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Der VICE-Guide zu deinem eigenen Shitstorm

Der Babo von der CSU hat uns gezeigt: Ein Shitstorm kann deine Facebook-Likes in drei Tagen verzehnfachen. Wir erklären dir, wie du dein Unternehmen in wenigen Schritten in den Fäkaltornado führst. Und dabei deinen Job behältst.

Shitstorms sind die Drogen des Social Webs. Wir sind süchtig nach Unternehmen, die mit ihren Kampagnen die Fettnäpfchen der Political Correctness erkunden, und zittern Skandalen entgegen wie Junkies dem nächsten Schuss. Aber nicht nur die Netzgemeinde hat etwas von Shitstorms. Auch für die Produzenten springt etwas heraus: Aufmerksamkeit.

Es geht nicht darum, der Konkurrenz einen Riesenhaufen vor die Tür zu setzen. Bleib lieber in deinem eigenen Vorgarten, von hier aus hast du die beste Aussicht! Wir zeigen dir, wie du ihn mit deinem braunen Daumen veredeln kannst.

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Du bist Werbefuzzi, Social-Media-Manager oder einfach nur Kleinunternehmer? Dieser VICE-Guide zeigt dir, wie du einen Shitstorm auf dich ziehst und davon profitierst. Nach diesem Kochkurs wirst du den braunen Stoff der öffentlichen Empörung so gekonnt produzieren können wie Walter White blaues Meth.

Shitstorms machen nicht nur deine Feinde glücklich!
Die Wut der sozialen Netzwerke absichtlich provozieren? Das klingt erstmal nach einem Selbstmordanschlag. Doch wie Oscar Wilde bereits wusste: „Es gibt nur eine Sache auf der Welt, die schlimmer ist, als wenn über dich gesprochen wird, und das ist, wenn nicht über dich gesprochen wird.“ Wenn du der Herr deines eigenen Shitstorms bist, kannst du das zu deinem Vorteil ausnutzen. Kontroverse sorgt für Gesprächsstoff, Namen prägen sich ein, doch die damit verbundenen Assoziationen verblassen. Eine ideale Gelegenheit für kleine und mittelständische Unternehmen, sich als Marke zu etablieren, und für Global Players die Möglichkeit, die Umsätze in die Höhe spülen zu lassen.

Wer denkt in ein paar Monaten noch an das Dekolleté, das die Werbeagentur Jung von Matt auf ihrer Facebook-Seite gepostet hat? Immerhin aber hat die Aktion die Fanzahl der Seite um 11% gesteigert. Wie hätte sich Bushidos Single verkauft, hätte er darin nicht Claudia Roth mit einem Mord gedroht? Hat eigentlich jemand gemerkt, dass es nicht mal sein eigener Song war? Bis die Single indiziert wurde, hatte Bushido schon so viele Exemplare verkauft, dass er die Prozesskosten aus der Portokasse bezahlen konnte.

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Dazu kommt, dass ein Shitstorm für gewöhnlich so schnell abflaut, wie er sich zusammengebraut hat. Denkt etwa noch jemand an homophobe Engstirnigkeit, wenn er im Supermarktregal Barilla-Nudeln sieht? So zynisch es klingt: Die Gewinne des Unternehmens sind 2013 nicht wegen des Boykotts, sondern infolge der italienischen Wirtschaftskrise gefallen. Die braunen Flecken auf der Unternehmensweste sind verblichen.

Ein Shitstorm wird dich früher oder später eh ereilen. Komme dem zuvor, starte ihn selbst!
Mit einem von dir selbst gestarteten Shitstorm erfüllst du sogar eine wichtige moralische Aufgabe: Du gibst den Menschen etwas, das sie beschäftigt, das sie die Trostlosigkeit ihrer Existenz vergessen lässt. Als Camus damals schrieb, wir müssten uns Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen, meinte er genau das: Eine groteske, ziellose Aufgabe wie die flammende Teilnahme an einem Shitstorm kann eine ganze Existenz mit Lust und Sinn erfüllen.

Schmeiß deine Überzeugungen über Bord!
Der erste Schritt ist der wichtigste—und zugleich die größte Hürde. Selbst wenn du aus einem Sozialpädagogenhaushalt stammst und in deinem Politikstudium eine Menge über Diskriminierung gelernt hast: Zumindest für einen Moment musst du dich während deines Berufslebens in eine Drecksau verwandeln. Halt: Wollen wir dir etwa zu menschenverachtendem Verhalten raten? Nein. Sondern dazu, in großen Zusammenhängen zu denken. Shitstorms decken regelmäßig Missstände auf und prangern die Verantwortlichen an. Kurz: Sie helfen unserer Öffentlichkeit, über sich selbst nachzudenken. Wenn du bereit bist, für einen Moment die Gülle der Entrüstung in dein Gesicht prasseln zu lassen, hilfst du der Gesellschaft. Der Dreck wäscht sich bald raus, zurück bleiben neben dem Aufklärungseffekt kostenlose Werbung für dich und dein Produkt. Shitstorms fordern Opfer, zahlen sich aber aus—für alle Seiten!

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Es gibt kein richtiges Marketing im falschen!
Du magst dich nun fragen: Kann ich mein Unternehmen nicht auch mit positiven Kampagnen verkaufen, indem ich mutig für progressive Werte einstehe? Klar. Aber nur unter Wert. Auch wenn ein Volker Beck „Candystorms“ herbeizureden versucht—es gibt sie nicht. Mit Sympathiewerten kannst du deine Produkte nicht verkaufen. Gerade ein Grüner wie Beck sollte doch eigentlich verstanden haben, dass es ohne Kontroverse nur belanglosen Konsens gibt. Nett ist die kleine Schwester von unrentabel.

Sei dir deiner Zielgruppe bewusst!
Auf keinen Fall möchtest du deine Stammkundschaft verschrecken. Sondiere vorher, wer entbehrlich ist. Wenn du als Verlag ein konservatives Publikum bedienst, das in aller Ernsthaftigkeit noch Begriffe wie „Hochkultur“ in den Mund nimmt, zeige dich progressiv! Der Thienemann Verlag strich mit Zustimmung des Autors das Wort „Neger“ aus Otfried Preußlers Die kleine Hexe und sicherte sich so Sympathien von der einen Seite und ließ die andere schäumen. Ewiggestrige Paranoiker steigerten sich dermaßen in die Sache rein, dass der Shitstorm ganz schnell am Verlag vorüberzog und nur mehr auf Nebenschauplätzen ausgetragen wurde. Ein voller Erfolg!

Wenn ein Safthersteller wie Valensina den Einsatz von Gelatine in der Produktion nicht kennzeichnet, dann kratzt das nur einen Teil deiner Kundschaft. Gerade aber die noch verhältnismäßig kleine vegetarische Community ist schnell und effektiv zu mobilisieren. Maximale Wirkung bei minimalem Zielgruppenverlust!

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Du bist junger, unbekannter Politiker einer konservativen Partei? Bediene dich bei Jugendwörtern des Jahres, damit schadenfrohe Netz-Multiplikatoren deine Kampagne dem Volk zum Fraß vorwerfen. Mach es wie CSU-Jungpolitiker Fabian Giersdorf: Er präsentierte den Haftbefehl-Spruch „Chabos wissen, wer der Babo ist“ mit Anzug, Krawatte und Bubiface auf einem Wahlplakat, das in seiner Kleinstadt nur an zwei Stellen hing. Und hatte drei Tage später seine Facebook-Fanzahl verzehnfacht. Was jucken die CSU-Wählerschaft schon ein paar hämische Tweets? Zorn ist das große, Spott das kleine Geschäft der Netzgemeinde. Gib den Menschen Dinge, über die sie sich bepissen können.

Sei dir deiner Feindgruppe bewusst!
Vorsicht: Aus deinen Verfehlungen kann auch die Konkurrenz ihren Profit schlagen. Weigerst du dich, in deiner Werbung etwas anderes als heteronormative Familienkonzepte zu zeigen, wird sie das genaue Gegenteil tun. Doof gelaufen, Barilla! Althea und co. haben dir das Heft aus der Hand gerissen. Frag dich lieber vorher, wer neben dir noch von deinen Verfehlungen profitieren könnte.

Mobilisiere die Feinde deiner Feinde!
Haben wir da etwa Frei.Wild zitiert? Aber ja doch! Zu der Band wurde bereits viel Richtiges gesagt. Ihr smartes Shitstorm-Handling wurde aber häufig übersehen. Die Proteste gegen ihren Blut-und-Boden-Rock lassen nicht nur die Bierzelt-Fanbase dichter zusammenstehen, sie geben auch Paranoikern scheinbar Recht. Die böse Presse lügt, behaupten Frei.Wild grafisch anschaulich und leicht verdaulich auf www.die-macht-der-medien.de. So erweitern sie ihre Zielgruppe auf all jene, deren Weltbild sich in Däumchen-hoch-Däumchen-runter-Schemata bewegt.

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Es gelang Frei.Wild sogar, Shitstorms auf die Konkurrenz zu hetzen. Unglücklich nur, dass es die Falschen traf. Sorry, M.I.A. – konnte ja niemand ahnen, dass die Frei.Wild-Horden dich mit Mia. verwechseln würden. Nichtsdestotrotz: Frei.Wild verstehen es, die gewaltigen Scheißemassen, die ihnen der mediale Windkanal berechtigterweise entgegenbläst, in Euro umzuwandeln. Auch du kannst mit einem Shitstorm neue Verbündete auf deine Seite ziehen. Anders als Frei.Wild solltest du aber darauf Acht geben, dass die dich nicht der Lächerlichkeit preisgeben. Merke: Nur eine intelligente Themenauswahl garantiert dir smarte Partner.

Teile, um zu herrschen!
Suche dir Verbündete. Die etablierten Medien bieten sich natürlich am ehesten an. Manchmal kann ein Shitstorm nur mit Hilfe Anderer gestartet werden. Nehmen wir an, du bist ein Rapper, der sein Gesicht nicht zeigt. Kurz vor Veröffentlichung des Debüts werden in einer Nachrichtensendung dein Name und Gesicht enthüllt. Ein Privacy-GAU? Aber nein doch: So bekommt noch der letzte Hinterwäldler von dir mit und Schuld sind natürlich die anderen. Sierra Kidd ist nicht mehr nur dem RTL2-Publikum und Rap-Fans bekannt, sondern konnte seine Zielgruppe erweitern, weil andere Medien über den Skandal berichteten und ihm somit eine neue Zielgruppe erschlossen.

Suche dir prominente Wutbürger!
Ein ebenso nützlicher wie nachhaltiger Trick, der selten angewandt wird. Selbst Jahre nach dem Initiationsmoment kann die Scheiße erneut hochkochen—falls sich ein Multiplikator mit großer Followeranzahl gegen dich und deine moralische Verderbtheit mobilisieren lässt. Ein einziger Tweet einer bekannten Person kann der Schwarmintelligenz schon die Zornesröte ins Gesicht treiben. Alles, was du tun musst: Köder sie! Am besten natürlich personalisiert. Eine flammende Feministin wird gerne über das „Eat Less“-Shirt von Urban Outfitters twittern.

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Ganz egal, ob das bereits vor drei Jahren aus dem Sortiment genommen wurde. Mit fossiler Kacke schießt es sich besser, als du denkst. Du musst nur jemanden finden, der den Abzug betätigt.

Zufälle forcieren, nicht passieren lassen!
Einige Dinge lassen sich nicht planen und demnach nicht kontrollieren. Landet deine Werbeanzeige für günstige Gaspreise neben einem Artikel über die Ermordung von Lüneburger Sinti in den Gaskammern von Auschwitz, so schadet das der Zeitung, nicht aber dir. E.on wurde für diese zynische Gegenüberstellung nicht belangt, der Name aber ging durchs Netz. Chapeau! Du solltest es aber aktiv darauf anlegen, dass dein Unternehmen dabei genannt wird—obwohl natürlich eine weniger düstere Verbindung mehr Erfolg verspricht.

Shitwashing statt Greenwashing!
Manche Shitstorms sind so gewaltig, dass du in den Fluten des Empörungsdurchfalls ertrinkst. Sprich: Du verlierst deinen Job oder dein Unternehmen geht den Bach runter. Doch ein gut geplanter Skandal wirkt wie eine Fangopackung: Scheiße auftragen, einwirken lassen, abwaschen und am Ende stärker sein. Schon lange kleiden Konzerne ihre ethisch verwerflichen Marktstrategien in nette Öko-Kampagnen—man nennt das bekanntlich Greenwashing. Mach es andersrum! Shitwashing heißt die Devise. Bewirb dein nettes Unternehmen kurzfristig mit einer ethisch verwerflichen Kampagne. Es wird garantiert davon profitieren, wenn du folgende Tipps zur Themenwahl beachtest.

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Mit diesen Themen wirst du der Shitstorm-König.
Mit dem Thema entscheidest du über Konsistenz, Geruch und Dauer des Fäkalien-Tsunamis, der über dich hereinbrechen wird. Wenn du dir bewusst bist, welche Personen du mobilisieren kannst, ist das bereits die halbe Miete. Denke auch darüber nach, in welchem Gesamtkontext du dich bewegst, was funktionieren kann und was schiefgehen muss. Gerade die deutsche Geschichte ist eine Schatztruhe voller Fettnäpfchen. Meide sie lieber und setze stattdessen auf effektive Dauerbrenner.

Die drei vielversprechendsten Themen
Sexismus: Ein zeitloser Klassiker, der immer zieht. Der besondere Vorteil: Du wirst viele Fürsprecher und Herrenwitzler finden, die sich mit dir verbrüderlen und die Angriffsfläche für deinen Shitstorm vergrößern. Wichtig ist jedoch die Dosierung: Ein Dekolleté-Bild, wie Jung von Matt es mit der Frage „Klamotteninspiration für die Damen?“ auf Facebook postete, reicht bereits aus.

Rassismus: Hier gibt es einiges zu beachten. Je diverser und fortgeschrittener die Gesellschaft, in der du dich bewegst, desto größer könnte der Aufschrei sei. Von generalisierenden Aussagen sei dir abgeraten—nur ein Exzentriker wie Popikone Morrissey kommt damit durch, das chinesische Volk als „subspecies“ zu bezeichnen. Sei also zurückhaltender und subtiler. Während einer Wetten, dass ..?-Show einen Weißen mit Blackface als Jim Knopf auftreten zu lassen, lässt Twitter bereits explodieren.

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Homo- und Transphobie: Da selbst im 21. Jahrhundert noch weltweit Menschen ihrer sexuellen und geschlechtlichen Identität wegen diskriminiert und unterdrückt werden, ist und bleibt dieses Thema ein absoluter Dauerbrenner. Jemand wie Wladimir Putin kann es sich aus seiner Machtposition heraus erlauben, die LGBT-Community gesetzlich zu knebeln. Die Sportfreaks werden trotzdem zu den Olympischen Spielen fahren und Sponsoren nicht mit ihren Verträgen brechen. Im glücklichsten Fall treffen die Proteste sogar die Falschen—wie im Falle der Wodkamarke Stolichnaya, die den gleichen Namen trägt wie ein russischer Hersteller. In der Situation befindest du dich sicherlich nicht, weshalb auch hier Dezenz gefragt ist.

Die Faustregel lautet: Soziale Missstände sind braunes Gold wert! Vor allem, wenn du sie so plump und klischeehaft wie möglich aufgreifst. Je mehr Menschen sich betroffen oder sogar ertappt fühlen, desto heftiger das Endresultat.

Weniger ist mehr!
Deutschland ist international für den kritischen Umgang mit seiner Geschichte bekannt. Über Debatten um „Zigeunersoße“ würde etwa ein türkischer Konsument höchstens schmunzeln und an seinem „Negro“-Schokoladenkeks knabbern. Um in Deutschland einen Shitstorm auszulösen, reicht meistens eine minimale Übertretung der Political Correctness. Als Wurstproduzent bist du kein böser Mensch, wenn du eine „Männer-“ und „Frauenbratwurst“ auf den Markt wirfst. Wenn du aber die Stereotypen plump genug durchspielst, werden sich schon ein paar Online-Meinungsmacher darüber aufregen. Und deinem normalerweise völlig aufmerksamkeitsresistenten Produkt zu Ruhm verhelfen.

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Predige Wasser, saufe Wein – lass es aber niemanden wissen!
Je integerer du dich nach außen hin gibst, desto größer die Fallhöhe. Vor allem, wenn du einer bekannten Institution mit hohen moralischen Standards angehörst. Gerade hier ist jedoch Vorsicht geboten, denn du kannst es dir schnell mit deiner Zielgruppe verscherzen. Die Faustregel lautet deshalb: Benutze abwaschbare Exkremente! Die Entgleisung, die du dir erlaubst, sollte niemals deinen Markenkern treffen.

Während sich der Geschmack einer Nudel durch homophobe Äußerungen ihres Produzenten nicht verändern dürfte, hat die katholische Kirche es bei Missbrauchs- oder Finanzskandalen nicht leicht—denn moralische Integrität ist ihre Unique Selling Proposition. Shitstorms, die mit Produktqualität zu tun haben, sind immer gefährlich. Achte darauf, dass die Scheiße wieder abgeht, wenn der Sturm vorüber ist. Nicht umsonst hat Ritter Sport gegen die Stiftung Warentest geklagt, weil man sich zu Unrecht der Verwendung künstlicher Aromen bezichtigt fühlte.

Extrembeispiel ist nach wie vor die katholische Kirche: Ihr Online-Versand Weltbild verkauft keine „schwulen“ Bücher, dafür aber Titel wie „Schlampen-Internat“. Das hat zwar wenig mit der Insolvenz des Unternehmens zu tun, aber selbst jetzt, wo sich die Kirche weigert, für die Mitarbeiter weiter zu zahlen, hagelt es Vorwürfe der Verantwortungslosigkeit. Auch wenn ein angeblich naturverbundenes Unternehmen wie der Outdoor-Spezialist Mammut eine Kampagne gegen ein Gesetz zur Senkung der CO2-Emissionen unterzeichnet, geht das mächtig in die Funktionsunterhose. Shitwashing hilft nur, wenn die Scheiße biologisch abbaubar ist und dein Produkt nicht verunreinigt.

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Mit diesen Themen wirst du höchstens arbeitslos!
Die wirksamsten, damit aber auch heikelsten Themen findest du in den dunkelsten Kapiteln der deutschen Geschichte. Hier ist eine Kosten-/Nutzenkalkulation sowie geschicktes Vorgehen unbedingt notwendig. Wir würden gemeinhin davon abraten, die Shoah und den Nationalsozialismus auch nur mit der Kneifzange anzufassen. Das führt nur in den berechtigten Ruin, wie der Verlag des Magazins Der Landser feststellen musste.

Ähnlich emotional belegt und daher mit besonders viel Potenzial versehen sind Kinder, die süßen kleinen Unschuldsschleudern. Nachdem Lostprophets-Sänger Ian Watkins zu 35 Jahren Knast wegen der Planung des sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt worden ist und erklärt hat, die ganze Geschichte sei „mega lolz“ gewesen, sollte deine neue Kinderkollektion diesen Spruch nicht aufgreifen. Obwohl es ein paar Zyniker schon kaufen würden, wie sich kurz nach der Aussage auf eBay feststellen ließ: Pädophilie ist ein absolutes No-Go. Da sind sich ja selbst die sonst eher unbedarften Nazis einig—die benutzen das Thema gerne, um damit Wähler abzufangen. Die willst du schließlich nicht in deiner erweiterten Zielgruppe wissen. Einige braune Flecken lassen sich nämlich niemals herauswaschen.

Selbstverständlich aber sind Kinder immer ein guter Aufhänger. Verlass dich aber lieber auf altbekannte, erfolgreiche Konzepte wie strukturierten Sexismus im Klassenzimmer oder die Reproduktion rassistischer Stereotypen, die wir aus der Jugendliteratur kennen.

Lege dir einen Handlungsplan zurecht!
Gratulation, du hast es geschafft. Die Kotkatapulte schießen. Was aber nun? Die Dinge einfach passieren zu lassen, reicht nicht. Von Anfang an musst du dir darüber im Klaren sein, wie du dich nach außen gibst, wenn erst mal der Kommentardung auf deiner Wall abgeladen wird. Vergiss die Deeskalationsstrategien, die du in deinen drögen Social-Media-Seminaren gelernt hast—tritt lieber fröhlich in jedes Kacknäpfchen, das sich dir in den Weg stellt! Nachhaltigkeit ist doch das A und O einer gelungenen Marketingkampagne. Biete also dem Mob möglichst viele Gelegenheiten zum Nachtreten.

Kontrolliere die Kanäle!
Facebook und Twitter bieten dir die beste Infrastruktur, um deinem ganz persönlichen Shitstorm beim Tosen zuzuschauen und es anderen zu ermöglichen, daran teilzuhaben. Wenn er aber woanders wütet, leite ihn dorthin! Machst du es wie die Brigitte und entfernst die Kommentarfunktion deiner eigenen Seite, ziehst du sogar noch mehr Wut auf dich. Gezieltes Löschen von Kommentaren auf Facebook bietet sich ebenfalls an. Nichts erregt die Massen dermaßen wie vermeintliche Zensur in sozialen Netzwerken, deren Geschäftsbedingungen und Ausstattung das Entfernen von Beiträgen regeln und ermöglichen. Lass deinem inneren Zensor also freien Lauf! Gib deinen unfreiwilligen Mitstreitern jedoch genug Zeit, dein Treiben mit Screenshots zu dokumentieren. Du willst dich doch nicht selbst um die Trophäen deiner harten Arbeit bringen.

Sei ein Idiot!
Gibt es eines, was du von den Darstellerinnen des Videos 2 Girls, 1 Cup lernen kannst, dann ist es das: Wenn du die Scheiße einmal im Gesicht hast, spiele genüsslich damit. Nimm dir mit deinen Reaktionen viel Zeit, um aus deinem Shitstorm den größtmöglichen Profit zu schlagen. Schweigen ist Gold, das durch Zögerlichkeit Karat um Karat dazugewinnt! Wenn du dann aber antwortest, sei möglichst pampig, uneinsichtig und, wenn es sich anbietet, herablassend. Kurz: Sei ein Idiot! Natürlich bist du keiner, dich aber nach außen hin als solcher zu präsentieren, ist profitabel. Die Leute lieben Rechtschreibfehler, denn sie trösten sie über ihre inneren Unsicherheiten hinweg. Gib ihnen ein paar davon! Achte aber darauf, dass es nicht zu viele werden. Die RTL2 News haben es genau richtig gemacht. Schön ist es natürlich, wenn du eine lückenhafte Grammatik mit Herablassung kombinierst—Ironie und Schadenfreude sind die Schmiermittel eines gut laufenden Shitstorms!

Gib eine garantiert unbefriedigende Entschuldigung ab!
Hast du zum Beispiel sexistische Posts abgegeben, rede dich wie Jung von Matt damit heraus, dass diese von einer oder mehreren Frauen stammen. Sexismus mit noch mehr Sexismus entschuldigen zu wollen, ist höchst effektiv. Damit gießt du weiteres Öl ins Feuer, das in den Seelen deiner potentiellen Kunden lodert. Übe dich also in so viel Naivität wie möglich und lasse so durchblicken, dass du nicht verstanden hast, warum die Menschen sauer sind. Ein einfaches „Wir haben viel über Social Media gelernt“ oder „Wir entschuldigen uns bei allen, die sich persönlich angegriffen gefühlt haben“ reicht bereits, um der wütenden Schwarmintelligenz neuen Schaum vor den Mund zu zaubern.

Kleistert dich das Social Web wegen eines rassistischen Zwischenfalls in einer deiner Filialen zu, mach es wie Call A Pizza: Wälz die Dungkugel zurück und lass die Betroffenen als Schuldige dastehen!

Genieße die Ruhe nach dem Sturm!
Nach gut zwei, drei Wochen wird wieder alles beim Alten sein. Du hast vielleicht ein paar Kunden verloren und einige googlebare Flecken auf deiner eh schon bekleckerten Weste hinterlassen, jedoch hat sich dein Name nachhaltig eingeprägt. Natürlich kann jeder zurückliegende Shitstorm wieder aufkochen. Jetzt aber weißt du ja, wie du das am besten selbst erledigen kannst. Mit etwas Glück wird dir sogar der Adelsschlag des Internets zu Teil und du wirst zum Meme. In diesem Fall können wir dich nur zu immerwährendem—circa ein halbes Jahr in Internetzeitrechnung—Netzruhm beglückwünschen!