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Das Schlimmste am Erwachsensein ist es, seine Eltern altern zu sehen

Der 50. Geburtstag meines Vaters hat mich in eine mittelschwere Lebenskrise gestürzt.

Fotos von der Autorin

Mein Vater wurde im letzten Monat 50 Jahre alt. Mit einer bald 24-jährigen Tochter zählt er somit zu den jüngeren Eltern. Ich bin damit aufgewachsen, dass meine Eltern jünger als der Rest sind. Als ich zehn war, waren sie um die 30—die Eltern meiner Freunde kamen mir immer uralt vor.

Wenn ich an meine eigene Zukunftsplanung denke, dann sehe ich da kein zehnjähriges Kind neben mir mit knapp über 30. Ich werde eines Tages also auch so ein uraltes Elternteil, wie ich es früher noch von den anderen kannte. Es sei denn, es passiert ein Unfall—wie vor 24 Jahren meinen Eltern.

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50 ist heutzutage aber ohnehin kein Alter. Mit 50 fängt das Leben erst richtig an—sagen zumindest die Geburtstagskarten, mit denen mein Vater vor kurzem überhäuft wurde. Wahrscheinlich ist es auch so—er scheint weniger ein Problem mit seinem Alter zu haben als ich. Und das, obwohl er jetzt über so Sachen wie Pension redet. Mein arbeitender Vater!

Außerdem redet er über seine grauen Haare, die sowieso ausfallen, und über Immobilien, die man seinen Kindern vererben könnte. Während er auf seiner Party mit den Freunden Spaß hatte, habe ich angsterfüllt und traurig unsere Fotos von damals angesehen. Ich will es nicht beschönigen: Sein Geburtstag hat mich in eine mittelstarke Lebenskrise gestürzt.

Das Erwachsensein meistere ich mal so, mal so. Wohnung, Rechnungen, selbstständige Nahrungsaufnahme, Waschen und Putzen—ich bin kein Fan von diesen Dingen. Aber man kann auch nur selten wieder von der Selbstständigkeit in die Abhängigkeit zurück wechseln. Ich will meinen Status Quo also nicht ändern—er passt schon so. Aber ich will, dass meine Eltern ab jetzt einfach nicht mehr älter werden. Sie sollen genauso bleiben wie jetzt. Für immer. Bitte.

Als ich ein Kind war, waren meine Eltern nicht nur objektiv jung, meine Eltern sind auch gefühlt nie älter geworden—ich habe sie ja jeden einzelnen Tag gesehen. Wenn man sich täglich sieht, nimmt man Veränderungen an Körper und Gesicht eben nicht wahr. Sie waren einfach alterslose Wesen namens Mama und Papa. Und ich war immer das alternde Kind. Mein Älterwerden stand auch im Fokus der Verwandtschaft und unserer Umgebung. Mein Älterwerden, nicht das meiner Eltern.

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Eigentlich möchte ich, dass ich für immer die Kleine bleibe, der man auf die Beine helfen muss—nicht umgekehrt.

Als ich von zuhause ausgezogen bin, habe ich mich gefreut. Es war alles so aufregend und neu und ich habe mein eigenes Leben begonnen. Am Anfang empfand ich die obligatorischen Eltern-Treffen als lästig. Jetzt werde ich lästig, wenn ich meine Eltern zu lange nicht sehe. Vor allem deshalb, weil sich je nach der Zeitspanne, die zwischen diesen Treffen liegt, unterschiedlich viele Dinge in ihrem Gesicht verändern. Neue Falten, weiße Haare—jeden Tag taucht etwas Neues auf. Das war natürlich auch schon so, als ich noch zuhause gewohnt habe. Aber jetzt merke ich es auch und bekomme gleichzeitig Angst.

Und das, obwohl ich objektiv und rational natürlich weiß, dass wir alle älter werden und der Zellverfall zum Lauf der Dinge gehört. Trotzdem wurde das Altern erst in letzter Zeit ein zentraler Punkt in meinem jungen Leben. Es gab schlaflose Nächte, da hätte ich sofort jeden Pakt mit dem Teufel unterschrieben, der aus meiner Familie eine Fortsetzung zu Freaky Friday macht, weil die Vorstellung, meine starken Eltern, die mich vor ungeheuerlichen Monstern beschützt und mich gepflegt haben, selbst eines Tages zu beschützen und zu pflegen, einfach schrecklich für mich war (und immer noch ist).

Eigentlich möchte ich, dass ich für immer die Kleine bleibe, der man auf die Beine helfen muss. Nicht umgekehrt. Wahrscheinlich möchte ich das auch, wenn ich drei Kinder und ein Haus habe. Trotzdem das Kind meiner Eltern bleiben—und zwar nicht nur als inhaltslose Beschreibung, sondern mit der tatsächlichen Option, ein Kind sein zu dürfen, weil wir das doch irgendwie alle für immer sein wollen.

Auf einige wirke ich damit wahrscheinlich hysterisch—immerhin ist mein Vater gerade erst 50 und nicht 70 geworden und meine Mutter ist mit 45 die jüngste Mama in meiner gesamten Eltern-Umgebung. Es ist vermutlich auch nicht ganz erwachsen, dass meine größte Angst vor Clowns, Wasser und Geistern die vor dem Tod meiner Eltern ist. Emotionale Reife übe ich noch.

Als meine Oma starb, erklärten mir meine Eltern natürlich, dass sie jetzt im Himmel war und es ihr dort besser gehe. Aber ich wollte sie nicht im Himmel. Ich wollte überhaupt niemanden im Himmel. Ich wollte und will nach wie vor, dass alle, die ich liebe, bei mir bleiben. Hier unten. Ich wies also schon als Kind Tendenzen zum besitzergreifenden Egoisten auf.

Aber zumindest mache ich Fortschritte. Meine schlaflosen Nächte werden langsam weniger. Inzwischen will ich ihnen irgendwie näher sein, schlage ihre Einladungen nicht mehr einfach so ab—und ich versuche sogar, am Tag unseres Treffens nicht verkatert zu sein.

Gleichzeitig bin ich aber auch entrüstet darüber, dass mein Vater demnächst einen Fahrradurlaub macht. Dabei sollte ich einfach glücklich sein, weil meine Eltern offensichtlich lebendiger und vitaler sind als ich es jemals war. Sie sind erleichtert, dass ich sie nicht mehr brauche (also, biologisch) und noch erleichterter, nach über 20 Jahren mal ihr Ding machen zu können. Ich muss wohl nur lernen, loszulassen.