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Wrong Boner: Wahrer Porno kommt von innen

Das Gemälde ​Christina’s World stammt aus den Pinselborsten von Andrew Wyeth, der mir bisher völlig unbekannt, aber angeblich einer der bekanntesten Maler in der Mitte des 20. Jahrhunderts war. Den großen Kunstgehalt erkennen selbst Banausen daran, dass nicht mal Bob Ross das Gemälde in seiner TV-Shows hätte nachmalen können (was überhaupt eine ganz gute Faustregel für die Feststellung des Kunst-Levels eines Bildes ist, kommt mir vor). Aber weder Bob Ross noch Andrew Wyeth sind der Grund, warum meine Gedanken an diesem Stück eingescannte Leinwand kleben wie Kinderaugenlider an Kinderfingern nach einer Mutprobe mit Sekundenkleber.

Das Kunstwerk ist das Lieblingsbild meiner Freundin und war zufällig auch das allererste, über das meine Augen an ihrer Wand gestolpert sind, nachdem ich das erste Mal neben ihr aufgewacht bin. Sie war verkatert und hielt sich die Augen, ich war planlos und auf der Suche nach etwas, das mich auch ohne Internetzugang beim Nichtstun beschäftigen konnte. Aus Gründen, die nicht ganz klar, aber auf jeden tumblr-Blog anwendbar sind, blieb ich ausgerechnet an diesem Stück Tremens-Tristesse hängen. Vielleicht sollte ich erwähnen, dass meine Freundin auch poppigere Sachen an der Wand hängen hatte.

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“Was … ist das … da auf dem … Bild?” fragte ich.

Ich will nicht sagen, dass ich mich an den genauen Wortlaut der Antwort erinnern kann, aber sie sagte sinngemäß sowas wie: “Eine Behinderte, die zu ihrem Haus zurückkrabbelt.”

Vielleicht sollte ich außerdem noch erwähnen, dass wir uns beide während des darauffolgenden Lachkrampfs unglaublich schlecht gefühlt haben. Gleichzeitig hat er aber auch zur Auflockerung, Ausnüchterung und Ankurbelung unseres weiteren Austauschs geführt. Nicht, weil ich auf Behindertenzeug stehe oder sie gerne über Berghänge robbt, sondern weil wir so völlig unbeschwert über meine Glasknochen und Kunst reden konnten, ohne dass es irgendwie nötig gewesen wäre, bei einem von beidem so zu tun, als würde man drüberstehen.

Seither sind wir zusammengezogen und das Bild hat nicht nur einen Ehrenplatz in unserem Vorzimmer, sondern auch in meinem Kopf bekommen. Allerdings hat es im Lauf des letzten Jahres seine Bedeutung für mich verändert, so als wäre das gehbehinderte Fräulein in einer unbeobachteten Sekunde irgendwo falsch abgebogen und jetzt in Richtung eines anderen Hauses unterwegs. Inzwischen habe ich nämlich nicht mehr das Bild im Kopf, wenn ich an meine Freundin denke (was bei allem Respekt für die hohe Kunst von Herrn Wyeth auch ganz gesund für die Beziehung ist, glaube ich), sondern immer dann, wenn mein Gehirn auf Wanderschaft geht.

Christina’s World ist auch meine Welt — und zwar jedes Mal, wenn ich am Ende einer Folge Simpsons (warum schau ich das überhaupt noch, was soll das alles, fühlt sich so auch Nicolas Cage am Ende eines Drehtags?) auf die weiten Wiesen meiner Innenpanoramen abdrifte. Christina’s World ist meine Welt, wenn ich geistig auf Durchzug schalte — nur um kurz darauf meinen Verstand beim Kriechen über die Hügel meines geistigen Niemandslandes zu erwischen. Christina’s World ist inzwischen so etwas wie das Sinnbild für die Flucht in den Standby-Modus — und das wirklich Faszinierende daran ist, dass ich mich allmählich nicht mehr nur bei Dokus und Simpsons-Folgen, sondern sogar bei Pornos dabei erwische, wie ich mich mehr für das Kopfkino als das tatsächliche, pixelige Analspaßbild auf meinem Bildschirm interessiere.

Ich weiß, das klingt komisch. Schließlich ist es normalerweise ja umgekehrt und die Bilder im Kopf brauchen ein bisschen fotorealistische Füllfarbe, nicht das Realbild ist zu blass, um der eigenen Vorstellung noch gerecht zu werden. Dabei ist es nicht mal so, dass sich in meinem Kopf wahnsinnig viel Spannendes tut. Genau wie in Christina’s World ist es mehr die Mechanik des reinen Robbens, nur eben geistig statt körperlich, die mich an den Bodensatz meiner selbst bindet. Oder anders gesagt: Vielleicht ist das da draußen manchmal einfach genauso langweilig wie das da drinnen, nur in eben in mehr als bloß 2D und deshalb noch ein bisschen besser. Wenn ihr diese oder ähnliche Gedanken auch schon einmal oder öfter hattet, dann sage ich:

Willkommen in der Welt des Mindporn, liebe Leser!

Vermutlich ist einigen nicht ganz klar, was Mindporn eigentlich ist — und um komplett ehrlich mit euch zu sein, ist mir der Begriff (passend zum Motto der ganzen Sache) zuerst eingefallen und ich habe erst danach gegooglet, ob es hierzu einen Konsens gibt, der über die Grenzen zweier Perverser in irgendeinem abgekapselten Fantasy-Forum hinausgeht. Über die Antwort bin ich mir immer noch nicht ganz sicher, aber zum besseren Verständnis dafür, was zumindest meine innere Christine darunter versteht, und zur richtigen Eichung hier eine kleine Einstiegsübung: Mindporn heißt, gewissermaßen durch dieses Bild von Keanu Reeves transzendental hindurch zu masturbieren. Lest den letzten Satz ruhig noch mal. Der Punkt ist dabei, nicht wegen, sondern trotz Keanu den Orgasmushügel hinauf zu robben.

Stellt euch dazu Keanu einfach als Endgegner vor, durch dessen Bezwingung ihr euch ins Unermessliche upleveln könnt. Wenn das allein noch nicht hilft, empfehle ich als Soundtrack “Mind Movies” von Daniel Johnston: “Yoooouuuuu make a lot of movies in your miiiiiiiiiiind” und so weiter, mit ganz vielen feuchten S-Fehlern (macht euch das scharf?).

Leider gibt es auch jede Menge Trittbrettfahrer, die auf den mächtigen Gedankenzug der inwärts blickenden Synapsenflackerbilder aufgesprungen sind und Mindporn als Prädikat für, naja, irgendwie alles, das mit Denken zu tun hat verwenden, so wie auch die Menschen, die das Schlagwort Mindporn vor Bilder wie das nachfolgende hauen und damit jedem Geschlechtsorgan das letzte Bisschen Würde nehmen:


Mindporn my ass.

Wow. Du findest deine bezaubernde Babytochter also nicht scheiße? Erzähl mir bitte mehr. Ich weiß, dass “Porn” heute genau wie “Sucht” zu einem Begriff geworden ist, den man im weitesten Sinne für alles verwendet, das auch nur irgendwie mit der Grundidee des Ursprungswortes zu tun hat. Aber auch, wenn Porn für “alles, wovon man besessen ist” oder “alles, worauf man fixiert ist” oder “alles, was für dich die Stirn Osama bin Ladens im Laserpointer eines Marine 6 darstellt” steht, finde ich trotzdem, dass man zumindest bei seinen eigenen verdammten Kindern eine Grenze zwischen Wortwitz und unangebracht abgefucktem Hashtag-Holocaust ziehen sollte. Also, zumindest außerhalb des eigenen Mindporns. Drinnen im Idealfall zwar auch, aber in Wahrheit müsst ihr einfach selber wissen, wie ihr die Hügel zwischen eurem krüppeligen Geist und eurem geistigen Heim am besten beackert, damit ihr mit den Ellenbogen beim Robben nicht in die Scheiße tappt.

Zum Abschluss hier noch ein Video, mit dem es vielleicht leichter geht als mit Keanu Reeves (zumindest für manche, no judging you): Das Video spart alles aus, was wichtig ist und qualifiziert sich damit auch ziemlich gut für das, was ich mit dem vorher beschriebenen Leerstellen-Fap meinte. Der Macher heißt übrigens Jakob Kasimir und hier findet ihr seinen YouTube-Channel.

Vielleicht rührt meine momentane Fixierung auf Bilder, die von innen kommen, auch ein bisschen daher, dass ich in letzter Zeit auf der Berlinale war und kurz darauf die Oscar-Verleihung stattfand, die man zum Glück mit nur einem Satz abhaken kann (“Bei den ganzen Preisen, die an Life of Pi gingen, könnte man meinen, 2012 wäre das ideale Jahr gewesen, um Shakespeare in Love 2 zu drehen PUNKT”). Meine These: Je weniger Zeit seit der Verleihung der kleinen Fetisch-Statuetten vom Golden (Shower) Boy vergangen ist, umso größer die Bildflucht. Aber bis nächste Woche wird auch dieser Eskapismus wieder vergangen sein. Vielleicht gibt es ja auch Pornos, die sich nicht nur im Gehirn abspielen, sondern bei denen Gehirne die Hauptrollen spielen? Ich fang am besten gleich mit der Recherche an. Mahalo!

Markus auf Twitter: @wurstzombie


NO FAP, NO FUN:

Ständer her trotz Bundesheer! This Meta Moment: Schluss mit dem Sexwahnsinn! Oh Tannenbaum, du schöne, stille Fetischhure!