Politik heisst, über frische Milch zu streiten – Was die aktuelle Session über die Schweiz aussagt

Foto von Flooffy | Wikimedia | CC BY 2.0

Viermal pro Jahr kommen die eidgenössischen Räte für drei Wochen zusammen, um über die Zukunft der Schweiz zu diskutieren. Viermal pro Jahr reisen die Vertreter von Volk (Nationalrat) und Kantonen (Ständerat) aus zubetonierter Agglo-Ödnis, von sonnigen Seeufern und aus vergessenen Bergtälern in die Bundeshauptstadt mit der Aufgabe, unser Leben zu regeln. Oder zumindest einen beachtlichen Teil davon.

So auch in den letzten drei Wochen: In der heute Morgen zu Ende gegangenen Frühlingssession schlugen sich unsere 200 National- und 46 Ständeräte nicht nur mit der umfassenden Unternehmenssteuerreform III—ein Teil der Schweizer Steuergeschenke für Unternehmen sind mittlerweile international verpönt, also ersetzt man sie durch andere—herum, sondern auch mit so delikaten Fragen wie der angemessenen Unterstützung der Bisonzucht (wird ausgeweitet) oder damit, ob Pistenfahrzeuge in Skigebieten von der Mineralölsteuer zukünftig ausgenommen werden sollen (sollen sie).

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Solche Fragen mögen auf den ersten Blick unwichtig erscheinen. Doch wir wissen alle: Es sind die Details, die einen Menschen ausmachen. Ob du nun ein iPhone in der Tasche hast oder ein Samsung Galaxy mag schon etwas über dich ausssagen, deine Handy-Hülle mit wahlweise Fotos der weinenden Kim Kardashian oder einem besonders witzigen Spruch aber noch viel mehr. Wir fassen im Folgenden zusammen, was die grösseren, vor allem aber auch kleineren Entscheide, während der Frühlingssession über die Seele der Schweiz aussagen.

Vielleicht tut uns die Gleichberechtigung von LGBTs wirklich nicht so weh

Es geht vorwärts in Sachen LGBT-Rechten. Schrittchen für Schrittchen zwar nur, aber wenigstens die Richtung stimmt. Konkret waren es dieses Mal zwei positive Schritte, denn gleich zweimal haben sich die Räte klar zugunsten homosexueller Partnerschaften ausgesprochen. Zum Einen sollen Homosexuelle, die in einer eingetragenenen Partnerschaft leben, die Kinder des Partners oder der Partnerin in Zukunft adoptieren dürfen. Zum Anderen soll die erleichterte und verkürzte Einbürgerung, die bisher nur für Ehepartner galt, nun auch für eingetragene Partnerschaften gelten.

Wer sich bei beiden Vorlagen dagegen gestellt hat? Die CVP und vor allem die SVP. Bei der ersten Vorlage nahmen sie sich Helen Lovejoy aus den Simpsons zum Vorbild und schrie „Denkt denn hier niemand an die Kinder?” und bei der erleichterten Einbürgerung eben aus Prinzip, weil Einbürgerungen sowieso des Teufels sind—und dann auch noch Schwule und Lesben?

Foto von Nadja Brenneisen

„Alles fährt Ski!”—oder eben doch nicht

Die Schweiz ist ein Tourismusland. Oder wäre es zumindest gerne und unternimmt deswegen alles, um dieser Branche unter die Arme zu greifen. Nicht nur entschied sich das Parlament dafür, dass für gewisse Pistenfahrzeuge die Mineralölsteuer abgeschafft, das Tanken also billiger werden soll, sondern lockerte auch gleich noch die Bestimmungen, damit Hotels ausserhalb der Bauzone einfacher umgebaut werden können.

Die Frankenstärke, Easyjet und der Ruf, nicht gerade die freundlichsten Gastgeber unter der Sonne zu sein machen es dem Schweizer Tourismus derzeit zugegebenermassen nicht einfach. Neuen Entwicklungen wie Airbnb oder auch Uber traut man aber scheinbar auch nicht. In Sorge um angestammte Hotels beauftragte das Parlament den Bundesrat jedenfalls, einen Bericht zum Thema „Partizipative Ökonomie” zu verfassen.

Das Matterhorn zieht wohl mehr Touristen an als unsere Politiker. Foto von Marcel Wiesweg | Wikimedia | CC BY-SA 3.0

Helfen sie der Wirtschaft, finden wir sogar Flüchtlinge OK

Es mag ein Zufall sein, doch beispielhaft wirkt es trotzdem: Forderte die linke Ratsseite, dass die Auswirkungen von Tagesstätten und Krippen auf das Erlernen der Landessprachen untersucht werden sollen, wurde das Anliegen abgelehnt. Forderte Gerhard Pfister von der CVP die Prüfung einer raschen Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt, wurde das Begehren angenommen. Was uns das lehrt: Ist es gut für die Wirtschaft, ist es gut für die Schweiz.

Sogar ein Thema wie Foodwaste stösst so auf offene Ohren. Das sei nämlich nicht nur moralisch, sondern auch wirtschaftlich verwerflich, meinte Markus Hausammann von der SVP und überzeugte damit den Nationalrat, seine Motion anzunehmen, laut derer der Bundesrat Massnahmen ergreifen soll, den „Lebensmittelverlust” bis 2020 um 30 Prozent zu reduzieren.

Wir waren und bleiben Bauern

Weniger als vier Prozent der Schweizer Bevölkerung arbeiten mittlerweile noch in der Landwirtschaft. In Bern aber gehören die Bauern noch immer zu einer der wichtigsten Lobbygruppen überhaupt. Das garantiert nicht nur jedes Jahr beträchtliche Subventionsgelder, sondern auch massig Aufmerksamkeit im Parlamentsbetrieb.

Soll die Bisonzucht gleich stark unterstützt werden wie die übrige Tierzucht? Angenommen. Sollen bauernde Ehepaare jeweils einen eigenen Betrieb führen dürfen? Abgelehnt—aber nur, weil der Bundesrat schon daran arbeitet. Soll die vom Bauernverband lancierte Volksinitiative „Für Ernährungssicherheit” dem Volk zur Annahme empfohlen werden? Ja, auch wenn niemand weiss, was das genau bedeuten würde. Wobei das Wichtigste aber sowieso etwas anderes ist: dass die häuslichen Abwasser (also das, was durch die Toilette fliesst) von Tierbauern vermehrt in die Gülle und nicht in die Kanalisation fliessen sollen.

Milch hat eine strahlende Symbolkraft

Während in manchen Vorlagen also sogar die Verwertung unserer (beziehungsweise des Bauerns) Ausscheidungen geregelt wird, scheinen andere hauptsächlich ihrer Symbolkraft wegen auf die Traktandenliste gehievt worden zu sein. Die Vertreter der SVP sind nicht die Einzigen, die das tun, aber auf jeden Fall tun sie es am lautesten. „Wässrige Pulvermilch verdirbt einem den Tag”, meinte Toni Brunner und beschwor damit seine Ratskollegen, etwas für die Moral der Truppen zu tun und seinem Anliegen, in der Schweizer Armee nur noch frische Milch zum Frühstück zu reichen, Folge zu leisten. Und sie taten es, auch wenn Verteidigungsminister Parmelin darauf hinwies, dass die Menschen in der Armee ihr Müesli jetzt schon mit frischer Milch geniessen.

Der offizielle Rückzug des Schweizer EU-Beitrittsgesuchs, welches vor Jahrzehnten in Brüssel deponiert wurde und seither in irgendeiner Schublade vor sich hin gammelt, gehört in die selbe Kategorie. Niemand, wohl nicht einmal Lukas Reimann, der dieses Anliegen eingebracht hatte, misst diesem Dokument noch irgendwelchen Wert bei. Angenommen wurde der Vorstoss trotzdem. Man hätte sonst ja noch als EU-Befürworter gelten können. Manchmal muss man eben einfach ein Zeichen setzen. Aus Prinzip.

Unabhängig davon, ob unsere Volksvertreter nun über ein Milch-Frühstück, die Eindämmung von Foodwaste oder die Integration von Flüchtlingen debattieren, sie entscheiden, wie die Schweiz aussehen wird. Das nächste Mal treffen sich die 200 Nationalratsabgeordneten vom 25. bis 27. April zum ausserordentlichen Diskutieren. An der nächsten regulären Session gesellen sich am 30. Mai auch die 46 Ständeratsabgeordneten dazu. Wir dürfen gespannt sein, was die Schweiz dann bewegen wird.

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