„Auf ein Punk-Konzert gehen, Kuchen essen“—Egotronics Torsun im Interview

Vogelzwitschern und Idyll, es könnte alles so schön harmonisch sein. Stattdessen gibt es bei Egotronic wieder mehr Punkrock und Hass statt Elektronik und guter Laune. Die Natur ist dein Feind lautet der Titel des neuen Egotronic-Albums, es ist—wie auch der gleichbetitelte Song—der rote Faden, der sich derzeit durch das Schaffen von Sänger Torsun Burkhardt zieht. Wie auf den fünf vorangegangenen Alben arbeiten sich Egotronic auch weiterhin an Begriffen wie Heimat und Migration ab, ist ‚dagegen sein‘ die vorderste Maxime. Hinzugekommen sind mit Reuschi, Chrü und Kilian nicht nur neue Musiker—und damit eine klassische Bandbesetzung—, sondern inhaltlich auch der Kampf gegen den eigenen Körper, gegen die Natur des Menschen und des Kapitals. Und dann interessiert sich Torsun neuerdings auch noch stärker für HipHop. Was ist denn da los?

Wir trafen Torsun Ende Februar in einer Kreuzberger Bar zum Interview und sprachen mit dem Egotronic-Gründer über das neue Album, seine Begeisterung für Rap, sein Desinteresse gegenüber Fußball, sowie seine Liebe für Punk, Politik und Jens Rachut. Und dann erfuhren wir noch, warum es Egotronic ohne Andreas Dorau gar nicht gäbe.

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Noisey: Ihr veröffentlicht eine Split-7″ mit Grim104, wie kam diese Paarung denn zusammen?
Torsun: Ich habe Grim noch gar nicht persönlich getroffen, glaube aber, wir würden uns ganz gut verstehen. Das lief alles über die Antilopen. Eine ganze andere Generation HipHop ist das ja, finde ich super. Gerade arbeite ich an einem neuen Projekt, da mach’ ich so Punkrock-Stücke—also ist zwar auch noch Elektronik dabei, aber schon sehr punkrockig. Ich will vier Stücke machen, die alle wieder die Feindschaft zur Natur zum Thema haben und bei jedem Stück einen HipHopper mit am Start haben. Der erste war Koljah von den Antilopen. Die sind wiederum mit Zugezogen Maskulin befreundet. Lars Lewerenz [von Audiolith] meinte dann, dass sich das doch perfekt anböte, weil es bei Audiolith ja den Singles-Club gibt, für den zwei Künstler was zusammen machen. Und mit Buback wollte Lars eh was machen. Das war so richtig perfekt—weil die Egotronic-Nummer zwischendrin eben auch einen Rap-Part hat.

Wie kommt’s, dass du dich neuerdings mehr für HipHop interessierst?
Seit ein, zwei Jahren höre ich jetzt deutlich mehr in die Richtung, als ich es früher tat. Der Elektropunk ist mir langweilig geworden. Das meiste finde ich totlangweilig. Ich bin quasi ausgestiegen. Punk fand ich früher auch mal langweilig, da habe ich dann angefangen, Elektronik zu machen. Was jetzt so in Sachen Elektropunk passiert gab’s auch schon vor zehn Jahren, zum Teil einfach besser. Das war für mich der Grund, wieder die Gitarre, den Bass in die Hand zu nehmen, ein echtes Schlagzeug zu verwenden…

Das neue Egotronic-Album ist dann als Schlussstrich zu verstehen?
Überhaupt nicht. Ich dachte nur: Elektropunk mit Schwerpunkt Elektronik ist für mich durch. Jetzt machen wir Elektropunk mit Schwerpunkt auf dem punkigen Teil. Gitarrenmusik also. Wir saßen kaum vor dem Rechner, spielten, nahmen auf. Das hat auch viel Spaß gemacht, die Aufnahmen waren körperlich viel intensiver. Und das andere Projekt ist dann eben die logische Weiterführung: richtig punkig, nur mit Raps. Und die Single passt mir jetzt halt richtig gut. Ich finde Zugezogen Maskulin super, die Grim-EP ist der Hammer. Mit den Antilopen komme ich gut klar. Die zweite Nummer wird mit Captain Gips. Der ist ja eh mein Liebling unter den Zeckenrappern. Ich bin guter Dinge, dass das alles gut funktioniert…

Du sprachst eben über die wieder zunehmende Liebe zum Punk. Ist deshalb das Dackelblut-Cover auf eurem neuen Album? Warum ausgerechnet „Edwin van der Sar“?
Selbst Ende der 80er—da war ich gerade neu in Hardcore drin—da war der einzige Punkrock, den ich noch hörte, irgendeine Jens-Rachut-Band. Ob Angeschissen, Das Moor, Blumen am Arsch der Hölle. Egal wie sich mein Geschmack über die Jahre verändert hat: ich habe immer Rachut gehört. Bei der vorletzten Egotronic-Platte hatte ich schon ein Angeschissen-Sample benutzt. Bei der letzten haben wir das Angeschissen-Cover nachgebaut. Und jetzt passt es halt textlich auch super zum Albumtitel, wenn die Natur der Feind ist …

Dackelblut – Edwin van der Sar

Was hat „Edwin van der Sar“ denn mit der Natur zu tun? Eigentlich geht’s darin doch um Grenzen, Fremdenfeindlichkeit und generell kein Bock auf Staat …
Schon, aber das Plakative eben. „Eine Naturkatastrophe, nur für Deutschland.“ Einmal macht Rachut da zwar den Vulkan auf, andererseits ist auch die Mauer oder ein verlorenes Fußballspiel eine Katastrophe. Rachut ist der letzte große Punkrocker, den es hier gibt.

Größer als Die Goldenen Zitronen?
Doch, doch, die waren mir natürlich auch immer sehr wichtig. Aber so wie Rachut hat ja kaum jemand Punkrock geprägt. Meine Lieblings-Zitronen-Platte ist Dead School Hamburg (Give Me A Vollzeitarbeit), aber auch die Sachen aus den Neunzigern, das war alles großartig. Aber zum, ich sag mal, Nebenherhören waren Rachuts Sachen eingängiger.

Zitronen sind eher Arbeit?
Da muss man Bock drauf haben, das geht nicht nebenbei.

Egotronic Interview 2014 Foto: Promo


Mehr als nur Torsun: Egotronic. (v.l.n.r.: Kilian, Reuschi, Torsun, Chrü)

Eigentlich hätte ich gedacht, dass die Zitronen für Egotronic der viel wichtigere Einfluss waren. Bei denen waren elektronische Instrumente und Musik viel selbstverständlicher mit eingebaut, auch die Selbstironie ist vergleichbar. Bei Rachut wirkte das—im positiven Sinne—immer eins zu eins. Die Wut, der Hass …
Das Gefühl hatte ich auch immer: Rachut meint es so, wie er es singt. Ich hab’ halt einfach ein Faible für ihn. Neulich war ich nochmal bei Oma Hans im SO36 …

Die Matinee?
So super! Sonntagnachmittags, 15 Uhr, auf ein Punk-Konzert gehen, Kuchen essen.

Um auf „Edwin van der Sar“ zurück zu kommen: Findest du Fußball gut? Als Nationalsport lehnst du das ab, aber gehst du sonst zu Spielen?
Nee, ganz und gar nicht. Damit konnte ich noch nie was anfangen, fand’ ich immer schon abstoßend. Einmal hab’ ich mich breitklopfen lassen und bin mit Freunden zu St. Pauli gegangen. Die waren dann richtig beleidigt weil ich meinte: Im Stadion is’ ja noch langweiliger als im Fernsehen. Auch mit dem Wir-Ihr, dieser Kollektiv-Identität die da gefeiert wird, die Sprechgesänge …

Egotronic – Tolerante Nazis

Auch nicht viel anders als auf einer Demo, oder?! Der eine Block steht da, auf der anderen Seite steht der andere Verein und macht sein Spiel.
Das stimmt ja auch. Ich bin zwiegestalten. Mir geht es beim Fußball vor allem um das Wir-Ihr unter den Lagern. Ich kenne einige Hooligans, die sich dann wegen anderer Vereine auf die Fresse hauen—versteh’ ich nicht.

Der Patriotismus auf lokaler Ebene …
Genau dieselbe Scheiße! Ich wusste auch lange nicht, wer „Edwin van der Sar“ überhaupt ist. Das hat mir dann irgendwann ein Kumpel gesagt, dass das ein ganz großartiger Torhüter aus den Niederlanden ist. Aber mit Fußball, nee, auch auf kleiner Ebene nicht…

Sprechen wir über die große Ebene: Warum ist die Natur der Feind? Warum ist das ein Thema, dass dich über das Album hinaus beschäftigt?
Der Song lässt ganz viel Raum für Spekulation, ich meine damit nämlich alles. Mein Körper ist ja auch Natur. Im Verlauf der Albumproduktion habe ich eine Autoimmunerkrankung [Anm. d. Red.: rheumatische Arthritis] bekommen. Mein Körper führte plötzlich Krieg gegen mich, das ist eine feindliche Handlung.

Nun musst du aber mit deinem Körper leben…
Aber jetzt lebe ich gegen ihn. Ohne Medikamente könnte ich nicht neben dir sitzen. Ich muss meinen Körper ruhighalten. Er würde sonst nicht zulassen, dass ich laufen, etwas greifen kann.

Du machst dir deinen Körper Untertan?
Leider ist er besser bewaffnet. Das spielte also mit rein. Lustigerweise gab es den Titel und Song schon früher. Schau dir Tsunamis an, das sind ja kriegerische Aktionen…

Oder Vulkane, wie es in „Edwin van der Sar“ heißt…
Die Natur ist uns nicht wohlgesinnt, wir sind nur geduldet. Neulich wurde ich gefragt: Meinst du die erste, oder—nach Marx—die zweite Natur? Der Kapitalismus ist zur zweiten Natur geworden. Wir sind ja gar nicht mehr in der Lage, außerhalb des Warenaustauschs, kapitalistischen Systems zu denken. Das ist uns zu einer zweiten Natur geworden. Und der Kapitalismus ist uns auch nicht wohlgesinnt. Der Titel hat jetzt keine unmittelbare Aktualität, es ist eine Feststellung. Wie man den Naturbegriff auch dreht und wendet, ich entdecke immer viel Feindliches.

Wir bleiben beim Thema: „Neurosen im Garten“…
Darin geht es ganz massiv darum, verwertbar zu sein und sich verkaufen zu können. Auch die Ängste, irgendwann nicht mehr verwertbar zu sein. Und aus Ängsten resultieren gerne auch Zwangshandlungen. Ich fand den Titel auch so schön poetisch…

Abseits der Natur sehe ich auf dem Album vor allem die großen Egotronic-Themen: Heimat, Identität, Zu- und Abwanderung.
Das liegt an der aktuellen Situation, ich habe derzeit ganz schlimme Déjà-vu-Erlebnisse. Anfang der Neunziger habe ich die Angriffe auf die Flüchtlingsheime, die Programme und Brandstiftungen miterlebt. Und heute ist das wieder da: Stell’ irgendwo ein Flüchtlingsheim hin, am nächsten Tag steht da eine Bürgerinitiative. Da hat sich in Sachen Mobbildung und Brandanschlägen nichts geändert. Das hat mich mächtig gestresst. Schlimmer noch als Nazis sind die sogenannten Bürger. Die sich in Hellersdorf hinstellen und sich beschweren, dass Flüchtlingskinder ein Bobbycar mit reinnehmen—man gönnt ihnen nicht einmal Spielsachen. Auch die Politik spricht wieder von „Armutszuwanderung“. Früher waren es „Wirtschaftsflüchtlinge“. Dieselbe Scheiße wie damals, der Mob auf der Straße tobt! Ich weiß manchmal gar nicht, was man tun soll.

Schreiben ist für dich die maßgebliche Reaktion?
Musik ist natürlich mein Ventil. Von diesem Volksgemeindschaftsding will ich mich genauso distanzieren wie von Fußball. Im Zeitalter von Facebook entblödet sich ja auch keiner mehr, seine Meinungen zu veröffentlichen. Antisemiten und Rassisten schreiben das ganz offensiv, aber dann gibt es noch dieses unterschwelligere „Wir“. Auch damit möchte ich nichts zu tun haben, darum geht es auch stark in „Ich will nicht rein“. In „Nicht dazu gehör’n“ dreht es sich auch ganz massiv um Abgrenzung. Ich wurde immer gerne als der Vorzeige-Antideutsche dargestellt …

Du fühlst dich als lautere Stimme instrumentalisiert? Ich mache prinzipiell gerade dasselbe, könnte man sagen.
Es gab mal einen befremdlichen Moment auf einer Party, da waren so Pop-Antifas dabei, die die ganze Zeit nur Drogen nahmen und meinten, das sei so in meinem Sinne. Damit will ich auch nichts zu tun haben.

Mit „Raven gegen Deutschland“ habt ihr euch das natürlich auch selbst zuzuschreiben, mit Hedonismus gegen den Staat.
Das kann man nicht eins zu eins übersetzen.

Egotronic – Raven gegen Deutschland

Kann man durchaus, wenn man den Slogan als solchen betrachtet: Deutschland als politisches System und Identitätsraum. Rave als Tätigkeit, als Musik- und Subkultur, und als hedonistisches System, in dem Drogen ganz selbstverständlich dazugehören. Stichwort: freie Entfaltung. Die Assoziation liegt nahe …
Die Assoziation liegt nahe, ja. Illegale Raves waren zur Entstehung des Stücks um 2006 schon das Ding. Temporäre autonome Zonen sozusagen. Aber das Stück war ja eigentlich eher als Witz gedacht: Damals war in Friedrichshain eine Tanzdemo gegen Nazis angesetzt, wir hatten auch einen Wagen. Da hingen wir dann Plakate dran mit Sprüchen wie „BTM statt BDM“, „Deutschland muss sterben, damit wir raven können“. Ich hab’ mir damals einen Spaß und „Raven gegen Deutschland“ draus gemacht. Aber in älteren Egotronic-Songs wie „Toleranz“ geht es natürlich viel ernster zu als in „Raven …“. Mit der Hedonistischen Internationale beispielsweise hatte ich nie viel zu tun. Leute, die zwanghaft ihrem Feiern einen politischen Input geben wollten—das ist Quatsch. Nur weil ‘ne Vierviertel-Bassdrum läuft ist das noch kein politischer Akt. Versteh’ mich nicht falsch: Ich mag Demos mit Musik, das nimmt dem Ganzen das bierernste. Bei der Hedonistischen Internationale wurde letztlich aus jeder Feier ein revolutionärer Akt. Unfug! Davon habe ich mich immer abgegrenzt.

Wie hast du die Hipster Antifa Neukölln wahrgenommen?
Mit der Hipster Antifa Stuttgart hatte ich mich neulich in der Wolle. Die hatten einen Jutebeutel gemacht, auf dem stand: „Ich hab’ auch Depressionen, und mach’ trotzdem was aus meinem Leben.“ Mann, Hammer, wie cool. Keine Ahnung haben, was ‘ne Depression bedeutet. Das fand’ ich immer problematisch: Man hat keine Begriffe mehr von irgendwas, aber ‘nen coolen Spruch draus machen.

Die politischen Ziele sind aber ja die richtigen: Gegen Ausgrenzung, die schon im Kiez beginnt.
Das Thema Tourismusfeindlichkeit zu problematisieren, da gehe ich auch voll mit. Aber wenn alles nur noch schwammiges Gefasel ist, Kritik zum Jargon verkommt und Plattitüden abgespult werden, dann ist bei mir Schluss. Aber generell gibt es ja keine Gruppe, bei der ich mich voll dazuzähle—außer bei unserer.

Die ursprüngliche Idee für das Interview war eigentlich: dir die ganzen Fragen zu stellen, die in eurem vierseitigen Pressinfo formuliert wurden. Das wäre dann aber doch quatschig gewesen. Darin stolperte ich dann aber über eine Referenz an Andreas Dorau, an den ich bei den Egotronic-Songs sowieso immer denken muss. Sag mal bitte: Dorau und Du …?
Ohne Andreas Dorau gäbe es Egotronic nicht! Das muss ich so deutlich sagen. Ich habe immer Punk gemacht, seit ’93 bin ich aber auch auf Techno-Partys gegangen. Ich fand’ Punk und Hardcore aber schnell auch langweilig und dann angefangen, Synthesizer mit einzubauen. 1996 war ich auf meinem ersten Andreas Dorau-Konzert, danach war meine Welt eine andere. 70 Minuten Musik ungeklärter Herkunft, das war so geil. An dem Abend hatte er ganz viel von dem Album gespielt. Als ich nach Hause kam habe ich mir diese und die Platte davor besorgt und dann nichts mehr anderes gehört. Ich rief dann meinen Kumpel Kilian an, der damals schon elektronische Musik machte und jetzt lustigerweise wieder bei Egotronic dabei ist. Ich sagte zu ihm: „Du musst mir beibringen, wie man elektronische Musik macht!“ Das hat er dann auch getan. Niemand singt so fantastisch über’s scheitern wie Andreas. Dorau war schuld an allem!

Das neue Egotronic-Album Die Natur ist dein Feind erscheint am 15. März bei Audiolith. CDs und Vinyl gibt es hier.

Egotronic live:
13.03. Leipzig – Täubchenthal

14.03. Hagen – Pelmke

15.03. Wiesbaden – Schlachthof

16.03. Düsseldorf – Tube

17.03. Münster – Café Sputnik

18.03. Bonn – Bla

19.03. Stuttgart – Keller Club

20.03. Heidelberg – Häll

21.03. Würzburg – Cairo

22.03. Saarbrücken – Garage

02.04. Bayreuth – Das Zentrum

03.04. Wien – Werk

04.04. Basel – Hirscheneck

05.04. Augsburg – Soho
18.04. Chemnitz – Atomino

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