Der Anti-Bachmann-Preis

Endlich war es soweit. Als einer von acht Autoren fuhr ich Anfang Juli gemeinsam mit meinem langjährigen Freund Max auf der Süd-Autobahn der “Nacht der schlechten Texte” in Villach entgegen.

Die Veranstaltung wird einmal im Jahr vom Verein “Wort.Werk” unternommen. Wort.Werk., das sind drei fähige, kunstbewusste Avantgardisten, die den Weg der Literatur von der glatten, breiten Schnellstrasse zurück in die eng verwinkelten, interessanteren Gassen kleiner Dörfer führen – und die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Werke engagierter Autoren zu zerlegen.

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Mit dem getunten Fiat 500 waren wir eigentlich etwas schneller als erlaubt unterwegs, aber der kleine Flitzer mit dem feuerroten Skorpion-Emblem lag erstaunlich gut in der Kurve. Zudem hatten wir fast vier Stunden Autofahrt hinter uns zu bringen, gefolgt von einer gemütlichen Schlenderei durch die Villacher Innenstadt.


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Als Antipreis zum renommierten Bachmann-Spektakel behält sich die “Nacht der schlechten Texte” vor, Autoren einen Text vortragen zu lassen, der abseits schriftstellerischer Konventionen entsteht. Somit scheinen Un-Worte und dadaistische Schmückungen gefragt zu sein, aber mein Text – so schien mir – fand in seinem Ausdruck keinen Eindruck.

Ich muss dabei zugeben, dass ich selbst meinen Text für besonders schlecht hielt, wenn nicht sogar unlesbar. Während einer Zugfahrt war mir nach zehn Jahren schriftstellerischer Abstinenz ein Text eingefallen (mein Freund Max würde sagen: sinnlos aneinander gereihte Absurditäten), den ich im Rausch des kreativen Schaffens unbedingt niederschreiben musste. Ich konnte es kaum erwarten, den Zug zu verlassen, ohne über die aus mir polternden verrückten Wortverklebungen zu stolpern.

Allen, denen ich den Text zur Probe zu lesen gegeben hatte, möchte ich für die diskreten Warnschilder danken, die sie mir aufgestellt hatten und die ich einfach ignoriert habe.

Aber ich hatte auch Angst, ihn vorab jemandem zu zeigen, weil der Text in seiner Ausgelassenheit eher einem Porno glich – auch wenn er etwas von einer unbefleckten Empfängnis hatte. Allen, denen ich den Text vorab mit der Warnung “Nicht lesbar” zur Probe zu lesen gegeben hatte, möchte ich für die diskreten Warnschilder danken, die sie mir aufgestellt hatten und die ich in meinem Eifer einfach ignoriert habe; nämlich nicht weiter kommentierte Zusendungen und der dezente, aber treffende Hinweis, dass man nicht verstehe, was das eigentlich soll.

Trotzdem hatte ich Initiative entwickelt. Ich wollte den Text, der mich selbst an den Rand des Verstehens trieb, an den Mann bringen. Ich wollte mich zeigen. Nachdem ich jedoch fast aufgegeben hatte, fiel mir die genannte Ausschreibung ins Auge, die sich hartnäckig wie Odysseus gegen die Sirenenklänge des literarischen Mainstreams sträubt. Als Wissenschafts-Befürworter und Skepsis-Verweigerer wunderte ich mich selbst, dass ich diesem Zufall eine ganz besondere Bedeutung beimaß, nämlich die einer göttlichen Fügung. Mit nichts weniger im Hinterkopf sendete ich mein Manuskript an den Verein.

Ich hatte als einer der geladenen Autoren auf der vordersten Bank Platz genommen und traute mich nicht aufzustehen und ein Foto von dem zu machen, was sich hinter meinem Rücken abspielte. Ich bat meinen langjährigen Freund Max, das für mich zu tun. Als er, mein Handy über seinen Kopf gestreckt, mir das Foto zeigte, sah ich zwar eine unterteilte Halle, aber die Sitzplätze waren bereits alle vergeben. An der Seite drängte es zum Buffet und durch die gehobenen Lider des Vorhangs kamen weitere Zuseher herein.

Ihre Frisur saß etwas schief und lieferte so mit ihrer Erscheinung ein Sinnbild für die Freiheit der Kunst, das auch das Motto der Veranstaltung war.

Ich hatte mit einer der drei Initiatoren bereits vor der Veranstaltung regen Kontakt, die vor und während der Veranstaltung zwar im Hintergrund, aber doch präsent agierte. Ich hatte das Gefühl – im guten Sinn – sie, wenn schon nicht in greifbarer Nähe, doch zumindest im weiteren Blickfeld zu wissen. Ihre Frisur saß etwas schief – ich denke, mit Absicht – und lieferte so mit ihrer Erscheinung ein Sinnbild für die Freiheit der Kunst, das auch das Motto der Veranstaltung war.

Es war ein recht launiger Abend mit Vorträgen von Schrifterprobten und ersten Schriftversuchen, jeweils auf sieben Minuten begrenzt, die beim Überziehen mit den schrillen Tönen der Dudelsackspielerin alles andere als diskret darauf hingewiesen wurden.

Die Vorträge jedes Autors wurden auf humorvolle Weise vom Moderator flankiert. Ich fühlte mich gut unterhalten – vielleicht, weil acht Autoren, beschränkt auf diese sieben Minuten, ein weitaus bunteres Oeuvre an literarischen Perspektiven bieten, als ein einzelner Autor, der 20 Minuten von seinem Leid berichtet, bevor die Jury noch mal 30 Minuten darüber diskutiert, und somit immer eine knappe Stunde bei nur einem Blickwinkel kleben bleibt.


Stefanie Sargnagel hat beim Bachmann-Preis gelesen – wir haben sie besucht:


Am Veranstaltungsort – einem ehemaligen Kaufhaus – standen vereinzelt Schaufensterpuppen in Brautkleidern herum, als hätte der Bräutigam die Flucht ergriffen. Das machte mich ein wenig traurig, wohingegen mich der Stand mit den handgemachten Seifen (tut mir leid, ich weiß es nicht mehr, sie waren aus irgendwas für mich Unüblichem. Ziegenkäse?) wieder belustigte.

Die Veranstaltung ehrte mich als Autor, und ich fühlte mich respektiert und gewollt, wenn ich auch dem Hohn der dreiköpfigen Jury ausgeliefert war. Schließlich entblößt man sich aber auch selbst, und sieben Minuten vor etwa 150 Personen auf einem Podest, während einen das Rampenlicht blendet, erscheinen schnell wie ein Vielfaches.

Ein paar Tage später schrieb ich der Veranstalterin eine Mail, in der ich mich für alles bedankte. In ihrer Antwort schrieben sie: “Das war extrem mutig – mach weiter, lass dich bloß nicht vom Schreiben abhalten. Dass du es kannst, weißt du eh.” Balsam fürs Herz, Ziegenkäse für die Seele.

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