Es ist der 5. September, und auf der meistbesuchten Pornoseite Deutschlands wird darüber gestritten, woran man eine minderjährige Person erkennt. Für die internationale Crew aus freiwilligen Löscharbeitern ist das wichtig. Es ist nämlich ihr Job, frisch hochgeladene Fotos auf der Pornoseite zu überprüfen, und Nacktfotos von Menschen unter 18 sind verboten.
Ein Löscharbeiter schreibt, Minderjährige hätten “keine Intimbehaarung und einen unschuldigen Blick”. Sein Kollege widerspricht vehement. Es sei weit verbreitet, sich zu rasieren. “Ein unschuldiger Blick ist nirgendwo im Handbuch erwähnt und sollte nicht in Betracht gezogen werden.”
Videos by VICE
Mitten in der Diskussion steckt auch Holger, ein fiktiver xHamster-Nutzer, den wir heimlich ins Team der Löscharbeiter geschleust haben. Mit seiner Hilfe wollen wir unmittelbar beobachten, wie zuverlässig die Plattform mutmaßlich illegale Fotos löscht. Als Löscharbeiter möchte Holger nämlich alles richtig machen, nach bestem Wissen und Gewissen.
Er wird schnell an Grenzen stoßen.
Frisch eingeschleust findet sich Holger in einem Team aus offenbar mehr als 100 unbezahlten, freiwilligen Löscharbeitern wieder. Von nun an soll er kontrollieren, welche Fotos die Besucherinnen und Besucher der Seite täglich sehen dürfen und welche nicht. Das hat Auswirkungen auf Millionen Menschen weltweit, denn xHamster ist ein Internet-Gigant. Die Plattform steht im Oktober auf Platz 11 der meistbesuchten Websites in Deutschland, noch vor Bild, Spiegel und PayPal. Im weltweiten Ranking belegt xHamster im Oktober immerhin Platz 22, noch vor eBay.
Auf xHamster veröffentlichen Nutzerinnen und Nutzer Fotos, Videos und erotische Kurzgeschichten. Eine Auswahl an Porno-Genres auf der Startseite gibt einen Eindruck, was auf der Plattform beliebt ist – zum Beispiel “Amateure”, “BDSM” und “Handjob”. Jeder kann auf xHamster anonym einen Account anlegen und hochladen, was er möchte.
All die neuen Inhalte bedeuten Arbeit für das freiwillige Löschteam. Ausgestattet mit einem Handbuch über erlaubte und verbotene Bilder klicken sich die Löscharbeiter täglich durch Tausende neue Foto-Uploads. Videos überprüfen die Löscharbeiter inzwischen nicht mehr. Warum das so ist und wie genau xHamster stattdessen Videos überprüft, hat die Firma auf unsere Anfrage nicht beantwortet.
Hier gibt es alle Texte der Artikelserie Inside xHamster.
Ihre Arbeit verrichten die Löscharbeiter anonym mit ihren privaten xHamster-Accounts. Nicht einmal xHamster weiß, wie sie alle wirklich heißen. Für unsere Recherche ist das ein Vorteil: Keiner schöpft Verdacht, dass hinter dem Account von Holger eigentlich VICE-Journalisten stecken.
Mehrere Wochen lang sichten wir als Löscharbeiter für xHamster mutmaßlich legale und illegale Inhalte, studieren die internen Regeln der Pornoplattform und sprechen mit anderen Löscharbeitern. Unsere Recherche zeigt: xHamster fordert seine Löscharbeiter ausdrücklich auf, selbst solche Inhalte durchzuwinken, an deren Rechtmäßigkeit sie erhebliche Zweifel haben, sofern sie sich nicht zu 100 Prozent sicher sind, dass sie gegen die Regeln von xHamster verstoßen. Diese Regeln bieten aber keinen umfassenden Schutz vor sexualisierter und digitaler Gewalt auf der Plattform.
Aufnahmen von mutmaßlich Minderjährigen, die dem Gesetz gegen Verbreitung von Jugendpornografie zufolge strafbar sein könnten, werden von den Löscharbeitern so nur mangelhaft aussortiert. Durchgewunken werden auch Aufnahmen, die dem Anschein nach von Spannern gegen den Willen der gezeigten Personen verbreitet werden. Das Interesse der xHamster-Besucher an diesen Inhalten ist offenbar groß: Die Genres “Teen” und “Voyeur” werden auf der Startseite von xHamster präsentiert.
Unsere Recherche zeigt auch, wie wenig xHamster offenbar investiert, um Opfer vor sexualisierter und digitaler Gewalt zu schützen. Die Löscharbeiter erhalten kein Geld und keine persönliche Schulung. Die inhaltliche Betreuung der Crew durch eine xHamster-Administratorin beschränkt sich, so haben wir es in unserer Recherche erlebt, vor allem auf knappe Textnachrichten. Teils reagierte die Administratorin mehrere Tage nicht auf geschilderte Probleme. Holger scheiterte mehrmals beim Versuch, klare Regeln zu erfragen.
Auf unsere 67 detaillierten Fragen per E-Mail hat xHamster mit knappen, allgemeinen Statements reagiert. Probleme im Regelwerk der Löscharbeiter wurden nicht kommentiert. Auch nicht, als wir noch einmal nachhakten, und der Firma weitere 24 Stunden Zeit für eine ausführlichere Antwort anboten.
“Wir können aus einer Reihe von Gründen (Sicherheit, technische Gründe) nicht auf Einzelheiten unserer internen Überprüfung eingehen”, schreibt uns Alex Hawkins, Vice President von xHamster, auf Englisch. Als Grund für die Verschwiegenheit nennt Hawkins, man wolle “potenziellen Tätern keine Einblicke geben, wie sie die Systeme von xHamster umgehen könnten”. Hawkins schreibt weiter: “Seien Sie versichert, dass Kontrollen und Überprüfungen existieren.”
An der “Existenz” von Kontrollen lässt die Recherche keine Zweifel – wohl aber an ihrer Wirksamkeit.
Trigger-Warnung: Dieser Text enthält explizite Schilderungen von sexualisierter Gewalt, die unter Umständen retraumatisierend sein können.
In den eigenen, englischsprachigen Nutzungsbedingungen zeichnet xHamster ein ideales Bild von Online-Pornografie. Demnach verpflichten sich Uploader, “das schriftliche Einverständnis, die Freigabe und/ oder die Erlaubnis jeder einzelnen identifizierbaren Person” zu besitzen. Verboten sind laut Nutzungsbedingungen neben Copyright-Verstößen alle Uploads, die “gesetzeswidrig, schädlich, bedrohlich, missbräuchlich, belästigend (….) oder anderweitig anstößig” sind. Außerdem betont xHamster in fetten Großbuchstaben: “Wir haben eine Null-Toleranz-Policy gegenüber pornografischem Material mit Minderjährigen”.
Würden sich alle an diese Regeln halten, dann wäre xHamster eine Plattform für sexuelle Freiheit und selbstbestimmten Austausch unter Gleichgesinnten. Nutzerinnen und Nutzer würden nur Aufnahmen von sich selbst oder von Menschen hochladen, deren Einverständnis sie haben. Auch xHamster-Sprecher Hawkins betont, xHamster habe “nie die Absicht gehabt, Menschen zu erlauben, jemanden bloßzustellen oder zu demütigen”. Deshalb fordere die Plattform Menschen dazu auf, zusammen daran zu arbeiten, dass xHamster ein “sicherer Ort” sei.
Unsere Recherche im Löschteam zeigt aber: Die Realität sieht komplett anders aus. Die Löscharbeiter sollen nach Augenschein entscheiden, ob eine Person unter 18 sein könnte oder nicht. Bilder von mutmaßlich Minderjährigen werden deshalb nur dann verlässlich von den Löscharbeitern entsprechend markiert, wenn sie eindeutig kindlich aussehen. Sollten Löscharbeiter den Verdacht haben, es könnten illegale Voyeur-Aufnahmen vorliegen, dann haben sie nicht mal die Option, nach schriftlichen Einverständniserklärungen zu verlangen.
Bevor Holger fleißig erste Fotos bewertet, hat er aber vor allem Fragen. Wie soll er bitte beurteilen, ob zum Beispiel eine nackte Frau am Strand bereits 18 Jahre alt ist? Er beschließt deshalb, erst einmal die Kollegen zu beobachten.
Bis heute ließ sich xHamster nur von außen betrachten. Vergangene Recherchen zeigten etwa, wie lax die Pornoplattform damit umgeht, wenn Zuschauer Videos mit Verdacht auf sexualisierte Gewalt melden. Im Sommer 2019 wurden auf xHamster Aufnahmen von versteckten Kameras verbreitet, die Frauen auf Musikfestivals beim Duschen und auf der Toilette zeigten. xHamster ließ den Account von einem der Uploader VICE-Recherchen zufolge noch tagelang online. Auch verbotene Aufnahmen aus einer deutschen Sauna konnten ungehindert auf xHamster kursieren.
So haben wir uns ins Löschteam von xHamster geschleust
Wenn es um interne Abläufe geht, gibt sich xHamster geheimnisvoll. Im Dezember 2019 haben wir erstmals gefragt, wie viele Menschen bei xHamster hochgeladene Inhalte überprüfen. “Wir können die genaue Anzahl nicht bekannt geben”, antwortete eine Sprecherin. Videos würden auf xHamster erst veröffentlicht, nachdem sie genehmigt und geprüft worden seien. Die Arbeit werde teils vom Support-Team des Unternehmens erledigt, teils vom sogenannten “Reviewers Club”. Ein “Club” zum Überprüfen von Nacktaufnahmen?
Wie wir heute wissen, ist damit nichts anderes gemeint als jene Gruppe, die freiwillig für xHamster Löscharbeiten erledigt. Inzwischen ist dieser Club nicht mehr für Videos zuständig, sondern nur noch für Fotos. Wenn die Löscharbeiter des “Reviewers Club” ein Foto überprüfen, ist es bereits online. Gelöscht wird also nach der Veröffentlichung, nicht davor.
Die Pressesprecherin erklärte uns im Dezember 2019, dass sich jeder xHamster-Nutzer für den Club bewerben könne. Eine E-Mail genüge. Also haben wir Holger erfunden, einen 30-jährigen Berliner, der sich auf seinem Profil als heteroflexibel und zuverlässig bezeichnet – und der gerne einen Teil seiner Freizeit im “Reviewers Club” verbringen würde.
Wie sich herausstellte, brauchte Holger aber vor allem eine andere Eigenschaft, um Löscharbeiter für xHamster zu werden: Geduld. Denn erst ab 200 Tagen auf der Plattform können sich Nutzer für den Club bewerben. Monate später kassierten wir erneut eine Abfuhr. Diesmal hieß es: Holger müsse “mindestens ein wenig eigenen Content” hochladen.
Also weihten wir eine Sexarbeiterin in unsere Recherche ein. Sie erklärte sich bereit, in die Rolle von Holgers Frau zu schlüpfen und einige Nacktaufnahmen für den Upload auf xHamster beizusteuern. Doch selbst das war nicht genug.
Wochenlang wurde Holger von der zuständigen Administratorin immer wieder hingehalten. Zuerst sollte er neben den Videos noch ein paar Fotos hochladen. Das tat er gewissenhaft – aber ohne Erfolg.
Admin: “Kannst du noch mehr hochladen?”
Holger: “Klar, wie viel brauchen wir denn?”
Keine Antwort.
Ob all das noch zum Bewerbungsverfahren gehörte? Wenn ja, dann ließen sich für Holger keine Kriterien erkennen. Er hakte freundlich nach, zwei Tage später, elf Tage später. Ob er etwas falsch gemacht habe? Keine Reaktion.
Fast hatte er schon aufgegeben, als Holger im Sommer 2020 plötzlich die Freischaltung für den “Reviewers Club” erhielt. Seitdem ziert ein goldener Sheriffstern sein Profil auf der Plattform, darauf prangt der Schriftzug: “xHamster Reviewer”. Holger musste sich für diese Position nie identifizieren und auch kein persönliches Vorstellungsgespräch führen. Er musste nicht beweisen, dass er sich als Person dafür eignet, sensible Inhalte zu überprüfen und folgenschwere Entscheidungen zum Schutz von Opfern sexualisierter Gewalt zu treffen.
Allein durch die Nacktaufnahmen einer fremden Frau und durch beharrliches Nachhaken ist Holger zum Löscharbeiter auf einer der größten Pornoplattformen der Welt geworden. xHamster überlässt die sensible und verantwortungsvolle Aufgabe der Löscharbeit fremden Leuten, über deren Motive und Eignung der Firma kaum etwas bekannt ist.
Inside xHamster: Der Arbeitsplatz der Löscharbeiter
Der “Reviewers Club” erinnert mit seinem eingestaubten Design an das alte MySpace. Holger soll zuerst die Moderationsregeln lesen, ein “Manual” mit rund 2.800 Zeichen und 38 Beispielfotos. Hier haben wir das interne Regelwerk von xHamster veröffentlicht.
Die zentrale Plattform für den Austausch unter den Löscharbeitern ist nicht etwa ein eigens programmiertes Forum, sondern die profane Pinnwand eines xHamster-Accounts namens “RClub”. Sichtbar ist die Pinnwand nur für Freunde, deshalb muss auch Holger den “RClub” als xHamster-Freund hinzufügen.
Auf der Pinnwand veröffentlichen Holgers neue Kollegen ihre aktuellen Fragen, posten Links zu problematischen Bildergalerien und bekritteln die Regeln aus dem Handbuch. Mehr als 1.145 Seiten lang ist die Pinnwand bereits, die ältesten Einträge sind neun Jahre alt. Übersichtlich ist das nicht. Die Löscharbeiter von xHamster müssen auf moderne Team-Software mit thematisch aufgeteilten Channels verzichten.
Das Handbuch mit den Moderationsregeln ist nur für Mitglieder des “Reviewers Club” sichtbar. Die aktuelle Version, die sich Holger einprägen soll, ist laut Zeitstempel ein Jahr alt. Eine ältere Version der Regeln mit weniger Beispielfotos erschien vor neun Jahren.
Die Freundesliste des “RClub” zählt Anfang Oktober rund 130 Accounts. Durch diese Liste kann sich Holger ein erstes Bild seiner neuen Kolleginnen und Kollegen verschaffen. Einige sind offenbar xHamster-Mitarbeiter, die meisten freiwillige Löscharbeiter. Sie haben Nicknames wie “DirtyPervert”, “Upskirt” und “Cumslut”. Es gibt aber auch Namen wie “Nick” oder “David”. Ein Löscharbeiter hat als Profilbild einen ejakulierenden Penis, ein anderer eine Vulva in Nahaufnahme.
Es ist zunächst nichts Ungewöhnliches, wenn Online-Plattformen auch auf die Mitarbeit von Freiwilligen setzen. Das tut auch YouTube für die Moderation unerlaubter Videos. Die Crew heißt dort nicht “Reviewers Club”, sondern “Trusted Flagger“.
Die Löscharbeiter von xHamster verbringen die meiste Zeit damit, sich durch nie enden wollende Reihen aus Nacktbildern zu klicken. Die meisten von ihnen zeigen Frauen. Selten sind nur Männer zu sehen.
Holger lernt schnell, dass es unter den Löscharbeitern Rangunterschiede gibt. Die fleißigsten werden mit außergewöhnlichen Sheriffsternen gewürdigt, die auf ihrem xHamster-Profil prangen. Die drei aktivsten Arbeiter des Monats erhalten einen Sheriffstern in Gold, Silber und Bronze. Eine besondere Rarität ist ein rot verzierter Sheriffstern für eine Million überprüfte Inhalte. Aber davon ist Holger noch weit entfernt.
Elf Knöpfe entscheiden über erlaubte und verbotene Fotos
Mit nur zwei Mausklicks gelangt Holger nach dem Login auf xHamster zu einer Web-Oberfläche, um neue Uploads zu überprüfen. Jedes Foto erscheint vor schwarzem Hintergrund, wie bei einer Dia-Show. Löscharbeiter müssen dieses Foto nun genau begutachten und einen von elf verschiedenen Buttons drücken.
Sieben dieser Buttons stehen für “Löschen”, etwa wegen Copyright-Verstößen oder der Abbildung von Minderjährigen. Gelöscht werden soll ein Foto auch, wenn Tiere oder Kot sichtbar sind. Zwei weitere Buttons verschieben ein Foto in andere Kategorien mit den Titeln “Shemale” und “Male”. Mit einem Klick auf den grünen Button “Public” erklären Löscharbeiter ein Foto für OK. Wer nicht weiter weiß, soll “Skip” drücken, damit ein Kollege die Prüfung übernimmt.
Hast du mal bei Pornhub, xHamster oder einer anderen großen Pornoplattform gearbeitet – oder arbeitest dort noch immer? Hast du schon mal versucht, Inhalte von dort löschen zu lassen? Wir würden uns freuen, von dir zu hören. Du erreichst uns verschlüsselt via Signal oder WhatsApp (+49 152 1012 4551) sowie Threema 27DS6P2R, am besten mit einem Gerät, das nicht deinem Arbeitgeber gehört.
Ein Counter dokumentiert, wie viele Fotos Holger bereits überprüft hat. Gelöscht wird ein Foto erst, wenn mehrere Löscharbeiter darüber ihr Urteil gefällt haben. Das funktioniert so: Holger sieht zum Beispiel das Foto eines Mädchens in Kleidern. Aber auch die nicht-sexualisierte Darstellung von Menschen unter 18 ist auf xHamster grundsätzlich nicht erlaubt. Holger klickt also auf “Underage”. Doch erst, sobald auch andere seiner Kollegen das Foto überprüft und auf “Underage” geklickt haben, wird es von xHamster entfernt.
Kommen Holgers Kollegen mehrheitlich zu einem anderen Urteil, dann bleibt das Foto online und in Holgers persönlicher Statistik wird ein Fehler verzeichnet. Solche Fehler sollte er möglichst vermeiden. Wer mehr als 15 Prozent der Fotos falsch einordne, so heißt es jedenfalls im älteren der beiden Handbücher, verliere dauerhaft den Status als Löscharbeiter. Ob das weiterhin gilt oder ob Fehler bei der Löscharbeit heute andere Konsequenzen haben, hat xHamster nicht beantwortet.
Ebenso nicht verraten hat uns xHamster, wie viele Löscharbeiter ein übereinstimmendes Urteil fällen müssen, bevor ein Foto gelöscht wird. xHamster-Sprecher Hawkins zufolge würden Meldungen von Löscharbeitern außerdem nochmals intern überprüft. Offen bleibt, nach welchen Kriterien diese angebliche Überprüfung ablaufen soll.
All das wäre noch ein ausgeklügeltes System – gäbe es da nicht das problematische Regelwerk von xHamster.
Der erste Tag als Löscharbeiter: Ist das noch ein Kind?
Nichts stellt Holger häufiger vor ethische Probleme als Fotos von jungen Frauen, die minderjährig sein können. Schmaler Körperbau, jugendliche Gesichtszüge: Wie soll man mit bloßem Auge unterscheiden, ob eine Person 16, 18 oder 23 ist? Als Löscharbeiter erhält Holger keine weiteren Informationen zu Bild und Uploader. Er kann sich allenfalls weitere Uploads aus derselben Galerie anzeigen lassen. Um das Alter einer gezeigten Person zu bestimmen, ist das keine große Hilfe.
Auch das Handbuch für Löscharbeiter liefert kaum Hinweise. In gebrochenem Englisch steht dort: “Das legale Alter einer Person auf dem Bild ist fragwürdig, mit einer hohen Wahrscheinlichkeit unter 18. Schaue nach Details, die dir helfen, zu erkennen, ob es das Foto einer Minderjährigen ist oder nicht.”
Für Löscharbeiter drängt sich damit vor allem eine Frage auf: Was tun, wenn die Wahrscheinlichkeit nicht etwa “hoch”, sondern nur mittel ist? Offenbar sollen Löscharbeiter das Foto in einem solchen Fall online lassen. Das ist ein Anreiz, nicht bei jedem Anfangsverdacht zu handeln und weniger stark ausgeprägte Bedenken zu unterdrücken. Aber Aufnahmen von Minderjährigen werden nicht weniger illegal, wenn die Mädchen darauf schon erwachsen aussehen.
Wir haben xHamster per E-Mail gefragt: “Inwieweit betrachten Sie das als angemessen, um die Opfer von Kinder- und Jugendpornografie zu schützen?” – Keine Antwort.
In den öffentlichen Nutzungsbedingungen klingt xHamster deutlich strenger. Dort steht, selbst gewöhnliche Nutzer der Seite sollten einwilligen, jegliche “fragwürdigen” Aufnahmen von Minderjährigen per E-Mail an xHamster zu melden, damit sie unmittelbar überprüft würden. “Wir tolerieren keinen, der diese Art von Material anbietet.”
“Mann, es ist unmöglich, Minderjährige zu reviewen”
Holger fragt seine Kollegen im “Reviewers Club” nach Kriterien für die Entscheidung – und stößt eine Diskussion an. Ein Kollege, der offenbar schon länger dabei ist, zeigt sich von der Frage genervt. “Wir haben die Schnauze verdammt voll davon”, schreibt er. “Das Handbuch sagt dir, was nicht erlaubt ist. Und wenn es nicht im Handbuch erwähnt ist, solltest du annehmen, es ist OK.”
Ganz so einfach ist es aber nicht. Es gibt noch ein sieben Jahre altes, ergänzendes Handbuch mit ein paar knappen Erläuterungen. Zumindest einige Löscharbeiter beziehen sich in ihren Diskussionen darauf. Darin heißt es: “Schau nach Piercings, Tätowierungen, der generellen Fülle des Körpers, Dehnungsstreifen und so weiter.”
Weitere Löscharbeiter pflichten Holger bei. “Mann, es ist unmöglich, Minderjährige zu reviewen”, schreibt einer. Ein anderer schreibt: “Glaub mir, auch wir ‘Experten’ haben das gleiche Problem.” Die Entscheidung müsse man nach Bauchgefühl treffen. “Wahre Minderjährigkeit liegt im Auge des Betrachters.”
Wir wenden uns an die xHamster-Administratorin, die Holger für den “Reviewers Club” freigeschaltet hat. Sie steht den freiwilligen Löscharbeitern als Ansprechpartnerin zur Verfügung. Wie die meisten Gespräche im “Reviewers Club” wurde auch dieses auf Englisch geführt und für diesen Artikel übersetzt.
Holger: “Sorry, dass ich nochmal frage, aber ich weiß nicht, wie ich mit dem Thema Minderjährige umgehen soll, wenn die Person auf dem Bild unter 18 sein könnte, vielleicht aber auch nicht. Soll ich aus dem Bauch heraus entscheiden?”
Admin: “Hi. Du kannst skippen, das ist besser, als einen Fehler zu machen.”
Holger: “Danke! :) Aber wenn ich skippe, heißt das, dass niemand überprüfen wird, ob die Person tatsächlich minderjährig ist?”
Admin: “Wenn du skippst, wird es jemand anderes reviewen =)”
Wenn ein Kollege bereits Bedenken zu einem Foto geäußert hat, erscheint auf der Web-Oberfläche die Warnung: “Achtung: Dieser Inhalt wurde von einem anderen Reviewer als ‘Underage’ markiert, bitte überprüfe ihn sorgfältig!” In einem solchen Fall sollen Löscharbeiter den Anfangsverdacht ihres Kollegen bestätigen oder zurückweisen. Dafür können sie aber nichts weiter tun, als das Bild noch einmal zu betrachten. Es gibt keine vorgesehene Möglichkeit, den Uploader eines Bildes zu konfrontieren und weitere Informationen einzufordern.
Dieser Arbeitsablauf scheint im Widerspruch zu öffentlichen Äußerungen von Alex Hawkins zu stehen. Über den Umgang von xHamster mit hochgeladenen Videos sagte er in einem Artikel des US-Magazins Slate: “Wenn überhaupt, sind wir übervorsichtig.” Und weiter: “Wenn wir nicht in der Lage sind, das Alter einer Person in einem Amateur-Video zu überprüfen, oder wenn wir etwas Verdächtiges wahrnehmen, erscheint der Inhalt nicht auf der Website.”
Auch wenn sich diese Äußerungen von Hawkins auf Videos beziehen, werfen sie Fragen für die Überprüfung von Fotos auf. Sollen auch Löscharbeiter “übervorsichtig” sein, wenn es um Fotos geht – oder sollen sie Aufnahmen von mutmaßlich Minderjährigen nur löschen, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass sie unter 18 sind, “hoch” ist? Wie genau läuft die erwähnte Überprüfung von xHamster ab? Löscharbeiter können nichts weiter tun, als genau hinzusehen – werden von xHamster weitergehende Versuche unternommen?
Wir haben auch diese Fragen xHamster per E-Mail gestellt und keine Antwort erhalten. Stattdessen schrieb xHamster-Sprecher Hawkins: Wenn etwas gegen Nutzungsbedingungen verstoße, werde es entfernt. Das bezahlte Support-Team von xHamster sei den ganzen Tag verfügbar. Als problematisch markierte, fragwürdige Inhalte würden nicht auf der Plattform hochgeladen werden. Hawkins lässt aber offen, wie genau das funktionieren soll.
xHamster sei zudem darauf angewiesen, dass Nutzer “alles melden, was sie als beleidigend empfinden könnten”. Dass das nicht ausreicht, scheint xHamster aber bewusst zu sein – schließlich lässt die Firma zusätzlich Holger und die anderen Löscharbeiter die Plattform durchkämmen.
Tausende Fotos täglich: So tickt das Löschteam von xHamster
Die Löscharbeiter von xHamster arbeiten nicht nur für schicke Sheriffsterne, sie wetteifern auch um eine möglichst gute Platzierung auf der Bestenliste, die für die Kolleginnen und Kollegen sichtbar ist. Gewürdigt werden dort die fleißigsten Löscharbeiter des Tages, der Woche, des Monats und aller Zeiten.
Der Spitzenreiter der Statistik hat bereits rund 20 Millionen Fotos gesichtet, das Ergebnis jahrelanger Arbeit. In einer Woche im Oktober haben die drei fleißigsten Reviewer der letzten sieben Tage zwischen 19.600 und 32.000 Aufnahmen überprüft.
32.000 Fotos in einer Woche – bei einer 40-Stunden-Woche entspräche das rund 13 Bildern pro Minute. Solche Werte lassen sich kaum erreichen, wenn jedes Fotos wirklich im Detail begutachtet wird.
Viel wahrscheinlicher ist es, dass die Super-Löscharbeiter sich möglichst viele Fotos einer Galerie auf einmal anzeigen lassen. Sichtbar sind die Fotos dann verkleinert in Kacheloptik. Mit der Funktion “Alle markieren” lassen sie sich gesammelt bewerten. Auf diese Weise können xHamster-Löscharbeiter rund 50 Bilder mit nur einem Klick in dieselbe Kategorie schieben.
Dabei besteht immer die Möglichkeit, ein Foto zu übersehen, das aus der Reihe fällt. Doch hinter jedem Upload könnte ein Gewaltopfer stecken: ein Mensch, der lieber nicht öffentlich im Internet als Wichsvorlage sichtbar sein möchte oder vergewaltigt wurde.
“Ich bin süchtig nach Pornos und Sex und ich wollte etwas Neues erleben.”
Manche Kolleginnen und Kollegen von Holger sind sich ihrer Verantwortung offenbar bewusst. Einer von ihnen ist Niklas, der wie die meisten Löscharbeiter eigentlich anders heißt. Um unseren Undercover-Löscharbeiter Holger nicht zu enttarnen, schreiben wir ihn mit einem separaten xHamster-Account an, und geben uns offen als Journalistin zu erkennen.
Niklas sagt, er sei 19 Jahre alt, Single, Handwerker aus Bayern. Ihm sei es wichtig, Fotos von Minderjährigen auszusortieren. Zum einen, “weil das hier kein Ort sein sollte, um solche Bilder zu verbreiten”, zum anderen, weil “es ja sowieso verboten ist” und er “auch die anderen Mitglieder hier davor schützen” wolle. Aber wie trifft er solche Entscheidungen? “Die Regeln sind nicht gerade sehr eindeutig”, schreibt er. Manchmal sei es schon schwer zu entscheiden, ob ein Bild gegen die Richtlinien verstößt oder nicht.
Andere Kollegen von Holger haben bei der Löscharbeit wohl eher ihre persönlichen Bedürfnisse im Blick. Einer von ihnen stellt sich uns als Hausmeister aus London vor; nennen wir ihn Bryan. Er sei erst seit einigen Wochen Teil des “Reviewers Club”. xHamster sei seine Lieblingspornoseite, er habe habe hier in den letzten Jahren tonnenweise Zeit verbracht. Seine Motivation? “Ich bin süchtig nach Pornos und Sex und ich wollte etwas Neues erleben.”
Das persönliche Erlebnis steht auch für einen Löscharbeiter im Mittelpunkt, den wir Luke nennen. Auf seinem Profil gibt er sich als 20-Jähriger aus Singapur aus. Auf die Frage, wieso er für xHamster Löscharbeit macht, schreibt Luke auf Englisch: “Na ja, ich dachte, das würde mir Privilegien verschaffen.” Er erhoffe sich beispielsweise, auf diese Art Zugang zu den Profilen und Videos anderer Nutzer zu bekommen. Geht es ihm auch darum, Aufnahmen zu sehen, die aufgrund der Richtlinien nie auf xHamster landen würden? “Klar, wieso nicht”, schreibt er.
Unter Lukes Videos befinden sich Titel wie “Hot teen shower 4” oder “Changing room voyeur” – passwortgeschützt. In seinem Profil schreibt er, dass er Voyeur-Aufnahmen liebe und man sich melden solle, wenn man “tauschen” möchte. Außerdem fragt er, ob jemand die Frau auf seinem Profilbild kenne und wo er mehr von ihr finden könne. Ein Mann, dem das Einverständnis von Frauen offenbar egal ist, darf also für xHamster entscheiden, welche Bilder online bleiben dürfen und welche nicht.
Ganz so abwegig ist Lukes Haltung zur Löscharbeit wohl nicht: Es gibt einen leicht zu übersehenden Button für Löscharbeiter, der nicht im Handbuch erwähnt wird. Es ist ein kleines, graues Herz. Ein Klick darauf fügt das aktuell angezeigte Foto den persönlichen Favoriten des Löscharbeiters hinzu. Der Button wirft die Frage auf, was aus Sicht von xHamster bei der Löscharbeit im Vordergrund steht. Sollen Löscharbeiter Regelverstöße erkennen oder nach persönlicher, sexueller Befriedigung suchen? xHamster hat uns diese Frage nicht beantwortet.
Löscharbeiter sollen “echtes” und gespieltes Weinen unterscheiden
Für unseren fiktiven Freiwilligen, Holger, ist die Löscharbeit vor allem aufwühlend. Ein Satz aus dem Handbuch versetzt ihn in eine besonders schwierige Lage. “Lösche keinen Content, wenn du nicht zu 100 Prozent sicher bist, dass er hier illegal ist.” Diese Super-Regel drängt Löscharbeiter immer wieder dazu, leichte Bedenken beiseite zu wischen – denn dieser Regel zufolge zählt nur absolute Sicherheit. Holger soll dann “Skip” drücken oder die Kollegen fragen, während der verdächtige Inhalt weiter öffentlich verbreitet wird. Bei sexualisierter Gewalt und Vergewaltigungen ist das besonders problematisch.
Holger bekam etwa das Foto einer Frau mit einem Strick um den Hals zu sehen, der ihr offenbar den Atem abschnürte. Je nach Kontext kann das ein einvernehmlich inszenierter Fetisch sein oder die Aufnahme einer Erhängung. Das lässt sich anhand eines Fotos kaum mit Sicherheit beurteilen.
Gewalt bespricht das Handbuch erst unter dem Stichwort “Other”, Weiteres. Verboten sind demnach: “Blut, Gewalt, Vergewaltigung, extremes BDSM, echtes Weinen, echtes Erhängen.” Die Beispielfotos zeigen blutende Brüste, eine blutende Vulva und einen blutigen Hintern. Im ergänzenden Handbuch gibt es noch mehr Beispiel-Fotos für “Vergewaltigung”: sie zeigen Frauen, die mit der Pistole bedroht werden.
Pistolen, Blut und Tränen – als ob sich sexualisierte Gewalt und Vergewaltigungen darauf reduzieren ließen. Wie soll man bloß auf einem Foto “echtes” und inszeniertes Erhängen unterscheiden? Wie “echtes” und gespieltes Weinen? xHamster verlangt seinen Löscharbeitern mit diesem Regelwerk Entscheidungen ab, die kein Mensch fundiert treffen kann. Wer das Problem nicht ständig auf andere abwälzen möchte, muss die unmöglichen Urteile selbst fällen.
Wir haben xHamster gefragt: Inwiefern ist die Unterscheidung zwischen “echtem” und gespieltem Weinen ein fundierter Schutz für Opfer sexualisierter Gewalt? Keine Antwort.
Mit einem Klick auf den Button “Other” können Löscharbeiter zumindest eine schriftliche Begründung abgeben, warum sie ein Foto für verboten halten. Doch wenn Löscharbeiter laut Handbuch nur bei 100-prozentiger Sicherheit eingreifen sollen, werden mögliche Täter in Schutz genommen und mögliche Opfer vernachlässigt. Das Regelwerk gibt ihnen kaum Handlungsspielraum, wenn ihnen Aufnahmen seltsam vorkommen.
In einem Fall haben wir den Button “Other” selbst genutzt. Bei der Löscharbeit mit Holgers Account stießen wir auf eine Fotogalerie mit dem englischen Titel “Ex-Freundin, die mich betrogen hat, und ihre Mutter”. Die 45 Bilder zeigten die mutmaßliche “Ex-Freundin” mal alleine und nackt, mal offenbar im privaten Umfeld mit ihrer Mutter. Das Handbuch bietet für eine solche Situation keine Anweisungen.
Trotzdem schrieb Holger als Begründung: “Sehr offensichtlicher Fall von Racheporno, bitte löschen”, und drückte Enter. Kurz nach dieser Meldung waren zumindest ein Großteil der Fotos nicht mehr verfügbar. Allerdings war die Galerie laut Zeitstempel bereits neun Stunden online und hatte schon mehr als 10.000 Views.
“Fundstücke aus dem Internet”: Was Löscharbeiter durchwinken sollen
Beim Thema Nutzungsrechte erweisen sich die xHamster-Regeln als Totalausfall. Zahlreiche Fotogalerien auf xHamster sind offenkundig aus dem Internet zusammenkopiert. Holger muss sich durch wild zusammengewürfelte Nacktfoto-Sammlungen mit zig verschiedenen Darstellerinnen klicken. Trotzdem gibt ihm das Regelwerk keine Handhabe, solche Galerien wegen fehlender Nutzungsrechte zu löschen oder Dokumente einzufordern, die dem Uploader die Veröffentlichung erlauben.
Konkret nannte das xHamster-Handbuch bis Anfang Oktober nur wenige Fälle, in denen ein Upload wegen Copyright-Verstößen gelöscht werden muss, etwa, wenn auf dem Bild eine URL oder ein Logo für eine andere Website zu erkennen ist. Verlässlich gelöscht wurde auf diese Weise wohl vor allem Werbung für Konkurrenz-Websites.
Keine ausdrücklichen Regeln bot das Handbuch für Screenshots aus Filmen und Serien oder für Bilder von Prominenten aus bekannten Nacktfoto-Leaks. Vor dem Gesetz hat jede Person ein Recht am eigenen Bild, und Fremde dürfen das Bild nicht einfach so veröffentlichen.
In der Welt der Löscharbeiter von xHamster gelten solche Regeln offenbar nicht. Das haben wohl auch einige Löscharbeiter verinnerlicht. Einer schreibt auf seinem öffentlichen Profil: “Meine Fotogalerien bestehen aus eigenen Werken und Fundstücken aus dem Internet. Wenn du die Rechte an einem dieser Bilder oder Videos hast, lass es mich wissen und ich lösche sie.”
Wir haben xHamster gefragt, inwiefern dieses Verhalten für Löscharbeiter angemessen ist. xHamster-Sprecher Alex Hawkins antwortete, Löscharbeiter müssten wie alle anderen Nutzer den Nutzungsbedingungen folgen. “Wer dagegen verstößt, wird entsprechend behandelt.”
Es gehört zur Netzkultur, auch ohne Nutzungsrechte im Internet Memes zu verbreiten, etwa von Kermit, dem Frosch. Aber sobald reale Personen auf einem Bild zu sehen sind, ist die Lage anders. Im schlimmsten Fall verbreiten Nutzer, ohne es wissen zu können, die Fotos von Menschen, die niemals öffentlich zur Schau gestellt werden wollten und dadurch zutiefst verletzt werden.
Mit einer Änderung des Handbuchs in der Woche um den 7. Oktober ging xHamster sogar einen Schritt weiter. Eine Administratorin teilte den Löscharbeitern mit, dass Copyright-Verstöße künftig generell online bleiben würden, das Handbuch werde entsprechend angepasst. Tatsächlich sind die Passagen zum Copyright inzwischen aus dem Handbuch verschwunden. Warum das passiert ist, hat uns xHamster nicht beantwortet.
Das macht xHamster zu einem Ort für massenhafte Verletzungen von Nutzungsrechten. Im Gespräch mit dem US-Magazin Slate stellte xHamster-Manager Alex Hawkins das im Februar etwas anders dar. Er bezieht sich in diesem Fall aber auf Videos, nicht auf Fotos. “Kriminelle wissen, dass sie uns nicht benutzen dürfen, weil wir sehr aggressiv in unserer Kontrolle der Inhalte sind”, wird Hawkins von Slate zitiert.
Die Gesetze von xHamster: Voyeurismus OK, Regelblutungen verboten
Wer ein Foto nicht sicher einordnen kann, soll die anderen Löscharbeiter fragen, so steht es im Handbuch. Davon macht Holger häufig Gebrauch. Auf xHamster kursieren zum Beispiel heimlich erstellte Aufnahmen von Frauen. Dass es sich dabei in vielen Fällen um reale Szenen handelt, zeigen vergangene Recherchen über Frauen, die definitiv gegen ihren Willen fotografiert wurden: etwa in der Sauna, in der Dusche oder auf der Toilette. Solche Aufnahmen sind in Deutschland nach § 201a StGb strafbar. Aber die Löscharbeiter werden nicht ausdrücklich angewiesen, etwas gegen möglicherweise rechtswidrige Aufnahmen dieser Art zu tun. Im Handbuch wird dieses Thema schlicht nicht erwähnt.
Bereits in der Vergangenheit hat sich xHamster zu dem Thema gegenüber VICE geäußert. “Wir können nicht feststellen, ob etwas Fiktion, Fetisch oder Exhibitionismus ist”, schrieb uns Sprecher Hawkins. Aus diesem Grund würden manche Aufnahmen online bleiben, auch wenn sie einen anderen Eindruck erwecken.
xHamster hat Recht damit, dass zumindest theoretisch jede Situation nachgestellt sein könnte. Mit bloßem Auge kann auf einer Aufnahme niemand zwischen Illusion und Wirklichkeit unterscheiden. Porno-Produzenten könnten gezielt Aufnahmen inszenieren, die bloß so scheinen wie sexualisiere Gewalt oder heimliche Spannerfotos. Aber das ist reine Theorie. Viele Aufnahmen sind real, wie die bereits recherchierten Fälle belegen. Die Plattform verschließt sich vor der Realität, wenn sie strittiges Material im Zweifel online lässt. Wir wollten von xHamster wissen, ob Voyeurismus auf der Plattform erlaubt ist und warum das Handbuch Fälle von Voyeurismus nicht erwähnt – keine Antwort.
Holger stellt das Problem unter seinen Löscharbeiter-Kollegen zur Diskussion. Die Reaktionen sind hitzig. “Das geht den meisten hier auf den Sack!”, schreibt ein Kollege. “Darüber wurde auch schon gesprochen. Versteckte Kamera, Voyeur, Upskirt, alles OK, außer es gibt einen anderen Regelverstoß.” Dem pflichtet ein anderer Löscharbeiter bei: “Mir gefällt es auch nicht, und in den USA ist es ein Verbrechen, aber ein xHamster-Admin hat gesagt, es ist Voyeurismus und OK.”
Erneut wenden wir uns an die xHamster-Administratorin.
Holger: “Habe ich es richtig verstanden, dass nicht-konsensuelle Aufnahmen wie Voyeurismus keine Verletzung der xHamster-Regeln sind und ich auf ‘Publish’ drücken soll?”
Admin: “Hi, hast du irgendeinen Beweis, dass der Content ohne Einverständnis veröffentlicht wurde?”
Holger: “Hi :) Nein, aber ich habe auch keinen Beweis für das Einverständnis :(“
Keine Reaktion.
Drei Tage später fragt Holger, ob man den Uploader bitten könne, Dokumente über das Einverständnis der gezeigten Personen vorzulegen.
Keine Reaktion.
Vier weitere Tage später wiederholt Holger seine Frage. Endlich antwortet die Administratorin – aber sie geht inhaltlich nicht auf die Frage ein.
Sie erklärt, dass man Nutzer kontaktieren könne, wenn eine Urheberrechtsbeschwerde vorliege. So eine Beschwerde stellen Rechteinhaber, wenn Fremde ihr Bildmaterial ohne Erlaubnis verwenden. Mit dem Alltag als Löscharbeiter hat das aber nichts zu tun. Holger ist kein Rechteinhaber und kann so eine Beschwerde nicht stellen. Für ohne Konsens veröffentlichte Aufnahmen bedeutet das: In aller Regel wird demnach nur die abgebildete Person selbst bewirken können, dass xHamster den Uploader kontaktiert – wenn es schon zu spät ist und das Material kursiert.
Wir haben xHamster gefragt: Inwiefern ist das angemessen, um Opfer von bildbasierter, sexualisierter Gewalt – sogenannten Rachepornos – zu schützen? Keine Antwort. Stattdessen schilderte xHamster-Sprecher Hawkins erneut, dass sich Betroffene selbstständig bei xHamster melden können. Immerhin: Hawkins bestätigt, dass Uploader nach Dokumenten gefragt werden könnten. Wie oft das passiere? Keine Antwort.
Während xHamster selbst bei möglicherweise strafbaren Formen von Voyeurismus ein Auge zudrückt, ist die Plattform bei einem anderen Thema besonders streng: Regelblut. Dabei sind Fotos von Regelblut definitiv nicht illegal. Die Bemerkung im Handbuch steht etwas versteckt unter dem Stichwort “Shitting”. Dort heißt es lakonisch: “Perioden und Kotze sind auch verboten.” Offenbar ist es auf xHamster besonders leicht, Fotos zu verbieten, wenn sie sich mutmaßlich weniger gut zur Selbstbefriedigung eignen. Rückfragen zu diesem Thema ließ die Plattform unbeantwortet.
“Hört ihr uns, Admins????”
Wir sind nicht die einzigen, die die Betreuung durch xHamster als unzureichend erleben. Auch die Löscharbeits-Kollegen beschweren sich mehrfach auf der Pinnwand des “RClub”. Besonders emotional ist die Diskussion dazu am 23. September. “Ich habe mehrmals nach einem brandneuen, aktualisierten und erschöpfenden Handbuch gefragt”, schreibt ein Löscharbeiter. “Das hat bei den Löscharbeitern kein Interesse geweckt und natürlich hat kein Admin darauf reagiert.”
Zumindest dieses Mal reagieren die Löscharbeiter darauf. Einer schreibt: “Ich könnte es machen, aber ich bin unbezahlt und werde nicht wertgeschätzt.” Ein dritter: “HÖRT IHR UNS, ADMINS???? ODER… möchtet ihr lieber eure Gehaltschecks sammeln? Bewegt eure faulen Ärsche und tut etwas!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!”
Die zuständige xHamster-Administratorin schreibt am 23. September: “Wir sind bereit, eure Ideen und Verbesserungsvorschläge in Betracht zu ziehen, bitte schreibt mir eure Ideen.” Wurde Holger an diesem Tag etwa Zeuge eines Löscharbeiter-Aufstands? Schwer zu sagen. Was aus den versprochenen neuen Regeln wurde, war bis zum Zeitpunkt unserer Veröffentlichung unklar.
Wir haben xHamster-Sprecher Hawkins auf die Probleme der Löscharbeiter angesprochen. Unter anderem wollten wir erfahren, ob es xHamster als ausreichend betrachtet, dass die Löscharbeiter zeitweise nur durch eine Administratorin betreut wurden, die auf manche Fragen mehrere Tage lang nicht reagierte. So haben wir es während unserer Recherche beobachtet. Hawkins schrieb, falls Löscharbeiter “mit dem Grad der Unterstützung durch den Support nicht zufrieden sein sollten, wären wir natürlich sehr daran interessiert, alles darüber zu erfahren und zu sehen, wie unser Service verbessert werden kann.”
Nicht nur die Löscharbeiter von xHamster sehen Handlungsbedarf, wie die Pornoplattform besser mit fragwürdigen Uploads umgehen sollte. Das Thema ist auch in der Politik angekommen. Wir haben die Ergebnisse unserer Recherche unter anderem dem Justizministerium, Netzpolitikern und dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung vorgelegt. Derzeit gibt es noch keine klare Regulierung, die Betroffene von sexualisierter Gewalt auf Pornoplattformen wirksam schützen kann – aber es gibt Ideen. Die politischen Reaktionen haben wir hier veröffentlicht.
Während die Politik nach Lösungen sucht, werden Plattformen wie xHamster weiterhin massenhaft mit fragwürdigen Fotos überflutet. Am 30. September meldet sich ein Löscharbeiter zu Wort, der eine Fotogalerie von monströser Größe entdeckt hat. Sie beinhaltet mehr als 250.000 Bilder. Der Titel der Galerie: “18 Only Girls”, also: Mädchen, die alle achtzehn sind. Kann man glauben, muss man aber nicht. Um jedes Foto dieser Galerie aber auch nur zehn Sekunden lang zu überprüfen, bräuchte Holger, wenn er alleine wäre, rund 29 Tage – ohne Schlaf.
Beratung und Unterstützung bei sexualisierte Gewalt finden Betroffene, Angehörige, Fachkräfte und alle Menschen, die sich Sorgen um ein Kind machen, in Deutschland beim Hilfetelefon Sexueller Missbrauch, Tel. 0800 22 55 530 (kostenfrei und anonym) und auf dem Hilfeportal www.hilfeportal-missbrauch.de. Hilfe bieten auch die bundesweiten Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe.
Wer in der Schweiz sexualisierte Gewalt erlebt hat, findet bei der Frauenberatung Links zu Beratungsstellen. Betroffene Männer erhalten Hilfe im Männerhaus. In Österreich wird ein 24-Stunden-Hilfenotruf unter 01 71 719 angeboten.
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