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Wo bleiben die Sommerhits 2016? Eine Suchaktion

Unsere Autorin hat sich die Charts angesehen und die Top 10 nach ihrem Sommerhit-Potential untersucht.

Screenshot via oe3.at, Grafik von der Autorin.

Sommerhits sind so eine Sache. Wenn sie da sind—üblicherweise im Sommer—dann hasst du sie. Du entdeckst dein wahres Agressionspotenzial. Du zweifelst an der kognitiven Kompetenz der menschlichen Gesellschaft. Wer auch immer uns schuf—“Asereje“ ist eine Beleidigung für das Werk jedes Gottes, oder auch der Evolutionsbiologie.

Dann passiert mit der menschlichen Psyche etwas Seltsames. Ein paar Monate später sitzt man auf einer Party und es ertönt “Asereje“. Anstatt eine Schimpftirade loszulassen, reißt man die Arme hoch und brüllt “WUHU!“. Man beginnt mitzusingen. Oder zu tanzen. Wir geniessen dieses Lied. Weil wir Menschen leider wirklich einfach gestrickt sind—und uns bekannte Sachen mit zwei Promille überaus gefallen.

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Sommerhits haben noch einen psychosozialen Effekt: Sie erinnern dich an den Sommer. Im Sommer als “Asreje“ rauskam—keine Ahnung im welchen Jahr das war—habe ich mein erstes Bussi bekommen. Ich weiß das, weil es alle zehn Minuten “Aserje“ gespielt hat und mein Hirn den besagten Sommer mit eben diesem Song verbindet.

Und obwohl wir jetzt freudig sagen können: “Heast, es gibt keinen nervigen Sommerhit“— die nächste Aprés-Ski-Party wird ein Stückchen trauriger sein, als sie eh schon ist. Deshalb habe ich mich für euch auf die Suche gemacht—bei den Ö3 Austria Charts. Wie wir seit “Summer in Wien“ und “Ham kummst“ wissen, haben auch österreichische Künstler ein Sommerhitpotenzial. Und vielleicht gibt es ja schon längst einen, nur wir bekommen es durch die ganzen Spotify-Playlists nicht mit. Kann ja sein.

Platz 10: Tagträumer—“Brücken zum Mond“

Was es ist: Wow. Der Sound erinnert stark an deutsche Popmusik anno 2005. Dieser Song ist das lebende Argument für die Aussage “Österreich ist zehn Jahre hinten nach“. Übrigens: Die Aussage ist falsch. Schaut auf unsere Seite—nicht auf Ö3—, wenn ihr progressive und coole österreichische Musik sucht. Wie dieser Silbermond-Verschnitt mit Pseudo-Romantik in die Top 10 kommt, weiß nur die Ö3 Austria Charts-Redaktion.

Warum es kein Sommerhit ist: Weil diese Melodie und dieser Text in 10.000 Formen und Variationen schon da war. Zirka gegen 2009 ist Deutschland dann draufgekommen, dass sich der Sound nicht mehr lohnt, da nicht mal mehr kleine Kinder den Scheiß gekauft haben. Seitdem passiert dort so krasser Scheiß wie “Die immer lacht“.

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Außerdem ist es nicht nervenzerreißend genug. Es ist eher wie ein nerviges Hintergrundrauschen. Ein echter Sommerhit ist kein Hintergrundrauschen. Ein echter Sommerhit ist allumfassend. Er füllt den Raum mit seinen Klängen, durchdringt deine Hirnrinde und hinterlässt ein fahles und leeres Gefühl.

Platz 9: Julian Le Play—“Du schmeckst nach Sommer“

Was es ist: Wenn Adele nicht immer depressiv Trennungen besingen würde, sondern den Anfang jeder Liebschaft, dann wäre sie Julian Le Play. Ist sie aber nicht, ihre Stimmfacette ist auch eine andere und ihre Videos haben auch mehr Stil. Jedenfalls ist unser Julian in diesem Song—sehr richtig—megaverliebt. Und die Oide schmeckt nach Sommer—was auf mangelnde Hygiene nach einem Strandtag schließen lässt. Den Coitus stelle ich mir unangenehm vor.

Warum es kein Sommerhit ist: Obwohl schlauer Weise das Wort “Sommer“ im Titel vorkommt—es ist leider auch zu lasch. Der Sound zu lieb, der Text ist unaufdringlich. Es ist fast schon angenehmes Getüdle—etwas, was meine Mutter im Auto mitsummt, während sie Dinge für ihre Menopause checkt. Das ist leider nicht cool genug für einen Sommerhit—ein Sommerhit ist etwas, was unsere Eltern mitsingen. Leider.

Platz 8: Wild Culture ft. Karmin—“Sugar“

Was es ist: Straight outta YouTube in die Ö3 Austria-Charts. Karmin ist die, die “Look At Me Now“ gerappt hat und damit ziemlich viral ging. Wild Culture ist höchstwahrscheinlich der Künstler, der diese einzigartigen, elektronischen Beats beigesteuert hat. Passables Lied—ich könnte dazu schon Sangria saufen und José kennenlernen. Aber ich gehöre auch zu der Gruppe der Menschen, die diese elektronischen basic YouTube-Kanäle abonniert haben und ihre Sonntage so verbringen, dass sie sich damit berieseln lassen. 08/15-Beats über mein Haupt.

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Warum es kein Sommerhit ist: Es ist leider zu angenehm. Außerdem gibt es auch diesen Song in 10.000 Variationen. Auf diversen seichten Elektro-Kanälen. Die Hook ist auch leider überhaupt nicht zum besoffenen Mitgröhlen gemacht. Zum Fühlen reicht es auch nicht. Leider.

Platz 7: LEMO—“So wie du bist“

Was es ist: LEMO ist Support von Mark Foster und genau so klingt er auch. Es ist—wie die vorherigen Lieder—ein plattes Liebeslied, produziert, um Mädchenherzen höher schlagen zu lassen. LEMO liebt mich nämlich, auch wenn ich meine Launen habe und mich nicht schminke. LEMO liebt mich, so wie ich bin. LEMO ist love, LEMO ist life. Wäre ich zehn, würde ich ihn wahrscheinlich auch lieben.

Warum es kein Sommerhit ist: Weil es wie Mark Foster klingt. Aber von der Nervigkeit her, kommt es schon extrem nah ran.

Platz 6: Poptracker ft. Virginia Ernst—“Beautiful Day“

Was es ist: Von den englischsprachigen Künstlern kommen offenbar dieses Jahr nur seichte Beats mit irgendeinem Text über Liebe—aber das ist mit Abstand das Schlimmste, was ich im Rahmen dieser Recherche gehört habe. “I really like your hair, it’s more shiny than usual“ ist eine Textzeile, die mich besonders getroffen hat.

Warum es kein Sommerhit ist: Der Text hat wahnsinniges Sommerhit-Potenzial, aber leider ist der Beat zu gängig. War schon da, ist nicht nervig genug. Wenn man es schafft, sein Hirn abzuschalten oder auch einfach kein Englisch spricht, ist es wahrscheinlich sogar ein passabeles Lied. Und passabel und Sommerhit schließen sich aus.

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Platz 5: MOWE & Daniel Litt—“Lovers Friends“

Was es ist: Ein seichter Elektro-Pop-Song mit Tropical-Beats. Es geht um Liebe. Welch neuartiges Thema! Dieses Mal: Freundschaft und Liebe. Ich bin erst bei Platz 5 und möchte kapitulieren. Im Sinne von: Lebenskapitulation.

Wieso es kein Sommerhit ist: Weil die Menschheit nicht komplett angerannt ist. Hoffentlich. Bitte. Hilfe.

Platz 4: Thorsteinn Einarsson—“Kryptonite“

Was es ist: Ein hipstereskes, pseudo-deepes Video mit Gesang und nettem Sound. Es ist tatsächlich das erste Lied, das ich OK finde. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, es in einem emotional-gutem oder neutralen Zustand zu hören, aber an so einem Restfett-Sonntag? Oder wenn ich gerade beschließe, dass mein neuer Facebook-Schwarm ein Vollidiot ist und ich nie wieder zurückschreibe, während ich drei Kilo Eis in unter 30 Minuten in mich stopfe? Why not.

Wieso es kein Sommerhit ist: “Aisha“ war deep aber trotzdem fetzig. Deepe Songs haben schon auch Potenzial, ein Sommerhit zu sein, aber dazu müssen sie ein Wort ganz besonders oft wiederholen (“Aisha, Aisha, Aisha“), eine Fremdsprache beinhalten (Der Teil, der nach Aisha kommt) oder von Enrique Iglesias sein. Oder auch ähnlich emotional gesungen werden. Sonst wird es eher nichts. Aber der nächste Restfett-Sonntag kommt bestimmt.

Platz 3: LEMO—“Der Himmel über Wien“

Was es ist: Ein verstecktes Liebeslied im Poprock-Style. Ich glaube, dass es wegen zwei wichtigen Punkten in den Charts ist. Erstens: Es kommt das Wort “Wien“ vor, was Wienern gefällt. Zweitens: Die Zeile “Ich lass’ die scheiß Stadt hinter mir“ spricht 70 Prozent der Österreicher aus der Seele.

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Warum es kein Sommerhit ist: Obwohl LEMO ein Name ist, der extremes Sommerhitspotenzial hat—seine zwei Songs in den Charts klingen eben wie 10.000 andere Künstler in mindestens drei Genres. Er braucht einen neuen Produzenten.

Platz 2: Gravity—“Hunger“

Was es ist: Ist das der Geschmack heutiger Kids? Wer bestimmt diese Austria-Charts? Bin ich zu alt? Ich verstehe es einfach nicht. Meine Ohren bluten nicht, aber so gesehen habe ich absolut keine Empfindungen mehr. Schon seit Platz 7 nicht. Es ist wie eine musikalische Depression—ich empfinde nichts.

Warum es kein Sommerhit ist: Zuerst gilt es die Frage zu klären, warum das auf Platz 2 ist. Erst danach können wir überhaupt so etwas wie die Königsklasse der Sommerhits analysieren.

Platz 1: Flowrag—“Helden“

Was es ist: Eine Band mit einem Dreieck als Logo. Es ist quasi ein Motivationssong, so wie Kool Savas´ Jugend-Songs, nur halt mit mehr Gitarre und Dreieck-Logo-Tunes. Der Junge ist aber cute. Und: Es ist nur vielleicht ein Liebeslied. Wir haben es geschafft. Platz 10 bis 2 platte Liebessongs und dann BOOM. Motivationassong. Helden!

Warum es kein Sommerhit ist: Ja dafür ist es dann leider auch ein Sound, den man bereits kennt. Ich glaube, man kennt auch das Logo. Und der Süßi sieht ein bisschen aus, wie der deutsche Schauspieler in Keinohrhasen. War leider alles schon da, ist alles zu uninnovativ.

Fazit: Eine sehr erkenntnisreiche Recherche war das! Zum Beispiel weiß ich jetzt, dass sich Charts-Musik von 2005 und heute kaum unterscheidet—damals gab es nur mehr Rap. Deshalb kann man davon ausgehen, dass die Industrie oder Menschheit immer auf den innovativen Hit wartet, den man dann für immer kopieren kann. Bis dahin vertreibt man sich die Zeit mit Kopien von Kopien mit einem Text über Liebe. Wir sind gerade im Zeitalter der seichten Beats mit Gesang über: Liebe! Sommerhit war keiner dabei—es sind zwar schon Aggressionen in mir hochgekommen, aber sie waren nicht leidenschaftlich. Eigentlich habe ich keinen einzigen Hit gehört. Sondern nur so Hintergrundrauschen. Aber hey, vielleicht ja nächstes Jahr?

Fredi hat Twitter: @schla_wienerin

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