Gestern war es wieder soweit: Echoverleihung in der Messe Berlin. Die ARD hat live übertragen. Standard. Aber mal kurz realistisch und bei aller Liebe zu Musik, Awards, Gossip, Gala und all dem Blödsinn drumherum: Wenn ihr euch tatsächlich noch Jahr für Jahr irgendwann im Frühling lieber vor den Fernseher zum Echo anschaun auf die Couch werft, anstatt abends mit Bier vor einen Späti, dann sollte euch mittlerweile klar sein: Langeweile ist, was ihr draus macht. Und würde Langeweile Musik machen, dann hätte sie dieses Jahr bei der größten Musikpreisverleihung Deutschlands mehr Awards eingesackt, als Helene Fischer in ihren Eastpak-Rucksack stopfen kann.
Wir bei Noisey hassen Spätis. Spätis gibt es in Wien immer noch nicht. Und wir hassen Bier. Und Frühling. Von daher blieb uns gar nichts anderes übrig, als uns den Echo zu geben. Aber hey, dafür bekommt ihr jetzt auch so einen richtig frechen Nachbericht.
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20.15 Uhr: Es geht los. Aber die Pizza ist noch nicht bestellt! Pizza war der Hauptgrund, warum wir uns auf dieses Redaktions-Viewing eingelassen haben. Wir schielen zwischen der Lieferheldseite auf dem Laptop und dem Fernsehbildschirm hin und her. Dort (auf dem Fernseher) wechseln sich in Sepia getauchte Bilder von ehemaligen Echo-Gewinnern mit Sekundenauftritten besagter Gewinner in echt ab. Mit Sekundenauftritten meinen wir, dass die Künstler über die Bühne zu ihren Sitzplätzen schreiten und diese Zeit mit ein bisschen Gesinge überbrücken müssen. Wir sind uns zuerst nicht sicher, ob das nun Satire ist oder nicht. Mist, jetzt waren wir so abgelenkt und haben vergessen, den Käserand dazu zu bestellen.
Sarah Connor gewinnt unüberraschenderweise den ersten Echo für Künstlerin National. Unüberraschend deswegen, weil der Echo erstens nach Verkaufszahlen vergeben wird und zweitens, weil die Moderatorin, die irgendeine deutsche Schauspielerin und offensichtlich sehr betrunken ist, eine Lobpreisung auf die innige Freundschaft zur (bis dahin noch geheimen) Gewinnerin in ihrer Ankündigung ablässt. Mit wie vielen von den Nominierten kann die schon so gut befreundet sein?
Hit des Jahres gewinnt Lost Frequencies. Nahaufnahme von Sidos Gesicht, der auch sämtliche Frequencies verloren zu haben scheint.
Der erste Auftritt (also der länger als einige Sekunden geht) ist Joris. Der legt offenbar Wert darauf, möglichst viel Körperkontakt mit so vielen Instrumenten wie möglich zu haben, um davon abzulenken, dass er dennoch irgendwie unmusikalisch ist. Diese These wird bestätigt, als Joris sich vom Klavier erhebt, um mit der Gitarre, die er sich auf den Rücken geschnallt hat, weiter zu spielen und das Klavier selbstständig fröhlich weiterklimpert.
Es kommen noch mehr Instrumente auf die Bühne. Neben Klavier (Joris + Playback) Gitarren (Joris + mehrere andere echte Musiker) kommen nun ein paar Trommler mit Snare Drums auf die Bühne. Nach einige Minuten ist es endlich vorbei. Deutschsprachige Popmusik ist das personifiziere Böse.
Wir verpassen Barbara Schönebergers Witz, über den das Publikum herzlich lacht, weil wir viel lauter über unsere viel besseren „That’s what she said“-Witze lachen, nachdem sie irgendwas über „dick und geschwollen“ gesagt hatte.
Uh, der Echo für „Rock/Alternativ national“ wird vergeben, jene Kategorie in der Frei.Wild mal wieder nominiert sind. Da werden sie schon eingespielt. Wir jubeln—auf ironisch versteht sich. Denn das kann man ja alles nicht ernst nehmen. Ja gut, sind sie halt nominiert. Nochmal kann der Echo das ja nicht abziehen und so etwas gewinnen lassen. So viel Selbstrespekt sollte selbst der Echo besitzen.
Frei.Wild haben den Echo gewonnen. Wir sagen dazu gar nichts, der Echo spricht da ja schon ganz gut für sich selbst. Es wird ein bisschen gepfiffen und gebuht—das Maximum an möglichem Protest vom Echo her. Wir stellen außerdem fest: Frei.Wild haben nicht nur politisch zweifelhaften Geschmack, sondern auch modisch. Lange Schlüsselketten? Die waren nur cool, als wir 14 waren und wenigstens noch ein paar bunte Würfel mit dranhingen.
Frei.Wild tragen eine trotzige Rede vor und fühlen sich sehr missverstanden. Eigentlich sollte die „Wir sind hier das Opfer”-Leier inzwischen ganz gut sitzen bei den Herren Frei.Wild, was soll also dieser Spickzettel?
Himmel, muss das schlimm sein, jetzt The Weeknd zu sein. Auftritte bei Preisverleihungen sind echt das Allerletzte. Und dann auch noch bei deutschen Verleihungen. Niemand tanzt oder feiert in irgendeiner Art und Weise deine Musik, alle sitzen rum und starren. Namika macht vielleicht noch Handyvideos. Man hat alle Cons ohne ein einziges Pro. Wie beim Longboardfahren. Genau. Auftritte beim Echo sind wie Longboardfahren. Vom Gesicht und Herzen her fühlt The Weeknd jedenfalls nichts mehr.
Der Schlager-Echo geht an Wolkenfrei, die als Einzige in dieser Kategorie nicht aussieht wie ein Darsteller aus einem Gruselkabinett. Besonders gut gefällt uns die unterschwellige feministische Botschaft, die sie mit ihrem Kleid geschickt unters Volk bringt. Auf dem rosa Bustier-Oberteil sind nämlich auf Brusthöhe Wimpern angeklebt, sodass ihre Brüste nun wie geschlossene Augenlieder aussehen. Eine Ermahnung, nicht auf die Brüste, sondern in die Augen zu schauen?
Es ist ziemlich langweilig. Dann lieber Lachflash-Videos von Farid Bang ansehn. Den nächsten Echo sollte auf jeden Fall Farid Bang moderieren.
Jetzt gehts um die richtig harte Musik. Jetzt kann der Echo zeigen, dass Deutschland immer noch ein Land ist, dass menschliche Kameraden zusammenbringt, die jahrelang von Kälte, Härte und Kompromisslosigkeit geprägt wurden—also musikalisch gesehen. Denn jetzt wird der Echo für „Band Rock/Pop national“ verliehen. Nominiert sind fünf Bands. Den Preis bekommt Pur. Vergesst es, hier steht jetzt kein böser Satz. Die haben die Bridge von „Abenteuerland“ geschrieben und sind deswegen unhatebar.
Um den Echo für besten Act national im Ausland streiten sich jedes Jahr die Deutschen, die es geschafft haben. Den Preis gewinnt aber Robin Schulz. Nicht nur Schöneberger ist davon irritiert. Und wo er schonmal da oben steht, bekommt er gleich noch einen Preis in die Hand gedrückt. Irgendwas mit Dance. Als ob wirklich Leute zu Schulz’ Musik tanzen. Dazu kann man doch nur mit Hundeblick Scherben in sich hineinstopfen.
Dann ein Moment der Euphorie. Dank der Nominierten von „Rock Alternative International“ wummert endlich erträgliche Musik aka Motörhead durch den Saal. Lemmy flackert über den Bildschirm und wir heben unser Glas. Auf Lemmy. Der hätte das alles auch nur betrunken ertragen. Bruce Dickinson von Iron Maiden bedankt sich bescheiden aus dem Cockpit der „Ed Force One“ heraus. Bodenständige Typen, diese.
Helene Fischer.
„Newcomer national“: Nominierte sind scheißegal, weil 187! Schon befremdlich, bei einer so stocksteifen Veranstaltung plötzlich LX & Maxwell durch die Boxen dröhnen zu hören. Zwar gewinnen sie den Preis nicht, aber allein ihre Nominierung war Statement genug.
Wenig später stapft Kollegah als erwartungsgemäßer Gewinner des HipHop-Echos auf die Bühne. Er spricht aus, was wir die ganze Zeit gedacht haben: Seit fünf Jahren mischen Deutschrap-Alben die Charts auf und ihr schiebt diese Auszeichnung ans Ende der Sendung? So als wolltet ihr zeigen, wie unwichtig dieses Gebrabbel doch noch immer ist? Gute Aktion von ihm. Danach ist auch alles gesagt. Der Rest verschwimmt im Glas,
Echo schauen ist eigentlich immer wie ein Sprung aus dem achten Stock, bei dem man mit ziemlicher Sicherheit weiß, dass man am Ende zerstört auf dem Boden liegt. Aber nicht dieses Jahr. Ob es nun der Frei.Wild-Echo, die lieblosen Doppelverleihungen, die 187-Nominierung oder die schamlose Nichtachtung von Rap ist, der Echo ist nicht mehr der „wichtigste deutsche Musikpreis“. War vielleicht auch nie. Er ist und wird immer bleiben: Ein Bukkake-Kreis der Musikindustrie, in deren Mitte die aktuell erfolgreichsten Musiker stehen. Und alle schauen peinlich amüsiert zu.
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