Stefano Pilati ist nicht einfach nur der Typ, der bei YSL durch Hedi Slimane ersetzt wird, sondern auch der Typ, der die Linie des Traditionshauses als Chefdesigner subtil, aber grundsätzlich verändert hat. Dazu handelt es sich bei ihm um den vermutlich einzigen Haute Couture-Chef, der auch noch selbst richtig gut aussieht. Pilati trägt Lederjacken, kombiniert mit einer Kippe und einem borstigen Vollbart, der wirkt, als hätte man ihm ein paar Wochen lang das Duschen verboten. Stil bedeutet für ihn, dass man weiß, was man tragen kann. Oder, um es mit seinen Worten zu sagen: „If fashion goes low waisted and you’re fat bottomed, well, forget it; don’t put slim-fitting jeans on.“ Eine ziemlich große Weisheit von jemandem, der in Interviews erzählt, dass uns Mode keine Ratschläge mehr geben kann, weil so gut wie alles von jedem Trend sein darf. Und dass seine charakteristische High Waist-Silhouette vor allem entstand, weil er keine fetten Ärsche mehr sehen wollte, macht ihn ganz nebenbei auch noch ziemlich sympathisch.
Pilati zelebriert seine „Fashion is dead, but I don’t care“-Attitude mit der Leidenschaft, die Fans der ersten Stunde an den Tag legen, wenn sie feststellen, dass ihre Indieband plötzlich Platten verkauft. Er beginnt bei Armani und Miuccia Prada, später holt ihn Tom Ford, damaliger YSL-Kreativ-Boss, mit ins Boot. Nach dessen Abgang bekommt Pilati tatsächlich seinen Job. Die Aufgabe, das Label wieder aus den roten Zahlen zu bringen, gibt es gratis dazu. Wenn man Pilati fragt, wie er seine Rolle als Chefdesigner bei einem der einflussreichsten Labels der Welt sieht, erzählt er also erstmal vom Business, Geld, dem 9-to-5-to-9-Rhythmus und davon, ein Kreativ-Athlet zu sein. Den Lifestyle, den Label-Gründer Yves Saint Laurent selbst an den Tag gelegt hat, könne er sich in seiner Position nicht leisten. Was ein bisschen ironisch ist, wenn man sich überlegt, dass sich Pilati schon zum zweiten Mal auf Heroinentzug die Seele aus dem Leib kotzte, bevor er überhaupt einen Fuß in die Tür von YSL gesetzt hat.
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Yves war übrigens ungefähr halb so alt wie er heute, als er bereits so ziemlich alles erfunden hatte, was sich Hipster heute noch anziehen. Er begründete den Nude Look, brachte Streetstyle und High Fashion zusammen. Die Zutaten für seinen Le Smoking, den ersten Oversized-Hosenanzug für Frauen, orderte er aus den aufstrebenden Londoner Second Hand-Shops und erfand dabei ganz neben auch noch das, was Fashion Blogger Vintage nennen. Pilati musste sich also in den letzten Jahren bei YSL ungefähr so gefühlt haben wie der Sohn eines legendären Rockstars. Den Stil eines Labels, den jeder im Kopf hat, Saison für Saison komplett neu zu erfinden, verkaufte er gerne mal als modische Rebellion gegen Yves selbst. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Er zitierte den charakteristischen YSL-Stil, indem er sich seine Grundsätze aneignete und die direkte Umgebung so interpretierte, wie er sie gerne hätte: Mit hohen, betonten Taillen, bauschigen Ärmeln, Seide, viel Farbe und auf keinen Fall Hüfthosen, ja. Grund genug, ihn für einen der letzten Guten des Modezirkus zu halten und ein bisschen traurig darüber zu sein, dass er jetzt das Feld räumen muss. Nur, dass er die Plateaus wieder an die Füße jedes zweiten Modemädchens geklebt hat, kann ich ihm irgendwie noch nicht wirklich verzeihen.
In unserer kommenden Fashion Issue erwartet euch ein ausführliches Interview mit Stefano Pilati.
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