gegeben. Nüchtern interessiert es dich auf einmal, wie du tanzt und was die anderen von dir denken. Dieser fehlende Schleier des Keinen-Fick-auf-etwas-Gebens hat mich im Ausgang doch extrem gestört, da sich um mich herum niemand Gedanken über ihre Bewegungen zu machen scheint, aber ich mir eben schon. Das kann das ausgelassene Feiern in ein eher schüchternes oder zurückhaltendes Feiern verwandeln.
Kommen wir schlussendlich zu den Leuten: Da mir die meisten Menschen auch auf die Nerven gehen, wenn ich betrunken bin – meistens aus berechtigtem Grund – wird es nüchtern nicht viel besser. Vor allem wenn der Pegel um mich herum steigt und steigt. Und auch wenn ich meine Freunde liebe, manchmal können sie mir betrunken echt den letzten Nerv rauben. Ist dir bewusst, dass man sich alkoholisiert echt oft unnötig wiederholt, lallt und sentimentale Scheisse redet? Da erhält der Spruch “mit Alkohol kommt das wahre Ich zum Vorschein” eine ganz reale Bedeutung. Eigentlich sollte das klar sein, aber es wird dir erst richtig bewusst, wenn du nüchtern um 4 Uhr morgens in irgendeinem Club stehst. Dann machen es fremde Menschen auch nicht besser – wirklich nicht. Männer lallen einen an, was einem berauscht wahrscheinlich gar nicht aufgefallen wäre und man den Typen als gut aussehend abgestempelt hätte – schön trinken existiert. Doch nüchtern würdest du in diesem Moment am liebsten auf dem Mars sein. Denn dir fällt auf, dass der Typ kaum noch stehen kann, lallt, dich im besten Fall dabei noch anspuckt und gar nicht so gut aussieht. Ernste Gespräche kannst du dann auch vergessen, da die meisten eh nur oberflächlichen Müll rauslassen. Am besten fängt er dann noch ein Gespräch mit einem idiotischen Anmachspruch oder mit ungefragtem Anfassen an, das ist immer eine gute Taktik. Du hast, wenn du nüchtern bist, eh das Gefühl, keine Gespräche irgendeiner Art mit betrunkenen Personen ernst nehmen zu können. Gar keine. Dir fällt auch dann erst auf, wie die Leute aneinander vorbeireden, obwohl es für alle irgendwie sinnvoll oder lustig erscheint. Und du stehst nur da und denkst dir, WHAT.THE.FUCK.
Ich hatte in dieser Zeit sicher trotzdem viel Spass und ich musste nie mit einem schlechten Gewissen (hätte ich sowieso nicht gehabt) aufwachen. Meine Eltern wären stolz auf ihre verantwortungsvolle Tochter. Da ich euch jetzt genug vollgelabert und gemotzt habe, kommt noch kurz das Fazit dieses Selbstexperiment. Kurz gesagt: Nüchtern Ausgehen ist OK, aber betrunken ist es definitiv besser.